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Sagenbuch der Bayerischen Lande
ОглавлениеAus dem Munde des Volkes, der Chronik und
der Dichter
Erster Band.
Einleitung.
»In seinen Sagen vererbt jedes Volk einen
großen Theil seines Lebens, Glaubens und
seiner Dichtung auf die Nachkommen.«
A. Nodnagel.
1. Vorwort.
S e i n e M a j e s t ä t M a x i m i l i a n I I . ,
K ö n i g v o n B a y e r n , gewährten mir allerhuldvollst
Gelegenheit, dieses Buch, das bei der beschränkten
Muße des Lehramtes nur äußerst langsam
gedeihen mochte, in verhältnißmäßig kurzer Frist zu
Stande zu bringen. Dafür sei dem erhabenen Förderer
vaterländischer Forschung innigster Dank gesagt.
Sodann erfordert nicht nur Dankespflicht, sondern
einfache Ehrlichkeit, die Namen jener Männer bekannt
zu geben, welche mich durch schätzbare Mittheilungen
gefördert haben. Da jedoch die Zahl
derselben noch zur Stunde, da ich dieses schreibe, im
Zunehmen begriffen ist, so will ich erst am Schlusse
des Werkes einer mir angenehmen Pflicht genügen1.
Es ist hier nicht der Ort, mit einer Abhandlung
über Sagenforschung und Sagenpoesie hervorzutreten,
einmal weil ich mir bei diesem Buche nicht Zwecke
der Forschung, sondern vorerst der Sammlung und
Erweiterung des Materials gesetzt habe; zum andern,
weil die Bedeutung der Sagen für mythische und geschichtliche
Forschung, Sitten- und Literaturgeschichte,
Kunst und Poesie schon längst durch eine hinreichende
Zahl von Beispielen dargethan ist. Ich beschränke
mich daher auf etliche Andeutungen und Bemerkungen,
welche zur Rechtfertigung, zum Verständnisse,
und zum Gebrauche dieses Buches nothwendig
scheinen.
2. Literatur und Quellen bayerischer
Sagenkunde.
Die Bedeutung der Volkssagen neuerdings zum Bewußtsein
geführt zu haben, muß als gemeinsames
Verdienst der Romantiker und der Germanisten bezeichnet
werden. Man hatte vordem alle diese Dinge,
welche das gutmütige Volk als Sagen, Märchen und
Legenden im Munde führte, von Seite der kritischen
Meister als eitel Lug und Trug, Aberglauben und Fabelwerk
gebrandmarkt. Wenn Geschichtsforscher des
vorigen Jahrhunderts, wie der ehrliche J . H . v .
F a l k e n s t e i n , dergleichen Lappalien ja noch der
Aufzeichnung werth hielten, so geschah es nur mehr,
um den Lesern hie und da einen Spaß zu machen,
nicht ohne männigliche Verwahrung von wegen anzumutender
Leichtgläubigkeit. Ein späteres Geschlecht
– jener Periode, da man mit dem Aberglauben
zugleich den Glauben austrieb–hielt solcherlei
Dinge nicht mehr der Rede werth. Das hat ein Halberstädtischer
Bauer gar treffend gesagt: »Der alte Fritz
hat die Zwerge verjagt, aber Napoleon hat allen Spuk
aus dem Lande vertrieben«2. Gerade um diese Zeit
des Napoleon erfuhr die deutsche Literatur einen raschen
und seltsamen Umschwung durch die Romantiker.
An die Stelle der französischen Verstandeseinsei-
tigkeit trat eine bis an Fieberhitze grenzende Gefühlsinnigkeit.
Nun ward das Mittelalter und mit ihm das
alte romantische Land der Märchen und Sagen betreten.
Dichter, Sprach- und Geschichtforscher wanderten
gemeinsam dahin und brachten Vieles, was vordem
der Verachtung Preis war, in der Wissenschaft
wie beim Volke zu Ehren. Von diesem Zeitpunkte
schreibt sich ein eifriges Streben, jene einfältigen, von
Poesie durchhauchten, Klänge der Sage aus dem
Munde des Volkes zu erlauschen und für Zwecke der
Forschung wie der Unterhaltung zusammen zu bringen.
Die Dichter fanden nämlich, daß in diesen verachteten
Kleinigkeiten ein reichhaltiger Fond urfrischer
Begeisterung verschlossen liege. Den Mythenforschern
ging eine neue Welt auf: man denke nur an
G r i m m ' s Mythologie. Die Geschichtschreiber bemerkten,
wie die Sage oft wunderbaren Beleg für anderweitig
Erkanntes oder Fingerzeige und Wege zu
erfolgreicher Weiterforschung, oder Einblicke in den
Geist der Zeiten gewähre. Als nun die beiden
G r i m m nach unbedeutenden Vorgängern den ersten
Versuch machten, die deutschen Sagen mit Ausnahme
der größeren Heldensagen in einer dem Volke mundgerechten
Sammlung an's Licht zu stellen, war der
Anstoß zu einer ganzen Literatur gegeben; denn nun
setzten sich allerorts in Deutschland die literarischen
Bergleute in Bewegung, stiegen nieder in Gruben und
Schachte, in Grüfte und Klüfte, zu den Zwergen und
Wichtlein, den Kobolden und Elfen, und förderten das
edle Metall der Sage klumpenweise zu Tage. Es
wurde gesammelt in allen Gegenden Deutschlands,
mit mehr oder weniger Treue, mit mehr oder weniger
Vollständigkeit. Heutzutage ist diese Literatur dergestalt
angewachsen, daß eine bibliographisch-kritische
Ueberschau zu wünschen wäre. Vielleicht liefert sie
A. N o d n a g e l in Darmstadt, der sich seit Jahren
mit einer deutschen Sagenkunde beschäftigt. Mir, der
ich zunächst Bayern vor Augen habe, kann es nur gestattet
sein, die das bayrische Sagengebiet berührenden
neueren Schriften namhaft zu machen.
