Читать книгу Fern von hier - Adelheid Duvanel - Страница 32

August, Außenseiter

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Bruder August machte früh den Eindruck, als hätten wir ihn uns nur geliehen. Nichts, was er tat, schien er aus einer Gewohnheit heraus zu tun. Er hatte in nichts Übung: weder im Klettern oder Rechnen noch im Lachen. Das Gefühl, nur irr­tümlicherweise unter uns zu weilen, schien ihn ganz zu beherrschen; er bemühte sich nicht, angenehm zu wirken, und so waren wir der Überzeugung, er mache sich nichts aus uns und unserer Welt.

In geschlossenen Räumen erwartete August Befehle, Drohungen und Tadel; die Angst trieb ihn hinaus. Er umhüpfte unser Haus in immer größerem Bogen, flatterte durch Außenquartiere, huschte mit Raben und Möwen über Felder, bestieg eines Morgens ein Flugzeug und flog in den unbegreiflichen Himmel hinein – niemand wusste, wohin. Ich vermute, dass er ein Flugzeug nahm, um den Wind nicht zu spüren, der in jenen Tagen an allem rüttelte. Als das Telefon schrillte, hielt ich den Hörer nicht nah ans Ohr, begriff aber, dass eine Stimme mich knapp über Augusts Flucht unterrichtete. Ich teilte den Eltern das Vorgefallene mit und bemerkte, dass Mutter die Uhr vom Handgelenk nahm und die Brille von der Nase hob, als kümmerten sie Zeiten und Bilder nicht mehr. Die Dunkelheit verdichtete sich; vielleicht umlager­ten doch ziemlich hohe Schneewälle die Stadt, und ich sah durchs Fenster Blätter gekrümmt über den Asphalt kriechen. Vater erklärte beschämt: «Er war schon immer anders.» Befremdet blickte ich auf die Löwenfüße eines Sessels, der sprungbereit in der Zimmerecke stand. Ich dachte an Mutter, wie sie von ihrer Mutter erzählt hatte: «Sie hat bei einem Antiquar einen Großvaterstuhl gesehen und nicht gekauft, weil Großvater tot war, und dann doch gekauft und ihren Mann hineingesetzt.»

Ich erinnere mich, dass August als Junge hie und da zu mir kam und versuchte, etwas mitzuteilen. Einmal sagte er: «Ich spüre es genau: Diesmal ist die Nacht innen.» Ein andermal stand er neben mir im Vestibül unserer Wohnung und betrachtete ein Theaterplakat, das ich über die vier Glasschei­ben der Tür geklebt hatte, die ins Treppenhaus führte; zaghaft strich er mit dem Zeigefinger über die weiße Tänzerin. Unerwartet wurde der Hintergrund weggerissen; jemand hatte im Treppenhaus das Licht angeknipst. Entsetzt wies August auf den schwarzen Rahmen in Kreuzesform, der nun hinter dem leuchtenden Bild sichtbar wurde.

Seitdem ich erwachsen bin, erzähle ich den Leuten, August wohne in einem Schloss mitten im Wald – «Mischwald», füge ich, das Genaue liebend, hinzu. Ein Diener staube die weißen Heizkörper in den hohen Räumen ab und August esse vornehm hinter gerafften Vorhängen. Der Diener streue eine Pri­se Salz aus einem Gefäß, das in Zierschrift mit «Sucre» beschrieben sei, in die Waldbeerensuppe seines Herrn. August sei umgeben von Kakteen und lustwandle oft in einem gedeckten Innenhof; durch eine Luke im Glasdach wachse ein Baum, der sowohl mit den Wurzeln als auch mit der Krone denken könne.

Je ausführlicher ich berichte, desto steiler wächst mein Stolz auf den Bruder. Ich habe mir August geliehen, um ihm Gewohnheiten anzudichten und um ihn mir angenehm zu machen. Aber wenn ich am Abend von der Arbeit komme, wende ich mich ständig um. Kürzlich sah ich, um nur ein Beispiel zu nennen, einen Herrn, der in einiger Entfernung stand und mir den Kopf zuwandte, wobei er den Mund öffnete und schloss. Heute entdeckte ich einen Mann, der die Straße herunterrannte und schrill durch die Finger pfiff. Ich wollte rufen: «Ich habe nichts getan!», doch dann beschleu­nigte ich meine Schritte, trat hastig ins Haus und warf die Tür ins Schloss.

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