Читать книгу Ferien Sommer Bibliothek Juni 2021: Alfred Bekker präsentiert 19 Romane und Kurzgeschichten großer Autoren - A. F. Morland - Страница 13

6

Оглавление

Erst am nächsten Morgen bei einer Tasse Kaffee erlaubte es sich Susann, über das Telefonat mit Jonas nachzudenken. Sie überlegte, ob ihr Onkel wirklich so verrückt sein würde, irgendwas Idiotisches anzustellen, weil es glaubte, doch noch etwas erben zu können, obwohl es dazu keine Chance gab. Er musste es doch einsehen, dass das zwecklos war.

Bestimmt kommt er über seine Enttäuschung hinweg und beruhigt sich wieder, dachte sie. Soweit wird er nicht gehen, um mir zu schaden.

Doch dann erinnerte sie sich wieder an sein wütendes Gesicht, als er sie mehr oder weniger überfallen hatte. Unwillkürlich fasste sie sich an ihren Hals, als würde sie den Schmerz wieder spüren. Was wäre wohl passiert, wenn ihr Nachbar nicht rechtzeitig eingegriffen hätte? Sie verbot es sich, weiter darüber nachzudenken.

Nein, der war nicht enttäuscht. Der war außer sich vor Wut, sinnierte sie. Der wird nicht aufgeben. Der will Geld sehen. Da muss ich wohl oder übel Jonas zustimmen. Onkel Thomas ist wahnsinnig geworden. Wer weiß, was dem noch einfällt, dachte sie. Aber einen Bodyguard – nein – den wollte sie trotzdem nicht.

Bei ihren Überlegungen sah sie aus dem Fenster zur Terrasse und beobachtete Martin, der dort mit dem Fegen beschäftigt war. Doch dann bildete sich bei Susann eine Falte zwischen den Augen, denn er machte es viel langsamer als sonst. Auch schaute er oft in die Richtung, in dem sich das andere Strandhaus befand. Dann stellte er den Besen beiseite und verschwand für mehrere Minuten. Als er wieder auftauchte, führte er seine ursprüngliche Arbeit weiter aus.

„Was treibt der denn da bloß?“, murmelte Susann. „Der fegt noch so lange, bis der Besen keine Borsten mehr hat.“

Sie erhob sich, um ihre Tasse in die Spüle zu stellen. Danach ging sie sich ankleiden, denn sie trug noch ihren Morgenrock. Als sie erneut zum Fenster trat, war Martin immer noch da. Jetzt spritzte er mit einem Schlauch die Terrasse ab.

Kopfschüttelnd wandte sich Susann ab und meinte, dass er das gleich hätte machen können. Warum vorher fegen, wo es nichts zu fegen gab?!

Sie schnappte sich ihre Handtasche und den Wagenschlüssel. Susann trug sich mit der Absicht, sich einen schönen Tag in der Stadt zu machen: durch die Straßen der Altstadt schlendern, in paar Boutiquen gehen und vielleicht ein hübsches Kleidungsstück erstehen, sich draußen vor einem Café setzen und bei einem Latte Macchiato die Leute beobachten, die dort vorübergehen.

Bis nach Marseille von ihre Strandhaus aus musste sie eine gute Stunde fahren. Es waren kaum Fahrzeuge unterwegs, so dass sie gut vorankam. Ab und zu sah sie in den Rückspiegel. Dabei bemerkte sie einen schwarzen Wagen, der in einem gebührenden Abstand hinter ihr fuhr. Zuerst dachte sie sich noch nichts dabei. Doch dann fragte sie sich, warum er sie nicht überholte. Gelegenheiten hätte er bereits mehrere gehabt.

Susann entschied sich, langsamer zu werden, um zu sehen, ob derjenige sie dann überholen würde. Mit einer gewissen Erleichterung registrierte sie, als sie in den Rückspiegel schaute, dass der Fahrer hinter ihr zum Überholen ansetzte. Dann war er auch schon vorbei, ohne, dass sie erkennen konnte, wer in dem Wagen saß, denn die Scheiben waren verdunkelt - so wie auch bei ihrem Wagen.

Als er aus ihrem Blickfeld verschwunden war, fuhr auch sie wieder schneller.

„Der muss aber ziemlich aufgedreht haben“, murmelte sie, „denn der ist ja wie vom Erdboden verschluckt. Na ja, mit dem Frachtschiff ist das ja kein Problem.“

Als sie die Stadt erreichte, fuhr sie bis ins Zentrum, um dort den Wagen zu parken. Dann schlenderte sie durch die Altstadt, wo sich ein paar Boutiquen befanden, die exquisite Kleidung und Wäsche führten. Susann war jedoch aufmerksamer als sonst. Sie nahm ihre Umgebung an diesem Tag bewusster wahr. Irgendwie hatte sich doch die Warnung von Jonas in ihr Hirn eingegraben, die sie verdrängen wollte. Aber sie kroch immer wieder hervor und veranlasste sie dazu, sich des Öfteren umzusehen, wenn sie durch die Straßen spazierte. Zu ihrer Beruhigung fiel ihr nichts Besonderes auf, wenn sie es tat. Die Menschen bummelten wie sie durch die Straßen und Gassen, schauten sich die Auslagen in den Schaufenstern an, kehrten dort ein oder saßen in den Restaurants und Bier- und Weingärten.

