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Kapitel 15
Оглавление281. Verwünschtes Schloß Dreistelz.
Die vor. Schrift S. 119.
Ohnweit des schönen Bades Brückenau erhebt sich
ein Berg, der Dreistelz geheißen; jetzt liegt auf ihm
ein Hof, der Dreistelzhof, vordem aber stand darauf
ein prächtiges Schloß, und zwar an der Höhe nach
Brückenau zu. In diesem Schloß wohnten drei stolze
Damen, und man sagt, daß man diese Fräulein nur die
drei Stolzen genannt habe, wegen ihrer absonderlichen
Schönheit sowohl, als wegen ihrer großen Pracht
und Hoffart; und ihr Haus, das hieß man das Dreistolzenschloß,
daraus später Dreistelz geworden ist. Die
Fräulein führten ein üppiges Leben, waren aber hart
gegen ihre Untergebenen und karg gegen die Armen.
Eines Tages, als es auf den Abend zuging, kam ein
armer Pilger daher, bat um Einlaß, um einen Imbiß,
und um Nachtquartier; doch als sein Begehren den
drei Fräulein angesagt wurde, so wurde ihm von seinen
drei Bitten weder die eine gewährt, noch die andere,
sondern man hieß ihn gehen, und weil er nicht
gehen wollte, hetzten die rohen und ebenfalls harten
Diener ihn mit Hunden fort. Da rührte der Pilger die
Hunde an mit seinem Stabe, und sie verstummten alsbald
auf ewig, und fielen todt hin; dann schwang er
den Stab gegen das Schloß, und sprach einen erschrecklichen
Fluch, und alsbald fuhr das ganze Haus
mit allen seinen Bewohnern in den Schooß des Berges
hinab, und an seine Stelle trat ein kleiner See. Noch
immer ist am Dreistelz die Stätte zu erschauen, wo
das Schloß gestanden hat, und zu gewissen Tagen und
Stunden hören Sonntagskinder einen Hahn in der
Nähe krähen, denn das verwünschte Schloß mit seinen
Bewohnern steht noch unter der Erde, darinnen
schlafen die Fräulein bis zum jüngsten Tag. Alle drei
Jahre aber, an dem Tage, an dem das Schloß verflucht
wurde, kräht dreimal der Hahn. Da wachen die Schläfer
auf im Bergesschooß, beten ein Ave Maria, und
bereuen ihre Missethaten. Manche Leute erzählen
auch, daß die verwünschten Fräulein aus dem Berg
auf Kirchweihen gekommen seien, und sich unter die
tanzenden Mädchen gemischt hätten; doch seien sie
immer blaß gewesen, und wären nie über den Glokkenschlag
zwölf hinaus bei den Tänzen geblieben.
282. Schatz bei Wolfsmünster.
B. B a a d e r bei M o n e , Anz. IV., 410.
Bei Wolfsmünster lag am Ufer der Saale ein großer
Stein. Ein Zimmermann, der öfters bei Nacht daran
vorüber ging, hörte daselbst jedesmal einen Lärm,
wie wenn ein Faß den Berg herabrollte. Da dachte er,
der Stein möge Schuld sein, und versenkte ihn in den
Fluß. Im Boden unter dem Stein war aber ein großer
Schatz vergraben, denn als später einmal zwei Gesellen
Nachts am andern Ufer gingen, sahen sie auf dem
Platze, wo der Stein gelegen, einen Haufen glühender
Kohlen. Da sagte der Eine zum Andern: »Sieh', da
drüben liegt ein Schatz!« Da waren die Kohlen plötzlich
weg.
283. Mariabuchen bei Lohr.
G r o p p coll. nov. script. Wirceb. I., 34. J . G .
H ö f l i n g Beschreib. u. Gesch. von Mariabuchen S.
11.
Unter dem Volke von Franken geht allgemein die
Sage von dem Ursprung der Wallfahrt Mariabuchen
bei Lohr. Auf dem Platze, wo heutiges Tags das
Kirchlein steht, erhob sich vor Zeiten eine gewaltige
Buche. Dieser Baum hatte die sonderbare Eigenschaft,
daß kein Jude vorübergehen konnte, ohne wie
von einer geheimen Kraft gefesselt und angehalten zu
werden, während die Christen unbehindert ihres
Weges vorüberzogen. Einmal kam ein Jude daher,
dem geschah es wie seinen Brüdern, daß er keinen
Schritt von dem Baume weiter konnte. Da entbrannte
er in Zorn, zog einen Dolch und stieß ihn wüthend in
die Buche. Aber o Wunder! alsogleich ertönt aus dem
Innern des Baumes ein dreimaliges Wehe! Der Jude
sieht seinen Dolch von Blut befleckt und sinkt ohnmächtig
vor Schrecken zu Boden. Bald darauf kamen
Christen des Weges, hoben den Juden auf und vernahmen
aus seinem Munde die seltsame Geschichte. Nun
wurde die Buche von Obrigkeits wegen geöffnet, und
siehe! ein Bildlein der schmerzhaften Muttergottes gefunden,
das von Blut noch geröthet war. Schnell ge-
langte der Ruf von dieser Begebenheit bis zu den
Ohren des Bischofs Johann von Brun, der ließ auf
dem Orte eine Kapelle bauen, welche nachmals durch
den Bischof Julius erneuert und vergrößert worden.
284. Die Geisterjagd im Neustadter Forst.
A . v . H e r r l e i n die Sagen des Spessarts S. 132.
Die Klosterherren zu Neustadt versahen den Gottesdienst
auf der Burg Rothenfels. Sie waren bei den
gastlichen Amtleuten freundlich aufgenommen und es
kam manches Mal der späte Abend herbei, bis sie die
Burg verließen. Einst an einem Feiertage nach bereits
eingetroffener Nacht schritt ein Klosterherr von
Rothenfels am Maine hin gegen Neustadt. Da hörte er
von Würzburg her lustigen Hörnerschall herüberklingen,
der erst sehr entfernt war, aber schnell näher
kam. Der Klosterherr lauschte festgebannt den wunderlieblichen
Klängen und heller und heller ertönte es
und herüber über den Main kam ein glänzender Zug,
voraus reitende Jäger mit den klingenden Hörnern,
dann stattliche geistliche Herren und Ritter hoch zu
Rosse mit dem Jagdspeer in der Faust, dann Karossen
mit schönen Frauen, endlich ein großer Troß, berittene
und unberittene, mit Jagdgeräthe und den Bracken
an der Leine. Der Zug schwebte, ohne Land oder
Wasser zu berühren, an dem erschrockenen Klosterherrn
vorüber und verlor sich in dem großen Klosterwalde.
Im darauf folgenden Jahre traf sich's, daß der
nämliche Klosterherr an demselben Feiertage wieder
den Gottesdienst auf der Rothenfelser Burg abhielt.
Auch dieses Mal ging er in der Nacht nach Neustadt.