Der Erste, welcher um jene Zeit der wiedererwachenden
Studien des germanischen Mittelalters zu
einer Sammlung der Sagen von Bayern aufforderte, ist
R a d l o f gewesen. Sein Aufruf scheint indessen,
gleichwie ein solcher von D o c e n , überhört worden
zu sein3. Eine dritte Mahnung erging aus dem Munde
eines Ungenannten in den Bayrischen Annalen 1833.
Auch diese Aufforderung scheint wie die früheren
keine sichtbaren Früchte getragen zu haben. Warum?
Ich deute das so. Einmal bietet das Volk selbst, in
welchem die Sage lebt, die größten Hindernisse der
Erforschung, denn es verhält sich dem Gebildeten und
Fremden gegenüber scheu und schweigsam in Mittheilung
seiner Spinnstubengeheimnisse, aus begrün-
deter Furcht, von den »studierten Herren« des Aberglaubens
willen verspottet oder verlacht zu werden.
So sagen- und märchenreich die Spinnstube ist: in
dem Augenblicke, wo ein Studierter eintritt, verstummt
sie. Zum Andern scheint der Gewinn aus Mittheilung
noch unbekannter lebender Sagen zu hoch
angeschlagen worden zu sein. Ein großer Theil der
Sagen findet sich in Zeit- und Reisebüchern, Landesund
Ortsbeschreibungen, belletristischen, Unterhaltungs-
und andern Blättern bereits aufgezeichnet, so
daß es nicht sowohl einer Reise durch das Land, als
durch die Literatur des Landes bedarf, um eine sehr
große Anzahl jener Sagen kennen zu lernen. So fand
ich viele Sagen, welche mir als neue und unbekannte
warm aus dem Volksmunde mitgetheilt wurden, bereits
in Schriftquellen aufgezeichnet; daher ich vermute,
daß die Herausgabe einer bayerischen Sagensammlung
auch darum hinausgeschoben wurde, weil man
zuviel von Originalmittheilungen erwartete und
immer vergebens wartete. Es soll damit nicht im Geringsten
verkannt werden, welcher Schatz von Sagen
noch aus dem Volke zu erheben sei; man will nur andeuten,
auf welchem Wege wenigstens ein Anfang gemacht
werden konnte. Denn es war eine schöne und
verdienstliche Arbeit, wenn man einstweilen die g e -
s c h i c h t l i c h e n Sagen des Landes gesammelt
hätte. Die Gebrüder Grimm hatten ein Beispiel gege-
ben. Unter 951 von ihnen gesammelten Sagen find
schwerlich dreißig nicht aus Schriftquellen geschöpfte.
Deßgleichen – um etliche Beispiele zu bringen –
sind die märkischen Sagen von A. K u h n , die preußischen
von T e t t a u und T e m m e , die deutschen
von J . W . W o l f beinahe ausschließlich aus
Schriftquellen gesammelt.
Den Vorwurf, welcher überhaupt wegen der Aufnahme
von Sagen aus Chroniken gemacht werden
könnte, hat bereits T e m m e (die Volkssagen von
Pommern und Rügen. Berlin, 1840 S. VIII.) zurückgewiesen.
Nicht der Chronikschreiber hat die Sage erfunden
und gemacht; sie existirte vielmehr im Volke,
der Chronikschreiber fand sie schon vor und theilte
sie nur weiter mit. »Es ist hiernach also die Aufnahme
der Sage in die Chroniken gerade ein Beweis für ihre
Echtheit als Sage; denn das Volk hatte sie sich so
ganz und gar zu eigen gemacht, daß selbst der gelehrte
Chronikant sie gläubig, als Wahrheit mittheilte.
Rührte aber auch die Sage wirklich von dem Chronikanten
als dessen Erfindung her, so würde sie auch
hierdurch nichts von ihrem Charakter verlieren. Denn
auch die echteste Volkssage ist, sofern sie nicht einen
geschichtlichen Boden hat, zuerst von Einem, gläubig
oder ungläubig, aufgenommen und weiter erzählt, und
so zur Sage geworden. Ob dieses ursprüngliche Erzählen
von Einem aus dem Volke oder von einem
Chronisten ausgegangen ist, bleibt gleichgültig, denn
die Sage ist nur dadurch geworden, daß das Volk sie
in sich aufnahm, sie als einen denkwürdigen Theil
seines Lebens betrachtete, als solchen sie zu seinem
Eigenthum machte und sie weiter erzählte. Auch das
läßt dieser Gattung der Volkssagen sich nicht zum
Vorwurfe machen, daß sie nicht mehr im Volke leben,
sondern nur noch in den todten Büchern stehen. Es
genügt, daß sie einmal als Sage des Volks wirklich
gelebt haben.«
Haben wir nun seit den Aufrufen von R a d l o f
und D o c e n auf eine das Königreich Bayern umfassende
Sagensammlung vergebens gewartet, so ist dagegen
für einzelne Gebiete und Oertlichkeiten mitunter
Erhebliches geschehen. Einer der ersten Versuche
dieser Art waren die S a g e n u n d L e g e n d e n
d e r B a y e r n in einer Reihenfolge von Romanzen
und Balladen. Von A d a l b e r t M ü l l e r und
F r a n z X . M ü l l e r . Regensburg 1833. Die wenigen
(27) hier mitgetheilten Sagen sind poetisch behandelt
und gehören nur der Oberpfalz, Ober- und
Niederbayern an. Auf Quellen wird nicht verwiesen.
