Читать книгу Fern von hier - Adelheid Duvanel - Страница 40

Das Kind

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Manchmal rede ich mit dem Kind, es ist ein kleines Mädchen, doch ich kann nicht beurteilen, ob es mich ernst nimmt. Heute ist es als Clown bemalt; seine kleine Nase leuchtet rot, das Kinn ist weiß und der Mund mit roten Strichen verbrei­tert, so dass es zu lachen scheint. Es hat sein Haar unter einer Mütze versteckt und trippelt neben seiner Mutter um den runden Weiher im Garten. Ich höre, dass es fragt: «Mama, wo ist das Unglück?» Sieht es denn nicht, dass der Hagel die Bäume nicht verschont hat? Zweige und Blätter und verschie­dene bohnen- und raupenförmige Früchte, die man nicht es­sen kann, liegen am Boden. Die Mutter klettert über einen großen, abgebrochenen Ast, aber das Kind will nicht klettern; es bleibt stehen und streckt beide Arme in die Luft.

Ich sitze auf dem Sims am offenen Küchenfenster. Neben mir am schwarzen Brett hängen die Öffnungszeiten des Krämerladens und der Post, auch die Zeiten für den Gottesdienst sind angeschlagen, obwohl niemand unserer Wohngemeinschaft die Kirche besucht. Wir sind Randfiguren, Städter, die sich in diesem Dorf zusammengeschlossen haben. Durch die Anwesenheit des Kindes gibt es so etwas wie einen Alltag. Kürzlich hat das Kind einen Indianer gezeichnet und an die Wand in der Küche geheftet. Auch ein kleines, rotes Haus in einem großen, durchsichtigen Haus hat es gemalt, ein Motiv, das ich noch nie gesehen habe. Die Enten im Garten vermehren sich; das Kind zählt die Jungen. Ohne das Kind wären wir nur eine Siedlung von Enten, die von ein paar Menschen betreut werden. Wir schreiben phantasievolle Namen, die das Kind für die täglichen Speisen erfindet, auf einen Zettel, den wir am Schwarzen Brett befestigen. Das Kind enttäuscht uns nie, weil es sich keinen Augenblick lang vor uns verstecken will; es greift uns offen an.

Ich habe den Eindruck, es verstehe uns gut, aber wir sind ständig erschöpft; trotzdem führe ich ein Tagebuch und schreibe in den Nächten schamvoll Satz um Satz.

Heute Abend ist die Mutter des Kindes mit den andern ins Dorf gegangen, um in einer Gartenwirtschaft etwas zu trinken. Ich bleibe zu Hause und sitze vor dem Fernseher; plötzlich geht das Kind leise durchs Zimmer und stellt den Apparat ab; das andere Licht und das fremde Geräusch waren ihm vielleicht unangenehm. Ich erhebe mich, nehme es an der Hand und führe es in den Garten. Wir setzen uns auf zwei Stühle, die beim Weiher stehen. Das Wasser ist dunkelgrün mit einem Lichtstreifen; es zittert. Dort, wo eine Ente taucht, bildet sich ein kleiner, ein größerer, ein ganz großer Ring. Ich erzähle, dass ein alter Mann im Altersheim, in dem ich arbeite, immer in einem Kleiderkasten Lift fuhr, bis ich ein Schild mit dem Hinweis «Lift defekt» an der Kastentür befestigte. Das Kind lacht nicht. Der Himmel fließt schnell und kommt uns näher mit seinen schwarzen Vögeln. Ich denke an den Traum, den ich in der vergangenen Nacht hatte: Das Kind schwebte als Schatten durch einen langen Korridor, verschwand in Türen, war aber immer wieder vor mir, leicht, fast nicht sichtbar. Ich denke schon seit einiger Zeit daran, dem Kind ein Geschenk zu kaufen. Es ist nicht so, dass ich es freundlich gegen mich stimmen möchte, aber an manchen Tagen ist der Drang, ihm etwas zu schenken, groß.

Fern von hier

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