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[60]Von der Gemeindeordnung in Amerika

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Nicht zufällig untersuche ich zuerst die Gemeinde. Die Gemeinde ist die einzige Vereinigung, die so durchweg naturhaft ist, dass überall, wo Menschen sich zusammenschließen, von selber eine Gemeinde entsteht.

Die auf der Gemeinde aufgebaute Gesellschaft besteht also bei allen Völkern, welches auch immer ihre Gepflogenheiten und Gesetze seien; Königreiche und Republiken schafft der Mensch; die Gemeinde scheint unmittelbar aus Gottes Hand hervorzugehen. Besteht die Gemeinde auch, seit es Menschen gibt, so ist die Gemeindefreiheit ein seltenes und zerbrechliches Gut. Ein Volk kann jederzeit große politische Körperschaften begründen; denn es finden sich in ihm gewöhnlich eine Anzahl Männer, deren Bildung bis zu einem gewissen Grade die Erfahrung ersetzt. Die Gemeinde ist aus groben Bestandteilen zusammengesetzt, die sich dem Einfluss des Gesetzgebers häufig widersetzen. Die Schwierigkeit, die Unabhängigkeit der Gemeinden zu begründen, nimmt, statt sich zu vermindern, in dem Grade zu, wie die Bildung des Volkes wächst. Eine Gesellschaft von hoher Kultur duldet Versuche zugunsten der Gemeindefreiheit nur widerstrebend; sie empört sich angesichts ihrer zahlreichen Abirrungen, und sie gibt die Hoffnung auf, ehe das Schlussergebnis des Versuches erreicht ist.

Von allen Freiheiten ist die Gemeindefreiheit, die sich so schwer gründen lässt, zugleich am meisten den Einbrüchen der Herrschaft ausgesetzt. Die Gemeindeinstitutionen vermögen, auf sich selbst angewiesen, gegen eine zupackende und starke Regierung kaum anzukämpfen; sollen sie sich erfolgreich verteidigen, so müssen sie voll entfaltet und [61]mit den nationalen Denkweisen und Gewohnheiten verwoben sein. Solange daher die Gemeindefreiheit nicht ein Teil der Sitten geworden ist, gelingt ihre Zerstörung leicht, und in die Sitten kann sie erst eindringen, nachdem sie lange in den Gesetzen wirksam war.

Deshalb entzieht sich die Gemeindefreiheit sozusagen den menschlichen Bemühungen. Auch kommt es selten vor, dass sie geschaffen wird; sie entspringt gewissermaßen aus sich selbst. Sie entwickelt sich fast im Verborgenen, im Schoß einer halb barbarischen Gesellschaft. Sie festigt sich erst im beständigen Wirken der Gesetze und Sitten, der Umstände und vor allem der Zeit. Man kann sagen, dass unter allen Nationen des europäischen Erdteils keine einzige sie wirklich kennt.

Und doch ruht die Kraft der freien Völker in der Gemeinde. Die Gemeindeinstitutionen sind für die Freiheit, was die Volksschulen für die Wissenschaften sind; sie machen sie dem Volke zugänglich; sie wecken in ihm den Geschmack an ihrem friedlichen Gebrauch und gewöhnen es daran. Ohne Gemeindeinstitutionen kann sich ein Volk eine freie Regierung geben, aber den Geist der Freiheit besitzt es nicht. Vorübergehende Leidenschaften, Augenblicksziele, der Zufall der Umstände können ihr die äußere Form der Unabhängigkeit verleihen; aber der ins Innere des sozialen Körpers zurückgedrängte Despotismus erscheint früher oder später wieder an der Oberfläche.

Damit der Leser die allgemeinen Prinzipien richtig verstehe, auf denen die politische Organisation der Gemeinde und der Grafschaft in den Vereinigten Staaten ruht, erschien es mir angezeigt, einen besonderen Staat als Muster zu wählen, im Einzelnen zu untersuchen, was sich darin [62]abspielt, und alsdann einen flüchtigen Blick auf das übrige Land zu werfen.

Ich habe einen der Staaten Neuenglands ausgewählt.

Die Gemeinde und die Grafschaft sind nicht in allen Teilen der Union in gleicher Weise geordnet; es lässt sich jedoch leicht erkennen, dass in der ganzen Union ungefähr die gleichen Grundsätze die Bildung der einen wie der andern bestimmt haben.

Diese Prinzipien schienen mir in Neuengland die bedeutendste Entwicklung genommen und weiter reichende Folgen als sonst wo gezeitigt zu haben. Sie treten deshalb dort deutlicher hervor und sind der Beobachtung durch einen Ausländer zugänglicher.

Die kommunalen Institutionen Neuenglands stellen ein vollständiges und geordnetes Ganzes dar; sie sind alt; sie sind stark durch die Gesetze, noch stärker durch die Sitten; sie üben auf die ganze Gesellschaft einen außerordentlichen Einfluss aus.

Aus allen diesen Gründen verdienen sie unsere Aufmerksamkeit.

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