Uebrigens sind die Herausgeber treue Erzähler und
begabte Dichter, leider – was Süddeutschen oft widerfährt
–4 nicht der verdienten Beachtung gewürdigt. –
Ein neuer Versuch wurde in den G e s c h i c h t e n ,
S a g e n und L e g e n d e n d e s B a y e r l a n d e s
von B. M e r t e l und G. W i n t e r gemacht. Die
Herausgeber dieser seit 1845 zu Nürnberg ohne Verlagsangabe
in vier Bändchen erschienenen Sammlung
haben die Sagen keineswegs in ihrer Einfachheit und
Treue belassen, sondern auf unverantwortliche Weise
umgestaltet, erweitert, in Erzählungen und Novellen
verwandelt. Das Gleiche geschah in einem früheren
Buche: B a y e r i s c h e V o l k s s a g e n von H.
W i l l i n g . Nürnberg 1826. 2 Bdchen., worin von
»Volkssagen« in der That keine Spur zu finden. Dieser
Art sind manche der schönsten und gehaltvollsten
Sagen von unverständigen Schreibern für Unterhaltungsblätter
bearbeitet, zugestutzt, entstellt und vernichtet
worden. –
Nach solchen Verirrungen mußte F . P a n z e r ' s
B e i t r a g z u r d e u t s c h e n M y t h o l o g i e .
München 1848. allen Freunden vaterländischer Sagenkunde
willkommen sein. Der Verfasser hat sich indessen
nur das Feld der mythischen Sage und auch da
wieder die Sage von den drei Schwestern zur besonderen
Aufgabe gesetzt, so daß seine Schrift nicht als
Sagensammlung von Bayern, sondern als eine Monographie
zur deutschen Sage, geschöpft aus bayerischen
Quellen, zu gelten hat. – Außerdem ist mir kein
Buch bekannt geworden, das sich mit dem Sagengebiete
von ganz Bayern beschäftigte. Unter den
Monographieen stehen die unterfränkischen von
L u d w i g B e c h s t e i n ( d i e S a g e n d e s
R h ö n g e b i r g e s u n d d e s G r a b f e l d e s ,
Würzburg 1842) und A d a l b e r t v o n H e r r -
l e i n ( d i e S a g e n d e s S p e s s a r t s , Aschaffenburg
1851) oben an. Beide Schriften enthalten
zwar Vieles eher der Geschichte als der Sage Angehöriges,
Bechsteins Sammlung außerdem eine große Anzahl
außer Bayern fallender, Thüringischer Sagen; jedoch
haben beide das Verdienst, die Sagen treu und
volkstümlich erzählt zu haben, so daß ich nur wünschen
wollte, es möchten sich alle Gauen des Vaterlandes
so vollständiger Monographieen als die Rhön
und der Spessart zu erfreuen haben. Quellen sind in
beiden Schriften leider nicht verzeichnet.
Ein sogenannter S a g e n s c h a t z v o n O b e r -
f r a n k e n von B e r n h a r d G ö r w i t z , Bayreuth
1846, aus vier sehr mageren Heftchen bestehend, enthält
außer wenigen, theilweise entstellten und verblümten
Sagen, noch Geschichten, Novellen, Reiseschilderungen,
Humoristika5.
S a g e n d e r P f a l z in Gedichten sind erschienen
von F r . B a a d e r , L . M o o r i s und F r .
O t t e , Stuttgart 1842. Die Mehrzahl dieser Gedichte
haben außer poetischem Werthe das Verdienst, den
Kern und das Wesen der Sage treuer gewahrt zu
haben, als die sogenannten Sagen von M e r t e l ,
W i n t e r , W i l l i n g u . A . , von welchen ich für
meine Sammlung fast gar keinen Gebrauch machen
konnte.
B a m b e r g e r L e g e n d e n u n d S a g e n von
Dr. A. H a u p t , Bamberg 1842, lassen als Gedichte
Manches zu wünschen übrig; deßgleichen die von Dr.
T h . M ö r t l fleißig gesammelten B i l d e r a u s
d e m B a y e r w a l d e . Straubing 1848, und L i e -
d e r u n d S a g e n . Straubing 1846.
Dieser Art sind auch die Augsburgischen Sagen in
der A u g u s t a von F. O l d e n b u r g . Augsburg
1846. Gelungener nenne ich G. N e u m a n n s Erinnerungen
an die fränkische Schweiz. Nürnberg 1842.
Eine gute Anzahl Sagen der Oberpfalz und Nachbarschaft
enthalten die G e d i c h t e i n a l t b a y -
r i s c h e r M u n d a r t von J . A . P a n g k o f e r . 2
Bände. München, Kaiser. 1846. Die schlichte und
naive Weise der Mundart, welche der Verfasser vortrefflich
handhabt, ist auch den Sagen gut zu Statten
gekommen. – Ein R e g e n s b u r g e r S a g e n -
b u c h desselben ist nur unter Freunden des Verfassers
bekannt geworden. Nächst diesen von Dichtern
gelieferten Beiträgen zur bayerischen Sagenkunde
sind etliche Monographieen in Prosa zu nennen.
