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Marie Lente (aus ihren Anmerkungen nach dem Gespräch mit Walter Friedrichsen am 12. Dezember 1988)

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(Während Walter Friedrichsen in die Küche ging, schaute ich mich um, vor allem untersuche ich diese riesigen Bücherschränke. Eigentlich war dort die gesamte Literatur vertreten, die ich auch gerne gehabt hätte oder noch lieber damit aufgewachsen wäre. Dieser Feind des westdeutschen Imperialismus hatte das alles hier stehen sowohl aus dem Osten wie aus dem Westen, nicht nur Belletristik, besonders Dramatik, sondern auch Philosophie, Astronomie, Biologie, Ökonomie, viel Marx, aber keineswegs nur, auch die Ökonomen Ota Šik, Joseph Schumpeter oder John Kenneth Galbraith. Dazu auch noch Freuds Gesamtausgabe. Die Mauer scheint nicht durch diese Bücherschränke gegangen zu sein.)

Walter F: Hier haben Sie schon mal die Tassen, Milch und Zucker. Der Kaffee läuft durch und kommt in einer Minute. Schauen Sie sich ruhig um. (Er sagt dies ohne Sarkasmus.)

Marie Lente (mit Jewgenij Schwarz‘ „Der Drache“ in der Hand): Ja, ich würde gerne mal länger in Ihren Bücherschränken stöbern. Bei mir fehlt der Osten völlig, da sind Sie mir voraus.

Walter F.: Vielleicht wollen Sie die schöne Literatur aus dem Osten bald gar nicht mehr haben. Wer weiß? „Der Drache“ wurde übrigens von Paul Dessau vertont.

Marie L.: Aha. (lacht). Sie können mir viel erzählen oder ist das an andere gerichtet? (Ich blicke nun ebenfalls an die Decke und frage frech:) Wie haben Sie denn alle diese Bücher aus dem Westen bekommen?

Walter F. (unbeeindruckt): Das erzähle ich Ihnen später mal. Jetzt sollen Sie wenigstens noch meine Geschichte bis 1945 weiter hören, also die Geschichte meiner Eltern, damit Sie hinterher noch was zu tun haben mit dem Abspielen und Transkribieren.

Marie L.: Gerne (ich hole mein Schreibzeug wieder vom Tisch).

Walter F.: Also, meine Mutter konnte dann bis zur Bombardierung Dresdens im Februar 1945 ihre private Ballettschule weiter führen. Die ging sogar gar nicht schlecht, jedenfalls konnten wir von dem Geld ganz gut leben. Es ist erstaunlich, dass mitten im Krieg Kinder auf die Ballettschule gingen oder geschickt wurden. Sie hatte damals viele Freunde, Bekannte oder Kontakte in der Dresdner Künstlerszene. Kannte auch die berühmte Gret Palucca ganz gut, die 1939 als Jüdin ihre Ballettschule schließen musste. Meine Mutter hielt aber weiterhin Verbindungen zu ihr. (Pause, Räuspern) Von meinem Vater zu erzählen, fällt mir schwerer, von ihm hörte meine Mutter mehrere Jahre gar nichts, ab und zu bekam sie von irgendjemand eine Mitteilung, dass er nicht verhaftet worden sei. Aber sie wusste nicht, ob er es in die Sowjetunion geschafft hatte. Erst 1945, kurz nach Kriegsende, wurde sie in Dresden von einer Parteidelegation besucht– damals noch der KPD, also vor der Vereinigung mit der SPD zur SED. Dort lebten wir nun mehr schlecht als recht in unserer Wohnung in einem Haus, das weitgehend zerbombt war. Ich sollte übrigens gerade eingeschult werden, als die Bomben meine potentielle Schule trafen. Dadurch konnte ich erst mit sieben in die Schule gehen. (Kleine Pause)

Tja, die Parteidelegation. Paul Z. war übrigens dabei. Also, kurz und gut, meiner Mutter wurde mitgeteilt, dass mein Vater bis 1944 illegal in Deutschland für die KPD tätig gewesen sei, und zwar in der Inlandsleitung der KPD. Er sei eng mit Anton Saefkow befreundet gewesen, habe „führend“ in der Gruppe Saefkow, Franz Jacob und Bernhard Baestlein gearbeitet und sei auch ein Kurier der Inlandsleitung nach Schweden zu Walter Ulbricht gewesen. Als diese Gruppe im Mai und Juni 1944 aufflog, war mein Vater gerade in Schweden gewesen. Ich habe nie herausgefunden, warum mein Vater wieder nach Deutschland zurückkehrte, obwohl gerade die Prozesse liefen und Saefkow, Baestlein, Jacob und viele andere im September hingerichtet wurden. Aber genau im September 1944 kehrte er zurück wie übrigens auch Paul Z., obwohl allen klar gewesen sein musste, dass viele der Verhafteten unter der Folter andere Namen preisgegeben hatten. (Walter F. seufzte und schaute wieder zur Decke, ohne zu zwinkern.)

Wissen Sie, es muss einen Grund gegeben haben, sonst hätte man ihn doch nicht zurück nach Deutschland geschickt. Wahrscheinlich sollte er eine neue Inlandsleitung aufbauen, so haben es mir unsere Historiker erklärt. Jedenfalls wurde er direkt bei seiner Rückkehr verhaftet. Da man von seinen Funktionen und Verbindungen wusste, hat man ihn mehrfach fast bis zum Tod gefoltert, aber immer wieder im richtigen Augenblick aufgehört. Mehrfach. Erst Anfang 1945 wurde er im KZ Sachsenhausen ermordet. Jakob Friedrichsen, also mein Vater, wurde in der DDR als einer der großen Helden des Widerstandes gegen den Hitler-Faschismus gefeiert. Das war später für mich erst einmal sehr schön, aber auch belastend. Ich musste immer Vorbild sein. Schon in der FDJ. Ich wurde rumgereicht und musste die Geschichte meines Vaters erzählen, die ich ja auch nur aus zweiter Hand kannte. (Lange Pause)

Meine Mutter hat dann bei der Palucca-Schule als Lehrerin angefangen. Gret Palucca hatte meine Mutter gefragt, ob sie mitmachen wollte, als sie, also Gret, am 1. Juli 1945 ihre Schule neu eröffnen durfte. (Seufzend): Wissen Sie, das gab es eben auch in der SED. Ich habe übrigens die Nazi-Zeit ohne Probleme überstanden – als Halbjude und Sohn eines KPD-Widerstandskämpfers.

(Er unterbricht sich und erklärt nach fünf Sekunden:) Und nun ist Schluss für heute. Aber ich hätte da noch eine weitere Adresse für Sie. Hier ist die eines gewissen Frank Wehlers. Der war auch Gründungsmitglied der VVN.

(Er holt den Kaffee aus der Küche.)

Ende des ersten Auszugs aus dem Interviews mit Walter Friedrichsen.

Verwischt

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