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[5]Vorwort von Carl J. Burckhardt
1956

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Es ist zu hoffen, dass die deutsche Wiedergabe von Tocquevilles prophetischem Erstlings- und Hauptwerk, Über die Demokratie in Amerika, das in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts erschienen war1 und damals augenblicklich bewunderndes Aufsehen der Zeitgenossen erregt hatte, heute recht vielen deutschen Lesern zum eindringlichen Studium des amerikanischen Phänomens verhelfen wird. Um 1840 klangen Tocquevilles Aussagen wie die Ankündigung überraschender, geistvoller Wetten, deren Einsatz gewagt wurde, weil der Autor eine einzigartige Methode der Deduktion besaß, um seine Einsicht zu gewinnen und zu begründen. Heute, mehr als hundert Jahre später, ist der Verfallstermin der Wette abgelaufen, der geschichtliche Ablauf hat sich vollzogen, der Tatbestand liegt klar vor unseren Augen. Aus solchen wahrhaft mitreißenden geistigen Wagnissen lässt sich große politische Erfahrung gewinnen.

Wer ist Tocqueville? Er erscheint als einzigartiger Beurteiler des Staatslebens nach dem Auftakt der Französischen Revolution. Die Methode, mit der er Funktion, Zusammenhang und Entwicklung der politischen Gemeinschaft untersucht, ist aristotelisch. Zwei große Deutsche haben ihn früh und richtig erkannt: Karl Hillebrand, eine Zeitlang Sekretär Heinrich Heines, einer der größten deutschen Essayisten des 19. Jahrhunderts, und sodann Dilthey.

[6]Dilthey sagt von Tocqueville: »Er ist der Analytiker unter den geschichtlichen Forschern seiner Zeit, und zwar unter allen Analytikern der politischen Welt der größte seit Aristoteles und Machiavelli.« Tocquevilles erstes Werk, Über die Demokratie in Amerika, erschien im Jahre 1835, der zweite Teil des Buches folgte im Jahre 1840. Beim Erscheinen der ersten zwei Bände war Tocqueville 30 Jahre alt. Er war aus keiner Schule hervorgegangen, er ist keiner Gruppe zuzurechnen. Der Erfolg des jungen Autors war ein durchschlagender, in Frankreich ebenso sehr wie in den angelsächsischen Ländern und in Deutschland. Royer-Collard sagte damals, seit Montesquieu sei kein solcher Erfolg zu verzeichnen gewesen. Stuart Mill schrieb eine eindringliche Besprechung dieses Erstlingswerkes.

Tocqueville, der seine öffentliche Laufbahn als Richter begonnen hatte, beendete sie als Außenminister der Ersten Republik nach der 48er Revolution und vor dem Staatsstreich Louis Napoleons. Sein politisches Wirken als Parlamentarier und Staatsmann enttäuschte ihn und ließ sich in seiner Bedeutung in keiner Weise mit dem Wirken des Denkers und Schriftstellers vergleichen.

Sein zweites großes Werk, Die Revolution und das alte Regime, begann er erst nach dem Rücktritt von den Staatsgeschäften. Es ist nicht beendet worden – Tocqueville starb 1859 an einer Krankheit, zu der er den Keim schon früh auf seiner amerikanischen Studienreise erworben hatte.

Aufschluss über seine Person und sein Werk geben seine zahlreichen Korrespondenzen und vor allem seine Erinnerungen, die erst während des Zweiten Weltkrieges ungekürzt erschienen sind.

Wenn in seinen Briefen, den Reden, die er als Mitglied [7]des Institut de France und der Französischen Akademie gehalten hat, vor allem in den erwähnten Hauptwerken die erstaunlichen Urteile des Staatsdenkers, des Soziologen und Historikers hervortreten, so geben die Memoiren das Maß seiner verhaltenen Leidenschaft und einer Menschenkenntnis, die ihn ebenbürtig neben Saint-Simon und La Bruyère stellen.

Es blieb der lebenden Generation nach dem Zweiten Weltkrieg vorbehalten, die oft sensationell wirkende Richtigkeit seiner Voraussagen festzustellen. Vorher wurde er nur gewissermaßen von den seltenen Gipfeln aus, den bedeutendsten Köpfen des 19. Jahrhunderts erkannt. Zur Zeit der Dritten Republik bis 1914 wurde er, vor allem in seinem eigenen Lande, den Liberalen zugerechnet; und als Liberaler wurde er vergessen und nicht mehr gelesen. Von den Liberalen aber unterscheidet er sich in entscheidenden Zügen, vor allem durch seinen Freiheitsbegriff, der im Religiösen wurzelt. Er hat die beiden hauptsächlichsten Gefahren der Demokratie vorausgesagt: Anarchie und Diktatur – in beiden Fällen das Entstehen einer erdrückenden Beamtenschaft. Er hat die Konsequenzen aus den drei Postulaten der Französischen Revolution gezogen: aus der Freiheit, an der er, nach den Worten eines seiner Zeitgenossen, »hing wie Pascal an seinem Kreuz«, der Freiheit, um deren Zukunft er bangte; aus der Gleichheit sodann und ihrem Entwicklungsgang zur Vermassung hin, und endlich aus dem Nationalismus. Er hat das Verschwinden des Privatbesitzes vorausgesehen. Die Lage Europas, wie sie sich hundert Jahre nach der Niederschrift seiner Werke darstellen würde, erkannte er als eingespannt in das Gegensatzpaar: Amerika, bewohnt von 150 Millionen weithin gleichgearteten [8]Menschen, die, bewegt von schwankender, allmächtiger öffentlicher Meinung, mit den Mitteln der Technik der Natur alle denkbaren materiellen Werte abringen – und Russland, das mit seinen einem einzigen Willen unterworfenen Massen dasjenige bekämpft, was einst den Namen der Zivilisation erhalten hatte, und den Träger dieser Zivilisation, den »menschlichen Menschen«.

Über die Demokratie in Amerika

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