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Man war noch mitten in der Heuernte. Alle schafften emsig; denn der Wetterbericht hatte für die nächsten Tage Gewitter angesagt.

Franzi und Xaver neckten sie damit.

»So ein Gewitter in den Bergen ist nicht von Pappe. Manchmal bleibt es tagelang und dann kracht es wie verrückt. Dann wirst droben in deiner Kammer das Grausen kriegen.«

Hannes vermutete: »Möchtest die Burgl dann wohl trösten wie?«

»Warum nicht?«, gab er lachend zurück.

»Geh«, sagte Viktor. »Bild' dir bloß nicht ein, dass du bei uns Fensterln könntest. Das könnt' dir schlecht bekommen.«

»Bist ihr Beschützer?«, fragte Xaver lachend. »Geh, Viktor, lass das nicht deine Liese hören.«

»Sie weiß, wie ich es mein.«

»Lass nur«, versicherte Burgl, »mit den zweien werd' ich schon allein fertig. Außerdem hab ich keine Angst«

»Und wenn wir jetzt doch kommen, um nachzuschauen, ob es auch stimmt?«

Einen Augenblick dachte das junge Mädchen, wenn ich sie jetzt dazu animiere und ihnen das falsche Zimmer angebe? Dann steigen sie in die verbotene Kammer und ich werde endlich

erfahren, was dort versteckt gehalten wird.

Sie wusste, dass diese drei Burschen nicht aus Thierbach kamen, also konnten sie auch nichts wissen. Die Dörfler ahnten vielleicht etwas, aber Genaues wussten sie auch nicht.

Aber gleichzeitig ahnte Burgl, dass sie das nicht tun würde und durfte. Damit hätte ihr Aufenthalt im Weitgasserhof sein Ende gefunden. Dann musste sie wieder ihre Koffer packen. Ein zweites Mal würde sie es nicht so gut treffen.

Sie hob entschlossen ihren Kopf und meinte lächelnd: »Ich fürcht' mich vor keinem Gewitter, und wenn ihr mich trotzdem besuchen kommt, werf ich die Leiter um, wenn einer draufsteht.«

»Hoppla, das ist ja eine ganz Rabiate!«, tat Xaver erschrocken.

»Das muss man bei euch Mannsbildern wohl sein, sonst verliert ihr allen Respekt!«

»Recht so, Burgl, gib es ihnen ordentlich!«

Viktors Augen blitzten sie an.

Wenig später hörten sie das Mittagsläuten aus dem Tal. Sie packten das Arbeitsgerät zusammen und legten es an den Wiesenrand. Gemeinsam gingen sie zum Essen zum Hof zurück.

Am Nachmittag ging Burgl nicht mehr mit auf die Wiese. Das zweite Wenden konnten die Männer selbst machen, außerdem half jetzt auch der Peter mit. Viktor fuhr mit der Mähmaschine auf die Bachwiese. Dorthin würden die anderen dann nachkommen, wenn sie das Heu das zweite Mal gewendet hatten. Heute würde das Wetter noch halten, und morgen konnte man einfahren.

Burgl nahm Eimer, Schrubber und Putzlappen und stieg die Treppe hinauf. Hier oben waren noch ein paar Stuben, die sie noch nicht sauber gemacht hatte. Eine davon war das sogenannte Nähzimmer. Aber die Weitgasserin nähte schon lange nicht mehr hier oben. Als sie zu dem Zimmer ging, sah sie, dass die Tür zum danebenliegenden Zimmer nur angelehnt war. In der Regel war sie auch verschlossen. Die Bäuerin hatte ihr damals erzählt: »Das ist nur die alte Wäschekammer, die benutzen wir auch nicht mehr. Das ist nicht mehr praktisch. Das Haus ist so groß, sonst wird man mit der Arbeit nimmer fertig.«

Burgl dachte, wenn ich die Fenster putze, dann wird sie wohl nichts dagegen haben. Schließlich kann man sie von den oberen Wegen her sehen. Wenn alle Fenster blitzen, kann man diese beiden nicht ungeputzt lassen.

Also stieß sie die Tür auf.

Ihre Überraschung war sehr groß. Wenn sie geglaubt hatte, ein Zimmer mit Schränken und Regalen vorzufinden, so hatte sie sich gewaltig getäuscht. Es gab immer mehr Rätsel in diesem Bauernhof. Denn hier fand sie nicht wie geglaubt die Wäschekammer, sondern ein Kinderzimmer!

