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Greger sprach kein Wort beim Abendessen. Seine Mutter musste ihn nur anschauen. Sie wusste sofort, dass es Dorothye war, und gab ihrem Mann mehr als einmal Zeichen bei Tisch, Greger nicht weiter zu fragen, warum er so lustlos in seinem Essen herumstochere. Jokoff, wie Männer in solchen Dingen eben oft sind, zuckte nur mit den Schultern und machte sich gleich nach dem Essen auf zu Abraham Siebenthal. Noch eine Stunde, dann würde es zu dämmern beginnen. Es blieb nicht mehr viel Zeit bis zum Torschluss. Nahmen es die Wachen an den innerstädtischen Toren zur Judengasse auch nicht ganz so genau wie die an Frankfurts Stadttoren, so hatte Jokoff dennoch keine Lust auf Diskussionen. Aber er würde ohnehin nicht allzu lange benötigen, um zu erkennen, welchen Humbug ihm Abraham wieder einmal aufschwatzen wollte. Er seufzte. Wie schön wäre es hingegen, wenn ihm der alte Zausel vielleicht doch ein zumindest einigermaßen ertragreiches Geschäft vorzuschlagen hätte. Doch Jokoff verbat sich diesen Gedanken. Die Zeiten waren schwer genug und da war kein Platz für falsche Hoffnungen.

Als er Abrahams Laden betrat, wurde er schon von ihm erwartet. „Ah, Herr Cramer. Schön, dass Ihr kommen konntet. Tretet doch näher.“ Abraham kam hinter seiner Theke hervorgeeilt und streckte Jokoff Cramer die Hand entgegen.

„Hallo, Herr Siebenthal. Greger sagte mir, Ihr hättet mir ein Geschäft vorzuschlagen. Was ist es?“

Abraham erschrak und legte den Finger auf den Mund. Hastig ging er zur Tür und schloss zweimal ab. „Ihr kommt ja gleich zur Sache. Aber bitte nicht hier, Herr Cramer“, flüsterte er, „folgt mir.“

Abraham schob sich an dem Kaufmann vorbei und stieß dabei einige der Körbe an, die von der Decke hingen. Sie pendelten in kleinen Ellipsen sanft hin und her. Er stieg über einen unsortierten Haufen Lederriemen hinter die Theke, schob den roten Vorhang zur Werkstatt zur Seite und verschwand dahinter. Jokoff sah ihm stirnrunzelnd nach und fragte sich in diesem Augenblick, was er im Haus dieses Verrückten eigentlich zu schaffen hatte. Hatte er sich tatsächlich ein echtes Geschäft mit diesem wundersamen Kauz vorgestellt, der sich einbildete, ein begnadeter inventoris zu sein? Jokoff wollte nach Hause zu Agnes, den Kindern und einem Bier. Er hatte Besseres vor, als seine Zeit mit Abraham Siebenthal zu vergeuden. Der Vorhang wurde ruckartig ein Stück beiseitegeschoben und Abrahams Kopf tauchte inmitten des fadenscheinigen Stoffgebirges auf. „Was ist nun, Herr Cramer?“, fragte er ungeduldig. Sein Bart zitterte erregt. „Worauf wartet Ihr? Hier hinein, rasch, rasch!“

Jokoff gab auf. Er musste es nun wohl oder übel über sich ergehen lassen. Er hätte besser gleich abgelehnt. Nun war es zu spät. „Ja, ja, ich komme.“ Jokoff Cramer stolperte über den Haufen aus Lederriemen, schob den Vorhang zur Seite und erschrak. Vor ihm stand Abraham Siebenthal in seiner Werkstatt. In all den Jahren hatte Jokoff noch nie einen Blick hier hineingeworfen. Es hatte auch nie Grund dazu bestanden. Doch nun befand er sich in der Zauberstube eines Alchemisten. Die Werkstatt hatte keine Fenster. Nur das Licht von unzähligen Kerzen erhellte den Raum dürftig. Die Flammen atmeten unruhig auf ihren Dochten und malten lange Schattenbilder an die vollgestellten Wände. Es war stickig und warm und nicht ein Fußbreit freier Raum fand sich noch in dieser Kammer. In der Mitte stand ein Tisch mit unzähligen Brandspuren, höchstwahrscheinlich von siedenden Hexengebräuen, die giftig schäumend über den Rand der Tiegel gestiegen waren und am Holz der Platte gefressen hatten. An allen Wänden Arbeitsbänke, über und über voll mit Apparaturen, Röhrchen, Töpfen und Gestellen. Über den Bänken Regalbretter an den Wänden, die ein Buch neben dem anderen verwahrten. Hebräische Schriften standen neben lateinischen, ja selbst die Schriftzeichen der gottlosen Muselmanen konnte Jokoff Cramer auf einigen Buchrücken entdecken, wenn er sich nicht täuschte. Der Schock stand ihm ins Gesicht geschrieben und Abraham Siebenthal sonnte sich darin.

