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Marie Lente (Ende 1988)

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(Im Folgenden ihr Bericht, den sie offenbar kurz nach dem Interview mit Frank Wehlers am 15. Dezember 1988 geschrieben hatte.)

Frank Wehlers, den mir sowohl Walter Friedrichsen als auch der Herr von der Staatssicherheit empfohlen hatte, wohnt mit seiner Frau in einem Plattenbau mit Fernheizung. Im Hausflur der für mich typische DDR-Geruch: von Desinfektion, Bohnerwachs und Orienttabak, allerdings ohne den anderswo vorherrschenden Hausbrandqualm. Die Wohnung besteht aus drei Zimmern, Küche, Bad und Balkon. Überall Stores an den Fenstern, eine rote DDR-Couch-Garnitur. Eine Schrank-Glaswand in Mahagoni-Imitation. Obwohl oder weil diese DDR-Produkte im DDR-Jargon Weltspitze gewesen sein dürften, strahlten sie eine bedrückende Spießigkeit aus. Bedrückend vielleicht deshalb für mich, weil sie mich fatal an unsere ersten Westmöbel zu Hause, Anfang der 60er Jahre, erinnerten. Die Atmosphäre war gespannt herzlich, etwas gezwungen zwar und voller Wachsamkeit. Frau W., die krank war und an Depressionen litt, lag eigentlich in ihrem Bett, kam jedoch ab und zu mit Kaffee oder der Frage nach einem Likör. Sie war eine magere Frau, eingefallen und bitter. Herr W. war ein ziemlich großer Mann, mit schlohweißem vollem Haar, durchaus gut, ja noch geradezu attraktiv aussehend. Sein grauer Anzug stammte ebenfalls aus der DDR-Weltspitzenproduktion. Ab und zu zwinkerte er mit den Augen. Ich wusste nie, warum. Wollte er mir etwas anderes zu verstehen geben, als er sagte? Denn er schaute immer wieder mal an die Ecke, als ob da Wanzen versteckt waren. Oder hatte er nur eine Bindehautentzündung? Ich weiß es nicht. Dass er mit mir flirten wollte, schloss ich aus.

Drei Dinge waren es, die mich während des Interviews mit ihm wirklich erstaunten. Es erscheint mir wichtig für meine Thesen und auch für meine Selbstkontrolle in dieser Arbeit, dies festzuhalten:

Erstens seine Beschreibung des sozialistischen Milieus in Berlin vor 1933 als ziemlich frei von Antisemitismus. Wollte er damit einem vermuteten Antikommunismus auf meiner Seite entgegenwirken? Oder nahm er mit seiner kommunistischen Brille, den Antisemitismus bei Genossen nur nicht wahr? Oder gab es wirklich keinen? Auch seine Beschreibung der Berliner Kindheit außerhalb seines engen Umfeldes kommt ohne antisemitische Erfahrungen aus.

Zweitens die erstaunliche Widerspruchsbreite im Nationalsozialismus. Das scheint mir kaum glaublich. Ein Jude, der in die HJ ging, ein Unternehmer, der Juden warnte (und einige Tage versteckte), ein jahrelanges illegales Leben im Krieg. Und dann die hilfsbereite kommunistische Familie.

Zu Paul Z.: Bisher hatte ich Paul Z. als eher liebenswürdigen, verbindlichen Menschen geschildert bekommen. Bei Frank Wehlers wird er zum Abenteurer, voll sprühender Lebenskraft, keiner Gefahr aus dem Wege gehend, geradezu leichtsinnig siegesgewiss. Aber irgendetwas ließ Frank Wehlers zögern in seiner Erzählung über Z. Um ihn vor mir im rechten Licht dastehen zu lassen? Weil er ein „führender Genosse“ war? Oder weil er sein Freund war und ist? Mir scheint es noch etwas anders zu sein, fast unehrenhaftes. Nein, eher etwas, das Frank Wehlers ängstlich macht. (Reine Spekulation.) In jedem Fall werde ich ihn anschreiben oder anrufen. Vielleicht gibt er mir ja ein Interview.

Verwischt

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