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Marie Lente: Mein Beginn der Geschichte 1988 (Brief von 2008 an die Journalistin Barbara Köhler)

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Ich antworte Ihnen ungern. Die Geschichte geht mir bis heute ziemlich nahe. Ich schicke Ihnen dennoch meine sehr persönliche Version dieser Ereignisse, weil ich gerade wieder erfahren musste, wie umfassend in dieser Angelegenheit gelogen wird. Ich habe mich um Ehrlichkeit bemüht, lasse auch sehr intime Bereiche nicht aus, weil ich glaube, dass nur Offenheit auch in unserer Liebe der facettenreichen Persönlichkeit dieser „Person der Zeitgeschichte“ gerecht wird. Bitte gehen Sie taktvoll mit meiner Erzählung um und sprechen Sie mit mir jede Veröffentlichung ab.

Meine Geschichte beginne ich mit meinem Umzug nach Berlin Ende 1988 und mit meinen Untersuchungen in der DDR bzw. Ostberlin – nicht ahnend, wie die weltpolitischen Ereignisse dieser Jahre mein Leben verändern würden.

Ich war froh, meine Forschung im „realsozialistischen“ Osten machen zu können. Dort, so dachte ich damals, gibt es diese Männer nicht, die innerhalb und außerhalb ihrer modernen Ehen ihren Machismo im Bett ausleben und das mit Frauen, die ihre Unterwerfung als verruchtes Spiel verkaufen, die verstohlen Mode-Illustrierte lesen, teure Parfums als Schnäppchen ausgeben und auf Männer schimpfen, aber einen Blusenknopf öffnen, sobald ein solcher in die Nähe kommt. Ich konnte auch keine Frauen mehr ertragen, die ihren Kinderwünschen nur im Verborgenen frönten, und die schließlich doch noch als Enddreißigerin schwanger wurden von Männern, denen bis dahin angeblich die bürgerliche Heimeligkeit ein Stachel im Fleische gewesen war.

Arm, aber ehrlich sind sie auf der anderen Seite der Mauer, wenig Ehrgeiz, vielleicht etwas bieder. Männer und Frauen gleich, zumindest in der Arbeit. Und vor allem nicht diese verlogenen mediengerechten Selbstinszenierungen, dachte ich.

Manchmal, wenn auch selten, ertappte ich mich bei dem Gedanken, dass ich eifersüchtig war und eine normale Beziehung wünschte. Jochen jedenfalls wollte ich möglichst lange nicht wiedersehen.

Ich nahm mir ein Zimmer in Westberlin und stürzte mich in die wissenschaftliche Literatur zu meinem Thema, saß täglich während der gesamten Öffnungszeit in der Westberliner Staatsbibliothek. Endlich durfte ich ’rüber in das Parteiarchiv, worum ich mich ein Jahr lang bemüht hatte. Ich arbeitete und arbeitete. Kein Mann am Horizont, den ich auch nur auf 100 Meter an mich herangelassen hätte. Dafür bekam ich langsam ein skizzenhaftes Bild von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) der DDR und dem „Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer“, besonders von den Juden in diesem Verband, ich bekam eine Ahnung davon, wer und wie viele von ihnen nach 1945 in die Sowjetische Besatzungszone rückemigriert waren, welche Positionen sie bald innehatten. Ganz anders als im Westen, der offensichtlich von ihnen weitgehend gemieden wurde.

Ich bekam schließlich auch eine Vorstellung von ihrer wiedererwachenden Angst, als Ende der 1940er Jahre in der Tschechoslowakei die Slánský-Prozesse begannen und einige Juden in der DDR ohne Aufsehen ihre Posten verloren. Später sollte ich noch herausfinden, wie sich einige der Staatssicherheit andienten, um eine trügerische Sicherheit zu erkaufen.

Aber so weit war es noch nicht.

Ich selber bewegte mich durchaus mit Vorsicht, um nicht zu sagen mit einer begrenzten Furcht in der DDR, genauer: in der Hauptstadt der DDR; denn die Provinz blieb mir verschlossen. Ich durfte nichts, außer morgens ins Archiv gehen, eine kleine Auswahl meiner bestellten Akten lesen und abends wieder nach Westberlin zurückkehren. Als ich das erste Mal verbotene Wege ging, und mich bei einem Bekannten aus dem Theater am Schiffbauer Damm nach einem alten kommunistischen Juden erkundigte, wurde ich am nächsten Tag von einem Herrn angesprochen, der mir zu verstehen gab, dass ich mich besser an ihn wenden solle, wenn ich Dritte zu sprechen wünsche. Das tat ich auch. Ich gab ihm eine Namensliste von neun Männern und sieben Frauen, die ich gerne interviewen würde.

Nie hätte ich gedacht, dass ich an der großen Umwälzung am Ende des 20. Jahrhunderts teilnehmen würde und mich – verrückt genug – zugleich in einen führenden Funktionär der SED verlieben würde. Aber das dauerte noch ein wenig, selbst in diesen rasenden Zeiten …

Verwischt

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