Burgl blieb lange Zeit verdutzt auf der Türschwelle stehen. Dann sah sie sich um. Bunte, ein wenig verschlissene Tapeten, lustige Gardinen vor dem Fenster, Regale mit vielen alten Spielsachen waren zu sehen. Ein großes Schaukelpferd stand einladend in der Mitte, die Lok einer Holzeisenbahn auf dem Teppich. Der Lack war bereits sehr brüchig, wie es bei vielen alten Gegenständen oft der Fall ist.

Langsam betrat sie das Zimmer, setzte sich auf einen mit Fell überzogenen Hocker, und sah sich gründlich um. Das Zimmer musste vor langer Zeit benutzt worden sein. Es waren keine modernen Spielsachen darunter. Die Möbel waren ebenfalls alt. Aber alles war liebevoll eingerichtet. Ein hübsches, gemütliches Zimmer.

Burgl vermutete, dass es ein Jungenzimmer war, weil nirgends eine Puppe oder eine Puppenstube zu entdecken war. Bauklötzchen, Eisenbahn, Schaukelpferd! Alles blitzte vor Sauberkeit, nirgends war ein Stäubchen zu sehen. Mustergültig waren die Bücher und Spiele in den Regalen aufgebaut.

Warum dies alles? Wozu dieser Kult?

Hatten Liese und Viktor nicht gesagt, dass die Weitgasser keine Erben hätten? Aber das hieß ja nicht, dass sie nicht welche gehabt hatten. Natürlich mussten sie wenigstens einen kleinen Jungen gehabt haben! Dieser Raum zeugte einwandfrei von seiner früheren Anwesenheit. Sicher war er gestorben. Und darum hielt man diesen Raum so in Ehren. Niemand sollte ihn sehen. Liese und Viktor waren von Anfang an hiergewesen. sie wussten von dem tragischen Los der Weitgassers.

Aber Burgl schien es doch ein wenig eigenartig, dass sich eine Mutter immer wieder in das einstige Kinderzimmer flüchtet, um so an ein verstorbenes Kind zu denken. War es denn in so einem Fall nicht besser, man löschte alle Spuren? Wurde das Herz nicht immer wieder in neuem Schmerz aufgerissen?

Schon wollte sie das Zimmer wieder verlassen. Sie fühlte sich wie eine Einbrecherin in diesem kleinen Reich. Da fiel ihr Blick auf ein Bild an der Wand. Es war eine bunte Fotografie. Sie ging näher und war erstaunt.

Natürlich hatte sie vorhin richtig vermutet. Es war ein kleiner Junge gewesen. Hier konnte sie den Knaben sehen. Er musste auf dem Bild etwa fünf Jahre alt sein. Er trug einen Trachtenanzug, schien sehr stolz zu sein. Seine Augen blitzten den Betrachter fröhlich an. Ein bildhübscher kleiner Kerl. Ihr Herz zog sich vor Mitleid zusammen.

Ihr kam das Bild bekannt vor. Da sie es noch nie gesehen hatte, konnte sie sich die Zusammenhänge nicht erklären. Aber die lustigen Augen hatte sie ganz bestimmt schon einmal gesehen. Und dann fiel es ihr ein!

Das große Bild unten in dem Raum, der nur ganz selten benutzt wurde. Ja. warum war sie nicht sofort darauf gekommen? Der junge Mann hatte die gleichen Augen. Es musste einfach so sein. Also war er nicht als Kind gestorben. Aber warum hatte Viktor gesagt, dass er nichts über den jungen Mann wüsste? Warum log er so offensichtlich?

Sie wollte gerade das Zimmer verlassen, als sie ein Geräusch auf dem Gang vernahm. Vorsichtig lugte sie um die Ecke. Sie sah gerade noch, wie die Bäuerin aus dem verbotenen Zimmer kam. Vorsichtig drückte sie die Tür ins Schloss, nachdem sie einen Moment in Burgls Richtung geblickt hatte. Sie hielt ein Taschentuch vor die Lippen und Burgl sah, wie bestürzt sie dreinschaute, als wolle sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen. Sie drehte sich um, warf einen schmerzlichen Blick auf die Tür und ging langsam die Treppe hinunter.

Burgl schlüpfte aus dem Zimmer, zog die Tür zu und drehte den Schlüssel um. Man würde ihn später wohl holen. Sie wollte nicht, dass man ihre Entdeckung bemerkte.

Mit einem scheuen Blick in die Richtung der verbotenen Tür huschte sie dann davon.

Sieben Romane: Heimatroman Extra Großband Juli 2021

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