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1.2 Forschungsstand

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Der Bundesrat stellt nach wie vor «ein relativ wenig erforschtes Feld im Vergleich zu anderen schweizerischen Gremien und Institutionen» dar, wie Giudici und Stojanović (2016: 288) zutreffend festhalten. Bis heute existiert kein sozialwissenschaftliches Übersichtswerk über die Schweizer Regierung in Buchform. Zwar liegt mit dem Bundesratslexikon von Altermatt (1991), das kürzlich in aktualisierter Form erschienen ist (Altermatt 2019a), seit rund drei Jahrzehnten ein viel beachtetes, sehr lesenswertes und äusserst informatives Standardwerk zur Bundesratsgeschichte vor. Als biografisches Lexikon ist es aber zwangsläufig auf die strukturierte Darstellung der rund 120 Porträts von 1848 bis Ende 2018 beschränkt. Zudem verzichtet die Neuauflage auf eine zeithistorische Einführung in die Geschichte des Bundesrats. Nebst den historischen Studien von Altermatt (1991, 2009, 2019a, b, 2020), Gruner (1969, 1973), Portmann (2009) und Reber (1979) liegen auch einzelne Monografien aus rechtswissenschaftlicher Perspektive vor, die sich mit Teilaspekten der Schweizer Regierung beschäftigen (Breitenstein 1993; Brühl-Moser 2007; De Pretto 1988; Furrer 1986; Rhinow 2011; Ueberwasser 1989). Hingegen hat sich die Verwaltungswissenschaft bisher kaum mit dem Bundesrat auseinandergesetzt (siehe jedoch Germann 1998 und insbesondere die zahlreichen Beiträge in Ritz et al. 2019). Erstaunlicherweise behandelte auch die politikwissenschaftliche Forschung den Bundesrat bis heute sehr stiefmütterlich. Politologische Analysen sind nach wie vor rar und beschränken sich in der Regel auf Handbuchartikel (Germann 1984; Klöti 2006; Klöti et al. 2014). Hinzu kommen kürzere wissenschaftliche Beiträge, die sich vor allem zur Wahl und Zusammensetzung des Bundesrats äussern (Armingeon 1999; Bochsler und Sciarini 2006; Burgos et al. 2011; Caluori und Hug 2005; Church und Vatter 2009; Giudici und Stojanović 2016; Klöti 1986, 1990; Knoepfel und Linder 2000; Lutz 2018, 2019; Milic und Vatter 2013; Schwarz und Fivaz 2018; Stojanović 2016).

Bis heute liegt keine politikwissenschaftliche Übersichtsdarstellung zur Schweizer Regierung vor, obwohl der Bundesrat eine zentrale Rolle im politischen System der Schweiz einnimmt und als einer der einflussreichsten Akteure gilt (Linder und Mueller 2017; Sciarini et al. 2015; Vatter 2020). Das mag verschiedene Gründe haben. Zunächst widerspiegelt es das schweizerische Selbstverständnis, dass die Schweiz eigentlich keine Regierung benötige, da das Schweizer Volk mit seinen ausgebauten Volksrechten selbst die Regierung sei. Entsprechend brauche es auch keine vertieften Studien dazu. Im Weiteren führt die zentrale Stellung des Bundesrats im politischen Entscheidungsprozesses dazu, dass er zur Erfüllung seiner Aufgaben auf Diskretion und Vertraulichkeit angewiesen ist. Seine eigentliche Regierungsarbeit verschliesst sich in vielerlei Hinsicht der Öffentlichkeit. Die Folge ist, dass niemand – die Wissenschaft ebenso wenig wie Medienschaffende oder die Zivilgesellschaft – genau weiss, was sich hinter den Türen des Bundesratszimmers abspielt. Nicht ohne Grund trägt deshalb das Werk von Ritz et al. (2019) den Titel Blackbox Exekutive und verweist auf die bis heute wenig bekannten Entscheidungsprozesse der Schweizer Regierung. Schliesslich ist es auch Ausdruck des lange Zeit vorherrschenden sozialwissenschaftlichen Paradigmas, dass im Zug des Demokratisierungsprozesses nicht mehr die einzelnen Machteliten und «grossen Männer» im Zentrum der Forschung stehen sollen. Vielmehr soll sich das analytische Interesse auf die gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse sowie die Einstellungen und das Handeln der Bürgerschaft bzw. einer Vielzahl intermediärer Akteure konzentrieren. Das daraus entstandene Erkenntnisdefizit hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass auch in der Schweiz das Interesse an der Elitenforschung wiedererwacht ist, nachdem das Studium der Eliten in der internationalen Literatur eine starke Belebung erfahren hat. Sichtbarer Ausdruck davon ist der in jüngster Zeit erfolgreiche Aufbau und Ausbau des Datensatzes «Observatoire des élites suisses» am Institut für Politikwissenschaft der Universität Lausanne (OBELIS 2020). Es verfolgt das Ziel, Schweizer Persönlichkeiten in einflussreichen Positionen in Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft im 20. und 21. Jahrhundert zu dokumentieren und zu analysieren, um ein besseres Verständnis der Machtverhältnisse zu erlangen, die die Schweizer Gesellschaft strukturieren. Daraus sind verschiedene, noch laufende Forschungsprojekte und eine Reihe von Publikationen zu den Schweizer Eliten entstanden (Bühlmann et al. 2012a, b; Mach 2015; Mach et al. 2016, 2017; Pilotti 2017), wobei sich keine davon vertieft mit dem Bundesrat auseinandergesetzt hat.

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