Ein Schriftchen über die S a g e n v o m U n -
t e r s b e r g von Dr. H . F . M a ß m a n n , München
1831 hat meines Wissens keine Fortsetzung erfahren.
Dafür hat L. S t e u b in seinen Skizzen: A u s d e m
b a y e r i s c h e n H o c h l a n d e , München 1850,
Nachbarsagen des Untersbergs treu und volkstümlich
mitgetheilt. Das Gleiche ist zu rühmen von der
Schrift: A l t e r t h ü m e r , I n s c h r i f t e n u n d
V o l k s s a g e n d e r S t a d t R o t e n b u r g von
H . W . B e n s e n , Ansbach 1841; nur Schade, daß
der Verfasser keine Quellennachweise liefert. –
Sagen schwäbischer Städte hat ein Ungenannter (
L . M i t t e r m a i e r ) treu und fleißig gesammelt:
S a g e n b u c h d e r S t ä d t e G u n d e l f i n -
g e n , L a u i n g e n , D i l l i n g e n , H ö c h -
s t ä d t u n d D o n a u w ö r t h . Augsburg 1849
und S a g e n - u n d G e s c h i c h t b u c h v o n
B u r g a u , G ü n z b u r g , G u n d e l f i n g e n ,
D i l l i n g e n u n d W e r t i n g e n , 1851 ohne
Druckort und Verleger6.
Das ist nun meines Wissens Alles, was seit
G r i m m s Anfängen deutscher Sagenforschung in
b e s o n d e r e n S c h r i f t e n für bayerische Sagenkunde
geschehen. Kleinere Beiträge finden sich zerstreut
in einer Masse der verschiedenartigsten Schriften,
geschichtlichen, topographischen, belletristischen
Inhalts, dann in Landes-, Provincial- und Lokalblättern:
eine sehr bunte und bändereiche Literatur, deren
Beschreibung hierorts erläßlich ist, weil die Quellen
vor jeder Sage verzeichnet stehen. Dabei habe ich
nutzlosen Citatenprunk absichtlich gemieden. Oft hät-
ten sich die genannten Schriftquellen um eine stattliche
Zahl von Namen vermehren lassen, allein es kam
mir mehr darauf an, das Vorkommen einer Sage zu erweisen,
als ihre Literaturgeschichte zu liefern. Ein
Buch wie Maßmanns Schriftchen über die Untersbergssagen
mag einen Gelehrten erbauen; für das
Volk, d.h. die Gebildeten unter dem Volke ist es umsonst
geschrieben. Dennoch glaube ich, die Ansprüche
derjenigen, welchen Sagenerforschung nur für
wissenschaftliche Zwecke Werth hat, im Ganzen befriedigt
zu haben. Kenner werden noch manche Quellennachweise
vermissen: indessen erwäge man, was
es heiße, nur die Literatur einer einzigen Stadt, z. B.
N ü r n b e r g s , geschweige denn die Literatur von
Bayern, Schwaben, Franken und Pfalz bis in's Einzelnste
kennen zu lernen.
3. Anlaß und Zweck dieser Sammlung.
Aus vorstehender Uebersicht erhellet, daß eine größere,
die Sagen des Königreiches Bayern, vorab die
g e s c h i c h t l i c h e n , umfassende Sammlung nicht
bestehe. Ob es an der Zeit sei, mit einer solchen hervorzutreten,
lehrt ein Blick auf die Sagenforschung in
benachbarten Landen. Es drängt die Aufsuchung und
Sammlung dieser Schätze um so mehr, als die alte
Zeit und mit ihr die alte Sage gleich einer schwindenden
Burg hinabsinkt und ein Stein um den andern sich
ablöst. Wo vollends Heerstraßen und Eisenbahnen die
Landstriche, vorab der Ebene, durchziehen, ist die
Sage gar merklich im Abnehmen begriffen. Denn hier
hat die Aftercultur tabula rasa gemacht und mit dem
Aberglauben die Poesie verscheucht, also daß keine
Zeit zu verlieren, der enteilenden nachzugehen, weil
binnen Kurzem vielleicht der eifrigste Forscher »anstatt
der Rosen nur mehr dürre Halmen und stachlichte
Hagenbutten findet.«7
Von diesem Gedanken beseelt ging ich daran, ein
Sagenbuch von Bayern herauszugeben, ohne mir je
träumen zu lassen, durch meine Sammlung fernere
Arbeiten überflüssig zu machen, im Gegentheil von
dem Wunsche erfüllt, dadurch weitere Forschungen
anzuregen und so erschöpfende Monographieen als
die von H e r r l e i n und B e c h s t e i n , für alle
Theile des Landes hervorzurufen. Zunächst war die
Frage nach meinem Leserkreise zu erledigen. Etliche
Sagenforscher hatten die Gelehrten, etliche das Volk,
etliche Beide zugleich vor Augen. Mir schien es vor
Allem ein verdienstliches Unternehmen, d e m
V o l k e den Sagenschatz des Vaterlandes in die
Hand zu geben. Das ist der Standpunkt, von welchem
aus diese Sammlung erwachsen ist. Denn wie die
Sage ein treuer Spiegel ist, in welchem sich des Volkes
innerstes Sinnen und Leben, Glauben und Lieben
offenbart, so hat die Sage hinwiederum für das Volk
unverkennbaren ethischen Werth, denn sie erfreut, erhebt
und rührt nicht nur die Gemüter, sondern lehret,
warnet, tröstet durch die Macht des Beispiels und der
überall in starken Zügen hervortretenden göttlichen
Gerechtigkeit8. Die Sage ist die eigentliche und echte
Volkspoesie. Diese neben dem religiösen Glauben hat
eine viel höhere Bedeutung für die Veredlung und Sittigung
des Volkes, als Leute, welche neuerdings über
die Abhilfe der Nothstände des Volkes geschrieben,
vermuteten. In dem Grade als trostlose Afterbildung
und sogenannte Aufklärung das Volk seines Gemütsund
Gefühllebens beraubte, hat der Materialismus,
die Ungenügsamkeit und die Unseligkeit zugenommen.