Und wieder hörte er den Hörnerklang, und wieder erschien
der Jagdzug und verlor sich, wie das erste Mal
im Neustadter Forst. Daheim im Kloster erzählte der
Herr, was er zwei Male erlebt, und hörte, daß vor vielen
Jahren eine Gesellschaft von hohen geistlichen
Herren, Rittern und Frauen aus Würzburg acht Tage
im Kloster sich aufgehalten, um der Jagdlust zu genießen,
und daß sie selbst am Freitage die Jagd nicht
ausgesetzt hätten, weßhalb sie wohl auch nach ihrem
Tode die Geisterjagd abhalten müßten.
285. Der Bildstock bei Rothenfels.
B. B a a d e r in M o n e ' s Anz. IV., 408. L.
B r a u n f e l s Mainufer, S. 285.
Am Bergwege von Rothenfels auf das dortige Schloß
steht ein steinerner Bildstock, worauf eine knieende
Frau ausgehauen ist, die betend zu einem himmlischen
Strahl aufsieht. Ein Judenmädchen, das katholisch
werden wollte, und daher Verstoßung und Enterbung
von den Seinigen zu erwarten hatte, dachte einst
auf diesem Platze: wenn ich katholisch werde, wie
wird es mir ergehen, dann habe ich Niemand mehr!
Da kam ein Lichtstrahl vom Himmel, und eine Stimme
rief daher: »Dann hast du Gott!« Auf dieses trat
das Mädchen in die katholische Kirche, und fand alle
Unterstützung bei seinen neuen Glaubensgenossen,
die auch nachmals den Bildstock errichteten.
286. Die Wettenburg.
A . C . C a m m e r e r Naturwunder, S. 231. F . J .
M o n e Anzeiger IV., 407. L. B r a u n f e l s Mainufer
S. 289.
Im südlichsten Theile des Herrschaftsgerichtes Kreuzwertheim
im Untermainkreise, erhebt sich ein steiler
Berg, die Wettenburg genannt, auf drei Seiten vom
Main umflossen, und mit der Blume des Wertheimer
Weines prangend. Der Name des Berges stammt der
Sage nach von einer Burg, die ehemals seinen Scheitel
krönte.
Eine reiche Gräfin, so erzählet man, die Besitzerin
der Burg wollte den Berg auch noch auf der vierten
Seite vom Main umgeben wissen. Ihre Unterthanen
erlagen fast unter der Last der Frohnarbeiten zu dem
ungeheuern Unternehmen. Hindernisse aller Art veranlaßten
endlich die Gräfin, jedem ihrer Freunde und
Vasallen eine Wette für das Gelingen des Unternehmens
anzubieten.
Sie warf einen blitzenden Demantring in die Fluth,
und sprach: »So gewiß dieser Ring nimmer in meine
Hände kommt, so gewiß muß der Berg durchgraben
werden, wo nicht, so versinke meine Burg.« Ein
furchtbarer Donnerschlag aus heiterem Himmel zeugte
von ihrem Frevel. Am zweiten Abend saß die Dame
in großer Gesellschaft bis Mitternacht bei üppigem
Schmause. Ein großer Fisch ward endlich aufgetragen
und beim Zerlegen in dessen Eingeweiden der in die
Fluthen geschleuderte Ring gefunden. Alles entsetzte
sich; aber mit dem letzten Schlage der Geisterstunde
sank unter Donner und Blitz die Burg mit ihren Bewohnern
in die Tiefe des Stromes. Nur wenige Trümmer
und ein tiefer Schacht bezeichnen noch die Stelle
des Schlosses. In diesen Schacht ließ sich einmal ein
Hirt an einem Seil hinab, und hatte seinen oben gebliebenen
Gefährten angewiesen, ihn auf ein gegebenes
Zeichen sogleich herauszuziehen. Er kam in einen
Saal, worin ein schwarzer Hund lag, und etliche Männer
und Frauen in alter Tracht regungslos, wie Standbilder,
beisammen saßen. Da faßte ihn ein Grausen
und schnell ließ er sich hinaufziehen.
Einen Schäfer, welcher ein andermal hinunter gestiegen
war, führte eine Frau, die Herrlichkeiten des
Schlosses ihm zeigend, durch viele Gemächer, zuletzt
in eines, worin lauter Todtenköpfe sich befanden. Als
er aus dem Berge kam, erfuhr er, daß seit seinem Hineinsteigen
nicht, wie er geglaubt hatte, einige Stunden,
sondern sieben ganze Jahre verflossen waren.
Heutiges Tages ist auch der Schacht nicht mehr zu
sehen; wohl aber hört man noch Glockengeläute aus
der Tiefe des Berges. Jedes siebente Jahr erscheint die
Burg in der Tiefe des Mains; und alsdann erblicken
Sonntagskinder auf der Berghöhe einen einsamen Felsen,
daran ein gewaltiger Eisenring befestigt ist, und
eine tiefe Höhle daneben. Aber noch Keiner hat sich
in die Höhle gewagt. An einem solchen wunderbaren
Tage hat einst ein Faßbinder sein Messer neben den
eisernen Ring gelegt; da fühlte er einen unwiderstehlichen
Drang zum Einschlafen. Und wie er erwachte,
war mit dem Ring und Felsen auch das Bandmesser
verschwunden; aber als er nach genau sieben Jahren
abermals hinkam, lag es wieder auf derselben Stelle.
287. Der Siebener Tanz zu Kreuzwertheim.
Von J. R u t t o r .
Was ist für ein Klagen im Dorfe?
Was deutet des Glöckleins Klang? –
Es wüthet der Tod, ach, der schwarze,
Durch alle Häuser entlang.
Und immer grimmiger hauset
Des schwarzen Todes Kraft;
Fast Alle liegen im Grabe,
Er hat sie weggerafft.
Die Häuser stehen entleeret,
Sind ihre Bewohner ja todt.
Acht Nachtbarn nur begrüßen
Einst noch das Morgenroth.
Sie theilen die Güter der Andern,
Und werden A c h t h e r r e n genannt;
Sie waren reich geworden
An Häusern und an Land.
Bald raffte der Tod auch diese
Hinweg ins öde Grab;
Sie mußten von sich legen
Des Lebens Wanderstab.
Und als der letzte der Achter
Sein Ende nahe sah:
Da standen sieben Söhne
Vor seinem Bette da.
Er theilte die reiche Habe
Den Söhnen aus und spricht:
»Vergesset, liebe Kinder,
Der bösen Zeiten nicht.
Doch freut euch des Wechsels der Zeiten,
Wenn jährlich der Mai sich erneut;
Hinaus zum Walde ziehet,
Und singt ein Lied erfreut.
Des Waldes schönste Eiche
Laßt fallen unter'm Beil,
Mit Weibern und mit Kindern
Tanzt um ihn eine Weil.
Das Geld, das ihr draus löset,
Vertrinkt dabei voll Lust,
An diesem Tag soll freuen
Sich hier jedwede Brust.«
Der Alte schloß die Augen,
Sein Wille ward erfüllt;
Am ersten Tag des Maien
Ward jedes Leid verhüllt.
