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d) „Gestörte“ Gesamtschuld
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Das Entstehen einer Gesamtschuld kann entweder durch eine vertragliche Regelung oder durch das Gesetz selber vereitelt werden. Ein verantwortlicher Schädiger und damit potentieller Schuldner wird aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung mit dem (potentiellen) Gläubiger oder kraft gesetzlicher Haftungsbeschränkung „verschont“.
Beispiel 1
K kauft vom Händler H einen PKW, der sich aufgrund eines produktionsbedingten Fehlers als mangelhaft erweist. Wir unterstellen Folgendes: Den Fehler hat der Produzent P infolge Fahrlässigkeit verursacht. H hat die mangelhafte Lieferung ebenfalls infolge von Fahrlässigkeit zu vertreten. Infolge des Mangels erleidet K einen Unfall, bei dem Fahrzeug und Gepäck des K total zerstört werden. K hatte im Kaufvertrag mit H wirksam einen Haftungsausschluss vereinbart, so dass keine Ansprüche aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 823 Abs. 1 und ggfs. § 831 entstehen konnten. Es bestehen aber Ansprüche gegen P aus § 1 ProdHG und § 823 Abs. 1, die nicht ausgeschlossen sind.
Beispiel 2
In dem von der F GmbH betriebenen Freizeitpark erleidet das minderjährige Kind des V einen Unfall, weil F ihren Verkehrssicherungspflichten nicht nachgekommen ist. V ist zwar ebenfalls Fahrlässigkeit vorzuwerfen, er handelte aber mit eigenüblicher Sorgfalt (bzw. Nachlässigkeit) i.S.d. § 1664. Ansprüche des Kindes gegen die Stadt ergeben sich aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 (Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter), aus §§ 823 Abs. 1, 31 analog und ggfs. aus § 831. Ansprüche gegen den Vater sind trotz dessen Verschuldens wegen § 1664 ausgeschlossen.
In diesen Fällen muss der nicht privilegierte Schuldner alleine bzw. zumindest ohne die privilegierte Person haften. Ihm können mangels Gesamtschuld keine Ausgleichansprüche aus §§ 426 Abs. 1, Abs. 2 gegen die privilegierte Person zustehen. Statt von „gestörter“ Gesamtschuld sollte man besser von „vereitelter“ Gesamtschuld sprechen.
Der Umgang mit diesen Fällen ist im Einzelnen umstritten. Vorzugswürdig dürfte folgender Ansatz sein:
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Bei gesetzlicher Haftungsbeschränkung steht das Gesetz selber der Entstehung eines Gesamtschuldverhältnisses entgegen, das „gestört“ werden könnte. Ein Gesamtschuldverhältnis mit der haftungsbefreiten Person ist also im Gesetz gar nicht vorgesehen. Im Zweifel bleibt es dann dabei und es findet keine Korrektur statt.[29] Im Beispiel 2 haftet die F also alleine und kann bei V keinen Regress nehmen.
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Bei vertraglicher Haftungsbeschränkung wirkt die Haftungsbeschränkung im Ergebnis als Vertrag zu Lasten anderer Personen, die ebenfalls für den Schaden verantwortlich sind. Sie werden sozusagen um ihre Regressmöglichkeit aus § 426 „betrogen“. Das gilt natürlich nur dann, wenn die Haftung der durch Vertrag freigezeichneten Person nicht an anderen Gründen scheitert (etwa fehlendes Verschulden). Würde die freigezeichnete Person eigentlich haften, bedarf die Situation nach ganz überwiegender Auffassung einer Korrektur. Dafür bieten sich zwei Wege an:
Entweder lässt man den Regress zu und fingiert für das Innenverhältnis eine Gesamtschuld.[30] Im Beispiel 1 könnte P dann auf H zurückgreifen, wenn er von K in Anspruch genommen wird. Der Haftungsausschluss würde insoweit ausgeblendet, so dass auch H als Gesamtschuldner anzusehen ist. Über ein derart fingiertes Gesamtschuldverhältnis werden dann die Regressansprüche aus §§ 426 Abs. 1, Abs. 2 begründet.
Alternativ besteht die Möglichkeit den Anspruch des Geschädigten gegen den/die im Außenverhältnis allein haftenden Schuldner um den Teil zu kürzen, für den der in Anspruch genommene Schuldner ohne Haftungsausschluss im Innenverhältnis regressberechtigt wäre. Aufbautechnisch ist diese Kürzung am besten am Ende der Anspruchsentstehung als eigener Einwand (§ 242) gegen den Schadensersatzanspruch zu untersuchen.[31] Ich empfehle, dieser Variante zu folgen. Für diesen Ansatz spricht, dass der Geschädigte durch seinen Haftungsverzicht seine eigenen Interessen abgewertet hat. Wer auf seine Schadensersatzansprüche von vorneherein verzichtet hat, dem ist ein Teilabzug von seinem Schadensersatzanspruch, mit dem er regelmäßig ohnehin nicht gerechnet hat, zuzumuten. Umgekehrt widerspricht es der Privatautonomie, sich über eine wirksam vereinbarte Haftungsfreizeichnung hinwegzusetzen und die dadurch begünstigte Person mit einem Regress „zu überfallen“.
Im Beispiel 1 stünde dem K gegen P dann nur ein gekürzter Anspruch zu. Im Zweifel beträgt die Regressquote noch § 426 Abs. 1 50 %, so dass der Ersatzanspruch des K um 50 % zu kürzen wäre.