Читать книгу Der Fluch des Mechanicus - Alf Leue - Страница 9

1

Оглавление

In der Nähe von Gernsheim Rund fünfzehn Jahre später Tag des Apostels Jakobus Mittwoch, 25. Juli Anno Domini 1509

Der Weidenkorb mit Kräutern und Äpfeln fiel zu Boden. Es waren zwei Männer, die das Mädchen in die Büsche zerrten. Sie schrie verzweifelt und versuchte, sich zu wehren, doch es half nichts. Zu groß war die Gier in den Augen der Wegelagerer, zu fest die Hände, die das Mädchen mit sich fortrissen. Einer der Männer trat den heruntergefallenen Korb achtlos vom Weg. Die Dämmerung kündigte sich bereits an. Niemand würde nun hier noch vorbeikommen. „Na, mein Schatz“, lachte der eine, ein sehniger Kerl mit aufgeplatzten Lippen und nahezu ohne Zähne, „bist du auch so einsam wie ich?“ Speichel troff aus seinem Mundwinkel, dem Mädchen ins Gesicht. Er zerrte sie hinter einen Ginsterbusch, nur zehn Schritte vom rettenden Weg entfernt, und warf sie ins Gras. Der andere Mann war erheblich kräftiger gebaut, aber gleichsam ungepflegt und in zerlumpte Kleidung gehüllt. Er bog dem Mädchen die Arme auseinander und kniete sich mit seinem ganzen Gewicht auf dessen Unterarme, dass es vor Schmerz aufheulte.

„Beeil dich, damit ich auch noch zu meinem Recht komme. Los mach schon.“

„Ja, ja, aber das Miststück zappelt so“, erwiderte der Sehnige.

Der Kräftige besah sich die Situation einen Augenblick, dann schlug er dem vor ihm liegenden Mädchen in den Magen. Augenblicklich presste es ein würgendes Geräusch hervor und krümmte sich vor Schmerz, doch seine Gegenwehr ebbte tatsächlich ab.

„Siehste, so macht man das. Los jetzt.“

Hastig nestelte der andere an seiner Hose herum und versuchte, den Teil seines Leibes daraus zu befreien, welchen er für die Befriedigung seiner Bedürfnisse benötigte. Als er es schließlich geschafft hatte, riss er dem weinenden Mädchen die Röcke nach oben und sah zwischen seine Beine.

„Ah, das lob ich mir. Noch ganz frisch und unbenutzt“, grinste er zufrieden und schob seinen Unterleib dem verheißungsvollen Eingang entgegen.

„He, was treibt ihr da?“

Augenblicklich fuhren die beiden Männer herum. Der Kräftige zog seinen Dolch und sprang auf. Vor ihnen, nur etwa fünf Schritte entfernt, stand ein hochgewachsener Mann von vielleicht dreißig Jahren. Sein Gesicht wurde von einer langen Narbe durchzogen, direkt unter dem rechten Auge. Doch es war vor allem sein entschlossener Blick, und das Kurzschwert, welches er am Gürtel trug, das die beiden Männer zur Vorsicht gemahnte.

Nun ließ auch der andere Mann widerwillig von seinem Opfer ab und erhob sich. Dabei schien es ihn herzlich wenig zu kümmern, dass man sein erigiertes Gemächt deutlich sehen konnte.

„Was kümmert’s dich? Wir haben hier ein wenig Spaß mit einer Metze. Mach, dass du weiter kommst“, pöbelte er den Fremden an.

Der jedoch kam behutsam näher und lugte neugierig um den Sehnigen herum auf das Mädchen, das sich hinter ihm wimmernd im Gras krümmte. „Hm, eine so ein junges Ding wie die da sieht man nicht alle Tage“, bemerkte er. „Frisches Fleisch ist selten und ich liebe es, bei Gott. Was muss ich euch bezahlen, meine Freunde, dass ich auch einmal davon kosten darf?“

Verwundert blickten sich die beiden Männer an. Der Kräftige ließ den Dolch sinken und trat neben seinen Kumpanen.

„Meint ihr, ein Groschen wäre euch die Sache wert?“ Der Fremde hielt das kleine Silberstück zwischen Daumen und Zeigefinger in die Höhe.

