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3.4 Die Schweizer Regierungskoalition im internationalen Vergleich

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Welchem Typus entspricht die Schweizer Regierungskoalition und wo kann sie im internationalen Vergleich verortet werden? In diesem abschliessenden Abschnitt wird der schweizerische Koalitionstyp mit Bezug auf die gängigen Koalitionstheorien in die empirisch auftretenden Koalitionsformate eingeordnet.

In der vergleichenden Forschung werden fünf Koalitionstypen unterschieden (Lijphart 2012: 87): Einparteien-Mehrheitsregierungen, kleinstmögliche Gewinnkoalitionen (Minimal Winning Coalitions), übergrosse Koalitionen, Einparteien-Minderheitsregierungen und Mehrparteien-Minderheitsregierungen. Die ersten drei Typen zeichnen sich dadurch aus, dass den Regierungsparteien eine Mehrheit zufällt. In parlamentarischen Systemen entspricht dies der absoluten Parlamentsmehrheit, während in präsidentiellen Systemen ein Grossteil der Macht per Definition in der Person des Präsidenten konzentriert ist, die durch parlamentarische Mehrheitsverhältnisse und allenfalls die Ernennung von Ministern aus anderen Parteien etwas eingeschränkt werden kann (Lijphart 2012: 94). Tabelle 3.2 zeigt die zwischen 1990 und 2015 häufigsten Regierungskoalitionstypen in 24 entwickelten OECD-Ländern.

In parlamentarischen Systemen kann eine Mehrheit in drei Varianten erreicht werden: bereits durch eine einzelne Partei (Einparteien-Mehrheitsregierung), wie es bis 2010 und seit Anfang 2020 im Vereinigten Königreich (UK) der Fall war bzw. ist; durch mehrere Parteien, jedoch nicht mehr als notwendig (kleinstmögliche Gewinnkoalition), was das bestimmende Muster in Deutschland ist, und schliesslich durch eine über eine absolute Mehrheit hinausgehende Koalitionsgrösse (übergrosse Koalition), was den Regelfall in der Schweiz darstellt. Eine aus einer oder mehreren Parteien bestehende Minderheitsregierung, wie sie in einigen skandinavischen Ländern zu beobachten ist, verfügt nicht über eine absolute Mehrheit und ist auf eine mehr oder weniger formelle Unterstützung durch Oppositionsparteien angewiesen.

Koalitionstypen lassen sich auch nach dem Grad unterscheiden, wie stark sie die Regierungsmacht zwischen verschiedenen Akteuren aufteilen. In der empirischen Demokratieforschung (Lijphart 2012: 80) werden die Typen nach ihrem «konsensualen» Grad unterschieden: Die stärkste Machtteilung wird durch übergrosse Koalitionen gesichert, während die geringste Machtdiffusion bei Einparteien-Mehrheitsregierungen auftritt. Dazwischen liegen – mit tendenziell aufsteigendem Grad an Machtteilung – kleinstmögliche Gewinnkoalitionen und Ein- oder Mehrparteien-Minderheitsregierungen. Lijphart (2012: 99) schlägt vor, zur Messung des Grads an Konsensualität der Regierungskabinette eines Landes den gemittelten Anteil der Zeit zu verwenden, in dem die Kriterien «kleinstmögliches gewinnendes Kabinett» (darunter fallen auch Einparteien-Mehrheitsregierungen) oder «Einparteienregierung» (darunter fallen auch Einparteien-Minderheitsregierungen) erfüllt waren.53 Abbildung 3.5 basiert auf einer Messung von konsensualen Kabinettstypen, die den prozentualen Anteil der Zeit wiedergibt, in der übergrosse Koalitionen oder Einparteien- bzw. Mehrparteien-Minderheitsregierungen in der Regierungsverantwortung waren. Unter den dargestellten 24 OECD-Ländern für den Zeitraum von 1990 bis 2015 stellt die Schweiz nach diesem Kriterium mit nahezu durchgehend übergrossen Koalitionen gemeinsam mit einzelnen nordischen Ländern einen internationalen Extremfall unter den gängigen Kabinettstypen dar, was den sehr hohen Grad der exekutiven Machtteilung deutlich macht.

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