Читать книгу Ferien Sommer Bibliothek Juni 2021: Alfred Bekker präsentiert 19 Romane und Kurzgeschichten großer Autoren - A. F. Morland - Страница 16

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Der nächste Tag versprach wieder ein sehr schöner zu werden. Bereits vor dem Frühstück zog Susann ihre Laufsachen an und machte sich auf den Weg, um zu joggen. Vorher sah sie nach, ob sich vielleicht Martin schon hier irgendwo aufhielt. Als sie ihn nicht entdeckte und sonst auch nichts Ungewöhnliches feststellen konnte, lief sie los. Die Strecke, die sie mehrmals in der Woche joggte, wenn sie sich hier im Strandhaus aufhielt, war immer die Gleiche. Sie ging ein Stück an dem Nachbargrundstück vorbei, oberhalb der Klippen entlang bis zu einem kleinen Plateau. Wenn sie da ankam, kehrte sie dort wieder um. So war sie dann circa dreißig Minuten unterwegs.

Susann war gerade an dem anderen Grundstück vorbeigelaufen und genoss die frühe kühle Morgenluft und die sanfte Brise, die vom Meer herüber wehte, da sah sie jemanden ebenfalls den Weg oberhalb der Klippen entlanglaufen. Es war das erste Mal, dass sie dort um diese Zeit nicht allein war. Verstimmt runzelte sie die Stirn, während sie weiterlief.

Wer ist das denn, dass der sich traut, um diese Uhrzeit zu joggen, wo ich hier laufe?, ging es ihr ärgerlich durch den Kopf, denn sie fühlte sich durch den anderen Läufer gestört.

Während wie weiterlief, beobachtete sie den anderen vor sich. Susann musste zugeben, dass derjenige einen guten Laufstil hat. Das konnte sie trotz der Entfernung erkennen. Sie hoffte aber nun, dass er an dem Plateau vorbeilaufen würde und nicht dort umkehrte, so wie sie es vorhatte. Da der Jogger zu weit entfernt war und sie nicht vorhatte, den Abstand zwischen ihm und sich zu verringern, war sie auch nicht in der Lage, mehr von ihm zu erkennen. Sie war sich jedoch absolut sicher, dass es ein Mann war. Auffallend war, dass er schwarze Kleidung trug, was ihrem Verdacht Nahrung gab, dass es der neue Nachbar von ihr sein könnte.

Beim Laufen konzentrierte Susann jetzt ihren Blick verstärkt auf die vor ihr joggende Person. Dabei holte sie sich aus ihrer Erinnerung ein paar Bilder des neuen Nachbarn und verglich diese mit dem, der da vor ihr war. Allmählich gelangte sie zu dem Punkt, so dass sie sich sogar fast sicher war: Das ist dieser Andros de Mácon! Irgendwie beruhigte sie das etwas – aber nur etwas - denn wenn dieser Mann da vorn ein völlig Unbekannter gewesen wäre, hätte sie sich mehr Gedanken gemacht. Und diese hätten ihr garantiert Sorgen bereitet und mit aller Wahrscheinlichkeit auch Angst eingeflößt, denn das Gespräch mit Jonas am Vorabend hatte seine Wirkung bei ihr nicht verfehlt. Das musste sie sich selbst eingestehen. Und trotzdem war da immer noch dieses Quäntchen Zweifel, dass ihr Onkel etwas plante, um ihr zu schaden. Einen Mord wollte sie erst gar nicht in Erwägung ziehen.

Vielleicht ist das ein Fehler, den ich begehe, dachte sie, innerlich seufzend, und ermahnte sich dann: Denk an was anderes, sonst versaust du dir noch den Tag!

So lief sie grübelnd, aber den Jogger vor sich nicht aus den Augen lassend, im gleichbleibenden Tempo weiter. Es war nun nicht mehr weit bis zu dem Plateau. Der vor ihr musste es gleich erreichen.

Hoffentlich dreht der jetzt nicht um, dachte sie wieder.

Ihr Wunsch erfüllte sich nicht. Susann beobachtete, wie er, als er das Plateau erreichte, kurz auf einer Stelle lief, dabei zum Meer schaute und sich dann umwandte, um den Rückweg anzutreten.

„Mist!“, fluchte sie vor sich hin. Am liebsten hätte sie jetzt auch kehrgemacht. Aber das kam ihr dann doch albern vor - Flucht vor dem Unbekannten!

Warum soll ich vor dem weglaufen? Kindisch!, schalt sie sich.Wenn der in meine Nähe kommt, weiß ich wenigstens, ob das dieser de Mácon ist oder ein anderer, und ob ich mir eventuell Sorgen machen muss.

Also behielt Susann ihr Tempo bei. Allmählich kamen sie sich näher. Dabei vermied sie es, den entgegenkommenden Läufer anzusehen. Verstohlen warf sie ihm ab und zu einen Blick zu, tat aber so, als sei sie bestrebt, auf den Weg vor sich zu achten. Das war auch besser so, denn der war nicht gerade eben. Wenn sie jetzt noch stolperte, war die Blamage perfekt.

