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PROLOG

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Florenz Freitag nach St. Martinus 12. November Anno Domini 1494

„Ihr seid zu spät“, ärgerte sich Sebastiano.

Der Mann zog die Kapuze seines Umhangs zurück und strich sich durch die pechschwarzen Haare. Wasser lief ihm in dünnen Rinnsalen ins Gesicht und folgte seinen kantigen Zügen. Er machte dem Wirt ein Zeichen und zeigte wortlos auf Sebastianos Wein.

„Aber jetzt bin ich da“, entgegnete er ruhig. „Es ist ein Sauwetter da draußen und außerdem wollt Ihr nicht gerade nur einen Sack Getreide kaufen. Da sollte man etwas vorsichtiger sein, oder?“

Sebastiano zuckte zusammen, doch niemand in der überfüllten Schänke schien auf das Gesagte aufmerksam geworden zu sein. Unzählige Männerstimmen und die vereinzelten, lüsternen Schreie der Dirnen vermengten sich mit dem Stoßen der Tonkrüge und dem dichten Qualm der Kienspanleuchten, Kerzen und Kräuterpfeifen zu einem Brei, durch den kein klares Wort seinen Weg finden konnte. Niemand würde je auf den Gedanken kommen, dass in dieser heruntergekommenen Schänke wertvolles Wissen gehandelt werden sollte. Wissen, das so mächtig war, dass die Schätze aller Fürsten des Abendlandes womöglich nicht ausreichen würden, um es aufzuwiegen.

Ein betrunkener Tagelöhner stürzte unter dem Gejohle seiner Saufkumpane von der Bank und polterte vor die Füße einiger Huren mit grell geschminkten Gesichtern, die kreischend die Röcke hoben. Ein anderer Gast übergab sich quer über den Tisch und erntete dafür wüste Beschimpfungen seiner Nachbarn. Hier war alles versammelt, was Florenz an Armut und Abschaum zu bieten hatte, nur niemand von Rang und Namen. Sebastiano wurde aus seinen Gedanken gerissen, als der Wirt wortlos einen Krug mit Wein und einen Becher auf den Tisch donnerte und Sebastianos Gegenüber auffordernd ansah. Der Wein schwappte über den Rand des abgestoßenen Kruges und Sebastiano wollte besser gar nicht erst wissen, wann dieses Gefäß das letzte Mal klares Wasser aus der Nähe gesehen hatte. Den Mann schien das aber nicht weiter zu stören. Er zog eine Münze aus seiner Geldkatze und warf sie vor den Wirt auf den Tisch. Der prüfte sie kurz auf ihre Echtheit und verschwand schnell wieder im Gewühl seiner Gäste.

„Habt Ihr es?“, flüsterte Sebastiano aufgeregt.

Der Mann sah ihn an, schenkte sich Wein in den Becher, nahm seelenruhig einen tiefen Zug und wischte sich den Mund mit dem Handrücken sauber. Dann beugte er sich nach vorne. „Gewiss. Wie verabredet. Habt Ihr das Geld?“

Sebastiano klopfte sich auf die Brust. Es klimperte gedämpft durch den Stoff.

„Gut“, sagte der Mann, „ich vertraue Euch. Aber Gnade Euch Gott, wenn Ihr versuchen solltet, mich hinters Licht zu führen, dann ...“ Er führte den Daumen in einer unmissverständlichen Bewegung an seiner Kehle entlang und starrte Sebastiano drohend in die Augen.

„Nein, nein, wo denkt Ihr hin. Alles wie abgesprochen“, beschwichtigte ihn Sebastiano. „Ein Pfund Silber in Münzen und nicht ein Gran weniger.“

Zufrieden lehnte sich der Mann zurück und lächelte.

„Na, dann sind wir uns ja einig.“

„Wo ist es?“, wollte Sebastiano ungeduldig wissen.

Ohne zu antworten, zog der Mann einen länglichen Lederköcher aus dem Umhang hervor und gab ihn an Sebastiano weiter. Hastig nahm dieser den Köcher, entknotete den Riemen, der ihn verschlossen hielt, und zog vorsichtig ein vergilbtes Dokument hervor. Unauffällig entrollte er es zwischen sich und der Tischkante. Das alte Pergament knisterte verheißungsvoll. Mit zittriger Hand nahm Sebastiano die Ölleuchte vom Tisch und besah sich das Schriftstück eingehend. Skizzen, geometrische Figuren, Berechnungen und kleine Zeichen tanzten vor seinen Augen im Schein der Flamme. Schließlich stellte er die Leuchte zurück, rollte das Dokument zusammen und verstaute es wieder sorgsam im Lederköcher.

