Читать книгу Morlands Horrorwelten: Das große Gruselroman-Paket - A. F. Morland - Страница 10
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ОглавлениеOzzy Krasna war mal Rechtsanwalt gewesen. In einem anderen Leben, wie er zu sagen pflegte. Heute war er Penner. Müll. Abschaum. Nichts. Weniger als nichts.
Wenn er nicht so gestunken hätte, hätten ihn die Leute überhaupt nicht mehr wahrgenommen. So aber rümpften sie wenigstens noch die Nase, wenn er ihnen zu nahe kam, warfen ihm einen verächtlichen Blick zu und wichen ihm, wenn möglich, großräumig aus.
Er hatte sein Gehirn bewusst weichgesoffen, damit er sich an sein früheres Leben nicht mehr erinnern konnte. Zu viele Schicksalsschläge hatten ihn damals getroffen. Das Leben hatte ihn brutal ausgeknockt.
Er war zu Boden gegangen und hatte es nicht mehr geschafft, aufzustehen. Nicht allein und nicht mit der Hilfe von Freunden, die ihn schon vor langer Zeit aufgegeben und sich für immer von ihm abgewendet hatten.
Zuerst war seine schwangere Schwester an Leukämie gestorben. Dann war seine dreijährige Tochter von einem Autobus überrollt worden. Seine Frau war über diesen schweren Verlust nicht hinweggekommen und hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Und ihm hatte man einen verkrebsten Lungenflügel herausschneiden müssen.
Das war einfach zuviel für ihn gewesen. Er hatte zur Flasche gegriffen und sie nie wieder losgelassen. Inzwischen sah er hin und wieder weiße Mäuse oder grüne Männchen, war nie nüchtern, lebte von erbettelten Almosen und Abfällen und gehörte einer Clique von Stadtstreichern an, die sich gegenseitig mit Alkohol aushalfen, weil sie allesamt wussten, wie höllisch weh es tat, wenn man aus Geldmangel gezwungen war, auf dem Trockenen zu sitzen.
In rostigen Blechfässern brannte Feuer, dessen flackernder Schein sich im nachtschwarzen Wasser des Buttermilk Channel spiegelte. Ein kalter Wind pfiff von Governors Island herüber. Bei Windstille wäre die Nacht weit weniger kalt gewesen. Fröstelnd hüllte sich Ozzy Krasna in seinen schäbigen Mantel. Er war in der glücklichen Lage, eine Flasche Fusel ergattert zu haben und heizte sich damit kräftig ein.
"Hast du mal einen Schluck für mich, Kumpel?", fragte Butch Dancer unterwürfig. Er hatte zur Zeit nicht einmal einen Hosenknopf in der Tasche, war völlig abgebrannt.
"Hier." Krasna gab ihm die Pulle. "Aber sauf nicht die ganze Flasche aus."
Dancer beruhigte seine schneidenden Eingeweide mit einem großen, aber nicht unverschämten Schluck. "Danke." Er gab die Flasche zurück.
Krasna stellte seinen Mantelkragen auf. "Scheißkalt heute."
"Und dabei ist noch lange nicht Winter", sagte Dancer.
"Im Winter werden wieder ein paar Penner erfrieren, aber wen kratzt das schon?", meinte Krasna gallig.
"Siehst du den Kerl dort?", fragte Dancer gepresst.
"Wo?"
Dancer deutete mit dem Kopf in die entsprechende Richtung. "Er schleicht schon eine Weile hier herum. Ich frage mich, was der von uns will."
Krasnas Augen suchten den Mann. Er stand im Schatten einer Haustornische, wirkte groß und kräftig. "Von unterstandslosen Herumtreibern kann keiner was wollen", sagte er. "Bei uns gibt es nichts zu holen."
"Vielleicht will er sich uns anschließen", meinte Dancer.
Krasna schüttelte den Kopf. "Das kann ich mir nicht vorstellen."
"Wieso nicht?"
"Sieh ihn dir doch an", sagte Ozzy Krasna. "Der strotzt vor Kraft und Vitalität. Wie ein gestrandeter Desperado sieht der nicht aus. Ich habe irgendwie das Gefühl, er wagt sich nicht näher, weil das Feuer ihn fernhält."
Butch Dancer hüstelte nervös. "Du meinst, er hat Angst vorm Feuer?"
Krasna nickte. "So sieht es für mich aus."
"Warum sollte er sich davor fürchten?", fragte Dancer.
Krasna zuckte mit den Achseln. "Keine Ahnung. Wir können ihn ja mal fragen."
Dancer riss die Augen auf. "Du willst zu ihm hingehen?"