Die Aufgabe der Lehrer und Erzieher des Volkes
wird es sein, gegenüber dürrer Verstandescultur und
einseitiger Unterrichterei mit allen Mitteln auf die Bewahrung
eines der Natur des Volkes gemäßen edlen
Gemütslebens hinzuwirken. Wie das geschehen
könne, mag an anderem Ort entwickelt werden: hier
genüge die Bemerkung, daß die Beachtung ureigener
Sitte und alten Herkommens, die Bewahrung heimatlicher
Geschichte und Sage in örtlicher Beschränktheit,
kein unbedeutendes Moment wahrhafter Volksbildung
ist, wie das vor mehr als dreißig Jahren die
Brüder G r i m m angedeutet haben, wenn sie die
»deutschen Sagen« mit den Worten einleiten: »Es
wird dem Menschen von Heimatswegen ein guter
Engel beigegeben, der ihn, wann er in's Leben auszieht,
unter der vertraulichen Gestalt eines Mitwandernden
begleitet; wer nicht ahnt, was ihm Gutes dadurch
widerfährt, der mag es fühlen, wenn er die
Grenze des Vaterlandes überschreitet, wo ihn jener
verläßt. Diese wohlthätige Begleitung ist das unerschöpfliche
Gut der Märchen, Sagen und Geschichte,
welche nebeneinander stehen und uns nach einander
die Vorzeit als einen frischen und belebenden Geist
nahe zu bringen streben.«9
Dieser erklärten Hauptrücksicht meines Sagenbuches
auf einen größeren Leserkreis aus dem Volke widerstreitet
die wissenschaftliche Rücksicht so wenig,
daß ich nur auf G r i m m ' s Sammlung oder zehn andere
hinweisen darf, um den augenscheinlichen Be-
weis zu liefern, wie gut sich jene beiderseitigen Anforderungen
vereinigen lassen.
Demgemäß blieb vergleichende Sagenforschung
zur Gewinnung wissenschaftlicher Resultate von meinem
Vorhaben ausgeschlossen. Es sollte vorerst das
Materiale gesammelt und vermehrt, eine Art Codex
vaterländischer Sage aufgestellt, Zwecke der Forschung
aber nicht a b gewiesen, sondern nur auf andere
Zeit und Gelegenheit v e r wiesen werden. Darum
enthielt ich mich alles Hervorhebens verwandtschaftlicher
Beziehungen der Sagen, so nah es oft lag, weil
außerdem die Sammlung einen ganz veränderten Charakter
annehmen mußte.
4. Darstellung der Sagen.
Wie schon angedeutet, enthält dieses Sagenbuch keine
romantisch umgekleideten Sagen nach Art der Märchen
von B e n e d i k t e N a u b e r t , T i e k ,
F o u q u é und Anderen. Das Erste und Heiligste war
mir T r e u e und W a h r h e i t . Ich habe mit Sorgfalt
und Mühe der Ursprünglichkeit und Echtheit vieler
Sagen nachgestrebt und Verdächtiges ferngehalten.
Aus solcher Rücksicht auf Treue geschah es, daß in
den meisten Fällen die Sagen mitgetheilt wurden, wie
sie gegeben waren, mit der eigenen Ausdrucks- ja
Schreibweise der Erzähler, wo diese nicht allzugrell
von der üblichen abwich. Es schien auch tadelhafter,
Alles über Einen Leisten geschlagen, als stylistisches
Mosaik geliefert zu haben. Zuweilen ist die schlichte,
einfältige, kindliche Sprache der alten Zeitbücher beibehalten
worden; zuweilen hat sich die Mundart vernehmen
lassen, ich hoffe nur zum Vortheil der Sage,
deren heimischer und örtlicher Charakter dadurch bestimmter
und lebendiger hervortritt. Die Bedeutung
der Mundart für Sprachgeschichte und Sprachcultur
und demnach für jedes Buch, das als Lesebuch für's
Volk hinausgeht, ist nunmehr allgemein anerkannt,
auch haben G r i m m in den Kinder- und Hausmärchen,
V o n b u n in den Vorarlberger, B e c h s t e i n
in den Fränkischen, H e r r l e i n in den Spessartsagen
u.A. bereits Proben mundartlicher Erzählung geliefert.
Mehr als diese bedarf die Aufnahme von S a g e n
a u s d e m M u n d e d e r D i c h t e r der Rechtfertigung.
Ich weiß, was die streng wissenschaftlichen
Herrn davon halten. Sie betrachten die Dichter der
Sagen wie Tempelräuber und ihre Poesie wie Versündigung
an der Wahrheit. Daher wissen sie nichts Besseres
zu thun, als poetisch eingekleidete Sagen, wo
sie sich vorfinden, in die nackende Prosa aufzulösen.