Susann hatte so ihre speziellen Läden. Dort ging sie hin, wo man sie freundlich empfing, denn sie war hier ein gern gesehener Kunde. Ein cremefarbenes Sommerkleid, das ihre schlanke Figur zur Geltung brachte, und ein sündhafter Bikini, der nur das Notwendigste verdeckte, befanden sich in der Tüte, als sie die erste Boutique verließ. In der nächsten, die sich nicht weit von der ersten befand, erstand sie für sich Unterwäsche – ein Hauch von Spitze.

Dann brachte sie ihre Errungenschaften zum Wagen, um danach in ihr Lieblingsrestaurant zu gehen. Dort hatte sie oft mit ihren Eltern gesessen, aber auch allein, wenn nur sie in die Stadt gefahren war.

Der Gedanke an ihre Eltern gab ihr einen schmerzhaften Stich in der Herzgegend, so dass sie leise aufstöhnte. Susann vermisste die beiden sehr – so sehr. Tränen traten in ihre Augen und wollten ihr den Blick verschleiern. Schnell klimperte sie mit den Lidern, um das zu verhindern. Es gelang ihr, ohne, dass eine Träne aus ihren Augen floss. Dann sah sie sich verstohlen um. Dabei musterte sie auch die Gäste, die an den Tischen saßen. Keiner beachtete sie, jedenfalls nicht mehr als sonst. Das war sie gewohnt, dass man sie wahrnahm, sie musterte. Männer taten es meist bewundernd, Frauen eher abschätzend, ob sie mit Susanns Aussehen mithalten konnten, oder auch neidisch. Sie war eben nicht durchschnittlich.

Ihre Mutter war eine sehr schöne Frau gewesen. Ihr Vater hatte sie bei einem Kongress in Stockholm kennengelernt. Es war wohl Liebe auf den ersten Blick. Ein halbes Jahr später heirateten beide. Nach knapp einem Jahr wurde Susann geboren. Es war eine schwere Geburt gewesen, so dass beide auf weitere Kinder verzichteten.

Susann hatte neben der Schönheit auch die seidenen und blonden Haare ihrer Mutter geerbt. Ihre Augen waren von einem strahlenden Blau mit goldenen Sprenkeln, so dass es manchmal den Anschein hatte, dass ihre Augen grün sind. Aber sie besaß nicht die helle Haut ihrer Mutter, die immer besonders aufpassen musste, sich keinen Sonnenbrand einzufangen. Damit hatte Susann keine Schwierigkeiten. Sie war fast das ganze Jahr leicht sonnengebräunt, ohne jemals ins Sonnenstudio gehen zu müssen, was sie eh verabscheute.

Als der Ober sah, das Susann das Restaurant betrat, kam er sofort zu ihr geeilt.

„Guten Tag, Madame Sanders!“, begrüßte er sie. Dabei zeigte er sich zurückhaltend. Susann war klar, dass man auch hier von dem Unglück ihrer Eltern erfahren hatte. Es war ja überall durch die Medien gegangen. Sie hoffte nur, dass er sie darauf nicht ansprach. „Ich bringe Sie zu dem gewohnten Tisch. Oder wünschen Sie einen anderen Platz?“

„Nein, nein“, antwortete lächelnd. „Der Platz ist okay.“

Der Mann geleitete Susann zu dem Tisch und rückte ihr den Stuhl zurecht. Dann reichte er ihr die Speisekarte. Susann bestellte für sich gleich Weißwein und Mineralwasser, was der Ober ihr sogleich brachte. Im Stillen war sie ihm dankbar, dass er nichts zu dem Tod ihrer Eltern sagte.

Während sie auf ihre Bestellung wartete, schaute sie sich weiter um. Von ihrer Position aus hatte sie die ganze Fußgängerzone im Blick. Ab und zu bemerkte sie die verstohlenen Blicke einiger Leute, die ebenfalls hier saßen. Doch das kümmerte sie nicht. Als sie sonst nichts Ungewöhnliches entdecken konnte, lehnte sie sich zurück und nippte an dem Glas mit Weißwein.

Nach dem Essen ließ sie sich noch einen Espresso bringen. Und wieder suchten ihre Augen die Umgebung nach etwas ab, was ihr störend auffallen würde.

Plötzlich verharrten sie bei einer Person. Zielstrebig bewegte diese sich auf das Restaurant zu, in dem sich auch Susann befand. Es war ein Mann, der schwarze Jeans und ein ebenso schwarzes Hemd trug. Das erinnerte sie an etwas. Und es fiel ihr auch sogleich ein.

War das etwa der Neue, der das Strandhaus erworben hat?

Susann war nun doch neugierig und beobachtete ihn hinter ihrer Sonnenbrille weiter.

