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Almut Junge (Brief von 2009 an die Journalistin Barbara Köhler)

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Sie fragen mich, wann mein Mann Robert Junge und ich Marie Lente kennenlernten. Robert und ich haben da unterschiedliche Erinnerungen. Ich bin mir sicher, dass ich sie vor Weihnachten 1988 ansprach, als sie ein Miniplakat – postkartengroß – aufmerksam durchlas, das an eine Straßenlaterne geklebt war. Ich kannte diese kleinen Plakate, ich selbst hatte sie mit anderen entworfen und in einem altmodischen Verfahren vervielfältigt. Es war schon fast dunkel, sie konnte den Text kaum lesen, aber ich konnte trotz der Dämmerung auf den ersten Blick erkennen, dass sie eine Westdeutsche war. Ich trat an sie heran und las ihr den Text laut vor. Es war der Aufruf für die Demonstration für Rosa und Karl. Ich setzte jeweils hinzu: „Luxemburg“ und „Liebknecht“.

Sie lachte auf und dankte mir, wie mir schien, etwas ironisch. Ich setzte hinzu: „Die Demonstration findet am 15. Januar statt. Sind Sie dann noch in Westberlin?“

Sie antwortete abwehrend: „Ich bin noch hier; ich bin eigentlich fast täglich hier.“

„Dann könnten sie sogar mit uns demonstrieren.“

Sie lachte: „Sie sind ja mutig, mich so anzusprechen.“

Ich antwortete ebenfalls lachend: „Ich glaube, dass es für das MfS keine Neuigkeit ist, dass ich an der Rosa- und Karl-Demo teilnehme. “

„Aber ich werde nicht daran teilnehmen. Ich arbeite hier, genauer gesagt, ich sitze in Archiven und bin ohnehin nur gelitten.“

Ich wurde misstrauischer: „Worüber arbeiten Sie denn?“

„Über die VVN.“ Sie hoffte wohl, dass ich diese Abkürzung nicht kannte, und ich antwortete: „Dann finden Sie sicher auch heraus, warum das ZK der SED, die VVN verboten hatte ohne jeden Mitgliederentscheid.“

„Ja, aber das werde ich erst schreiben, wenn ich wieder in Westdeutschland sein werde.“

Ich holte den Hinweis für unsere nächste Lesung aus meiner Handtasche: „Vielleicht interessiert es Sie ja doch mal, was hier Gegner der Partei so machen.“ Ich steckte ihr den Zettel zu. Sie war etwas verwirrt, warf aber einen kurzen Blick darauf. „Klingt interessant, aber ich glaube, dass ich zu ängstlich bin und um meine Arbeit hier fürchte. Jetzt fahre ich erst einmal über Weihnachten nach Hause.“

Sie wandte sich ab. Ich rief: „Warten Sie! Hier ist unsere Adresse.“ Ich schrieb sie auf einen anderen Zettel und setzte hinzu: „Wer weiß, vielleicht wollen Sie doch mal mit uns sprechen.“

Sie ließ dann lange nichts von sich hören. Robert meint übrigens, dass er sie schon vorher irgendwo kennengelernt hätte. Als sie nach Monaten zu uns kam, da erkannte ich sie sofort wieder.

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