Читать книгу Das Riesen Arztroman Paket August 2021: Arztromane Sammelband 8 Romane - A. F. Morland - Страница 74
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ОглавлениеSchwester Annegret und Moni Wolfram achteten darauf, dass der Chef früh genug wegkam. Sie hielten alles von ihm fern, was geeignet gewesen wäre, ihn am rechtzeitigen Verlassen der Paracelsus-Klinik zu hindern, wünschten ihm einen guten Flug, einen erholsamen Urlaub und warfen ihn – was ja in seinem ureigensten Interesse war – regelrecht aus seinem Büro raus.
Die Härtlingsche Villa war total verwaist, als der Chefarzt nach Hause kam. Dana und Ben waren bereits im Allgäu, Tom in Österreich und Josee in Jesolo. Ottilie war zur Rheuma-Kur in den Schwarzwald gefahren und Jana ...
Ja, wo war Jana? Sie hatte keine Nachricht hinterlassen. Sören lud die Batterien der Videokamera auf und legte einen Film in seine Spiegelreflexkamera ein.
Dann kam Jana mit den allerletzten Besorgungen nach Hause. Sie checkten gemeinsam noch einmal die Packliste durch, aßen eine Kleinigkeit, sahen ein wenig fern und gingen früh zu Bett.
„Ungewohnt, diese Stille im Haus“, sagte Jana an ihren Mann geschmiegt.
„Irgendwann wird es immer so still sein“, meinte Sören.
„Wenn die lieben Kinderchen flügge geworden sind.“
„Wirst du dich daran gewöhnen können?“, fragte Sören.
„Kann ich noch nicht sagen. Eine große Umstellung ist es für eine Mutter schon. Lange Zeit haben ihre Kinder sie gebraucht – und plötzlich ...“
„So plötzlich geht das nicht“, sagte Sören. „Es ist ein schleichender Prozess. Du wirst genug Zeit haben, dich darauf vorzubereiten – und im Übrigen ist dieses Thema noch lange nicht aktuell. Josee ist erst zehn.“
„Aber die Jahre vergehen sehr schnell!“
Sören hauchte ihr einen Kuss ins duftende, seidige Haar. „Wenn alle aus dem Haus sind, hast du immer noch mich. Ich bleibe dir erhalten. Und über kurz oder lang haben wir die Bude wieder voll mit unseren Enkelkindern. Gute Nacht, Liebling.“
„Gute Nacht.“
„Morgen schlafen wir schon auf Jamaika“, sagte Sören und löschte das Licht.
Tags darauf standen sie frühzeitig auf und gingen alles ruhig und überlegt an.
Tom schrie nicht: „Wo ist meine Taucherbrille?“ – Josee schrie nicht: „Wer hat meinen Sonnenhut gesehen?“ – Dana schrie nicht: „Verflixt noch mal, wo ist denn mein gestreifter Bikini?“ – Und Ben schrie nicht: „Ich kann mein Racket nicht finden. Gestern war es doch noch da!“
Niemand sauste kreuz und quer durchs Haus. Es knallten keine Türen. Kein Radio plärrte. Tom ärgerte Josee nicht. Ben stritt sich nicht mit seiner Zwillingsschwester. Worte wie „Idiot!“, „Doofe Nuss!“, „Geistiger Tiefflieger!“ und „Blöde Kuh!“ blieben unausgesprochen.
Es war die reinste Wohltat, in dieser friedlichen Atmosphäre die letzten Handgriffe zu erledigen und nach einer aufmerksamen Kontrollrunde das Haus zu verlassen und das Gepäck in den Wagen zu stellen.
„Haben wir alles?“, fragte Jana Härtling.
„Klar haben wir alles“, nickte Sören.
„Pässe?“, fragte Jana.
Sören nickte.
„Flugtickets?“, fragte Jana.
Sören nickte.
„Bargeld?“, fragte Jana.
Sören nickte.