„Könnt Ihr denn Griechisch lesen?“, fragte der Mann mit einer Mischung aus Hohn und Verwunderung.

„Nein, aber ich erkenne es. Und das hier ist Griechisch. Ein äußerst seltenes Dokument und sehr alt. Vielleicht werdet Ihr Euch über den heutigen Tag noch ärgern, an dem Ihr es mir für so wenig Silber überlassen habt.“

Der Mann lachte. „Wollt Ihr nun selbst den Preis hochtreiben? Es war ein glücklicher Zufall, dass wir uns vor zwei Wochen auf dem Markt begegnet sind. Und wie gut, dass ich darüber erfahren konnte, wie sehr Ihr in alte Schriften vernarrt seid und dafür auch etwas springen lassen wollt. Glück für mich, denn mir ist eine Katze voller Silberstücke in der Hand lieber als der Traum von zehn Kisten Gold. Aber vielleicht werdet Ihr auch diesen Tag einmal verdammen, denn auf diesem Stück bekritzelter Ziegenhaut soll ein Fluch liegen. Das sagte mir zumindest ein gelehrter Geistlicher aus Ravenna, dem ich dieses Schriftstück vor Euch angeboten habe. Das Mönchlein hat nur kurz darauf geschaut und ist dann kreidebleich und Kreuze schlagend davon gelaufen. Das sei wider Gott und ein Werk des Teufels, hatte er gestammelt. Ketzerisch und verflucht sei es. Aber ich glaube nicht an solchen Unfug“, fügte er lächelnd hinzu. „Was wollt Ihr überhaupt damit anstellen?“

Sebastiano antwortete ausweichend: „Ich liebe alte Schriften, das ist alles.“

Der Mann schüttelte ungläubig den Kopf. „Ihr kauft für viel Geld etwas, von dem Ihr nicht wisst, was es wert ist, nur weil Ihr es liebt? Pah, Ihr seid entweder ein Narr, ein Lügner oder gleich beides zusammen!“

„Denkt, was Ihr wollt“, entgegnete Sebastiano knapp.

Der Mann stürzte den restlichen Wein in einem Zug hinunter und schob sich die Kapuze wieder über den Kopf „Das mache ich immer, auch ohne Eure werte Erlaubnis. Nun fehlt mir nur noch eine Kleinigkeit, um mein Glück zu vervollkommnen.“ Mit diesen Worten legte er fordernd seine geöffnete Hand auf den Tisch. Sebastiano nestelte sofort den Geldbeutel unter seinem Umhang hervor und ließ ihn dem Mann in die Hand fallen. Der sah hinein und schätzte das Gewicht prüfend ab. „Und Ihr seid Euch sicher, dass Ihr Euch nicht rein zufällig verzählt habt?“, fragte er drohend.

„Ganz sicher.“

Der Mann nickte zufrieden, steckte den Beutel ein und erhob sich. Grußlos drehte er sich um und schritt zum Ausgang. Doch dann kam er plötzlich unvermittelt zurück. Er stützte sich mit den Armen auf dem Tisch ab und beugte sich tief hinunter, so dass sein Gesicht ganz nah an dem Sebastianos war. Sebastiano konnte den Atem des Mannes spüren, als er ihm die Warnung ins Ohr flüsterte: „Eines sei Euch noch gesagt, mein närrischer Freund, ich hätte es fast vergessen. Wenn Ihr vielleicht vorhaben solltet, das Dokument weiterzuverkaufen, dann tut das meinetwegen. Es ist jetzt Eures und steht Euch daher frei. Aber tut uns beiden einen großen Gefallen und verkauft es nicht hier in Florenz. Niemals! Es gehörte mächtigen Leuten und auch wenn sie nun die Stadt verlassen mussten, so reichen ihre Krallen überall hin. Verkauft es weit, weit weg von hier, am besten jenseits der Alpen. Es haftet Blut an diesem Dokument, was auch immer darin geschrieben stehen mag. Und eine Blutschuld kann immer nur mit Blut wieder getilgt werden.“

Als Sebastiano aufblickte, konnte er nur noch einen schwarzen Umhang aus der Schänkentür hinaus in die verregnete Neumondnacht verschwinden sehen.

Der Fluch des Mechanicus

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