„Was ist das hier, um Gottes willen?“, stammelte Jokoff Cramer.

Abraham breitete die Arme aus, legte den Kopf in den Nacken und drehte sich mit wehendem Bart im Kreis wie ein spielendes Kind. „Willkommen in meiner Werkstatt“, rief er lachend und ließ sich schließlich auf einen derben Holzschemel vor dem Tisch plumpsen. „Was sagt Ihr?“

Jokoff ging zögerlich einige Schritte im Raum umher und besah die Apparaturen aus der Nähe. Er traute sich jedoch nicht, sie zu berühren. Die Kerzenflammen malten kleine, dämonische Feueraugen auf ihre metallenen Oberflächen. „In Gottes Namen sagt es frei heraus, Abraham. Seid Ihr ein Zauberer? Ist das Hexenwerk? Damit will ich nichts zu schaffen haben!“

Abraham lachte wie ein Vater, dessen Sohn eine über die Maßen dumme Frage gestellt hatte. „Zauberei? Hexenwerk? Nein, gewiss nicht. Das ist scientia, Herr Cramer, Wissenschaft. Ich führe die Alchemie mit der Mechanik zusammen. Sie sollen sich küssen und befruchten. Doch, bis vor Kurzem noch, war mir jede Hoffnung geschwunden, dass ich sie jemals miteinander verkuppeln würde können. Jahr um Jahr habe ich es im Verborgenen versucht und es ist mir nicht gelungen. Alle meine kleinen, erfolglosen Erfindungen, von denen Ihr ja einige kennt, sind nur der Not entsprungen, um ein wenig hinzuzuverdienen, damit ich meine Nachforschungen und Versuche fortführen konnte. Matze, Pastinaken und Kohl habe ich gegessen, tagein, tagaus. Jeden Pfennig in meine Apparaturen, meine Kinder, gesteckt. Doch es wollte und wollte mir nicht gelingen. Bis vor etwas mehr als fünf Monaten. Denn da hat das Schicksal, ja vielleicht Gott selbst, mir einen Fingerzeig gesandt. Ein geheimes Dokument. So alt und von so weit her, dass man es vergessen hatte. Es wird mir gestatten, in diesem Haus endlich ein Wunder zu vollbringen. Die Mechanik wird die Alchemie begatten. Sie werden uns ein Kind gebären. Es wird uns solch unermessliche Reichtümer schenken, dass jeder König all seine Ländereien dafür hergäbe. Ich“, donnerte Abraham und sprang plötzlich zu dem völlig verdutzten Jokoff Cramer auf, „ich werde es erschaffen, das Wunder, so groß und machtvoll wie das Feuer, das Prometheus einst den Göttern stahl und zu den Menschen brachte.“

Jokoff Cramer taumelte einen Schritt zurück. Abrahams Augen waren entflammt vor Begeisterung und Jokoff war sich nicht sicher, ob aus ihnen ein genialer Hexenmeister oder einfach nur ein Wahnsinniger sprach. Beides gefiel ihm ganz und gar nicht. Er wäre gerne auf der Stelle verschwunden. Abraham bemerkte Jokoffs erschrockenes Gesicht. „Ihr wisst nicht, wovon ich spreche, nicht wahr? Wie solltet Ihr auch? Verzeiht, ich wollte Euch nicht ängstigen. Glaubt mir, es ist nichts Gottloses daran und auch keine Hexerei, der ich im Übrigen nicht mächtig bin.“ Abraham lächelte und ging zu einem der Bücherregale. Hinter einem Stapel dicker Folianten zog er einen braunen, länglichen Lederköcher hervor, der mit einem Riemchen aus demselben Material verknotet war. Abraham Siebenthal öffnete den Köcher mit fahrigen Fingern und zog behutsam eine Schriftrolle daraus hervor.