Da ward getanzt, gejubelt,
Da ward so froh gezecht;
Der Siebner Tanz vererbte
Sich auf das junge Geschlecht.
Noch heute, wenn der Maimond
Erscheint im Blütenkranz,
Wird in dem Land gefeiert
Der lust'ge Siebnertanz.
288. Engelstadt bei Prozelten.
H ä n l e und S p r u n e r Handb. für Mainreisende S.
147.
In einer Schlacht in Böhmen hatte Heinrich der Finkler
Kyrie eleyson zum Schlachtgeschrei. Und siehe da!
die Engel kamen, um ihm zu helfen. Zum Andenken
daran hat er die Burg bauen lassen und sie Engelstadt
geheißen. Fünf unterirdische Keller führten von ihr
nach der Stadt Prozelten, und einer nach Faulenbach,
woselbst auch ein Keller ist, der sich durch einen ganzen
Weinberg erstreckt. Im Schlosse aber ist es nicht
geheuer. Schon die letzte Hennebergerin wollte nicht
mehr darin hausen, weil sie jenseits des Mains auf
M o n d f e l d e r Markung Nachts so viele Flammen
und Lichter brennen sah, daß es ihr davon unheimlich
wurde. Diese Flammen leuchten über den Schätzen,
welche hier und in der ganzen Burg verborgen liegen.
289. Der Geisfuß.
A . v . H e r r l e i n S. 123.
Vor vielen Jahren hörte einmal ein Fischer von Langenprozelten
auf der andern Seite des Maines »Fährer
hol!« rufen. Es war schon Nacht und ein abscheuliches
Wetter; ein dichtes Schneegestöber ließ kaum
drei Schritte weit sehen und der Sturm heulte, daß
man fast sein eignes Wort nicht hörte. Dennoch klang
das »Fährer hol!« deutlich und laut herüber. Den Fischer
dauerte die arme Seele, die bei solchem Unwetter
auf die Ueberfahrt harrte, er entschloß sich, den
Rufer abzuholen. Er war noch nicht ganz am linken
Ufer, da sprang ein kräftiger, großer Mann in einem
dunkeln Mantel hinein, und der Nachen sank augenblicklich
so tief in's Wasser, daß der Rand kaum fingersbreit
war. Der Fischer ruderte aus Leibeskräften,
um den unheimlichen Gast bald an's Land zu bringen,
und der sprang auch, sobald er in die Nähe des rechten
Ufers gelangte, hinaus, und eilte ohne Lohn und
Dank davon. Der Fischer war nur froh, daß der unheimliche
Mann fort war, und verzichtete gern auf den
Fahrlohn; den andern Morgen betrachtete er sich die
Stelle, wo der Mann an das Ufer gesprungen, und
fand im harten Gestein eine große Geisklaue tief ein-
gedrückt. – Die Geisklaue ist unterhalb Langenprozelten
noch zu sehen.
290. Die Herren von Rüdt.
H ä n l e u. S p r u n e r Handbuch für Mainreisende S.
148. L. B r a u n f e l s Mainufer S. 305.
Nach dem Erlöschen des Geschlechtes der Cuglenberg
kam ihre Burg an die Herren von Rüdt, welche
sich seitdem Rüdt von Kollenberg nannten. Von diesem
Geschlechte geht eine Familiensage, die häufig
wiederkehrt. Einer der Ahnen dieses Hauses war kinderlos.
Darüber war er voll Grimm und Unmuth, so
daß er rauh und mißgünstig wurde, und die Armen
mißhandelte. Einst kam ein Bettelweib mit sechs Kindern
vor seine Thüre und flehte um eine Gabe; er aber
hetzte sie mit R ü d e n von der Burg. Da fluchte ihm
das Weib: Weil du so geizig bist, so möge dir dein
Weib ein ganzes Dutzend Kinder auf einmal gebären,
auf daß sie all das Deine verzehren und vernichten!
Und siehe, die Rittersfrau gebar ihrem Gemahl wirklich
zwölf Söhnlein auf einmal. Da nahm der geizige
Herr eilf von den Kindern und befahl seinem Jägersknechte,
er solle ihm diese eilf Rüden in's Wasser
werfen. Allein sie wurden wunderbar erhalten, kehrten
als Männer in's väterliche Haus zurück und lösten
durch fromme Thaten den Fluch der Bettlerin. Sie
nannten sich aber Rüden zum Angedenken des Tages,
wo man sie in's Wasser warf. Andere erzählen, die
Rittersfrau selbst habe jene Bettlerin abgewiesen, und
nach ihrer Niederkunft die eilf Knäblein in den Main
zu werfen befohlen; der Ritter habe jedoch die That
vor der Ausführung entdeckt und die Kinder bis zum
einundzwanzigsten Jahr in der Fremde erziehen lassen.
Alsdann habe er sie auf's Schloß geführt und die
Mutter gefragt: Welche Strafe eine Mutter verdiene,
welche ihr Kind ermorde? Da sagte die Frau: Man
soll ein Faß mit langen Nägeln rundum beschlagen,
sie hineinwerfen, und den Berg hinunterrollen. Da
holte der Ritter seine Söhne herbei, gab sie der Frau
zu erkennen, und gebot, die angegebene Strafe an ihr
selbst zu vollziehen. Allein die Fürbitte der Söhne
rettete die Mutter, die sich schon lange Jahre in Reue
verzehrt hatte.
291. Riesensäulen bei Miltenberg.
G r i m m d.S. I., 26.
Bei Miltenberg oder Kleinen-Heubach auf einem
hohen Gebirg im Wald, sind neun gewaltige, große
steinerne Säulen zu sehen und daran die Handgriffe,
wie sie von den Riesen im Arbeiten herumgedreht
worden, damit eine Brücke über den Main zu bauen;
solches haben die alten Leute je nach und nach ihren
Kindern erzählt, auf daß in dieser Gegend vor Zeiten
viele Riesen sich aufgehalten.
292. Das Kloster auf dem Engelsberge.
Von J . F . A d r i a n . – Ph. J. M ä d l e r das Kloster
auf dem Engelsberg. 1840.
Dort oben auf des Berges Rücken
Erglänzt im goldnen Sonnenschein
Ein Kloster vor des Wandrers Blicken
Und ladet still zur Andacht ein.
Wie dieses Kloster hier gegründet,
Das fromme Wort euch jetzt verkündet.
Vor Alters stand an dieser Stelle,
Von Eichen friedlich still umhüllt,
Wohl eine heilige Kapelle
Mit Maria's wundervollem Bild,
Und viele Pilger kamen,
Die Hülf' und Tröstung von ihm nahmen.
Wenn Sommernächt' den Himmelsbogen
Mit ihrem goldnen Sternentanz
Und hellem Mondenschein umzogen,
Da strahlt um's Kirchlein Heil'genglanz,
Und Engelein auf Himmelsschwingen
Umschwebten es mit süßem Singen.
