Читать книгу Ferien Sommer Bibliothek Juni 2021: Alfred Bekker präsentiert 19 Romane und Kurzgeschichten großer Autoren - A. F. Morland - Страница 11
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ОглавлениеJonas hatte es sich nicht nehmen lassen, Susann am Wochenende zum Flughafen zu bringen. Natürlich tat er das nicht ohne Grund. Er wollte sichergehen, dass sie dort auch heil ankam. Die Sache mit ihrem Onkel machte ihm mehr Sorgen, als er zugeben würde. So, wie der sich ihr gegenüber aufgeführt und sich geäußert hatte, da traute er dem jede Schandtat zu.
Jonas wartete, bis Susann ins Gate ging, um in ihren Flieger einzusteigen. Eine Viertelstunde später war er auch schon in der Luft. Erst dann verließ er den Flughafen und fuhr zu seiner Frau nach Hause.
Als Susann auf ihrem Zielflughafen ankam, stand Martin, der sie freundlich begrüßte, mit der schwarzen Limousine, die ihr Vater vorher gefahren hatte, bereit. Erst zögerte sie noch, einzusteigen, doch dann überwand sie sich und ließ sich von ihm zum Strandhaus fahren.
Martin und seine Frau Rosalia waren von ihrem Vater angestellt worden, um sich um das Strandhaus zu kümmern. Manchmal hatten ihre Eltern Martin auch gebeten, den Chauffeur zu spielen.
Stille umfing sie, als sie das Haus betrat. Alles war am selben Platz, nichts hatte sich geändert.
Und trotzdem fehlte etwas - das Wichtigste: ihre Eltern!
Nun saß Susann wieder im warmen Sand und starrte auf das ruhige Mittelmeer. Niemand sah ihre Tränen, die ihr heiß über die Wangen liefen. Niemand sah ihren Kummer, den sie in sich trug.
Susann war nun allein. Ihre Eltern tot.
Was soll ich jetzt nur ohne euch tun?, fragte sie sich immer wieder. Ach, Paps! Warum seid ihr nicht im Strandhaus geblieben? Ihr hättet euch doch einen schönen Tag auf der Terrasse machen können, hättet - wie sonst auch - im Pool eure Bahnen schwimmen können.
„Ich hasse dich, du verfluchtes Meer!“, sagte sie verbittert, obwohl ihr klar war, dass das Meer keine Schuld traf.
Susann wischte sich mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen und stand auf. Ohne noch einen Blick auf das Meer zu werfen, ging sie zurück zum Haus, das jetzt still und leer auf sie wartete.
Dieses schöne Gebäude war auf der Anhöhe einer dieser wunderschönen Fjorde errichtet worden. Viel Glas war auf der Seite, die zum Meer zeigte, verarbeitet worden. So hatte man immer einen wundervollen Ausblick auf das weite Meer.
Während Susann die eingehauenen Stufen hochstieg, sah sie kurz zu dem anderen Strandhaus, das sich etwas weiter entfernt von ihrem befand. Dazwischen wurde alles noch von der Natur beherrscht. Sie wusste, dass das Haus mit dem Grundstück zum Verkauf stand. Die Besitzer hatten dafür keine Verwendung mehr, da sie schon ziemlich betagt waren. Mit ausschlaggebend war wohl auch der Umstand, dass der Zugang zum Strand ziemlich steil war. Steiler als der, den Susann zu gehen hatte, wenn sie hier herunter wollte. Die Stufen waren uneben geworden, zum Teil auch weggebrochen. Und das Geländer fehlte. Die Nochbesitzer waren nicht mehr gewillt, dort zu investieren. Das wollten sie dem neuen Besitzer überlassen.
Als Susann oben ankam, hörte sie, wie jemand in der Küche hantierte. Sogleich fiel ihr ein, dass das nur Rosalia sein konnte.
„Hallo, Rosalia“, grüßte Susann die kleine Frau, deren Haare bereits ein paar silberne Strähnen zierten. „Ist Martin auch hier?“
„Nein, er will morgen nach dem Rechten sehen“, antwortete Rosalia und musterte die junge Frau. „Ich bin nur hier, um zu sehen, ob ich für dich etwas tun kann. Benötigst du noch etwas?“
Susann schüttelte den Kopf.
„Aber du musst essen, bist ja schon spindeldürr“, tadelte Rosalia.
Susann winkte ab.