Der Sehnige stieß seinem Freund unauffällig den Ellbogen in die Rippen und grinste dreist. „Ja, aber für jeden von uns.“

„Für jeden?“, fragte der Fremde empört. „Das ist der halbe Wochenlohn eines Knechts.“

Sein Gegenüber verschränkte die Arme vor der Brust. „Zwei Groschen oder du kannst zusehen, mit wem du dich vergnügst, aber sicher nicht mit der da. Frag doch mal einen Knecht, vielleicht kann der dir Abhilfe schaffen.“

Beide lachten.

Der Fremde zögerte. Dann fasste er in seine Geldkatze und zog einen weiteren Groschen daraus hervor. Er kam noch zwei Schritte näher.

„Gut. Die Kleine sieht aber auch zu lecker aus. Hier nehmt.“

Mit diesen Worten warf er den Männern die Silberstücke in hohem Bogen zu. Beide sahen auf die wirbelnden Münzen und versuchten sie zu fangen.

Der Hals des Sehnigen war durchtrennt, noch bevor einer der Groschen die Erde erreicht hatte. Der Kräftige jedoch reagierte überraschend schnell und stürzte sich nach einem kurzen Schreckensmoment mit gezogenem Dolch auf seinen Gegner.

Er lief ihm direkt in die Klinge und schrie vor Schmerz gellend auf.

Der Fremde sah dem Angreifer fest in die brechenden Augen. Seine Stimme klang eiskalt. „So fühlt es sich an, wenn man in andere Menschen eindringt. Spürst du, wie es ist? Grüß den Teufel von mir!“

Mit diesen Worten drehte er sein Schwert in den Eingeweiden des Mannes und riss den Stahl heraus. Der Angreifer ließ seinen Dolch fallen, den er nach wie vor verkrampft umschlossen gehalten hatte und brach schließlich mit einem letzten Stöhnen leblos zusammen.

Der Fremde beugte sich hinab, hob die beiden Groschen aus dem Gras auf und ließ sie wieder in den Geldbeutel gleiten. Er atmete tief durch, dann wischte er sein Schwert am Hemd des Vaganten sauber und steckte es in die Scheide zurück. Er kniete sich neben das besinnungslos gewordene Mädchen, fasste es behutsam an den Schultern und drehte es zu sich. Als er ihren zierlichen Körper prüfend betrachtete, konnte er kein Blut, keine Verletzung entdecken. So schien es, als habe er die Schändung im letzten Moment verhindern können. Er hoffte inständig, dass auch die Seele des Kindes dabei ohne Schaden geblieben war. Wenigstens war sie nicht entehrt worden und ihre Familie würde sie nicht verstoßen oder als ehrloses Weib durchfüttern müssen. Er streifte ihr die Röcke zurück und trug sie zu einer Birke, wo er sie absetzte und mit dem Rücken an den Stamm lehnte. Die beiden toten Verbrecher zerrte er tiefer in den Wald hinein und ließ sie im Dreck liegen. Das Mädchen sollte das nicht auch noch sehen, hatte ihr Gott doch anscheinend eine Ohnmacht geschenkt, um dieses Anblicks nicht gewahr werden zu müssen.

Sie stöhnte leise und kam zu sich.

Der Mann eilte zu ihr und drückte sie an den Schultern sanft an die weiße Rinde.

Ais sie die Augen öffnete und zwei, drei Atemzüge getan hatte, weitete sich ihr Blick in panischer Angst. Sie schrie und schlug wie von Sinnen um sich.

Doch der Mann erhöhte nur sanft den Druck an ihren Schultern, fixierte sie fester und sprach gebetsartig und mit ruhiger Stimme auf sie ein. „Es ist vorbei. Es ist vorbei“, sagte er. Fortwährend wiederholte er nur diesen einen Satz, bis das Mädchen endlich zu begreifen schien, dass sie gerettet war, dass von diesem Mann keine Gefahr ausging. Sie begann zu weinen und der Mann hielt ihren kleinen, zitternden Körper so lange, bis sie sich beruhigt hatte.