Und an dem Bild der heil'gen Frauen
Da war in stiller, klarer Nacht
Ein helles Lichtlein stets zu schauen,
Das flammt in hehrer Himmelspracht,
Und glänzte durch der Eichen Dunkel
In's Thal ein sel'ges Sterngefunkel.
Und andachtsvoll aus allen Gauen
Die Menge hin zum Berge wallt,
Das heil'ge Wunderbild zu schauen,
Durch treuer Bitten Allgewalt
Des Himmels Hülf' sich zu erflehen –
Getröstet All' von dannen gehen.
Da wölben sich zu hohen Hallen
Der Eich' und Fichte kräft'ge Höh'n,
Und fromme Mönche sieht man wallen
Und betend an dem Bilde steh'n,
Und Segen strömt vom Wunderbilde
Hinab auf blüh'nde Maingefilde.
Und weil, wo holde Englein sangen,
Auf ihr Geheiß der Bau entstand
Ward auf des gläub'gen Volks Verlangen
Das Kloster E n g e l s b e r g genannt:
In manches Herz, von Freud' geschieden
Quillt da der Engel reiner Frieden.
Noch oft, bei goldnem Sternenreigen
Entzücket frommer Mönche Ohr
Mit süßem Klang von Harf' und Geigen
Der lieben Englein Feierchor;
Gott preisend sinken dann die Brüder
In tiefer Andacht Gluten nieder.
293. Das Lisbethchen von Mönchberg.
A . v . H e r r l e i n S. 221.
Am Eingang des Wildenseer Grundes liegt links der
Münzplattenberg, auf dem sonst der Eschauer Galgen
stand. Der Hensle ist noch dort gehenkt, und die
Schmidts Christine mit dem Schwert hingerichtet
worden. Wo der Wildenseer Grund aber nach Mönchberg
hinüberbiegt, oberhalb der Waldmühle, auf der
Mönchberger Seite, ist ein Platz, der »Hexenbrand,«
und dabei ein Brunnen, das »Hexenbrünnlein« genannt.
Dort haben vor Zeiten die Mönchberger ihre
Hexen verbrannt und der Platz hat davon seinen
Namen. Wenn die Schäfer sonst des Nachts auf dem
Wirbel die Schafe hüteten, sahen sie drüben oft ein
Feuer glimmen – sobald sie doch hinzugingen, war's
aus und keine Asche und keine Kohle zu sehen. Gras
wuchs noch vor zwanzig Jahren keines auf dem Platz,
jetzt aber wird er wohl eingesäet sein.
Auf dem Hexenbrand nun liegt ein Mönchberger
Schultheiß begraben, der Staudersjörg genannt, und
das Lisbethchen von Mönchberg wäre auch beinahe
dahin begraben worden, wenn das Unglück hätte seinen
Willen haben dürfen.
Der Staudersjörg war sehr reich, aber ein böser
Mensch und ein Hexenmeister, wie keiner. Obwohl's
dem Amtmann und der ganzen Gemeinde bekannt
war, wollte sich doch Keiner an ihn wagen aus
Furcht, daß er ihm ein's anthun möchte und er ward je
länger, desto kecker und hatte seine Hand in allen
schlimmen Händeln. Endlich aber, nachdem er's viele
Jahre getrieben, kam ein neuer Amtmann, der war
sehr scharf und wollte dem Gräuel mit Ernst ein Ende
machen. Da hatte er's denn vor Allem auf den
Staudersjörg abgesehen und that Befehl, ihn einzubringen.
Wie der's hörte, wußte er wohl, daß es ihm
an's Leben gehen würde, machte aber nicht Reu und
Leid, sondern wurde so falsch, daß er gern die ganze
Welt umgebracht hätte, wenn's nur in seiner Gewalt
gestanden wäre. In seinem Zorn geht er in den Stall
und sticht die beste Kuh todt, die er besaß. Dann geht
er hinaus an das Hexenbrünnlein, wo er eine Wiese
hatte, und findet dort das Lisbethchen, die als Magd
bei ihm diente, mit dem Grasstumpf Futter machen.
Sie war auch aus Mönchberg und rechtschaffener
Leute Kind. Wie er sie sieht, schreit er sie an: sie
habe ihm seine beste Kuh verfüttert, daheim liege sie
maustodt im Stall und sie müsse sie nun bezahlen,
wenn nicht, so wolle er sie in den Thurm setzen und
krumm schließen lassen, und Vater und Mutter dazu,
und wollte ihr ein solches Geschrei im ganzen Land
anrichten, daß sie keinem Menschen mehr unter die
Augen treten dürfe. Darüber entsetzte sich das Mädchen
so sehr, daß sie laut jammerte und die Hand
wand, und als er wieder fortgegangen war, jammerte
sie immer noch und wußte sich nicht zu helfen.
Da steht mit einem Mal Einer neben ihr und fragt,
warum sie so thue? Ja, sagt sie, sie habe ihrem Herrn
die beste Kuh verfüttert und könne doch nichts dazu;
nun solle sie die Kuh bezahlen und hätte kein Geld,
und ihre Eltern auch nicht. Wenn's Einem so gehen
könne, so müsse doch kein Gott im Himmel sein. Ei,
sagte der Andere, das glaube er auch nicht; er sei ein
besserer Freund und wenn sie ihm ihre Seele verschreiben
wollte, solle das gleich zu Handen sein.
Weil sie nun vor Angst nicht mehr wußte, was sie
that, versprach sie's – der Fremde aber war der Teufel.
Sie wollte mit ihm heimgehen und unterschreiben, er
sagte aber, das sei nicht nöthig; Feder und Papier
habe er bei sich, und vom Finger laufe ihr ja Blut,
damit könne sie auch unterschreiben. Sie betrachtete
ihre Hand und wirklich! sie hatte sich mit dem Grasstumpf
geschnitten, – das war sie aber vorher nicht
weiß geworden.
Sie unterschreibt also, und der Teufel gibt ihr einen
Beutel mit Geld und geht davon, sie aber hebt das
Tuch mit dem Gras auf den Kopf und geht heim. Im
Vorbeigehen an ihrem väterlichen Haus hört sie drinnen
ihre Mutter wimmern, als ob sie krank wäre. Wie
sie nun eilends in die Scheuer tritt und das Gras in's
Tenne geworfen hat, sieht sie ihren Herrn vor sich: er
hatte sich an einen Balken aufgehängt, weil er sich
nicht wollte brennen lassen. Dann geht sie in den
Stall, um nach der Kuh zu sehen und wird gewahr,
daß die Kuh nicht verfüttert, sondern todtgestochen
war mit Fleiß und Absicht. Da fällt's ihr centnerschwer
auf's Herz, daß sie umsonst ihre Seele dem
Teufel verschrieben habe, jammert noch mehr, als
zuvor und läuft zu dem Pfarrer, erzählt ihm Alles und
bittet ihn auf den Knieen, ihr einen Rath zu geben,
wie sie ihre arme Seele retten und von dem Bösen loskommen
könne, denn ihre Verzweiflung sei groß. Der
sagt, sie solle das Geld gleich wegwerfen und in die
Kirche gehen und beten und nicht mehr die Kirche
verlassen, bis er's ihr sage. So wirft sie denn das Geld
in die Scheuer, nimmt das Gebetbuch und will in die
Kirche.
