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Günther Y.: Mein Beobachtungsauftrag, Herbst 1988 (Brief von 2008 an die Journalistin Barbara Köhler)

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Ich hatte mir als früherer Offizier der Staatssicherheit der DDR geschworen, nie wieder ein politisches Wort öffentlich von mir zu geben oder meine persönliche Geschichte irgendeinem Medium zur Verfügung zu stellen. Aber hier geht es um die völlig falsche historische Einschätzung eines Mannes mit angeblich großen Verdiensten. Weil ich wohl der einzige bin, der es besser weiß, habe ich Ihre Fragen zu der Geschichte vom Genossen Z. und von Marie L. wenigstens zum Teil beantwortet.

Ich will Sie an unsere Abmachungen erinnern, an die ich mich bei der folgenden Abschrift gehalten habe: Absolute Anonymität. Alle Namen, die von mir genannt wurden, habe ich gestrichen oder durch unverfängliche Buchstaben ersetzt. Alle persönlichen Fragen zu meiner Person und meine damaligen Antworten habe ich ebenfalls weggelassen. Falls Sie sich nicht an unsere Abmachungen halten, würde ich jeden Kontakt mit Ihnen abstreiten.

Es folgt mein zusammenfassender Bericht.

Ich hatte zu einer Zeit den Auftrag bekommen, Marie L. beobachten zu lassen, da wusste sie noch nicht einmal von der Erlaubnis, in unserem Parteiarchiv arbeiten zu dürfen. Bis ganz nach oben war ihr Antrag gegangen, man möge sie über Juden in der VVN und über deren Nachfolgeorganisation „Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer“ forschen lassen. Auf mittlerer Ebene war sie abgewiesen worden. Ihr zweiter Brief, in dem sie ihr besonderes Augenmerk auf jüdische Mitglieder der VVN und des Komitees legte, sollte schon abgelehnt werden, da meinte mein Vorgesetzter, Genosse Oberst U., selbst aus einer früher jüdischen Familie stammend, das Thema sei nicht uninteressant, ein Wissenschaftler wie Marie L. aus Bündnisschichten der BRD sei glaubwürdiger als ein Historiker aus der Akademie der Wissenschaften der DDR. Immerhin habe sich die DDR hier nichts vorzuwerfen, und er fügte hinzu – ich erinnere mich genau – jedenfalls weniger als die BRD. Ich selbst fand und finde, dass sich die DDR hier überhaupt nichts vorzuwerfen hat.

Genosse Oberst U. gab ihren Brief nach oben. Dort lag er drei Monate in verschiedenen Minister-Vorzimmern. Ich habe mich immer gefragt, mit welchen Unwichtigkeiten die dort ihre Zeit vertrödeln, während Wesentliches liegen blieb. Dann kam die Erlaubnis zurück, sogar mit persönlicher Abzeichnung von Honecker. Aber es gab Auflagen, und die betrafen meine Abteilung. Frau L. sollte beobachtet werden. Sie dürfe nur Personen befragen, bei denen sichergestellt sei, dass sie die Deutsche Demokratische Republik nicht verunglimpfen würden. Ich fand dies etwas übertrieben, denn was sollte Frau L. schon Negatives herausfinden. Als relativ unwichtige Person stufte ich sie ein und stellte deshalb nur die Genossen H. und B. dafür ab. Einer von ihnen saß im Archiv immer mehrere Reihen hinter ihr. Sie arbeitete diszipliniert und effektiv. Ihre Aktenberge türmten sich nach und nach, während meine Männer sich bei der Abfassung liegengebliebener Berichte langweilten. Nach zwei Wochen sahen sie nur noch morgens und abends nach, ob sie etwa fehlte.

Ich glaube, es dauerte mehr als vier Monate, da meldete B., dass benannte Person unter Umgehung der Auflagen nach ganz bestimmten Adressen suchte. Am nächsten Tag fing ich Frau L. ab und klärte ihre Arbeitsbedingungen. Sie versprach, ohne dass ich weiteren Druck ausgeübt hätte, sich daran halten zu wollen. Allerdings knüpfte sie in Verkennung ihrer Lage eine Bedingung an diese Zusage: sie werde sich an die Vorgaben halten, wenn ich „oder wer auch immer hinter Ihnen steht“ ihr helfen würde, sie jüdischen Personen zu empfehlen, die in der VVN oder im „Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer“ eine gewisse Rolle gespielt hätten. Ich glaube, sie begriff erst später, dass wir nur sehr vermittelt empfehlen konnten, wenn wir ihr nicht schaden wollten.

Ich fragte beim Genossen Oberst U. nach, der gab grünes Licht. Aber „sutje, sutje“ meinte er. Zunächst einmal nur eine Adresse. Mal sehen, was passiert.

Wir wählten unseren IM „Sabbat“ aus. Ich hätte ihr schon damals Genossen Paul Z. vermitteln können. Aber der stand noch nicht auf ihrer Liste und war zu hoch in der Parteihierarchie. Vielleicht hätte ich auch den Genossen Z. für zu unsicher gehalten. IM „Sabbat“ hatte dagegen eine lupenreine Biographie, stammte aus der Arbeiterklasse, war nie von den Faschisten gefasst worden und überlebte schließlich mit Hilfe einer deutschen kommunistischen Familie den Faschismus und spielte später im Kulturleben der DDR und in der VVN eine nicht unwesentliche Rolle, weniger in der Partei.

Aber wie das Leben so spielt: Frank Wehler – so nenne ich ihn – wollte sich erst bei seinem Freund Paul Z. erkundigen, ob es seine Richtigkeit hätte, wenn er einer westdeutschen Historikerin etwas über die Anfänge der VVN erzählen würde. Als Marie L. zu ihm kam, wies er sie ab, musste ihr aber gesagt haben, Paul Z. wisse doch ohnehin viel mehr als er. Jedenfalls ging sie danach zur Wohnung der Z.s.

Verwischt

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