„Kreditkarten?“, fragte Jana.
„Und Reiseschecks. Und Medikamente. Und Sonnenöl. Und alles“, grinste Sören und fuhr los.
Auf Jamaika bestand das Empfangskomitee aus Dr. Christian Bach und Alexis. Ja, auch Alexis holte die Gäste aus Deutschland vom Flughafen ab – strahlend schön und ebenso hocherfreut über den Besuch wie Christian, mit dem sie sich wieder vertrug. Sie hatte ihn einen Tag nach der heftigen Auseinandersetzung angerufen. Es war ihm nicht sehr gut gegangen. Ihr auch nicht. Christian hatte seinen Trennungsschmerz mit etlichen Bourbons zu betäuben versucht. Als das Telefon geläutet hatte, hatte er sich mit schleppender Stimme und schwerer Zunge gemeldet: „Hallo!“
„Ich bin es“, hatte Alexis kleinlaut gesagt.
„Wer ist ‘ich’? Es gibt fünf Milliarden Menschen auf der Welt – und jeder ist ein ‘Ich’ ...“
Christian hielt mit der rechten Hand den Telefonhörer an sein Ohr, in der linken hielt er ein reichlich mit Bourbon gefülltes Glas.
Er wusste natürlich, wen er an der Strippe hatte. Er hätte ihre Stimme aus Tausenden heraus sofort erkannt, aber sein Trotz zwang ihn, so zu reagieren.
Alexis hatte gestern die wichtigste Tür seines Lebens zugeschlagen. Das tat noch immer sehr weh – und ihr Anruf brachte die Wunde in seinem Herzen wieder zum Bluten.
„Wer ist ‘ich’? Es gibt fünf Milliarden Menschen auf der Welt – und jeder ist ein ‘Ich‘ ...“ Er hoffte, dass ihr diese Worte zu schaffen machten.
„Alexis“, sagte sie gepresst.
„Alexis ... Oh ... Ja, ich erinnere mich dunkel ... Da war mal eine wunderschöne Frau, die sich so nannte ... Ob sie wirklich so hieß, oder ob es nur ihr Künstlername war, weiß ich nicht ...“
„Bitte, Christian!“, sagte Alexis eindringlich.
„Ich war dieser Traumfrau sehr zugetan, aber ich war für sie wohl bloß einer von vielen ...“
„Bitte, Christian, mach es mir nicht noch schwerer“, flehte sie.
„Warum sollte ich es dir leicht machen? Nenn mir irgendeinen Grund, weshalb ich ...“ Erhob sein Glas. „Ich trinke auf dein Wohl, Alexis – schöne, geheimnisvolle Unbekannte.“ Er trank schlürfend, damit sie es hörte.
Ihr Schluchzen ernüchterte ihn. Ein eiskalter Schauer überlief ihn. Er stellte den Drink weg.
„Alexis?“
Schluchzen.
„Alexis!“
„Ach, Christian, warum muss das Leben so kompliziert sein?“
„Das Leben ist nicht kompliziert, Alexis. Es gibt bloß Menschen, die es kompliziert machen, indem sie zum Beispiel permanent lügen ...“
„Ich habe dich nie belogen.“
„Oder indem sie sich hinter Halbwahrheiten verstecken ...“
„Warum hast du kein Vertrauen zu mir, Christian?“
„Würdest du mir vertrauen, wenn ich mich so seltsam benehmen würde?“
„Lass mir doch bitte etwas mehr Zeit.“
„Wie viel Zeit denn noch?“ Er wischte sich mit der Hand über das schweißnasse Gesicht. Ihm war heiß. Das kam vor allem vom Bourbon.