Unter der Zeit war's Abend geworden. Wie sie nun
aus dem Hause tritt, steht der Teufel da, bietet ihr
einen guten Abend und sagt: »Ich hab' mein Geld
klingen hören, wo willst du hin, – doch nicht in die
Kirche?« »Zu meiner Mutter,« sagt das Lisbethchen,
»die am Brunnen wohnt, laß mich gehen, ich fürchte
mich vor dir,« – und will vorbei. »Warum hast du
denn so Eile?« fragte der Teufel, indem er neben ihr
hergeht und sie am Rock hält, »nimm mich nur auch
mit!« Das Lisbethchen sagt: »Ach, mir ist Angst, sie
stirbt und ich seh sie nimmer in alle Ewigkeit.« »Ha!«
antwortet der Teufel, »sie wird nicht gleich sterben!«
und packt sie bei der Hand. »Laß mich gehen!« bittet
das Lisbethchen und hebt an zu weinen und zu
schluchzen, »die Hand thut mir wehe, ich habe mich
ja heute mit dem Grasstumpf hineingeschnitten,« und
ringt mit ihm, aber der Teufel will nicht und hält sie
fest, wie mit eisernen Zangen.
Indem fängt's vom Kirchthurm an Abend zu läuten,
und die Leute, die noch auf der Gasse waren, ziehen
den Hut ab und beten, der Teufel aber muß vor
Jedem, der betet, stehen bleiben und kann nicht vorbei,
als bis er ausgebetet. Wie dieß das Mädchen
merkt, fängt sie an zu laufen, geht aber nicht in ihr
Haus, sondern will nur so schnell wie möglich die
Kirche erreichen und der Teufel bleibt immer weiter
zurück, und wie das Mädchen den Berg hinaufgekommen
ist und auf die Kirchenstaffel tritt, schaut sie sich
um und sieht den Teufel noch wie gebannt unten am
Brunnen stehen, – dort stand ihr Vater und betete
noch, und sie erkannte ihn an seinem weißen Kittel.
Da hört das Läuten auf – und in dem Augenblick
kommt der Teufel, wie ein Sturmwind ihr nachgefahren,
packt sie am Haare, wie sie gerade die Kirchthüre
in die Hand nehmen will, und sagt: »Es hilft dir
nichts, Lisbeth! Hättest du das Geschrei nicht ge-
macht bei dem Pfaffen, so hättest du immer noch eine
Weile gute Tage haben können, – jetzt aber ist's aus.
Vor einer Stunde habe ich den Herrn geholt, jetzt hole
ich die Magd. Aber die Kirche sollst du dir noch einmal
ansehen!« Wie er das sagt, fährt er mit ihr in die
Höhe und schwenkt sie bei den Haaren dreimal um
den Kirchthurm herum. Das Lisbethchen aber fängt
an zu beten: »Herr Jesu, dir leb' ich! Herr Jesu dir
sterb' ich.« Da muß der Teufel sie auf die Erde niedersetzen;
wie er's aber gethan, fällt das Mädchen um
und ist todt.
Den Staudersjörg haben die Henkersknechte abgeschnitten
und auf dem Schinderskarren hinausgeführt
auf den Hexenbrand und dort eingescharrt. Für das
Lisbethchen aber hat der Pfarrer gebeten, und so
haben sie's ehrlich begraben. Seine Mutter ist bald
nach ihm auch gestorben, und sein Vater ist weggezogen.
Man soll an unserm Herrgott nicht irre werden –
am allerwenigsten, wenn Einem ein Bösewicht bange
machen will.
294. Das Glöckchen der Stromfei.
Von L u d w i g K ö h l e r . – Deutsches Museum v. L.
B e c h s t e i n II., 194.
Das war der Graf von Klingenberg,
Der zog zum heil'gen Krieg.
Er sprach zu seiner Frauen:
»Ade, woll' Gott vertrauen
Und unsrer Jungfrau gnadenreich,
Die gibt uns schönen Sieg!«
Ein silbern Glöcklein gab er ihr.
»Nimm's in dein Kämmerlein;
So lang es stumm wird hangen,
Darfst du um mich nicht bangen,
Doch wenn es einstens läuten wird,
Werd' ich gestorben sein.
Und wenn du mir die Treue brichst,
Das Glöcklein sagt dir's an!
Ich starb zur selben Stunde
An tiefer Herzenswunde;
Das Glöcklein hat die Stromesfei
Geschenkt einst meinem Ahn!«
Die Fraue schwur ihm ew'ge Treu
Mit Herz und Hand und Mund
Der Graf zog drauf von dannen
Und Jahr' um Jahre rannen
Und aus dem Morgenlande kam
Noch immer keine Kund.
Es war ein junger Rittersmann
In Lieb zu ihr entbrannt,
Er sprach: »o Fraue minniglich,
Ich lieb' Euch so herzinniglich,
Mehr wohl als Euer Ehgemahl
Im fernen Morgenland!«
Ein artig Mährchen sann er Euch
Mit seinem Glöcklein aus,
Es wird wohl nie erklingen
Und von des Todes Schwingen
Ereilt, schläft er den langen Schlaf
Wohl längst im Grabeshaus.
Die Gräfin fühlte sich bestrickt
Von seiner Augen Strahl,
Er klopft' mit süßen Worten
An ihres Herzens Pforten
So lang, bis sie die Treue brach
Dem fernen Ehgemahl.
Und als die Treu gebrochen war,
Griff er zum Glöcklein schnell.
»Laßt uns das Angedenken
Im tiefen Main versenken!«
Horch, Wunder! da erklangen draus
Drei Schläge silberhell.
Da ward der schönen Sünderin
Zu Eis das warme Blut,
Sie sprang in lautem Jammer
Aus der entweihten Kammer
Hinauf zur höchsten Thurmeszinn'
Und stürzt sich in die Fluth.
Der Ritter stand wie Marmor bleich
Und schaudernd er entwich,
Als Mönch mit nackten Füßen
Die schwere Schuld zu büßen. –
Zur selben Stund' im Morgenland
Graf K l i n g e n b e r g erblich.
