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Auszug aus dem ersten Interview mit Walter Friedrichsen, geführt von Marie Lente am 12. Dezember 1988.

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Marie Lente: Also, Herr Friedrichsen, erzählen Sie mir bitte Ihre Lebensgeschichte.

Walter Friedrichsen: Ich muss auch eine Vorbemerkung machen. Sie sind mir bereits vom MfS angekündigt worden.

Marie L.: So?

Walter F.: Ja, zwei Herren waren gestern hier, haben erklärt, dass eine westdeutsche Wissenschaftlerin käme, um mich zur VVN in der näheren und weiteren Nachkriegszeit zu befragen. Ich könne ihr alles erzählen, solange es nicht gegen die DDR ginge. Ich habe ihnen geantwortet, sie würden ein Kunststück von mir verlangen, denn die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes habe in ihrer Geschichte einige Wendungen gemacht, die immer wieder zur Kritik der Partei an der VVN geführt hätte. Darauf wurden die Herren ungehalten, da sie die Geschichte nicht kennen, und meinten, ich wisse schon, was sie meinten: „Keine Verunglimpfung der DDR.“ Und dann folgte ein Satz, der mich erstaunte (Anmerkung von Marie L.: Herr F. zwinkert mir, maliziös lächelnd, zu.) Ich solle speziell nichts über Paul Z. sagen. Ich war baff: „Wie soll das denn gehen?“, sagte ich, „Paul war führend in der VVN und im ‚Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer’ tätig und über die ganze Zeit ihrer Existenz der Abgesandte des ZK in diesen Organisationen gewesen.“ Aber die Herren ließen sich nicht erschüttern. Der eine antwortete im tiefsten Sächsisch, dass das nicht ihre Sache sei.

Marie L.: Und – was bedeutet das jetzt für unser Gespräch?

Walter F. (lachend): Sie werden eine Hochleistung in Interpretationsfähigkeit entwickeln müssen. Vielleicht sollten Sie den Ausdruck meines Gesichts berücksichtigen. (Süffisant:) Ach ja, schade, Sie haben ja keine Videokamera mit.

Marie L.: Ok, dann fangen wir also an mit Ihrer Lebensgeschichte.

Walter F.: Gut. Ich bin Jahrgang 1938, meine Mutter, die 1913 geboren wurde, war eine damals sehr bekannte Balletttänzerin, die aber zwei Jahre vor meiner Geburt ihre Stellung verlor, da sie sich nicht von ihrem Mann Jakob scheiden lassen wollte. Dieser Mann, mein Vater, sieben Jahre älter als sie, war Jude – sie nicht. (Zögert) Mein Vater hat 1927 an der Piscator-Bühne am Berliner Nollendorfplatz als ganz junger Schauspieler angefangen. Er hat sogar in dem berühmten Eröffnungsstück – Ernst Tollers „Hoppla, wir leben!“ – mitgemacht. Als Erwin Piscator 1928 das erste Mal Konkurs anmeldete, fand mein Vater ab und zu ein Engagement in anderen Theatern zum Teil außerhalb Berlins, wurde auch wieder bei den Neueröffnungen von Piscator engagiert, aber 1931 machte der dann endgültig Pleite und ging in die Sowjetunion, und mein Vater verlor seinen wirkungsvollsten Gönner, arbeitete als Bühnenarbeiter, und schloss sich der kommunistischen Partei an. Ausgerechnet bei Gustav Gründgens, der 1933 von Hermann Göring zum Leiter des Preußischen Nationaltheaters ernannt worden war, kam er später unter und lernte über ihn auch meine Mutter kennen. Warum es zu dieser Ehe kam – oder besser, warum meine Mutter sich in diesen armen Schlucker verliebte, der täglich verhaftet werden konnte, war mir immer ein Rätsel. Sie hat es mal so zusammengefasst: Er habe eine ungeheure Virilität ausgestrahlt, war mutig, unerbittlich gegen die Nazis und unbestechlich. Aber nach den Rassegesetzen hatte er, hatten sie keine Chancen mehr. Er blieb noch eine Weile bei Gründgens, meine Mutter machte eine kleine private Ballettschule in Dresden auf, die 1945 im Februar zerbombt wurde. Mein Vater war zunächst ihr Hilfsarbeiter und Hausmeister, aber 1938 hatte die Berliner Gestapo offensichtlich herausgefunden, wo er war. Als die Dresdner Polizei das erste Mal bei meiner Mutter nachfragte, wo ihr Mann sei, beschlossen beide, dass er untertauchen und – wenn möglich – in die Sowjetunion abhauen solle. Sie vereinbarten auch eine Scheingeschichte für die Gestapo: Er hätte sie schon vor einem Jahr verlassen, weil er in seiner Unzufriedenheit zum Säufer geworden sei. Sie hätte ihm gesagt: Entweder sie und das Kind oder der Alkohol. Er sei dann – sollte sie erklären – nach Berlin zurück gegangen, als sie ihn „mit einer Flasche billigen Fusels erwischt hätte“. Von heute her scheint mir das eine ziemlich unglaubwürdige Deckgeschichte.

Marie L.: Ja?

Walter F.: Ja. Sie zeigt eine gewisse Unterschätzung der Gestapo. Natürlich kam schnell heraus, dass mein Vater noch bis vor kurzem bei ihr in Dresden gesehen worden war. Meine Mutter wurde ständig verhört, mehrfach für Wochen in Untersuchungshaft gehalten, auch geschlagen und immer wieder früheren Kolleginnen und Kollegen von der Piscator-Bühne gegenübergestellt, die man wegen Hochverrats verhaftet hatte. Aber meine Mutter kannte sie entweder gar nicht oder hatte sie nur mal kurz gesehen. Irgendwann hat die Gestapo wohl angenommen, dass meine Mutter eine unpolitische Frau war und sie wieder nach Hause geschickt. Sie war übrigens ganz und gar nicht unpolitisch, aber sie hat diese Rolle das ganze Zeit des Faschismus über durchgehalten – sowohl meinetwegen als auch aus persönlicher Angst. Sie hat mir später mal erzählt, dass einige derjenigen, denen sie gegenübergestellt worden war, übel zugerichtet gewesen wären, darunter Paul Z. Auch ein anderer, den sie kannte, war noch blutüberströmt, als sie ihn identifizieren sollte, um sie weich zu kochen. Aber beide hatten getan, als ob sie sich noch nie gesehen hätten. Ich war inzwischen bei ihren Eltern in Berlin untergebracht, die damals beide noch lebten. Noch eine ganze Weile blieb ich bei meinen Großeltern, bis die Bombenangriffe auf Berlin überhandnahmen und sie mich wieder nach Dresden zurückschickten, das damals als ungefährdet galt.

Plötzlich fragte er: Kann ich Sie denn wenigstens mit einem Kaffee erfreuen?

Marie L. (lacht): Ja, gerne.

Verwischt

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