„Wenn du doch nur alles so gelassen hättest, wie es war ...“
„Dieser Zustand war auf die Dauer doch unhaltbar“, sagte Christian Bach. „Er schrie förmlich nach einer Lösung.“
„Es hätte sich bestimmt irgendwann eine Lösung ergeben.“
„Man kann mich nicht als ungeduldigen Menschen bezeichnen, Alexis. Ich habe lange gewartet, doch nun geht es nicht mehr. Ich schaff’s einfach nicht mehr.“
„Was du gestern gesagt hast ...“
„Was meinst du?“, fragte Christian. „Ich habe gestern sehr viel gesagt.“
„Es gibt keinen anderen Mann in meinem Leben, Christian. Es gibt nur dich für mich.“
„Wieso weiß Tom Silverman mehr über dich als ich?“
„Bist du eifersüchtig auf Tom?“, fragte Alexis zurück.
„Nein. Ich würde nur gern auch so viel über dich wissen wie er.“
„Du wirst es erfahren“, versicherte sie ihm. „Du wirst alles erfahren.“
„Wann?“, fragte er sofort.
„Bitte dränge mich nicht.“
Er stöhnte leise. Das Zimmer schaukelte und drehte sich. Aber nur ganz langsam. „Dir wäre es am liebsten, es würde alles so weitergehen wie bisher, nicht wahr?“
„Ich habe mich entschlossen, einiges zu ändern. Ich habe eingesehen, dass du im Recht bist. Aber ich kann nicht von heute auf morgen ...“ Alexis unterbrach sich. „Gib den Dingen Gelegenheit, zu reifen, Christian. Ich werde ehrlich und ernsthaft nach einer Lösung unseres Problems suchen, und ich bin zuversichtlich, dass ich eine finden werde. Gib unserer Beziehung eine Chance. Ich möchte dich nicht verlieren. Vertraue mir. Ich werde dich ganz bestimmt nicht enttäuschen. Ich liebe dich ...“
Ein heftiger Ruck ging durch seinen Körper. Hatte er sich eben verhört? „Was hast du gesagt?“, fragte er krächzend.
„Ich liebe dich.“
Er schluckte. Seine Kehle war eng. Sein Herz schlug schneller. Er war ergriffen. „Das hast du noch nie ...“
„Ich dachte, es wäre nicht nötig, du wüsstest es ohnehin.“
„Trotzdem muss so etwas hin und wieder auch ausgesprochen werden“, kam es krächzend über seine Lippen.
„Ich weiß, dass wir miteinander sehr glücklich werden können.“
Er schwieg kurz. Dann fragte er: „Und wie soll es nun weitergehen?“
„Du wirst nach und nach alles über mich erfahren.“
„Willst du’s mir tropfenweise einflößen wie eine bittere Medizin?“, fragte Christian. „Herrgott noch mal, was du vor mir verbirgst, kann doch nicht so schlimm sein, dass ich’s nicht auf einmal vertrage. Du weißt, wie sehr ich dich liebe. Ich kann alles verstehen und alles verzeihen.“
„Wenn du mir noch ein ganz klein wenig Zeit lässt, wird sich alles zum Guten wenden.“
Sie sagte das so eindringlich, so überzeugt, so flehend, dass er nicht ablehnen konnte. Alles würde, wie bisher, nach Alexis’ Spielregeln ablaufen – und er würde versuchen, weiterhin die Geduld aufzubringen, um die sie ihn gebeten hatte.
„Sehen wir uns morgen?“, fragte Alexis.
„Wenn du möchtest.“
„In meinem Apartment?“, schlug Alexis vor.
„Okay.“
Sie legten gleichzeitig auf. Christian Bach nahm seinen Bourbon, ging damit in die Küche und kippte ihn ins Spülbecken. Dann kochte er sich starken Kaffee, und nachdem er ihn getrunken hatte, hörte das Drehen und Schaukeln des Hauses allmählich auf.
Tags darauf erlebte er in Alexis’ Apartment den Himmel auf Erden. Sie war noch nie lieber, sanfter, zärtlicher und leidenschaftlicher gewesen, und sie flüsterte ihm immer wieder ins Ohr, wie sehr sie ihn liebe.