295. Die Kapelle im Haßlocher Thal.
L. B r a u n f e l s Mainufer S. 301.
Nicht weit von Wertheim am rechten Ufer des Maines
liegt das Dorf H a ß l o c h in einem reizenden Thale
an der Mündung des Hasselbaches. Verfolgt man das
Thal der Hassel aufwärts, so kömmt man an eine verfallene
Kapelle, die der Wertheimer Graf J o h a n n
m i t d e m B a r t e erbaut haben soll. Johann liebte
das Jagdvergnügen so leidenschaftlich, daß er sogar
den Tag des Herrn mit dem wilden Treiben des
Waidwerkes entheiligte. Selbst am Osterfeste ließ er
nicht ab davon; da sprang ein weißer Hirsch vor ihm
auf und lockte den verfolgenden Jägersmann immer
weiter und tiefer in den dichten Wald. Es wurde
Nacht; der Graf sank schier verschmachtend zur Erde.
Da gedachte er sehnsüchtig seiner lieben, frommen
Hausfrau, die ihn oft so flehentlich gewarnt vor dem
gottlosen Uebermaaß der Jagdlust. Und plötzlich, wie
innige Reue in ihm erwachte, hörte er neben sich ein
Brünnlein rauschen; und als er gelabt und gestärkt
nun weiter schritt, schallte ein Glöcklein vor ihm,
immer vor ihm her, bis ihn der fromme Klang wieder
auf seine Burg heimführte. Zum Dank für die wunderbare
Errettung baute der Graf an der Stätte, wo ihm
die Quelle geflossen, diese kleine Kapelle.
296. Die Frau Hulle.
A . v . H e r r l e i n S. 197.
Auf dem Schellenberge zwischen Haimbuchenthal
und Wintersbach stand vor Zeiten ein Schloß, und im
Schloßhof ein Lindenbaum. Der war sehr groß und
schön und es ging die Sage, so lange der Lindenbaum
stehe und grün sei, werde das Schloß auch stehen,
wenn er aber dürr und abgängig würde, würde das
Schloß verfallen und die Herrenleute würden in's Abwesen
gerathen.
In dem Schloß nun lebte einmal ein Schloßherr, der
hatte zwei Söhne. Der älteste war sehr groß und
schön, der jüngste aber war klein und häßlich. In seiner
Jugend hatte er einmal das Bein gebrochen, und
man nannte ihn darum nur den krummen Jakob. Wie
nun der Schloßherr sein Ende nahe fühlte, ließ er sie
beide vor sein Bett kommen, übergab dem Einen das
Schloß, als dem Erstgeborenen, und eine große Kiste
mit Geld und ermahnte ihn, den Jakob bei sich zu behalten,
Zeitlebens ihm brüderlich zu begegnen und an
nichts es ihm fehlen zu lassen. Das versprach nun der
Aelteste mit Hand und Mund, wie aber der Vater gestorben
war und er das Schloß überkommen hatte,
hielt er's nicht, vielmehr behandelte er den Bruder
schlechter, als den geringsten Taglöhner. Er ließ ihn
nicht mit sich am Tische essen und nicht in seinem
Schlosse wohnen, sondern er mußte im Stall bei den
Pferden schlafen und mit den Hunden aus einer
Schüssel essen. Da ging der Jakob, als er sah, daß der
Bruder kein brüderliches Herz gegen ihn habe, eines
Tages zu ihm und verlangte sein Erbe, denn er wollte
sein Glück weiter suchen; der Schloßherr aber gab
ihm nichts, sondern schlug ihn und ließ ihn zum
Schloß hinauswerfen.
Also geht der krumme Jakob traurig fort in den
Wald, immer zu, Berg auf Berg ab, und wie er in's
Thal kommt, wo heutzutage die Karthause steht und
die alte verfallene Kirche, ist's Abends, und er setzt
sich unter einen Baum, legt den Kopf in die Hände
und weint bitterlich. Wie er wieder aufstehen will,
sitzt gegenüber auf einem Stein eine alte Frau mit
grauen Haaren und runzlichtem Gesicht, die spinnt
und wie sie das Rad tritt, nickt sie in Einem fort dazu
mit dem Kopf, – das war die Frau Hulle. Sie hatte
eine kleine Platthaube auf dem Kopfe, wie sie die
alten Weiber sonst in die Kirche aufzusetzen pflegten,
und eben ein solches schwarzes wollenes Mützchen,
das nur bis knapp unter die Ellenbogen ging, und darunter
vom Ellenbogen bis an die Hände weiße Stauchen.
Sie fragt ihn, warum er so traurig sei? er aber
sagt: »Ihr könnt mir doch nicht helfen!« und will wei-
ter. »Du bist der krumme Jakob aus dem Schloß,«
sagt sie, »ich kenne dich und deinen Bruder und will
dir wohl und kann dir helfen, wenn du mir das Zutrauen
schenken willst.« Da ging dem krummen Jakob
das Herz auf – denn seit seines Vaters Tod hatte noch
kein Mensch freundlich ihm zugeredet – und er klagte,
wie sein Bruder ihn so schlecht behandelt, wie er
sein Erbe ihm vorenthalten, und ihn, wie einen Bettler,
aus seinem väterlichen Schloß hinausgeworfen.
Die Alte aber sagte: »Komm mit mir, nach drei Jahren
wollen wir wieder zu deinem Bruder gehen, vielleicht
reut's ihn bis dahin, und er gibt dir dein Eigenthum.«
Der Jakob ließ sich das gerne gefallen, und sie
nahm ihn mit sich in ihr Häuschen und gab ihm auf,
ihren Rosmarinstock zu gießen, und ihre Katze zu füttern,
und ihr Flachsfeld zu bauen, und im Winter
mußte er Pfahlstecken schneiden für die Weinbergsbauern
und Schiffsstangen für die Schiffsleute, und im
Frühjahr trug er sie an den Main, um sie zu verkaufen.
Wenn die rechte Zeit dazu gekommen war, nahm
die Frau Hulle ihren Spinnrocken in die Hand, als
einen Gehstock, und ihre Kötze (Huckelkorb) auf den
Rücken und packte ihr Garn hinein, um es auch zu
verkaufen und ging mit, und wenn dem Jakob die
Pfahlstecken und Schiffsstangen zu schwer wurden
wegen seines lahmen Beines, nahm sie ihm die Last
ab und warf sie mit ihren dürren Armen oben auf die
Kötze, als wenn's Strohbürden wären. Zwischen Haßloch
aber und Faulbach ist hart am Weg ein Stein,
dort ruhte sie jedesmal aus, und wo ihre Kötze mit
den Füßen aufstand, sind die Löcher davon heute
noch zu sehen. So hatte es der Jakob recht gut bei ihr;
dabei lehrte sie ihn alle Bauernarbeit, so daß er sich
zuletzt besser darauf verstand, als ein geborner Bauer.
Wie aber die drei Jahre um waren, sagte die Alte:
»Komm, nun wollen wir zu deinem Bruder gehen!«
und nahm ihren Spinnrocken in die Hand und die
Kötze auf den Rücken, und der Jakob ging mit. Den
Bruder fanden sie im Schloßhof unter der Linde sitzen,
– denn es war sehr schwül an dem Tag, und die
Linde blühte und gab einen großen Schatten, und die
Vögel sangen in ihren Zweigen. Wie sie herankommen,
fragt er sie nach ihrem Begehr, und die Frau
Hulle nimmt das Wort für den krummen Jakob und
sagt, sein Bruder sei da und wolle, was ihm gehöre.