Was Susann nicht vermeiden konnte, dass ihr Herz auf einmal schneller zu schlagen anfing, umso näher er ihr kam. Und dazu stellte sich eine Unruhe in ihr ein, die sie nicht unterdrücken konnte, obwohl sie jetzt die Bestätigung bekam, dass der Jogger ihr neuer Nachbar war. Als er fast auf gleicher Höhe mit ihr war, nickte er ihr leicht zu und lächelte.

„Guten Morgen“, hörte sie ihn mit einer Stimme sagen, die sie als sehr angenehm empfand. Dann war er auch schon vorbei, so dass Susann diesen Gruß nicht mehr erwidern konnte, ohne, dass er es auch hörte, denn er lief nun ziemlich schnell. Dann hätte sie es ihm laut hinterherrufen müssen. So murmelte sie nur ein „Guten Morgen“. Dabei drehte sie sich um, lief auf der Stelle und sah ihm einige Sekunden hinterher.

Und der ist solo? Das glaub ich nicht. So, wie der aussieht, müssen dem doch mindestens zehn an jedem Finger kleben, dachte sie zynisch, während sie zum Plateau lief, dort selbst verharrte und auf das fast ruhige Meer schaute. Der wundervolle Anblick lenkte sie vollkommen von dem Mann ab.

Die Sonne ließ ihre Strahlen auf dem Wasser tanzen, so dass es aussah, als hätte jemand Gold- und Silberflitter gestreut. Sie sah ein helles Schiff, das die Größe eines Spielzeuges auf Grund der Entfernung hatte, und fragte sich, wo seine Reise wohl hinging.

Eine leichte Brise, die vom Meer herauf zu ihr wehte, erfrischte sie. So entschied sie sich dann, wieder zurückzulaufen, auch mit der Annahme, dass sie den Weg nun für sich allein hatte.

Zu ihrer Verwunderung musste sie feststellen, als sie fast die Hälfte der Strecke geschafft hatte, dass ihr diesmal jemand entgegenkam.

Es war wieder Andros de Mácon!

„Man, der hat wohl Langeweile!“, stöhnte sie genervt auf. „Warum ist der nicht weiter den Weg entlang gerannt? Ist doch öde, diese Strecke morgens mehrmals abzulaufen.“

Als er ihr näherkam, bemerkte Susann, dass er langsamer wurde.

Was soll denn das werden?, fragte sie sich verwundert. Will der etwa jetzt mit mir reden?

Die Frage beantwortete sich auch gleich, als er bei ihr ankam. Er gesellte sich einfach neben sie und passte sich ihrem Tempo an.

„Pardon! Ich habe vorhin versäumt, mich Ihnen vorzustellen. Andros de Mácon“, begann er.

„Ich weiß, wer Sie sind“, entgegnete Susann brüsk, und sie konnte sehen, wie seine linke Braue hochschnellte. Dabei stellte sie fest, dass er graublaue Augen hatte. Sofort schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass sie sehr kalt und hart wirken können. Doch jetzt schauten sie eher belustigt drein. Und schon lächelte er, was sie im ersten Moment etwas verunsicherte, weil er nun noch besser aussah, als wenn er ernst dreinschaute.

Und da passierte es! Susann hatte nur einen Moment nicht auf den Weg geachtet, und schon stolperte sie. Geistesgegenwärtig griff er zu und zog sie an ihrem Ellenbogen zurück. Da er dabei selbst seinen Lauf abbremste, blieb es nicht aus, dass sie durch den Ruck an seinen Körper prallte und er sie nun umfasste, um ihr Halt zu geben. Erschrocken versteifte sie sich, was sich aber fast im gleichen Augenblick änderte, denn plötzlich befiel sie ein Gefühl der Geborgenheit. Tief atmete sie ein und nahm so seinen männlichen Geruch wahr, der keineswegs nach Schweiß roch, sondern einen feinen Hauch von Sandelholz an sich hatte, was sie als sehr angenehm empfand.

Als ihr endlich bewusst wurde, dass er sie immer noch hielt, sah sie zu ihm auf und löste sich langsam aus seiner Umklammerung, was er nur widerwillig zuließ, denn er fand, dass sie sich wunderbar in seinen Armen anfühlte. Doch dann ermahnte er sich, denn dieses Gefühl konnte – nein - durfte er nicht zulassen.

„Danke“, sagte sie verlegen und mit gerötetem Gesicht. „Das wäre ja beinahe schiefgegangen.“

Er lächelte wieder und meinte: „Gern geschehen. Ich nehme an, dass wir beide Nachbarn sind.“

Susann nickte nur zur Bestätigung. Seine Stimme hatte etwas an sich, das sie zu vereinnahmen schien. Trotzdem wirkte er auf sie resolut. Garantiert gehörte er zu den Typen, die hart im Verhandeln waren. Derartige Menschen schätzte Susann, denn sie hatte bisher die Erfahrung gemacht, dass man sich auf diese zumeist verlassen kann.

