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Andere Befugnisse der amerikanischen Richter

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Selbstverständlich haben – ich brauche das wohl kaum zu erwähnen – bei einem freien Volk wie den Amerikanern alle Bürger das Recht, die öffentlichen Beamten vor den ordentlichen Gerichten zu verklagen, und selbstverständlich haben die Richter das Recht, sie zu verurteilen.

Räumt man den Gerichten das Recht ein, die Beamten der vollziehenden Gewalt zu bestrafen, so gesteht man ihnen kein besonderes Vorrecht zu, man würde sie vielmehr andernfalls eines natürlichen Rechtes berauben.

Ich hatte in den Vereinigten Staaten nicht den Eindruck, [105]dass die Verantwortlichkeit der Beamten das Handeln der Verwaltung lähmt.

Im Gegenteil, die Amerikaner schienen mir dadurch den Respekt vor den Beamten vergrößert zu haben, da die Beamten sich mehr Mühe geben, der Kritik zu entgehen.

Auch habe ich nicht beobachtet, dass man in den Vereinigten Staaten viele politische Verfahren anstrengt, und ich kann mir das leicht erklären. Jeder Prozess ist ein schwieriges und kostspieliges Unternehmen. Es ist einfach, einen Beamten in den Zeitungen anzugreifen, aber man entschließt sich nur aus gewichtigen Gründen dazu, ihn vor Gericht zu fordern. Um einen Beamten gerichtlich zu verfolgen, muss man einen triftigen Grund zur Klage haben; und die Beamten verhelfen kaum noch zu einem solchen Grund, wenn sie fürchten müssen, gerichtlich verfolgt zu werden.

Das beruht nicht auf der republikanischen Staatsform der Amerikaner, denn die gleiche Erfahrung können wir in England machen. Diese beiden Völker waren nicht der Meinung, ihre Unabhängigkeit bereits gesichert zu haben, wenn sie die obersten Beamten der richterlichen Kontrolle unterwarfen. Sie glaubten vielmehr, die Freiheit durch kleine Verfahren, die auch dem einfachen Bürger täglich zu Gebote stehen, eher zu sichern als durch Riesenverfahren, zu denen man kaum jemals seine Zuflucht nimmt oder die man zu spät anstrengt.

Im Mittelalter, als man der Verbrecher nur schwer habhaft wurde, geschah es oft, dass die Richter, wenn sie einmal einen gefangen hatten, dem Unglücklichen grausame Martern auferlegten; das minderte aber die Zahl der Straffälligen nicht. Seitdem ist man zu der Überzeugung [106]gelangt, dass die Strafen wirksamer sind, wenn man sie sicherer und zugleich milder ausgestaltet.

Nach Ansicht der Amerikaner und Engländer muss man die Willkür und die Tyrannei wie den Diebstahl behandeln: die Verfolgung erleichtern und die Strafe mildern.

Im Jahre VIII der Französischen Republik trat eine Verfassung in Kraft, deren Art. 75 folgendermaßen lautete: »Die Staatsbeamten, mit Ausnahme der Minister, können für im Zusammenhang mit ihren Amtspflichten begangene Handlungen nur aufgrund einer Entscheidung des Staatsrates verfolgt werden; in diesem Fall findet das Verfahren vor den ordentlichen Gerichten statt.«

Die Verfassung des Jahres VIII besteht nicht mehr, aber dieser Artikel hat sie überdauert; und man hält ihn noch täglich den berechtigten Beschwerden der Bürger entgegen.

Ich habe oft versucht, Amerikanern oder Engländern den Sinn dieses Art. 75 begreiflich zu machen, und es ist mir stets nur unter Schwierigkeiten gelungen.

Zunächst glaubten sie, der französische Staatsrat sei ein großer Gerichtshof im Herzen des Landes; sie fanden, es sei eine gewisse Tyrannei, alle Kläger zunächst einmal an ihn zu verweisen.

Aber sobald ich versuchte, ihnen zu erklären, dass der Staatsrat keineswegs ein Gerichtshof im gewöhnlichen Sinne des Wortes sei, sondern ein Verwaltungskörper, dessen Mitglieder vom König abhängen, so dass der König, nachdem er dem einen seiner Diener, dem sogenannten Präfekten, befohlen hatte, eine Ungerechtigkeit zu begehen, nun einem anderen seiner Diener, dem sogenannten Staatsrat, befehlen konnte, die Bestrafung des Ersten zu verhindern; wenn ich ihnen zeigte, dass der auf Befehl des [107]Königs in seinen Rechten verletzte Bürger nun vom König selbst die Erlaubnis erbitten musste, sein Recht zu erlangen, dann weigerten sie sich, eine so offensichtliche Unmöglichkeit zu glauben, und schalten mich einen Lügner oder Ignoranten.

In der alten Monarchie kam es oft vor, dass das Parlament einen Haftbefehl gegen einen Beamten erließ, der ein Delikt begangen hatte. Manchmal schaltete sich dann der König ein und ließ den Haftbefehl aufheben. Darin zeigte sich der Despotismus vor aller Augen, und indem man sich ihm beugte, unterwarf man sich der nackten Gewalt.

Wir sind also weiter zurück als unsere Vorfahren; denn wir lassen unter der Maske der Gerechtigkeit geschehen und im Namen des Gesetzes bestätigen, was ihnen nur die nackte Gewalt aufzwang.

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