Er war groß und schlank, aber durchtrainiert. Das konnte Susann erkennen, denn die Jeans saß ihm eng am Körper, so auch das Hemd. Er hatte dichtes dunkelbraunes Haar, das etwas wirr aussah.

Als er den Bereich der Gaststätte betrat, sah er sich kurz um. Dabei schaute er auch zu dem Tisch, wo Susann saß. Da kam es ihr so vor, als würde sein Blick intensiver, durchdringender werden, so dass sie sich plötzlich unbehaglich fühlte. Doch da wandte er sich von ihr schon wieder ab.

Der Ober begrüßte den Fremden und geleitete ihn zu einem Tisch, der ganz in der Nähe des Tisches stand, an dem Susann saß. Und dann setzte der sich auch noch so hin, dass er genau in ihre Richtung sehen konnte. Das ärgerte sie.

Während der neue Gast seine Bestellung aufgab, beobachtete Susann ihn verstohlen. Ja, sie musste Rosalia zustimmen. Dieser Mann hatte etwas an sich, was Menschen – insbesondere Frauen - dazu bewog, ihn nicht zu übersehen, sondern ihn anzustarren. Sogar Susann musste zugeben, dass er ein gut aussehender Mann war. Gerade Nase, ebenmäßige Züge, breite Wangenknochen, hohe Stirn, kleines Grübchen am Kinn - und sein Mund …

Oh ja – der hat bestimmt so manches Mädchen verführt, dachte Susann spöttisch. Der muss doch `nen ganzen Harem um sich haben. Auch sein Auftreten wirkte auf sie sehr selbstsicher.

„Madame Sanders, haben sie noch einen Wunsch?“ Der Ober war mit der Bestellung von dem anderen Gast fertig und stand nun an ihrem Tisch, so dass sie ihm nun ihre Aufmerksamkeit schenkte. So aber nutzte der Fremde den Moment und schaute zu Susann – und das mit einer Unmutsfalte zwischen den Brauen.

„Bitte bringen Sie mir noch ein Glas Mineralwasser“, verlangte sie, während der Ober ihr Wein nachschenkte.

„Sofort, Madame“, sagte er und beeilte sich, der Bestellung seiner Gäste nachzukommen.

Susann blickte wieder zu dem neuen Besitzer des Strandhauses – und hielt den Atem an. Beide sahen sich nun an.

Oh, mein Gott! Hat der kalte Augen, dachte sie erschrocken. Und warum sieht der mich an, als hätte der was gegen mich. Der kennt mich doch gar nicht.

Als sie merkte, dass sie ihn immer noch anstarrte, deutete sie ein leichtes Nicken in seine Richtung an und sah dann schnell von ihm weg.

Wie kann man nur so stahlblaue Augen haben?, fragte sie sich. Und dann dieser Blick! Arrogant scheint der Kerl auch zu sein. Klar, so wie der aussieht. Der weiß, dass er kein Hässlicher ist. Der bildet sich bestimmt ein, dass der jede haben kann. Na, da beißt der aber bei mir auf Granit.

Er hingegen löste seinen Blick noch nicht von ihr und bedauerte, dass er nicht ihre Augen sehen konnte. Aber an ihrem Gesichtsausdruck hatte er bemerkt, dass ihr etwas an ihm nicht gefiel und sie sich wohl deshalb brüsk von ihm abgewandt hat. Innerlich schmunzelte er darüber, denn er wusste genau, warum. Sein nicht gerade freundlicher Blick war daran Schuld. Ja, sie war eine Schönheit. Das musste er ihr zugestehen. Aber sie war garantiert auch eine verwöhnte Göre - ein Einzelkind von reichen Eltern, der nichts verwehrt wurde. Mit so einer sollte man nie etwas anfangen. Das würde nur Ärger einbringen. Und mit einer Susann Sanders durfte er eh nichts anfangen. Dafür gab es einen ganz bestimmten Grund!

Susann blieb noch circa eine Stunde. Dabei vermied sie es, in seine Richtung zu sehen. Dafür beobachtete sie wieder das Treiben auf der Einkaufsmeile. Später ließ sie sich die Rechnung bringen, bezahlte und gab reichlich Trinkgeld, das dem Ober ein Leuchten in seine Augen zauberte. Dann ging sie zu ihrem Wagen, um zurück zum Strandhaus zu fahren.

Während sie sich in den Wagen setzte, war auch der Fremde zu seinem unterwegs, um zurückzufahren. So blieb es nicht aus, dass er sie bald wieder vor sich sah. Ein paar Kilometer vor dem Ziel überholte er sie und entschwand bei der nächsten Kurve ihren Augen.

„Der schon wieder“, brummte sie. „Ich muss mir mal das Kennzeichen merken und Rosalia fragen, ob sie weiß, wer diesen Wagen fährt. Ist doch merkwürdig, dass der schon zum zweiten Mal hier aufkreuzt.“

Ferien Sommer Bibliothek Juni 2021: Alfred Bekker präsentiert 19 Romane und Kurzgeschichten großer Autoren

Подняться наверх