„Es ist vorbei“, sagte er schließlich noch einmal mit betont fester Stimme und sah sie lächelnd an. „Du hast großes Glück gehabt, dass ich noch zu dieser späten Stunde zufällig hierher gekommen bin. Wie heißt du?“

„Rose“, flüsterte das Mädchen und wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Rose?“, fragte der Mann ungläubig. „Das ist ein ungewöhnlicher Name für ein Mädchen, auch wenn er, ich muss es eingestehen, gut zu dir passt.“

„Ja“, entgegnete Rose, „es ist auch nicht mein richtiger Name. Getauft bin ich auf den Namen Anna, Anna Felding, doch alle nennen mich Rose.“

„Gut“, sagte der Mann und erhob sich, „dann will ich dich auch Rose nennen, wenn es denn alle so halten. Anna ist schön, doch Rose ist schöner. Ich will mich auch vorstellen. Mein Name ist Wolf Besigheim.“

Mit einer gespielten Verbeugung schaffte es Wolf sogar, dem Mädchen den Anflug eines Lächelns ins geschundene Gesicht zu zaubern.

„Auch ein schöner Name, Herr Besigheim. Seid Ihr ein Ritter?“

Wolf Besigheim erstarrte. „Ein Ritter? Wie kommst du denn darauf?“, fragte er und wandte seinen Blick der untergehenden Sommersonne zu. Für einen kurzen Moment spiegelte sich der blutrote Punkt am Horizont in seinen Augen wieder. Für einen kurzen Moment hätte das Kind in die Seele seines Retters blicken können, doch es griff stattdessen ins Gras, stützte sich ab und stand vorsichtig auf.

„Ich weiß nicht. Mein Großvater hat mir immer Geschichten von Rittern erzählt, als ich noch klein war und er noch lebte. Ihr seht aus wie einer der Ritter, von denen er mir berichtet hat.“

Die Sonne verschwand.

„Nein, Rose, ich bin kein Ritter. Ich bin nur ein Mann, der sich für andere Männer schlägt und den andere Männer rufen, wenn sie jemanden für etwas brauchen, das sie selbst nicht tun können oder wollen. Mehr nicht.“

Er betrachtete das Mädchen prüfend.

„Meinst du, dass du reiten kannst?“

Rose Felding nickte.

„Gut, dann komm, ich bringe dich nach Hause. Deine Eltern werden sich sicher schon sorgen.“

Wolf Besigheim setzte Rose vor sich auf sein Pferd und trabte an. Sie durchquerten den Wald und erreichten bald den Hauptweg, der aus Richtung Worms kommend nach Norden führte.

„Immer diesen Weg entlang“, wies Rose Wolf an und zeigte nach vorne in die heraufziehende Dunkelheit. „Unser Hof liegt weniger als eine viertel Meile von hier in Richtung Gernsheim.“

Doch nur kurze Zeit später, lange bevor sie den Hof erreicht hatten, kam ihnen ein Reiter entgegen, dem ein mit einem Knüppel bewaffneter Mann vorausschritt. Wolf zügelte augenblicklich seinen Hengst. Die beiden sahen nicht aus wie Kämpfer und stellten bei einer Auseinandersetzung gewiss keine wirkliche Bedrohung für ihn dar. Doch mit einem kleinen Mädchen vor sich im Sattel musste er vorsichtig sein. Diese Gegend hier schien gefährlicher zu sein, als man es ihr ansah.

„Halt, wer da?“, rief Wolf in die Dämmerung hinein.

„Der Bauer Rupert Felding und sein Knecht Christian. Wer seid Ihr?“

Wolf konnte nicht mehr antworten.

„Vater!“, rief Rose und machte Anstalten, aus dem Sattel zu springen.

„Warte“, sagte Wolf und stieg ab. Dann hob er Rose vom Pferd. Sofort lief sie ihrem Vater entgegen.

„Rose, mein Röschen, da bist du ja. Du dummes Kind, wir sind vor Angst fast umgekommen. Mein Gott, wie siehst du den aus, um Gottes Willen. War das dieser Mann da? Wart nur, du Lump, dich an einem kleinen Mädchen zu vergreifen“, rief Rupert Felding nun zu Wolf herüber und Christian der Knecht schickte sich gleichzeitig an, auf Wolf mit erhobenem Knüppel zuzulaufen. Wolfs Hand fuhr an den Schwertknauf, doch es kam zu keinem Schlagabtausch.