„Dann sind Sie bestimmt Madame Susann Sanders“, gab er sein Wissen preis.

„Ja, die bin ich“, bestätigte sie es ihm.

„Gut. Dann kann ich Ihnen ja auch gleich mitteilen, dass es in den nächsten Tagen vielleicht etwas laut werden kann. Ich lasse den Abstieg zum Strand erneuern, denn der ist ja lebensgefährlich. Auch an und um das Haus muss so einiges getan werden.“

„Sie wollen also renovieren“, schlussfolgerte Susann.

„Und einiges nach meinem Geschmack ändern, wenn ich schon mal dabei bin“, verriet er ihr.

„Das bietet sich dann ja an“, meinte sie dazu. „Ach, und so laut wird es schon nicht werden. Aber nun möchte ich gern den Rest zurücklaufen. Allmählich bekomme ich Hunger.“

„Entschuldigung, ich will Sie auch nicht aufhalten. Laufen wir das Stück zusammen“, schlug er vor.

Eigentlich hatte Susann nun nichts mehr gegen seine Anwesenheit, denn er schien ihr doch ein sympathischer Typ zu sein, aber mit einem Lächeln wandte sie ein: „Das wird wohl nichts, denn mit Ihrem Tempo kann ich leider nicht mithalten.“

„Kein Problem. Ich kann mich anpassen“, antwortete er prompt mit einem verschmitzten Grinsen.

Na, ob das stimmt, dachte sie zweifelnd.

Und - er konnte sich anpassen, was Susann sofort zur Kenntnis nahm. Schweigen liefen sie nebeneinander. Als sie bei seinem neuen Zuhause ankamen, sagte er. „Ich begleite Sie noch bis zu Ihrem Grundstück.“

„Warum sollten Sie das tun?“, wollte sie wissen, denn sie empfand das als nicht notwendig, sondern total überflüssig.

„Ich will sichergehen, dass Sie dort auch heil ankommen“, antwortete er lax.

Sofort regte sich bei Susann das Misstrauen, und sie blieb stehen. Im selben Moment spürte er, dass sie eine Mauer um sich baute, denn sie sah ihn mit einem Blick an, der die unterschiedlichsten Gefühle widerspiegelte – darunter auch Angst. Sofort lenkte er ein.

„Ich meine nur – falls Sie nochmals stolpern sollten“, versuchte er, ihr Misstrauen zu zerstreuen, und lächelte gewinnend.

Susann rang einige Augenblicke mit sich, ob sie es ihm gestatten sollte. Dabei gingen ihr einige absurde Gedanken durch den Kopf, die sie jedoch sofort wieder verwarf. Denn wenn er ihr etwas hätte antun wollen, hätte er unterwegs die beste Gelegenheit dazu gehabt. Ein Stoß von der Klippe – einfacher ging es gar nicht. Und Andros de Mácon hätte beobachtet, dass sie sich selbst in den Tod gestürzt hat. Sie hatte eben den Tod ihrer Eltern einfach nicht verwinden können.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass der von Onkel Thomas angeheuert worden ist. Was hatte Jonas über ihn gesagt?, überlegte sie. Ach ja, er leitet ein seriöses Unternehmen in Frankreich – was auch immer das für eine Firma ist.

„Also gut“, entschied sie dann. „Dann bringen Sie mich sicher zu mir!“

Ihm entging natürlich nicht, dass sie mit sich rang. Er ließ ihr die Zeit und nutzte sie, um sie genauer zu betrachten. Wunderschön, dachte er. Doch mehr erlaubte er sich nicht, auch wenn es ihm schwer fiel.

Ein paar Minuten später waren sie beim Tor ihres Grundstückes angelangt – ohne dass Susann noch einmal gestolpert ist. Dort verabschiedete Mácon sich von ihr.

„Vielleicht treffen wir uns wieder mal – beim Joggen oder am Strand. Ich würde mich freuen“, sagte er.

Susann sah in sein Gesicht und seine Augen. Sie war sich nicht ganz sicher, was sie darauf antworten sollte. Eigentlich wollte sie nur ihre Ruhe haben und keine Männerbekanntschaften schließen. Doch ihr Entschluss schien ins Wanken zu geraten. Das machte sie unsicher. Darum nickte sie nur und meinte: „Ja, vielleicht!“

„Okay! Dann werd ich mal“, sagte er und machte sich auf den Weg zu seinem Nachhause.

Susann sah ihm einen Augenblick nach, dann ging sie selbst hinein, duschte sich kurz ab und ging danach im Pool ein paar Runden schwimmen. Erst danach gönnte sie sich ein reichhaltiges Frühstück.

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