Читать книгу Morlands Horrorwelten: Das große Gruselroman-Paket - A. F. Morland - Страница 9
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Оглавление"Warst du beim Arzt?", fragte Wayne zwei Tage später seinen Freund.
Er hatte ihn in dessen Wohnung aufgesucht. Hier erlebte die Unordnung eine beachtliche Hochblüte. Wayne konnte nicht verstehen, dass man sich in einer solchen chaotischen Umgebung wohl fühlen konnte, aber er sagte nichts. Jeder Mensch soll nach seiner Fasson glücklich werden.
"Zum Doktor gehe ich nur, wenn ich krank bin", brummte Fist mit herabgezogenen Mundwinkeln.
"Du solltest diese Verletzung nicht auf die leichte Schulter nehmen", warnte Wayne.
"Das kommt auch ohne Kurpfuscher wieder in Ordnung", behauptete Fist.
"Darf wenigstens ich mir die Wunde ansehen?"
Fist zuckte mit den Achseln. "Von mir aus."
"Zieh dein Hemd aus", verlangte Wayne.
Fist gehorchte. Wayne nahm neugierig den Verband ab. Wie würde die Wunde aussehen? Hatte sie sich mehr entzündet? War die Entzündung abgeklungen?
Wayne war überrascht, zu sehen, wie "schön" die Wunde schon war. "Donnerwetter, das sieht ja schon recht beruhigend aus", stellte er erleichtert fest.
Fist griente. "Ich hab ein gutes Heilfleisch, wie du siehst." Er deutete auf seine Schulter. "Soll ich damit einen Arzt behelligen? Der hat bestimmt Wichtigeres zu tun."
Wayne ging mit ihm ins Bad und versorgte die Verletzung neu. Anschließend tranken die Freunde ein paar Whiskys und erinnerten sich an die gemeinsamen Tage in der Wildnis.
"Schade, dass wir den Wolf nicht gekriegt haben", bedauerte Fist. "Ich hätte mir sein Fell gern hier an die Wand gehängt."
"Du hast auf ihn geschossen."
"Mehrmals."
"Hast du ihn auch getroffen?"
"Das nehme ich an."
"Dann ist er inzwischen vielleicht schon krepiert", sagte Wayne.
Fist schüttelte den Kopf. "Das glaube ich nicht. Ich bin ziemlich sicher, dass er noch am Leben ist." Er sah den Freund an. "Lach mich nicht aus, aber zwischen ihm und mir besteht – vielleicht durch die Wunde - eine geheimnisvolle Verbindung. Ich habe heute Nacht von ihm geträumt."
"Was hast du geträumt?", fragte Wayne mit belegter Stimme.
"Ich habe ihn gesehen."
"Hat er dich wieder angegriffen?", fragte Wayne gepresst.
Fist schüttelte den Kopf. "Er hat mich mitgenommen."
Wayne hob die Augenbrauen. "Mitgenommen? Wohin?"
"Auf die Jagd."
Kälte kroch über Waynes Rücken. "Du warst mit dem Wolf jagen?"
Fist nickte. "Wir haben zusammen ein Schaf gerissen und uns die Beute 'brüderlich' geteilt."
"Zum Glück war's nur ein Traum", sagte Wayne schaudernd.
Er verabschiedete sich bald und verdrängte hartnäckig den Gedanken daran, dass sein Freund mit diesem gefährlichen Killer auf vier Pfoten in den kanadischen Wäldern verbunden sein wollte. Er sagte sich, Fist wäre verrückt.
Und er sagte sich auch: Irgendwo hat im Grunde genommen jeder Mensch einen Zacken weg. Die meisten geben es bloß nicht zu oder wollen es nicht wahrhaben. Weitere zwei Tage später war Fists Schulter wieder wie neu. Wayne hatte noch keine Wunde schneller heilen gesehen. Er war verblüfft. Fist war um sein "Heilfleisch" zu beneiden.
Der Alltag verschlang Wayne und Fist wieder mit Haut und Haaren. Der Jagdurlaub in den Rocky Mountains war nur mehr eine spannende Erinnerung.
Fist veränderte sich kaum merklich. Er war immer schon leicht reizbar gewesen. Jähzornig. Ein kleines Pulverfass, das hin und wieder viel zu schnell explodierte.
Doch nun verlor er schneller die Beherrschung. Es gingen ihm sehr viel mehr Dinge gegen den Strich als früher. Jede Kleinigkeit regte ihn auf.
Doch Wayne machte sich deswegen keine Gedanken. Er wusste, wie er Fist nehmen musste, und kam auch weiterhin prima mit ihm aus.
Fist begann die Tage zu hassen und die Nächte zu lieben. Er saß oft stundenlang auf dem Dach des Hauses, in dem er wohnte – den Blick zum Sternenhimmel gerichtet. Als würde er auf etwas warten.
Die Dunkelheit tat ihm gut, war Balsam für seine rastlose Seele. Er konnte sich am kalten Funkeln der Sterne nicht satt sehen, und das fahle Licht des Mondes drang ihm in die Poren und machte ihn stark – und hungrig.
Hungrig!