"Warum nicht?"
Dancer schüttelte heftig den Kopf. "Ohne mich. Mir ist der Bursche nicht geheuer."
"Dann sollten wir ihn verjagen."
"Womit denn?", fragte Dancer.
"Damit", sagte Krasna und riss ein armlanges, brennendes Holzstück aus dem Blechfass, neben dem sie standen. Er trank sich ordentlich Mut an, dann setzte er sich in Bewegung.
Butch Dancer rührte sich nicht von der Stelle. Er nagte beunruhigt mit seinen gelben Zähnen an der Unterlippe. "Du solltest lieber hier bleiben, Ozzy", krächzte er.
"Ach, Mann, scheiß dir doch nicht in die Hosen", gab Krasna unbekümmert zurück.
Er entfernte sich von den Fässern. Als der Mann merkte, dass der Penner auf ihn zukam, drückte er sich tiefer in den Schatten der Haustornische.
Das machte Krasna Mut. Er fühlte sich dem Fremden gegenüber überlegen. Es gab Leute, die waren sich ihrer Stärke überhaupt nicht bewusst und hatten vor jedermann Angst. Offenbar war der Kerl so einer.
Ozzy Krasna blies seinen schmalen Brustkorb auf. "Hey! Du!", tönte er laut und herrisch. Ein Windstoß ließ seine Fackel heftig flackern.
Der Unbekannte reagierte nicht.
"Wer bist du?", blaffte der Penner. "Was willst du? Was hast du hier zu suchen?"
Aus dem Schatten drang gedämpftes Knurren. Krasna blieb abrupt stehen. Er wagte sich nicht weiter vor. Dieses tierhafte Knurren hatte seinen Mut total zerstäubt. Seine verfilzten Nackenhärchen sträubten sich.
Verflucht noch mal, wie kam er dazu, hier den Helden zu spielen? Warum war er nicht bei den andern geblieben? Warum hatte er nicht auf Butch Dancer gehört? Der Fremde bewegte sich. Krasna sah es nicht. Er hörte es nur, und obwohl er, wie immer, betrunken war, warnte ihn sein Instinkt vor einer großen, unbegreiflichen Gefahr. Ängstlich wich er zurück.
Da schnellte der Mann...
Das Wesen...
Was auch immer es war, es flog wie vom Katapult geschleudert aus dem pechschwarzen Schatten und auf den entsetzten Penner zu. Ozzy Krasna sah eine schwarze Schnauze, sah gelb leuchtende Augen, sah einen blutroten Rachen, sah weiße Reißzähne und dunkelgraue Pranken, die auf ihn zuschossen. Brüllend vor Angst verteidigte er sich mit dem brennenden Holz. Er drosch damit panisch auf den Angreifer, der in einem gesträubten dunklen Fell zu stecken schien, ein. Das hatte nichts mit Mut zu tun. Das war nackte Verzweiflung.
Niemand wagte ihm zu Hilfe zu eilen. Er war ganz auf sich allein gestellt. Er versuchte mehrmals, dem Monster seine Fackel in den weit aufgerissenen Rachen zu rammen, traf aber immer nur den Schädel des Ungeheuers. Funken spritzten auf. Das Feuer versengte das Fell des Wesens. Ein widerlicher Gestank stieg Krasna in die Nase.
Ihm drohte übel zu werden. Nicht nur wegen des Gestanks. Auch aus Angst. Der unheimliche Angreifer wich zurück. Krasna schlug weiter auf den gefährlichen Feind ein. Schweiß brannte in seinen Augen.
Er begriff, dass er nur diese eine Chance hatte. Wenn es ihm nicht gelang, das Monstrum in die Flucht zu schlagen, war er verloren.
Dann würde es ihn zerfleischen. Unentwegt drosch er mit der Fackel auf das haarige Ungeheuer ein. So lange, bis es herumwirbelte und davon hetzte. Es sah so aus, als jagte die Bestie auf allen vieren, wie ein riesiger Hund, in die Dunkelheit und löste sich in ihr auf.
Total entkräftet ließ Krasna das Holz fallen, das ihm das Leben gerettet hatte. Er zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub, brauchte dringend einen ganz, ganz großen Schluck. Diesmal war der Fusel für ihn Medizin.
Er brauchte sie, um nicht zusammenzuklappen. Die Penner kamen langsam näher. Butch Dancer erreichte seinen Kumpel als erster. "Grundgütiger... Ozzy, was war das?"
"Das?" Ozzy Krasna wischte sich mit dem Mantelärmel den Schweiß vom Gesicht. "Das war ein Werwolf."