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Am nächsten Tag regnete es noch immer. Die Weitgasserin bat das Mädchen, ihr beim Ausbessern der Wäsche zu helfen. Das war eine Arbeit, die für Schlechtwetter und Winter aufgehoben wurde. Entsprechend war auch die Menge, die sich angesammelt hatte. Die beiden Frauen saßen in der kleinen Bauernstube neben der Küche. Der Kachelofen wurde vom Küchenherd mitbeheizt und strahlte an diesem trüben Herbsttag eine gemütliche Wärme aus.

Plötzlich blickte Eleonore das junge Mädchen an und fragte es gerade heraus: »Was würdest du tun, wenn du plötzlich sehr viel Geld erben würdest?«

Burgl verstand im ersten Augenblick nichts. Aber sie mochte nicht zurückfragen, so sagte sie nur ruhig: »Nun, dann könnte ich die Landwirtschaftsschule besuchen, vielleicht würde ich dann schneller fertig sein.«

»Aber wenn du doch Geld genug zum Leben hättest, brauchtest du doch nicht mehr zu arbeiten, Burgl.«

Das Dirndl blickte die Bäuerin an. Was wollte sie damit sagen? Burgl hatte nie in Erwägung gezogen, einmal viel Geld zu besitzen. Sie konnte sich das gar nicht vorstellen.

»Mein Ziel würde sich dadurch nicht ändern. Geld allein macht nicht glücklich, es beruhigt vielleicht. Jetzt, wo ich hier lebe, weiß ich, dass ich richtig gewählt habe. Ich möchte gar nichts anderes. Außerdem kann ich dann anderen Menschen helfen, so wie Ihnen.«

»Du willst also den Menschen helfen durch deinen Beruf. Aber es gibt auch viele Menschen, die sich gar nicht helfen lassen wollen. Die einfach zu stolz sind und sich lieber verkriechen, sich in ihrem Jammer vergraben. Ist es dann nicht zwecklos, dass andere bereit sind, zu helfen?«

Die Bäuerin sah starr vor sich hin, während sie sprach. Burgl spürte, dass sie ihr indirekt irgend etwas mitteilen wollte. Dann wiederum waren die Worte so gesprochen, als hätte sie nur ein Selbstgespräch geführt.

Burgl holte tief Luft, dann sagte sie ruhig: »Ich glaube es einfach nicht, dass es Menschen gibt, die sich nicht helfen lassen wollen. Es ist doch keine Schande, sich helfen zu lassen. Sie haben doch auch die Anzeige aufgegeben und ich bin gekommen und helfe.«

Eleonore sah Burgl Sallegg an. »Würdest du denn zu mir kommen und um Geld bitten?«

Burgls Augen verdunkelten sich. »Ich sagte doch schon vorhin, dass ich sehr gern arbeite.« Der Stolz bäumte sich in ihr auf.

»Aber wenn deine Hände krank würden, was dann?«

»Das darf nicht sein. Nein, ich würde niemanden bitten, es wäre mir eine Qual! Um Geld zu bitten ist etwas anderes!«

»Aber ich würde es dir gern geben, es wäre für mich die einzige Möglichkeit zu helfen, du hast doch auch eben davon gesprochen, welch ein schönes Gefühl es ist, wenn man helfen kann.«

Burgl fühlte sich hilflos. Was wollte sie von ihr um Gottes Willen?

»Ich könnte es aber nicht, Weitgasserin, es wäre so schrecklich für mich!«

»Es wäre doch kein Almosen, sondern nur eine Hilfe!«

»Trotzdem!«

Die Bäuerin saß vornübergebeugt und sah Burgl unverwandt an.

»Siehst du, so wie du meine Hilfe ablehnst, gibt es auch Menschen, die deine Hilfe einmal nicht haben wollen. Die zu stolz sind, um deine Hilfe anzunehmen!«

»Aber das ist doch nicht vergleichbar!«

»Vielleicht sehen wir die Gleichartigkeit nicht.«

»Um Geld bitten oder helfen, das ist wirklich zweierlei.«

Burgl sah die Bäuerin an. Der Augenblick war günstig, sollte sie nach dem Geheimnis der verbotenen Tür fragen? Ihr von dem Kinderzimmer erzählen?

Nur über dem Tisch brannte eine Lampe. Der übrige Raum wurde durch die Düsternis des Tages kaum erhellt. Eine eigenartige Stunde. Noch nie war sie so lange mit der Bäuerin allein zusammen gewesen. Zum ersten Male taute sie ein wenig auf. Ihre Augen wurden lebhaft, und sie vergaß für kurze Zeit ihren Schmerz.

Vielleicht hatte sie schon alles gesagt, und sie war zu dumm, um den richtigen Sinn zu erfassen. Konnte wirklich jemand aus Stolz etwas nicht tun?

»Wären Sie zu stolz?«, fragte Burgl leise die Bäuerin.

Eleonore senkte die Lider.