Wenn er dann in seine Wohnung zurückkehrte und vor dem Kühlschrank in die Hocke ging, fand er nichts, worauf er Appetit gehabt hätte. Sonderbar. Es klopfte. Fist blickte gerade mal wieder unentschlossen in den Kühlschrank. Er schloss ihn und verließ die Küche. Er schaute auf die Uhr. Es war fast Mitternacht. Wer hatte geklopft?
"Ja?", rief er – nicht gerade sehr freundlich.
"Ich bin es – Michelle", kam es durch die Tür.
Er öffnete. Vor ihm stand eine sexy Blondine. Ihre Frisur war leicht zerzaust. Irgend ein Kerl schien ihr Haar in Unordnung gebracht zu haben.
Michelle Natwyck, die scharfe Nachbarin, strich mit den Händen ihr scharlachrotes Minikleid glatt. Sie hatte eine Traumfigur.
Fist wusste das. Er kannte jedes Detail ihres ebenso begehrenswerten wie makellosen Körpers. Es war mal was zwischen ihnen gewesen.
Ein ziemlich heftiger Flirt. Wenn es nach Michelle gegangen wäre, hätte die Sache immer noch angedauert, doch er hatte sie beendet.
Michelle war ihm zu anstrengend gewesen, hatte zu viel von ihm gewollt. Mehr, als er zu geben bereit gewesen war. Am liebsten wäre sie jeden Tag mit ihm zusammen gewesen.
Rund um die Uhr. Aber das war nichts für ihn. Deshalb hatte er ihr empfohlen, sich einen Mann zu suchen, der nicht, wie er, zum Single geboren war.
Seitdem waren sie nur noch "gute Freunde". Michelle konnte mit allen Problemen jederzeit zu ihm kommen, und sie hatte sich schon mehrmals bei ihm ausgeweint, wenn mal wieder eine hoffnungsvolle Beziehung in die Brüche gegangen war. Sie hatte mit Männern kein Glück, war offenbar dazu verdammt, immer wieder auf das falsche Pferd zu setzen. Er roch, dass sie getrunken hatte und sah es ihr auch an.
Ihre Augen waren glasig, und sie leckte sich fortwährend die Lippen. "Hi", sagte sie lächelnd.
Ohne sich dessen bewusst zu sein, starrte er auf ihre Kehle.
"Ich hab dich herunterkommen gehört", sagte Michelle.
Er sagte nichts.
"Du warst wieder auf dem Dach."
Er schwieg.
"Was tust du eigentlich in letzter Zeit so oft dort oben?", fragte sie. Sie lachte. "Betest du den Mond an?"
"Was willst du?", fragte er kühl.
Sie deutete mit dem Kopf auf ihre offene Wohnungstür. "Ich hab Besuch."
"Will er nicht gehen? Soll ich ihn rausschmeißen?"
"Himmel, nein." Michelle schüttelte heftig den Kopf. "Ich möchte, dass er bis zum Frühstück bleibt."
"Und was kann ich dazu beitragen?"
"Du könntest mir mit einer Flasche Scotch aushelfen", erklärte Michelle. "Mir ist der Stoff ausgegangen. Wir sitzen auf dem Trockenen. Pete, so heißt der süße Junge, ist noch nicht so richtig auf Touren." Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu. "Du weißt schon, was ich meine. Du würdest mir einen riesigen Gefallen tun..." Sie unterbrach sich und fasste sich unwillkürlich an den Hals. "Wieso siehst du mich so eigenartig an?"
"Tu' ich das?" Seine Stimme klang rau.
"Bist du sauer, weil ich um diese Zeit noch bei dir angeklopft habe? Ich hätte es nicht getan, wenn du vorhin nicht... Ich habe deine Schritte gehört und gedacht, es würde dir nichts ausmachen, wenn ich..."
Er ließ sie stehen, holte eine noch original verschlossene Scotch-Flasche, drückte sie ihr in die Hand und sagte: "Amüsiert euch gut."
Sie musterte ihn unsicher. "Du bist doch nicht etwa..."
"Was?"
"Eifersüchtig?"
"Gute Nacht, Michelle", sagte er und schloss die Tür.
Der Mond nahm zu und zu und war schließlich voll. Fist fühlte sich nicht wohl. Er schien irgendwie nicht genug Platz in sich selbst zu haben, wäre am liebsten aus der Haut gefahren. Eine unbezähmbare Unrast befiel ihn.
Sein Körper brannte wie im Fieber. Ein heftiger Schüttelfrost befiel ihn. Irgendeine Krankheit schien ihn überfallsartig heimgesucht zu haben.
Er tigerte in seiner Wohnung mit wachsender Nervosität hin und her. Sie war ihm in dieser Nacht zu klein. Er brauchte mehr Bewegungsfreiheit.
Er musste raus. Seine Schulter schmerzte ihn. Er ging ins Bad, zog sein Hemd aus. Die Verletzung, die ihm der Wolf zugefügt hatte und die so erstaunlich rasch verheilt war, leuchtete so rot, als würde sie glühen. Deutlich war zu sehen, wo das Raubtier seine Zähne in sein Fleisch geschlagen hatte. Fist starrte sich im Spiegel an und fragte den Mann, der ihm entgegensah und der ihm auf eine seltsame Weise fremd vorkam, mit dumpfem, kehligem Knurren: "Was hat das zu bedeuten?"