„Seht her, Herr Cramer. Das“, er entrollte das knisternde Pergament sorgsam auf dem Werktisch und beschwerte jede Ecke mit einem Stück Blei, „ist eine Bauanleitung. Eine Konstruktion aus dem alten Griechenland. Ich habe sie bereits gänzlich entschlüsselt und übersetzt.“

Zögerlich trat Jokoff Cramer näher und sah Abraham über die Schulter. „Auch wenn ich es nicht verstehe, so sieht es nicht danach aus. Was sind das für seltsame Zeichen? Ist das Hexenschrift?“

Abraham verdrehte die Augen. „Das ist Griechisch, keine Hexenschrift“, erläuterte er entnervt. Jokoff Cramer beugte sich noch tiefer über das Dokument. Ja, das könnte stimmen. Jokoff meinte, einige der Zeichen schon einmal bei einem Mathematicus in Frankfurt gesehen zu haben. Langsam beruhigte er sich wieder.

„Gut, Griechisch also. Doch Ihr spracht davon, dass es eine Bauanleitung sei. Aber wofür?“

Abrahams Miene wurde ernst. Er wandte sich zu Jokoff Cramer um. „Könnt Ihr ein Geheimnis bewahren? Ein Geheimnis so groß, dass es für eine Seele allein zu schwer ist? Könnt Ihr bei Gott und Eurem eigenen Leben schwören, es niemals außerhalb dieser Mauern zu erwähnen und mit keinem Menschen darüber zu reden? Verflucht und des Todes sollt Ihr sein, wenn Ihr diesen Schwur brecht. Schwört es bei Gott und auf Euer Leben!“

Jokoff dachte nach. War es nur Humbug, so müsste er es niemandem erzählen. Wäre es jedoch tatsächlich ein so großes, gewinnträchtiges Geheimnis, dann wäre es ohnehin unklug, jemand anderem davon zu berichten. Schließlich nickte er. „Ja, ich schwöre es bei Gott und auf mein Leben!“

Abraham holte tief Luft. „Dann will ich es Euch verraten. Vor uns liegt die vergessene Anleitung zum Bau einer Goldmaschine. Es ist der Plan zum Stein der Weisen, dem Lapis Philosophorum, El Iksir, dem großen Elixier. Wenn ich sie erschaffen habe, können wir jedwedes unedle Metall in pures Gold verwandeln. Viele Hundert Jahre lang dachten die Menschen, es sei ein Stoff, eine Substanz oder gar der Heilige Gral, an dessen erträumte Existenz ihr Christen euch noch immer klammert wie ein Schiffbrüchiger an eine morsche Planke. Doch die Menschen suchten vergeblich danach. Pah, wie hätten sie es je entdecken können, suchten sie doch das Falsche. Ich weiß aber nach dem Studium dieses Dokumentes, dass es kein Stoff, sondern ein Apparatus ist. Ich kann ihn bauen. Ich kann uns reich machen.“ Abraham stand auf und legte dem völlig entgeisterten Jokoff Cramer die Hände auf die Schultern. „Gebt mir nur so viel Geld, Herr Cramer, wie ich für den Weiterbau benötige, und ich werde alle Erträge mit Euch teilen. Nie wieder werdet Ihr Not leiden müssen. Und wenn Benisch Stoltzer sein Geld haben will“, Abraham lachte verächtlich, „dann könnt Ihr ihn damit überhäufen, bis er nicht mehr zu sehen ist. Was sagt Ihr?“

Jokoff Cramer war jede Farbe aus dem Gesicht gewichen. Dieser Jude war wahnsinnig, das stand für ihn nun unumstößlich fest. „Ich muss darüber nachdenken“, stammelte er ausweichend, „ich muss gehen.“

„Ja, denkt darüber nach, aber nicht zu lange. Je eher ich mit dem Bau beginnen kann, desto schneller könnt Ihr Eure Gläubiger bezahlen. Geht nur und sagt mir bald Bescheid. Aber denkt an Euren Schwur.“ Abraham geleitete Jokoff Cramer zur Tür, schloss auf, aber sperrte gleich wieder hastig zu, kaum dass der verwirrte Kaufmann über die Schwelle getreten war. Jokoff Cramer schwindelte. Konnte das wirklich wahr sein? Hatte der Herrgott ein Einsehen mit ihm und schickte sich an, alle Sorgen von ihm zu nehmen oder war es gar eine verfluchte Teufelei? Er schleuderte diesen Gedanken weit von sich und schüttelte heftig den Kopf, als würde das etwas helfen. Nein, er würde sich auf solche Geschäfte nicht einlassen. Niemals! Jokoff steckte die Hände in die Taschen und machte sich völlig verwirrt auf den Heimweg.

Der Fluch des Mechanicus

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