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Transkript des zweiten Interviews mit Walter Friedrichsen am 16. Januar 1989:

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Marie L. (in das Mikrophon): Eine kurze Vorbemerkung. Heute ist der 16. Januar 1989, und ich bin zu meinem zweiten Gespräch bei Walter Friedrichsen in Ostberlin, also in der Hauptstadt der DDR, bei ihm Zuhause. Herr F., das letzte Mal haben Sie mir von ihren Eltern während des Dritten Reiches und besonders während des Krieges erzählt und deuteten am Ende die Schwierigkeiten an, die Sie in der DDR als Sohn eines antifaschistischen Helden gehabt haben. Wollen Sie da fortfahren?

Walter F.: Ich muss auch wieder eine Vorbemerkung machen. Haben Sie etwas von der „Rosa- und Karl-Demonstration“ gestern hier in Berlin mitbekommen?

Marie L.: Nur das, was im Fernsehen bei uns berichtet wurde.

Walter F.: Na ja, das Westfernsehen ist auch meine Hauptinformationsquelle. Mutige Demonstranten mit Forderungen nach mehr Demokratie in der DDR, viele Verhaftungen. Ich hatte eigentlich gedacht, dass Sie da gewesen sein könnten.

Marie L.: Nein, ich halte mich in der DDR zurück. Waren Sie da?

Walter F.: Um Himmels Willen. Nein, ich hatte zwar auch schon im letzten Jahr davon gehört, aber ich bin zu feige, bin immerhin Parteigenosse, außerdem alt.

Marie L.: Na, das sind ja Begründungen. Sie sind etwas über 50 Jahre alt und könnten sich außerdem als Genosse auf Luxemburg und Liebknecht berufen.

Walter F.: Nee, nee, das passt nicht zu meinem Leben, nicht zu meinem ganzen Leben. Aber ich habe gewisse Sympathien für die jungen Leute. Also, ehe ich mich weiter aufs Glatteis begebe, fahre ich fort mit meiner Geschichte. Ich ging schon früh zu den Pionieren, merkwürdigerweise war es meine Mutter, die mich dahin drängte. Warum, ist mir bis heute unklar, aber eigentlich auch nicht. Für sie waren die Kommunisten die Hauptfeinde der Nazis. Sie hatten am meisten riskiert, und ihr Mann wurde als Kommunist von den Nazis umgebracht. Diese Sympathie ging dann später auch auf die SED über. Aber sie sagte immer, man muss aufpassen, dass die Kinder nicht wie bei den Faschisten von den Eltern entfremdet werden. Ich glaube, ich ging schon mit dem dritten Schuljahr zu den Pionieren, ja, die wurden 1948 gegründet, und zwar am 13. Dezember, das wurde dann der Pioniertag in der ganzen Zeit der DDR. Ich war zunächst auch gerne dort; denn die Jugendleiter waren stolz, dass ich als Sohn des großen Jakob Friedrichsen jetzt bei ihnen war. Das begriff ich damals noch nicht, aber es war schmeichelhaft und verschaffte mir eine gute Ausgangsposition. Aber mit den Jahren wurde es lästig, immer wieder die Geschichte, über seinen Widerstand und den Tod meines Vaters in Sachsenhausen zu erzählen. Ich hatte sie mir ja auch anlesen müssen, und die ersten Pionierleiter haben mir auch das beigebracht, was ich dann den anderen Kindern erzählen sollte. Das hatte etwas Absurdes. Später hatte ich mir eine kurze Geschichte meines Vaters aufgeschrieben und sie mit Geschichten von Paul Z. ausgeschmückt – wenn man so will, meine erste Erzählung. Danach, in der FDJ als Pubertierender, habe ich mich dagegen aufgelehnt, als etwas Besonderes hervorgehoben zu werden, weil es nicht meine eigene Leistung betraf, sondern eben die meines Vaters. Irgendwann habe ich mich dann ganz geweigert, stellvertretend für meinen Vater aufzutreten, aber da war ich schon im Zentralrat der Freien Deutschen Jugend, auch nur dank meines Vaters. Immerhin habe ich weiter Erinnerungen anderer an meinen Vater gesammelt. Das wurde dann mein erstes Buch. Ich bin nicht stolz darauf, weil es nur heroisierend war, während die alten Genossen eigentlich Unheroisches berichteten – nicht über meinen Vater, aber über frühere Genossen, die sich bei den Faschisten angepasst hätten, nichts mehr mit den aktiven Kommunisten zu tun haben wollten – aus Angst, natürlich. Als mein Vater einmal einen früheren Genossen in Dresden im Arbeitsamt ansprach, da wohnte er noch still bei meiner Mutter, da hat der laut erklärt: „Heil Hitler, heißt das hier, ja – und quatsch mich nicht mehr von der Seite an, ja?“ Eigentlich hörte ich viel über die Trostlosigkeit des illegalen Lebens, die Entfernung von den Massen, die sichtlich erfreut waren, dass es ihnen – zumindest vor dem Krieg – besser ging, als in den Jahren vor 1933, und besser, als sie dies unter den Nazis erwartet hatten. Ich hörte viel über die Angst, verhaftet zu werden, über das Isoliert-Sein, den andauernden Wohnungswechsel, über das schlechte Gewissen, weil wieder irgendeine Familie, die einen Illegalen aufgenommen hatten, verhaftet worden war. Nichts davon habe ich in meinem ersten Büchlein geschrieben, dabei wäre das interessant gewesen, auch im Sinne der KPD oder SED, denn viele haben dennoch durchgehalten. Ich habe auch einiges über die illegale Arbeit im KZ gehört, wo die illegale Lagerleitung der KPD in mehr als einem Fall mit den Nazi-Wölfen heulen musste, um nicht aufzufliegen. Es gibt einige Fälle, wo sie sich an den Selektionen beteiligt haben, wo sie andere als die Kommunisten an das Messer lieferten. Ich will darüber nicht den Stab brechen, wer kann schon darüber richten, wo es darum ging, die eigenen Stellungen in dieser brutalen Umgebung zu verteidigen. Verstehen Sie?