„Nein, nein, Vater. Christian, nicht!“, rief Rose, „Dieser Mann ist kein Lump, er war es doch, der mich gerettet hat.“

„Gerettet? Vor wem oder was?“, stutzte Roses Vater. Dann erhellte sich sein Gesicht. „Ach was soll’s, Hauptsache du bist wohlauf. Ihr könnt mir alles erzählen, wenn wir bei uns zu Abend essen und mein selbst gebrautes Bier trinken“, rief er an Wolf gewandt. „Ihr seid selbstverständlich mein Gast, Fremder.“

Der Bauer ging an seinem Knecht vorbei, der mit der Geschwindigkeit, in der sich das Blatt gewendet hatte, sichtlich überfordert war und sich noch immer an seinem Knüppel festhielt. Rupert Felding streckte Wolf die Hand hin.

„Ganz gleich was war, ich danke Euch. Wer seid Ihr?“

„Wolf Besigheim ist mein Name.“

„Gut, Herr Besigheim, dann kommt. Du auch, Christian, oder willst du hier übernachten? Und schmeiß endlich diesen Ast weg.“

Wolf Besigheim war, seit er heute Morgen zwei Meilen südlich von Worms aufgebrochen war, nur schlecht vorangekommen. Zuerst hatte ihn ein mittägliches Sommergewitter zur Rast gezwungen und nun noch dieser Zwischenfall. Eigentlich hätte ihn sein Weg heute noch vor Torschluss nach Gernsheim führen müssen, doch dafür war es jetzt zu spät. Also eine notgedrungene Übernachtung auf Bauer Feldings Hof. Warum nicht? Er hätte es schlechter treffen können.

***

Früh am nächsten Morgen, gleich bei Sonnenaufgang, verabschiedete sich Wolf von Rose, ihren Eltern und Geschwistern. Sie dankten ihm nicht nur noch einmal überschwänglich und gaben ihm Gottes Segen mit auf den Weg, sondern hatten ihm auch ein schönes Bündel mit Käse, gekochten Eiern, Brot und einer Lage fettem Speck geschnürt. Wolf sah noch immer die entsetzten Gesichter von Rupert Felding und dessen Weib vor sich, als er ihnen gestern Abend erzählt hatte, was die beiden Vaganten mit Rose vorgehabt hatten. Noch größer und tränenreicher war jedoch die Erleichterung der Eheleute gewesen, als er ihnen hatte versichern können, dass es nicht zum Schlimmsten gekommen war.

Wolf ritt vom Hof, drehte sich im Sattel noch einmal um und hob die Hand zum Abschied. Dann wandte er seinen Blick nach vorne. Er hatte nun keine Zeit mehr zu verlieren. Seine Eminenz Uriel von Gemmingen, der Erzbischof von Mainz, hatte ihm Nachricht nach Straßburg an den Hof seines vorherigen Auftraggebers, Wilhelm III. von Hohenstein, zukommen lassen. Wolf solle sich bis Ende Juli in der Mainzer Burg des Erzbischofs einfinden, wenn er Interesse hätte, ihm wieder einmal in einer heiklen Angelegenheit für gutes Geld zu Diensten zu sein. Das kam Wolf zupass, denn die beiden Silbergroschen, die er den zwei Gaunern gestern so großzügig entgegengeworfen hatte, stellten, neben ein paar Hellern und Pfennigen, seine letzte Barschaft dar. Es wurde Zeit, wieder etwas zu verdienen. Nach Frankfurt solle Wolf reiten zu einem Kaufmann namens Jakob Heller, dessen Hof westlich von Frankfurt gelegen sei. Er würde Wolf im Namen des Erzbischofs erste Weisungen erteilen und ihm gleichzeitig Unterkunft bieten.

Wolf Besigheim spürte, dass es Zeit war. Zeit für einen guten Auftrag und Zeit, seinen alten Freund Valtin von Kriftel wiederzusehen, der ebenfalls dem Erzbischof von Mainz als Berater zur Seite stand. Er presste seinem Pferd die Schenkel in die Seiten und preschte in Richtung Frankfurt davon.

Der Fluch des Mechanicus

Подняться наверх