Читать книгу Der Fluch des Mechanicus - Alf Leue - Страница 12
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ОглавлениеWurde aber auch Zeit“, sagte Jokoff Cramer ungehalten zu seinem Sohn, als dieser mit dem Bündel unter dem Arm das Kontor betrat. „Was hat denn so lange gedauert?“ Gregers Vater hatte bereits fünfundvierzig Jahre durchgestanden, aber dieses war gewiss eines der härtesten in seinem Leben. Sein heller Schnurrbart, der ihm fast bis ans Kinn hinabreichte, unterstrich das sorgenzerfurchte Gesicht. Die vollen blonden Haare, die Greger von ihm geerbt hatte und auf die er immer ganz besonders stolz gewesen war, hingen ungepflegt und strähnig halblang auf seinen Nacken herab. Die einstmals stolze Kaufmannskleidung war fadenscheinig und mehr als einmal von seiner Frau Agnes ausgebessert worden.
Greger legte Abrahams Waren vor seinen Vater auf den Tisch. „Ach, du kennst doch Abraham Siebenthal. Er hat immer etwas zu erzählen und schwatzt viel dummes Zeug. Außerdem soll ich dir eine wichtige Nachricht überbringen.“
„Eine wichtige Nachricht, so, so“, bemerkte Jokoff Cramer desinteressiert und wickelte die Spangen aus dem Tuch. Er betrachtete sie prüfend. Sie waren sauber gearbeitet. Er würde sie an seine Kunden weiterverkaufen oder für Reparaturen verwenden. Einige würde seine Frau zu Schmuckstücken aufarbeiten. In jedem Fall aber versprachen sie wenigstens ein klein wenig Gewinn.
„Konntest du bei Abraham anschreiben?“
„Ja, Vater, sonst hättest du die Spangen wohl kaum vor dir liegen, denn Geld habe ich keines, wie du weißt“, antwortete Greger spitzer, als er es beabsichtigt hatte.
Jokoff Cramer zuckte kurz zusammen. „Sei nicht so vorlaut. Meinst du, es bereitet mir Freude, überall Schulden zu machen? Ich würde auch lieber mit barer Münze bezahlen und das eine oder andere Skonto mitnehmen. Ich kann es aber nicht im Moment.“
„Ja, ich weiß. Es tut mir Leid“, entgegnete Greger kleinlaut. „Aber Abraham hat dir ein Geschäft vorzuschlagen und vielleicht ist es ja diesmal etwas Lukratives? Er bittet dich nämlich ...“
Jokoff hob die Hand. „Ja, ja, später“, wiegelte er ab. „Komm Greger, geh und feg’ noch rasch den Hof, während ich die Spangen einsortiere. Aber spute dich ein wenig, wir wollen zu Abend essen.“
„Ja, Vater“, antwortete Greger wenig erfreut über diese lästige Aufgabe. Er nahm sich den Reisigbesen, der in der Raumecke stand, und verschwand durch die Hintertür auf den Hof hinaus. Jokoff sah ihm betrübt nach. Wie gerne würde er seinem Sohn einmal ein gut gehendes Kontor vermachen, so wie es ihm selbst von seinem Vater überlassen worden war. Aber dieser Wunsch schien in weite Ferne gerückt zu sein. Er befreite die Spangen vollends aus dem Tuch und verstaute sie einzeln unter dem Tisch in einer Schublade. Dann nahm er die Schatulle mit dem Wechselgeld hervor und verriegelte die Ladentür, wie er es jeden Abend tat. Jokoff hatte nicht die Absicht, während er schlief auch noch einem Dieb die dürftigen Einnahmen zu überlassen, die das Kontor abwarf. Langsam ging er in die Küche, die auch gleichzeitig als Wohn- und Esstube diente, und zog die Tür hinter sich zu. Er nahm seine Mütze vom Kopf und legte sie auf die Küchenbank neben dem Esstisch. Dort saß bereits Gregers vier Jahre jüngere Schwester Grite und lächelte ihn an. Agnes Cramer hob den schweren Gusstopf mit der Kräutergrütze vom Haken über dem Herd und stellte ihn auf den Tisch. Jokoff setzte sich auf den Stuhl an der Stirnseite und stützte den Kopf auf seine Hände. Er starrte ins Leere. Kurz darauf betrat auch Greger die Stube. Er zog sich die Jacke aus und nahm neben seiner Schwester Platz. Donnerstags war es an Grite, das Tischgebet zu sprechen.
„Jedes Tierlein hat sein Essen, jedes Blümlein trinkt von dir, hast auch unser nicht vergessen, Lieber Gott, hab’ Dank dafür.“
„Amen“, sagten alle im Chor. Agnes tat Jokoff als Erstem mit dem hölzernen Schöpflöffel eine Portion Grütze auf. Danach gab sie ihren Kindern und nahm dann erst sich selbst. Lustlos stocherte Jokoff in dem Getreidebrei herum. Agnes ergriff seine Hand.