Auch hier ist gefehlt worden außer und inner der
Mauern. Es ist wahr, daß die Dichter der Gegenwart
nicht selten die Sage verfälscht, ihrer wesentlichen
Grundzüge beraubt und willkürlich auf einen fremden
Boden übertragen haben; allein es ist Unrecht, auf
diese Anschuldigung ein Vorurtheil zu Ungunsten der
Dichter überhaupt zu gründen. Viele von ihnen haben
die der Sage schuldige Treue so gut gewahrt, als die
prosaischen Erzähler. Wem ist es unbekannt, wie unsere
besten und edelsten Dichter, die A r n i m ,
B r e n t a n o , C h a m i s s o , E b e r t , G e i b e l ,
G ö t h e , K e r n e r , P l a t e n , R ü c k e r t ,
S c h l e g e l , S c h i l l e r , S c h w a b und hundert
Andere, Sagen der Vorzeit in herrlichen Liedern erneuet
und dem Volke gleichsam wieder gegeben
haben? Und daß diese Klänge aus dem Munde der
Dichter von dem Volke mit Lust vernommen werden,
beweisen wiederholte Sammlungen derselben von
A u g u s t N o d n a g e l , J . G ü n t h e r , K a r l
S i m r o c k u.A., obwohl ich die Einseitigkeit solcher
Bücher nicht verkenne, weil weder alle Sagen sich
von Dichtern leidlich bearbeitet finden, noch alle zur
poetischen Behandlung tauglich erscheinen. – Unter
den von mir aufgenommenen Gedichten befinden sich
auch historische Volkslieder älterer Zeit. Die bekannten
Sammlungen von B ü s c h i n g , G ö r r e s ,
A r n i m und B r e n t a n o , H o r m a y r , S o l -
t a u , E r l a c h , W o l f f , K ö r n e r , U h l a n d
u.A. enthalten noch mehrere, als die hier mitgetheilten;
allein die Trockenheit und Ausgesponnenheit vieler
Stücke dieser Art machten eine Beschränkung der
Auswahl wünschenswerth10. –
Was den poetischen Werth der aufgenommenen
Stücke angeht, so werden die Kenner dieser Literatur
finden, daß ich viele mittelmäßige Sagengedichte oder
wiederholte Bearbeitungen eines und desselben Stoffes
ausgeschlossen habe. Wenige minder gelungene
Gedichte sind um ihres strofflichen Werthes willen
eingereiht worden. Die vaterländische Schule wird
vieles für ihre Zwecke, namentlich deutschen Unterricht,
Dienliches in dieser Sammlung finden; wenigstens
ist es Zeit, Stoffe für Muttersprachübungen
mehr im Bereiche der Heimat als in Hindostan und
China, in Lappland und Sibirien zu suchen. Dabei
will ich mich aber ausdrücklich gegen die Zumutung
verwahren, als ob dieses Buch u n m i t t e l b a r für
die Jugend bestimmt sei.
5. Abgrenzung und Anordnung.
Das Feld der Sage berührt in weiter, unsteter Begrenzung
die Geschichte, Legende, Poesie, selbst die Naturwissenschaft.
Ihr Begriff ist ein unbestimmter,
mehr durch stillschweigendes Übereinkommen, als
scharfe Definition festgestellter, daher man in verschiedenen
Büchern den Umfang des Sagengebietes
verschieden bezeichnet findet. Ich bemerke hier ausdrücklich,
was ich Mehr oder Weniger als Andere
aufgenommen habe. Einmal wurden (nach dem Vorgange
der G r i m m , deutsche Sagen II. S. XII.) diejenigen
größeren H e l d e n s a g e n ausgeschlossen,
welche im eigenen und lebendigen Umfang ihrer
Dichtung auf unsere Zeit gekommen sind. Alsdann
waren der L e g e n d e (Heiligen- und Wundersage)
gegenüber enge Schranken zu ziehen, weil ihr Begriff
ein so schwanker ist, daß sich Verbürgtes und Unverbürgtes,
Geschichtliches und Sagenhaftes darin berührt.
Uebrigens haben die meisten Sagensammler gerade
dieses Gebiet auffallend vernachläßigt. Was
A v e n t i n (ann. l. III. p. 363 Ingolst. 1554) über
die Menge und häufige Wiederholung legendenartiger
Sagen bemerkt, gibt dem Forscher einen Wink zur
Behutsamkeit11. Ich stellte an die Mehrzahl d i e s e r
Sagen zur Aufnahme in diese Sammlung die Forde-
rung, daß Etwas wirklich vom Volke gesagt, nicht
bloß in einer Schrift behauptet worden. Noch bemerke
ich gegen unverständige Folgerungen aus der Aufnahme
von Legenden, daß ein S a g e n buch kein
L ü g e n buch ist.
Schwierig, in vielen Fällen unmöglich war es, eine
scharfe Grenzlinie zwischen Geschichte und Sage zu
ziehen. Die Sage ist oft nichts Anderes, als die neben
der urkundlichen Geschichte bestehende mündliche
Ueberlieferung. Ich habe mich beflissen, beide Gebiete
auseinander zu halten, nur einige Ausnahmen sind
mit historischen Gedichten gemacht. Es gibt nämlich
gewisse romantische und ritterliche Ereignisse vaterländischer
Vorzeit, welche gleich Sagen im Munde
des Volkes leben, auch von den Dichtern besungen
worden. Ich weiß keinen schicklicheren Ort für Mittheilung
derselben, als ein Sagenbuch. N o d n a g e l ,
G ü n t h e r , S i m r o c k haben vor mir das Gleiche
gethan. Mit ihnen will ich Recht oder Unrecht haben.