Der Schloßherr aber flucht und sagt, wenn sie nicht
gleich gingen, wolle er ihr ihren alten wackeligen
Kopf herunterreißen und dem Krummen das andere
Bein auch noch lahm schlagen. Da wurde die Alte
sehr zornig, nahm ihren Spinnrocken und stieß ihn in
die Linde, und alsbald, wie dieß geschehen, fliegen
die Vögel auf, und der Baum fängt an zu zittern von
der Wurzel bis zum Gipfel, und aus dem Stamm und
den Aesten und Zweigen läuft der Saft und tropft auf
den Boden, und die Blätter werden gelb und fallen ab,
und die Frau Hulle sagt: »O du arger Bösewicht, sieh'
her! wie dem Lindenbaum, so soll es dir gehen und
deinem Hause, – so sollst du verdorren und verschmachten
und absterben, und kein Glück mehr
haben ewiglich!« Dann ging sie mit dem Jakob von
dannen.
Wie sie gesagt hatte, so geschah's. Als der Lindenbaum
verdorrt war, da hielt das Schloß nicht mehr. So
oft es stürmte, fiel auch ein Thurm, oder eine Mauer
ein, und der Regen schwemmte die Steine hinweg, so
daß man's nicht mehr aufbauen konnte. Kein Mensch
wollte mehr im Schlosse bleiben, und der Schloßherr
wohnte im Keller, – dort stand die Geldkiste, und von
der wollte er sich nicht trennen, sondern hütete sie
Tag und Nacht. Zuletzt, wie nichts mehr vom Schlosse
übrig war als der Keller und der verdorrte Lindenbaum,
der vor dem Keller stand, kam auf Martini in
der Mitternacht ein großer Sturm und warf den Lindenbaum
auch um: der fiel gerade vor die Kellerthür
und sperrte den Ausgang und der Schloßherr konnte
die Thüre nicht mehr aufbringen, wie er sich auch anstemmte
und nach Hülfe schrie, und mußte elendiglich
auf seiner Geldkiste verhungern.
Die Frau Hulle aber wußte das Alles gar wohl, und
den Tag nach seinem Tod kommt sie, hebt den Lindenbaum
hinweg, öffnet die Kiste und scheidet das
Geld in zwei gleiche Theile; den einen läßt sie liegen,
den andern nimmt sie mit, und wie sie aus dem Keller
tritt, stürzt der auch zusammen. Daheim gibt sie dem
Jakob das Geld und sagt: »So! jetzt hat jedweder das
Seine – er und du! – wie's der Vater befohlen hat.
Nimm, was dein ist, aber den Edelmann schlag dir
aus dem Sinn und werd ein Bauer: so kannst du noch
Glück haben. Leb wohl, mich wirst du jetzt nicht
mehr sehen.«
Da nahm der Jakob Abschied und baute sich von
dem Gelde einen großen Bauernhof auf dem Hundsrück
bei Altenbuch, nahm eine Frau und viel Knechte
und Mägde und ward ein großer Bauer. Keine Seuche
kam in seinen Stall, und keine Raupen auf seine Obstbäume,
und kein Hagelschlag über seine Felder. In
der Erntezeit, wenn das Gesinde alle Hände voll zu
thun hatte, damit das gute Erntewetter nicht verpaßt
würde, geschah es oft, daß, wenn sie in der Früh auf's
Feld kamen, die Arbeit schon gethan war, daß die
Garben alle geschnitten und gebunden und auf Haufen
gestellt waren, daß man sie nur hineinzufahren
brauchte. Die Leute sahen sich groß darum an, – der
Jakob aber wußte wohl, wer's gethan hatte. Wie ihm
sein erster Sohn geboren wurde, und er's den Nachbarsleuten
anzuzeigen ging, meinte er in seiner Freude,
er müsse der Frau Hulle doch auch davon Meldung
thun, und machte sich zu ihr auf den Weg, aber
wie er auch suchte und sich die Augen rieb, er konnte
weder das Häuschen mehr finden, noch das Thal, in
dem das Häuschen gestanden, und nachdem er den
ganzen Tag vergeblich im Walde herum gelaufen,
fand er sich Abends, als man die Lichter anzündete,
wieder vor seinem Bauernhof. Endlich ist er im hohen
Alter gestorben.
Sein Hof steht noch und der Bauer, der ihn heutzutag
im Bestand hat, heißt der Hundsrücks-Philipp.
297. Das Bannkraut.
Die vor. Schrift S. 145.
Im Waldesdunkel auf gewissen Berghöhen wächst ein
Kraut, das allen Zauber löst. Wo ein Anderer nur
einen Haufen glühender Kohlen erblickt, sieht der Besitzer
des Krautes blankes Gold – und was das Kraut
berührt, ist der Gewalt der Erdgeister entzogen.
Darum bewachen sie auch das Kraut, und obwohl sie
nicht im Stande sind, geradezu dessen Abbrechen zu
verhindern, so wissen sie doch dem, der es sucht, so
vielen Spuck in den Weg zu werfen, daß er nur selten
zu seinem Ziele gelangt. Und das Kraut ist nur einmal
im Jahre, in der heiligen Christnacht, während es
zwölf Uhr schlägt, zu brechen, und es darf der, welcher
es holt, auf dem Wege nicht beschrieen werden
und er muß stumm bleiben, bis er wieder heimgekommen.
Es ist nicht gar lange, da lebte zu Faulenbach ein
Mann, der war ganz erpicht auf Dinge, die man weit
besser unerforscht läßt. Er suchte auf den Friedhöfen
in die Geheimnisse des Jenseits einzudringen, er spürte
an verrufenen Orten den unheimlichen Wesen nach,
die da hausten, und kein Zaubermittel, kein bannender
Spruch war ihm unbekannt. Aber sein Ziel, ein reicher
Mann zu werden, hatte er noch nicht erreicht. Er war
Wirth und wußte recht gut, daß es, wenn in der heiligen
Christnacht um zwölf Uhr der junge Wein aus
dem Fasse steigt, ein gutes, wenn er aber sinkt, ein
schlechtes Weinjahr bedeutet, aber er hatte nicht hinreichend
Geld, um im letzteren Falle zu rechter Zeit
erkleckliche Weinvorräthe einzukaufen. Er wußte
auch, daß zu derselben heiligen Zeit aus gewissen
Quellen Wein fließt, allein in den wenigen Augenblikken,
in welchen die Mitternachtsglocke schlägt, läßt
sich nicht viel Wein schöpfen, und es ist eben auch
damit nicht zu scherzen: war doch kurz vor jener Zeit
erst ein Mann dabei sehr übel gefahren. Der hatte
auch in der heiligen Christnacht eine Quelle, wo Wein
fließen sollte, glücklich unbeschrieen erreicht, und als
es zwölf Uhr schlug, trank er und rief freudig aus:
Alleweil1 trink ich Wein!