„Du musst mehr essen, mein Liebster. Verhungern kannst du auch später noch, wenn es Grund dazu gibt.“
Jokoff blickte auf und sah in ihr hübsches Gesicht, das von goldblonden Haaren umrahmt wurde. Er liebte selbst die kleine Narbe über der Lippe an ihr. Agnes war über zehn Jahre jünger als Jokoff und seine zweite Frau. Die erste hatte die Schwindsucht schon nach drei kinderlosen Ehejahren dahingerafft. Es schien fast so, als wolle der Herrgott nicht eine einzige Prüfung in Jokoffs Leben auslassen. Er strich ihr zärtlich über die Wange und nickte. „Ja, du hast recht. Aber mir vergeht jeden Tag der Appetit, wenn ich in die Münzkassette schaue.“
„Wie gerne würde ich uns wieder einmal etwas Gesottenes auftischen oder ein fettes, gebratenes Huhn, aber ich wüsste nicht, womit ich das bezahlen sollte“, stöhnte Agnes.
„So war es auch nicht gemeint, mein armes Weib. Du musst diese Grütze ja auch jeden Tag essen und ich würde dir gerne ein anderes Leben schenken. Aber ich vermag es wohl nicht.“
Agnes winkte ab. „Du tust, was du kannst. Das weiß ich. Und der Herrgott weiß es auch. Er wird uns helfen.“
„Wenn ihm danach ist“, fügte Jokoff resigniert hinzu und schenkte sich einen großen Krug Dünnbier ein. Es war das Einzige, was ihm noch wirklich schmeckte. Der Gerstensaft vertrieb ihm den Kummer immerhin ein wenig. Der Krug ging reihum und jeder füllte sich seinen Becher.
„Was ist denn nun mit der angeblich so wichtigen Nachricht von Abraham?“, wollte Jokoff wissen und sah seinen Sohn fragend an.
Schmatzend antwortete Greger: „Ja, also er bittet dich, ihn morgen Abend unbedingt in seinem Laden aufzusuchen. Er sagte mir, er habe dir ein sehr ertragreiches Geschäft vorzuschlagen.“
Agnes Cramer verdrehte die Augen und ließ den Löffel in die Grütze fallen. „Oh Himmel, was ist es denn diesmal? Wieder so eine Erfindung von ihm, die uns nur Ärger einbringt?“
„Na, ja“, sagte Greger, „es ist schon eine Erfindung, aber er hat es mit solcher Überzeugung erzählt, dass ich nicht sicher bin, ob sie diesmal vielleicht nicht doch etwas taugt.“
„Gewiss mit derselben Überzeugung, mit der er uns schon diese unbrauchbare Hammerschere und diesen Prügelstab angepriesen hat“, sagte Agnes kopfschüttelnd. „Was soll es denn diesmal sein?“
Greger zögerte. Er blickte abwechselnd in die fragenden Gesichter seiner Mutter und seines Vaters.
„Hat es dir die Sprache verschlagen, Sohn?“, wollte Jokoff wissen.
„Nein“, druckste Greger herum, „aber ich habe Abraham versprechen müssen, es nur dir allein zu sagen. Außerdem weiß ich auch nicht viel mehr.“
Empört fuhr Agnes auf. „Was soll diese Heimlichtuerei? Was denkt sich dieser Mann? Wenn du auch nicht viel mehr weißt, dann kannst du es ja getrost sagen, oder?“
Jokoff Cramer legte beschwichtigend die Hand auf den Arm seiner Frau. „Komm Agnes, lass es gut sein. Wir wollen doch Greger nicht dazu verleiten, sein Wort zu brechen. Und sicher hast du recht. Es wird wieder so eine von Abrahams zusammengebastelten, dummen Spielereien sein. Ich werde dem alten Wirrkopf den Gefallen tun. Viele Lieferanten, bei denen ich noch anschreiben kann, haben wir nämlich nicht mehr und ich will es mir mit ihm nicht auch noch verderben. Auch wenn man den Juden Raffgier nachsagt, so kann ich das nun wirklich nicht bestätigen. Denn er hat sich noch nie beklagt, dass ich zu spät gezahlt habe, und seine Preise waren niemals Wucher. Wenn sein Herz so daran hängt, wie es scheint, dann werde ich ihn morgen Abend besuchen. Danach erzähle ich es dir sowieso.“
Agnes grummelte ein „Tu, was du nicht lassen kannst“ und wandte sich wieder ihrer Grütze zu.
„Morgen werden wir mehr wissen und etwas Schlimmeres als ein abendlicher Spaziergang wird es wohl nicht werden.“ Hätte Jokoff Cramer auch nur geahnt, wie sehr er sich damit täuschen sollte, er wäre niemals gegangen.