Auch die G e b r ä u c h e und S i t t e n stehen in
naher Beziehung zur Sagenwelt. Ich höre, daß sich
ein Forscher dafür gefunden (L e n t n e r ) und beschränke
mich auf Mittheilung dessen, was sagenhaften
Ursprungs und Herkommens ist. Deßgleichen
bleibt auch das M ä r c h e n von dem Bereiche dieses
Buches ausgeschlossen. Es unterscheidet sich wesentlich
von der Sage, indem es reines Spiel der Phantasie
ist, während jene – wenn auch nur mit losen Fäserchen
– auf historischem Grund und Boden haftet.
Wie die Vollständigkeit dieser Sammlung ohne
Abdruck oben verzeichneter Monographieen angestrebt
wurde, lehrt am Besten der Augenschein. Ich
bemerke nur Folgendes. Viele der hier gesammelten
Sagen, die bereits in oben erwähnten Schriften gedruckt
erschienen, sind doch keineswegs aus diesen,
sondern aus den ursprünglichen Quellen entlehnt, was
ganz einfach durch meine Quellenangaben, die bei
jenen fehlen, erwiesen wird. In Mittheilung neuer, d.h.
in jenen Monographieen zuerst erzählter Sagen, hielt
ich verhältnißmäßig das Maaß ein, welches die Verfasser
dieser Schriften ihren Vorgängern gegenüber
eingehalten haben. So nahm B e c h s t e i n eine
Reihe von Sagen aus M o n e ' s Anzeiger (ohne jedoch
die Quelle zu nennen), deßgleichen P a n z e r
eine Anzahl aus Bechsteins Sammlung. Häufig wiederkehrende
Sagen, die auch bereits von Andern gesammelt
waren und keine neuen und wichtigen Züge
darboten, sind nur einmal oder auch gar nicht aufgenommen,
sobald sie namentlich den Charakter alltäglicher
Spuk- und Gespenstergeschichten trugen12.
Denn wer da alle Geschichten von verwünschten
Schätzen, schwarzen Hunden, feurigen Männern, umgehenden
Geistern auflesen und nacherzählen wollte,
der würde in jedem Pfarrsprengel sattsames Material
zu einem Sagenbuche finden. Im Uebrigen verfuhr ich
meinen Vorgängern gegenüber in der von G r i m m
(D.S. II., Vorr. S. XXII. u. XXIII.) angedeuteten
Weise.
Das äußere Gebiet dieser Sammlung bezeichnen
die Grenzen des Königreichs Bayern in seiner jetzigen
Gestalt. Nur wo der Zusammenhang es erforderte,
oder die jenseits lebende Sage auch diesseits vorkam,
fand ausnahmsweise Ueberschreitung der politischen
Grenze statt.
Bei der A n o r d n u n g konnte das alphabetischtopographische
Princip zu Grunde gelegt werden. Das
wäre zum Nachschlagen bequemer, auch für Einsicht
in den Sagenschatz eines Ortes dienlich gewesen. Dagegen
war zu bedenken erstens, daß bei solcher Anordnung
ganze Sagenkreise, wie von Karl dem Großen,
auseinander fielen; zweitens, daß sehr viele
Sagen nicht einem bestimmten Orte, sondern einer
ganzen Gegend, einem Berg- oder Flußgebiete, einem
Geschlechte u.s.w. angehören.
Weiter konnten die Sagen nach der inneren Zusammengehörigkeit
und Verwandtschaft geordnet werden.
Auch dieses Princip ließ in sehr vielen Fällen keine
Anwendung zu aus dem einfachen Grunde, weil keine
Zusammengehörigkeit vorhanden ist. Ich glaube, daß
auch hier die G r i m m den richtigsten Weg eingeschlagen
haben, indem sie keine Ordnungsweise,
weder die örtliche, noch die inhaltliche, noch, bei geschichtlichen
Sagen, die chronologische steif und
hartnäckig befolgten, sondern diejenige Anreihung der
Sagen für die natürlichste und vorteilhafteste hielten,
»welche überall mit nöthiger Freiheit und ohne viel
herumzusuchen,« unvermerkt auf einige geheim und
seltsam waltende Uebergänge führt. Solche Uebergänge
sind bald innere, bald äußere. Mir schien die
Rücksicht auf äußere vorwalten zu müssen, weil ein
Uebergewicht innerer Zusammengehörigkeit die Leser
ermüden würde, wie wenn z.B. eine große Anzahl
Zwergsagen oder Wundersagen oder Versteinerungssagen
zusammengehäuft wäre. Zum Theil aus demselben
Grunde sind d i e S a g e n e i n e s u n d
d e s s e l b e n O r t e s n i c h t z u m a l u n d
z u s a m m e n g e l i e f e r t , was auch weder thunlich
noch nothwendig war; thunlich nicht, weil alsdann,
wie schon bemerkt, gewisse Sagenkreise zerrissen,
auch später einlaufende Mittheilungen dennoch
nachgetragen werden müßten; nothwendig nicht, weil
die aus topographischer Zusammenordnung ersprießenden
Vortheile für Uebersicht und wissenschaftliche
Benützung ebensowohl durch Register erzielt werden
können. Solcher Register gedenke ich d r e i am
Schlusse der Sammlung zu verfertigen. Einmal soll
ein vollständiges t o p o g r a p h i s c h e s V e r -
z e i c h n i ß die geographische Vertheilung der
Sagen sowie den Sagenreichthum jedes Ortes veranschaulichen;
ferner soll ein S a c h r e g i s t e r die Benützung
des Materials für wissenschaftliche Zwecke
erleichtern; endlich soll ein V e r z e i c h n i ß d e r
D i c h t e r , von welchen die Sammlung Beiträge enthält,
ein literärgeschichtliches Interesse befriedigen.