„So schlimm ist das nun wirklich nicht. Ich esse doch, wenn ich Hunger bekomme.“
„Ihr jungen Dinger versündigt euch an euren Körper selbst. Man muss doch was auf den Rippen und der Mann was zum Greifen haben“, meinte Rosalia. „Außerdem – zu wenig essen und trinken schadet der Gesundheit.“
Susann seufzte, denn sie gab der kleinen, etwas rundlichen Frau ja recht. Aber wenn sie nun mal keinen Hunger verspürte, sie keinen Appetit auf etwas hatte – reinquälen, nein, dazu konnte sie sich nicht überwinden. Und einen Mann an ihrer Seite – dafür fehlte ihr gerade die richtige Vorstellung.
„Ich habe dir einen Teller Paella mit Hühnchenfleisch in den Kühlschrank gestellt“, zwinkerte sie Susann zu, denn sie wusste, dass die junge Frau vor dem Unglück ihrer Eltern dieses Gericht niemals verschmäht hätte.
„Oh, danke!“ Doch das hörte sich nicht wirklich begeistert an. Rosalia sagte aber nichts dazu. Es wäre auch sinnlos gewesen. Dafür teilte sie ihr eine Neuigkeit mit.
„Hast du es schon gehört? Das Strandhaus, das zum Verkauf stand, hat einen neuen Besitzer.“
„Ach wirklich? Das ging aber schnell“, entgegnete Susann. Es interessierte sie eigentlich nicht, aber sie tat Rosalia den Gefallen und ging auf das Thema ein. „Ist es wieder ein Ehepaar?“
„Hm, man erzählt, dass es ein junger und gut aussehender Mann gekauft hat. Er ist allein dort. Jedenfalls hat noch keiner etwas von einer Frau erwähnt.“
„Vielleicht kommt sie noch“, vermutete Susann.
„Ja, vielleicht. Aber es ist doch merkwürdig, dass der sofort den Vertrag unterschrieben haben soll, ohne vorher das ganze Anwesen in Augenschein zu nehmen. Das macht man doch so. Oder etwa nicht? Könnte doch passieren, dass man die Katze im Sack kauft. Und wenn man den dann öffnet, springt sie einem wütend ins Gesicht, zerkratzt es und verschwindet auf Nimmerwiedersehen“, redete Rosalia munter weiter.
„Das ist wirklich merkwürdig. Aber vielleicht war er schon mal hier und hat es sich angesehen. Nur weiß es keiner“, hielt Susann dagegen, denn das wäre wirklich ungewöhnlich.
„Nein, nein. Wenn dieser Mann hier schon früher mal aufgetaucht wäre, dann wüsste man davon. Glaub mir! Hier geht jede Neuigkeit wie ein Lauffeuer um. Und dieser Mann ist selbst ein Lauffeuer.“ Rosalia nickte eifrig zu ihren Worten, so dass Susann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte.
„Rosalia, was höre ich da? Du schwärmst ja regelrecht für den Neuen.“
„Na, wenn du den mal zu Gesicht bekommst, wirst du schon sehen ...“, meinte die mit einem hintergründigen Lächeln und Augenzwinkern.
„Ach, so besonders wird er schon nicht sein. Ist eben ein Mann – und bestimmt auch verheiratet. Wer weiß …“ Susann war kein bisschen neugierig geworden, und das merkte Rosalia.
„Ach Kindchen, das Leben geht weiter. Auch wenn es schwerfällt“, sagte sie mitfühlend zu ihr. „Ich werd dann mal. Wenn du was brauchst, dann ruf mich an“, verlangte sie noch und verabschiedete sich dann.
Susann stand etwas unentschlossen in der Küche, als Rosalia das Haus verlassen hatte. Doch dann raffte sie sich auf und öffnete den Kühlschrank. Obwohl der Teller, eigentlich eine nicht zu hohe Schüssel, gut abgedeckt war, entströmte von dort ein leichter, aber köstlicher Geruch der Paella, der Susann sofort in die Nase kroch.
Kurz entschlossen nahm sie das Gefäß und stellte es in die Mikrowelle.
„Wäre doch schade, wenn es verdirbt“, murmelte sie.
Schon nach dem ersten Bissen spürte sie ihren Hunger. Das war das erste Mal seit dem Unglück.
Susann schaffte zwar nur die Hälfte, denn Rosalia hatte es mehr als gut gemeint.