»Zu stolz«, sagte sie nachdenklich. »Mit Stolz würde ich es vielleicht nicht bezeichnen. Aber ich war auch mal so, ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Siehst du, ich wünschte mir Kinder, viele Kinder ...«, sie stockte plötzlich, sah zur Decke, ihre Lippen zitterten ganz leicht. »Aber ich schämte mich, zum Arzt zu gehen. Vielleicht hätte er mir helfen können. Ich weiß nicht, warum ich so war. Jetzt würde ich nicht mehr so handeln, aber nun habe ich meine Zeit versäumt. Alle rieten mir immer wieder mich untersuchen zu lassen, mein Mann, seine Eltern, damals lebten sie auch noch in diesem Haus, meine Eltern, meine Geschwister. Aber ich konnte mich einfach nicht überwinden. Lieber gab ich die Sehnsucht nach Kindersegen auf. Vielleicht hat man einfach Angst. Angst vor der Wahrheit, dass einem nicht geholfen werden kann, verstehst du das, Angst vor der Wirklichkeit. Solange man die Wahrheit nicht weiß, ist noch immer ein Fünkchen Hoffnung vorhanden.«

Aber sie hatten doch ein Kind, schrie es in Burgl. Einen süßen, kleinen Jungen! Doch sie schwieg, sie wollte nicht in einer alten Wunde wühlen. Oder war der Junge vielleicht nicht von ihr? Sie betrachtete die Frau sehr gründlich. Die beiden Bilder kannte sie nun schon auswendig. Eleonore musste die Mutter sein, da gab es keinen Zweifel. Sie hatte die gleichen Augen und manchmal das gleiche rasche Lächeln, das der Maler auf dem Bild festgehalten hatte.

Das junge Mädchen versuchte zu begreifen. Die Bäuerin hatte ein Kind bekommen, doch als sie mehr Kinder wollte, bekam sie keine mehr. Das gab es, mitunter brauchte nur ein kleiner Eingriff vorgenommen werden, um die Situation zu ändern. Aber sie hatte Angst vor der Wahrheit gehabt.

Und sie wusste auch, wie sehr man auf einem Hof, und besonders wie diesem, auf Kindersegen wartete. Je mehr um so besser, dann war die Zukunft gesichert, dann konnte nichts mehr schiefgehen.

Jetzt hatte sie das Gefühl, dem Geheimnis nähergekommen zu sein. Irgendwo in dieser Angst lag der Schlüssel verborgen, aber wo? Warum vertraute sie sich ihr nicht an. Vielleicht konnte sie helfen. Eleonore hatte jetzt keine Angst mehr, nein sie war krank vor Kummer, ja, das wusste sie jetzt überdeutlich. Nicht Angst drückte sie nieder, sondern ein schrecklicher Kummer. Also hatte jemand anderes Angst! Aber wer und warum?

Nach dem Mittagessen saßen sie noch ein paar Stunden über der Wäsche, die Bäuerin erwähnte jedoch das vorangegangene Gespräch nicht mehr. Sie sprachen über Allgemeines.

Am Feierabend holte Burgl ihre Bücher und setzte sich zu Viktor und Liese in die Küche, weil es da gemütlicher und warm war. Sie las ihnen wieder einmal etwas aus dem Lehrbuch der Landwirtschaftsschule vor. Kopfschüttelnd meinte Viktor dann: »Da leb’ ich noch mein ganzes Leben in den Bergen, glaub’, alles wie meine Westentasche zu kennen, die Berge, den Wald, die Almen und die Äcker, ganz besonders das Vieh, und jetzt kommt so ein junges Dirndl daher und liest aus einem schlauen Buch etwas vor. Danach muss ich also all die Jahre viel falsch gemacht haben. Das versteh ich einfach nicht, aber es hat doch dem Hof nicht geschadet.«

Burgl lachte. »So ist das ja auch nicht gemeint. Man gibt ja auch nur Ratschläge, weißt, jeder muss mal anfangen und man muss auch mit der Zeit gehen. Schau dich um, du siehst doch selbst, dass immer weniger Hänge gemäht werden.«

»Ja«, knurrte Viktor, »ja, meine Augen sind noch nicht blind, die Leut’ wissen ja selbst nicht, wie sehr sie sich damit schaden. Es wird kurze Zeit vergehen, dann sind alle verfilzt und sind zu gar nix mehr zu gebrauchen. Und die Unvernunft gipfelt darin, einen Lift zu machen. Dann ist auch das verfilzte Gras bald beim Teufel.«

Victor hatte sich richtig in Rage geredet.

Liese mischte sich ein und meinte: »Ist ja auch verdammt hart, so einen steilen Hang zu mähen, das kenn’ ich noch aus meiner Jugendzeit.«

»Siehst du«, erklärte Burgl, »deswegen haben die Herren in der Stadt auf der Landwirtschaftsschule nun herausgefunden, dass man Schafe halten muss, die sind genügsam, sie grasen auch an steilen Hängen und treten das Erdreich fest. Man hat Wolle, die wird jetzt wieder sehr beliebt, und das Fleisch ist auch nicht zu verachten. Seht ihr, das und vieles mehr lernt man auf der Landwirtschaftsschule, in die ich gehen will.«

»Donnerwetter«, staunte der Alte. »Das hab ich gar nicht so genau überlegt. Aber es ist viel dran.«

»Siehst Alter, der neumodische Kram ist net immer so schlecht, wie du meinst. Wirst noch umlernen müssen«, prophezeite Liese.

»Ich nimmer«, meinte Viktor. »Dafür haben wir dann die Burgl.«

Sieben Romane: Heimatroman Extra Großband Juli 2021

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