Nach dieser Zusicherung werden die Leser Nichts dawider
haben, wenn ich sie auf einer Reihe von Wanderungen
durch die Gauen des Vaterlandes geleite,
bald dahin bald dorthin ablenkend, bald dem Laufe
eines Stromes, bald dem Zuge eines Gebirges folgend,
mit aller Freiheit und Unbedenklichkeit. Nur so konnte
schon der Erste Band Sagen aus allen Theilen des
Königreiches liefern, während außerdem die Leser in
Franken oder der Pfalz nur altbayerische oder schwäbische
Sagen erhalten hätten. Wenn also die Sagen
eines Ortes, z.B. Nürnbergs im ersten Bande nur
theilweise oder gar nicht mitgetheilt worden, so folgt
daraus nur, daß man sie im nächstfolgenden Bande zu
erwarten habe.
Hiermit empfehle ich mein Buch allen Liebhabern
nicht nur bayerischer, sondern deutscher Volkspoesie,
Geschichte und Sprache, vorab allen denjenigen, die
gerne dem Geräusch des Lebens in die stille Natur, in
die frische Waldeinsamkeit, in das Gebüsch verfallener
Burgen enteilen, um dort den Stimmen der Bergund
Waldgeister, dem Wehklagen verwünschter Jung-
frauen, den Sirenenklängen der Feeen und Nixen ihr
Ohr zu leihen.
Irre ich nicht, so hat unsere neueste Poesie einen
Anfang gemacht, aus der Dürre politischer und socialer
Tendenzreimerei in die frische, einfältige und
wahrhaftige Natur zurückzukehren. Möge sie zur Einsicht
gelangen, welche lebendige und reiche Quellen
ihr auf dem Boden der heimatlichen Sage, dieser reinsten
und tiefsten Volkspoesie, entgegensprudeln.
Fußnoten
1 Jede weitere Mittheilung von Sagen a u s d e m
V o l k s m u n d e wird mir willkommen sein; Sagen
a u s g e d r u c k t e n Q u e l l e n waren mir großentheils
bekannt und s o leider vergebens mitgetheilt.
2 A. K u h n und W. S c h w a t z Norddeutsche
Sagen etc. S. XVIII. Ebendaselbst liest man, wie die
Gensdarmen »dem Aberglauben« zu Leib gegangen.
3 K. bayr. Intelligenzblatt von 1814, S. 30. – Aus
D o c e n s Aufrufe geht hervor, daß er nicht sowohl
die Ortssagen, als die geschichtlichen Heldensagen
vor Augen hatte, indem er folgende, als von ihm bereits
bearbeitete Sagen namhaft macht: die Anklänge
bayrischer Heldensage im Nibelungenlied, die Sagen
von A d e l g e r , A m e l g e r , W o l f r a t von
T e n g e l i n g e n , T h e u d e l i n g e (nach F ü t e -
r e r ) , K a r l d . G . , Herzog N a y m e s und
E r n s t von B a y e r n .
4 Nicht ohne Schuld ihrer süddeutschen Brüder.
5 Daß ich diesem Buch nicht unrecht thue, kann Ein
Beispiel statt vieler zeigen. S. 55 wird eine Sage auf
die L o s b u r g verlegt, welche nicht dem Fichtelge-
birge, sondern Schlesien angehört, wie zu ersehen in
H e n e l i i a b H e n n e n f e l d Silesiographia
renov. c. 11 §. 13 und Ausführl. Beschreib. des Fichtelbergs,
Leipzig 1716 S. 59.
6 Zu beziehen von Kollmann in Augsburg.
7 Z i n g e r l e , Sagen aus Tirol S. III.
8 Vgl. U e b e r d e n e t h i s c h e n W e r t h d e r
d e u t s c h e n V o l k s s a g e n . Von L. Bechstein
1837. Etliche Hauptresultate dieser Schrift: D i e
K i n d h e i t s t e h t u n t e r E n g e l s c h u t z ;
d i e U n s c h u l d u n t e r G o t t e s H u t ; T u -
g e n d f i n d e t i h r e n L o h n , d a s L a s t e r
s t e t s s e i n e S t r a f e ; n i e m a l t d i e
e c h t e V o l k s s a g e d a s L a s t e r r e i -
z e n d ; R e u e v e r s ö h n t , b e d r ä n g t e U n -
s c h u l d w i r d g e r e t t e t u.s.w.
9 Wie wenig ist G r i m m ' s Wort verstanden und beachtet
worden. Kennt unsere » g e b i l d e t e « Jugend
die Sagen von Hellas und Rom nicht besser als die
des Vaterlandes? Und doch ist die deutsche Sage gegenüber
der antiken viel reiner und unschuldiger.
10 Vgl. eine Bemerkung von K. G ö d e k e Elf Bücher
deutscher Dichtung I.S. 259. – Meinem Zwecke
widersprach es nicht, ältere Volkslieder auch nach der
Erneuerung des W u n d e r h o r n s aufzunehmen, da
diese Sammlung kein Liedercodex zu sein beansprucht,
dessen erstes Erforderniß diplomatische
Treue.
11 Vgl. S c h a r d im Vorw. zu Aventins Chronik.
Frankfurt 1566, und A r e t i n s liter. Handb. I., 126.
12 So haben es die Herausgeber der trefflichen
Sammlung: Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche:
K u h n und S c h w a r t z gehalten; vgl.
Vorw. S. XI.