Aber ein Krallenfuß packte ihn, der das Gebot des
Schweigens gebrochen hatte, am Genick, eine Donnerstimme
rief:
Alleweil bist Du mein!
und der Mann ward nicht mehr gesehen.
Dem Faulenbacher Wirth ward bekannt, daß auf
dem Kühlberge das Kraut wuchs, das allen Zauber
löst. So sehr es ihm nach seinem Besitze gelüstete,
hatte er doch lange gezögert, es zu holen, denn er sah
voraus, daß er mit allen Schrecken der Unterwelt zu
kämpfen haben werde, wenn er es erlangen wollte.
Endlich aber überwand die Geldgier alle Bedenklichkeiten
und in der nächsten heiligen Christnacht machte
er sich auf den Weg.
Der Kühlberg ist ein mäßiger Berg zwischen Faulenbach
und Stadt-Prozelten; die Aussicht ist dort
prachtvoll, aber der Boden ist schlecht und nährt nur
nothdürftig traurige Kiefern; in ihrem Schatten wächst
das Zauberkraut.
Der Mann hatte den Wald kaum betreten, da wälzte
sich ihm ein Ding entgegen, das er nicht recht zu erkennen
vermochte, das aber so gräulich war, daß es
auch einem beherzten Manne Schrecken einjagen
konnte. Aber er ließ sich nicht einschüchtern, und als
das Ungethüm bis zu seinen Füßen kollerte, faßte er
sich schnell und sprang darüber weg. Ohne sich umzusehen
eilte er weiter, aber bald trat ihm in der Enge
des Weges ein schwarzer Mann entgegen hoch wie
ein Kirchthurm. Neben vorbei war kein Raum und an
das Ueberspringen war ohnehin nicht zu denken; der
Riese kam mit so gewaltigen Schritten auf ihn los,
daß seine Beine gleichsam einen Thorbogen bildeten
– und schnell schlüpfte der Mann durch und kam
unverletzt davon. – Schon nahte er sich der Stelle, wo
das gesuchte Kraut wachsen mußte und er glaubte
sich schon am Ziele, als von allen Seiten Kriegsknechte
zu Roß und zu Fuß heranrückten und drohend
gegen ihn die Waffen schwangen. Er ließ auch da seinen
Muth nicht sinken und schlüpfte bald an einem
Ritter, bald an einem Fußknechte vorbei; aber es stellten
sich ihm stets neue Schaaren entgegen – und als
sie endlich ihre Reihen lichteten und er eben den Letzten
hinter sich hatte, schlug es zwölf Uhr. – Der
Spuck verschwand, aber auch die kostbare Zeit war
verschwunden und unverrichteter Dinge und todesmatt
schlich der Mann seiner Heimath zu.
Als am andern Morgen den Mann, der den tiefen
Schlaf gänzlicher Erschöpfung schlief, seine Leute
wecken wollten, bebten sie erschrocken zurück, denn
die einzige Nacht hatte aus dem kräftigen Manne im
besten Lebensalter einen hinfälligen Greis mit weißen
Haaren gemacht. Er hat seinen Verwandten, deren
Kinder zum Theil noch leben, oft die Geschichte zum
warnenden Beispiel erzählt.
Fußnoten
1 Jetzt.
298. Der Schatz auf der Karlshöhe.
Von B. B a a d e r im Anz. v. M o n e IV., 162.
Auf der Karlshöhe im Spessart liegt ein Platz, den
man die Schatzgräberei nennt. Hier liegen eine silberne
Glocke und eine Kiste voll Geld vergraben,
welche dem Frauenkloster Schmerlenbach gehört
haben. Eine Nonne ist schon oft als Gespenst auf dem
Platz und in der Umgegend gesehen worden. Zu
einem Köhler aus Steinmark, der Nachts auf der
Karlshöhe Kohlen brannte, kam sie bis an seine
Hütte, zeigte ihm einen großen Schlüssel, den sie in
der Hand trug, und winkte ihm, mit ihr zu gehen. Der
Köhler aber, voll Angst, blieb in seiner Hütte zurück;
worauf der Geist traurig davonging.
Schon mehrmals haben Leute versucht, den Schatz
zu heben, es ist ihnen aber noch jedesmal mißlungen.
299. Wie ein Bauer Niedernberg rettet.
L. B r a u n f e l s Mainufer S. 326.
Als die Schweden in die Gegend von N i e d e r n -
b e r g bei Aschaffenburg kamen, begaben sich alle
Bauern des Dorfes auf die Flucht, nur ein einziger
blieb. Der machte sich getrosten Muthes auf, ging den
Feinden entgegen, begehrte Gehör bei Gustav Adolf,
und bat ihn in schlichten Worten um Schonung für
seinen Ort. Der König gewährte die Bitte; und um das
fromme Vertrauen des Bauern zu belohnen, schenkte
er ihm alle Häuser und Felder der ganzen Gemeinde.
Als später die Schweden abzogen und die Entflohenen
zurückgekehrt waren, stellte der Bauer Jedem das Seinige
wieder zu; in der ganzen Gegend aber war kein
Edelmann fürderhin so hochgeehrt, wie dieser Bauer.
300. Das Wunderkreuz.
Von S c h ö p p n e r . – Unfern der Fasanerie bei
A s c h a f f e n b u r g sieht man Spuren der Stammburg
der C u g l e n b e r g e , die nachmals bei
S t a d t p r o z e l t e n , eine mit jener Burg
gleichnamige erbauten. Die Veranlassung zur
Uebersiedlung erzählt die Sage B e h l e n u. M e r k e l
Gesch. u. Beschr. v. Aschaffenburg, S. 13.
Juchhei! mein schönes Fräulein von Cuglenberg!
juchhei!
Es zieht auf stolzem Rosse der Bräutigam herbei!
Zum Feste geht es heute, schon naht des Ritters Troß,
Bald klingt vom Hochzeitjubel der Cuglenberge
Schloß.
Das schöne Bräutchen eilet behend auf den Altan,
Mit süßem Minnegruße den Liebsten zu empfah'n.
Da schallt Trompetenschmettern entgegen ihm so
traut –
O Gott! was muß geschehen? – zu Boden sinkt die
Braut.
Der Rappe tobt und schäumet – o gräßliches
Geschick –
Vom Rosse stürzt der Ritter und bricht sich das
Genick.
Das Fräulein ringt die Hände, es bricht ihr armes
Herz,
Sie klagt in einem Kloster dem Heiland ihren
Schmerz.
Ein Kreuz von ihr errichtet an jenem Schreckensort
Es trug auf unsre Zeiten die Trauerkunde fort.
Und weil der Pilger mancher dort Trost und Rettung
fand,
So ward das Kreuz vom Volke das Wunderkreuz
genannt.