Marie L. murmelt Unverständliches.

Walter F.: Das können Sie gar nicht verstehen mit Ihrer westlichen Geschichte.

Marie L. (entrüstet). Natürlich verstehe ich, was Sie mir sagen wollen, aber ich will Ihre Geschichten nicht stören.

Walter F.: Nichts davon habe ich geschrieben – auch nicht darüber, wie tief empört alte Genossen über den Ribbentrop-Molotow-Vertrag vom August 1939 waren, der bei Ihnen Hitler-Stalin-Pakt heißt. Und noch mehr, als sie davon hörten, dass nun in den internationalen Häfen, wo man vorher alle Waren nach Deutschland boykottiert hatte, nun plötzlich sowjetische Waren nach Deutschland und umgekehrt weitergeleitet werden sollten. Über alles das wurde nicht geredet in der DDR, obwohl nach dem Krieg eine ganze Menge von Sozialdemokraten nicht mit der KPD in die SED wollten, gerade wegen der Erfahrungen von 1939 bis 1941. (Wieder laut mit Blick an die Decke:) Und eine ganze Menge von holländischen Hafenarbeitern, die den Anarchisten nahestanden, wurde von Kommunisten umgebracht!

Walter F. (senkt den Blick und setzt erbittert, aber leiser fort:) Warum durfte man darüber nicht berichten? Weil es den antifaschistischen Gründungskonsens der DDR in Frage gestellt hätte? So ein Quatsch (schimpft er wieder laut gegen die imaginäre Wanze in der Decke). Aber ich habe darüber nichts geschrieben, obwohl ich es besser wusste, besser wusste, wie schwer Widerstand gegen die Faschisten war. (Und noch leiser:) Ganz anders, als es hier ist.

Marie L.: Wie meinen Sie denn das? Wir sind wieder bei den Nazis gelandet. Eigentlich wollten Sie mir von Ihrem Leben in der DDR berichten.

Walter F.: Vielleicht hängt das zusammen. (Resignierend:) Wollen wir uns über den Kuchen hermachen? Aber bei abgestelltem Tonband?

Marie L. (lacht): Mein Tonband brauchen Sie doch nicht zu fürchten. Ich darf die Tonbänder mit in den Westen nehmen, ohne dass sie kontrolliert werden.

Walter F.: Haben Sie das schriftlich?

Marie L. (zögernd): Nein, nur mündlich, und diese Zusage wurde bisher auch eingehalten. Wenn ein Grenzer meine Taschen durchsuchte, dabei auf die Tonbänder stieß und erklärte: „Sie dürfen keine Tonbänder oder Tonkassetten aus der DDR exportieren!“, dann gab ich denen die Nummer meines Stasi-Kontaktmannes und durfte nach 10 Minuten die Grenze, also die Mauer passieren.

Walter F.: Na, mal sehen. (Er nimmt einen Kuchen, schaut mich an und sagt): Wissen Sie, wie gut mir das tut? Alles mal loszuwerden? Ich werde das sonst nie los, ich bin selbst gefangen in den Begründungen meines Lebens, warum ich immer noch in der SED bin, warum ich so viel Scheiße mitgemacht habe, warum ich nicht von meinen alten Auffassungen lassen kann, obwohl es doch längst nicht mehr gegen die Nazis oder die kapitalistischen Bonzen geht, sondern um uns selbst als herrschende Klasse. (Er beugt sich zu mir herüber und küsst mich.)

Verwischt

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