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Frankfurt am Main Mittwoch nach St. Hubertus 24. September Anno Domini 1509

Gleich am nächsten Morgen machte sich Jokoff auf den Weg zu Abraham. Er fühlte sich noch immer äußerst aufgewühlt und übermüdet. Die Nacht hatte er mehr mit Herumwälzen und schlechten Träumen verbracht als mit Schlaf. Zu viel stand auf dem Spiel, und die Last hatte Jokoff wie ein Alb auf der Brust gesessen und in seinem Kopf getobt. Als er in die Judengasse einbog, musste er kurz innehalten. Ihm war nicht gut, und er stützte sich einen Moment lang vornüber gebeugt an eine Hauswand ab, um den Schwindel zu besiegen. Dann musste er sich übergeben und spie sein Frühstück auf den Boden. Grützbrocken und Dünnbier sammelten sich zu seinen Füßen in einer schmierigen Lache. Ein jüdischer Geldverleiher machte einen großen Bogen um Jokoff, verzog angewidert sein Gesicht und schüttelte verständnislos den Kopf. Wahrscheinlich dachte der Mann, er hätte einen Säufer vor sich, der schon am frühen Morgen zu tief in seinen Humpen geschaut hatte oder gar nicht erst vom Feiern heimgekommen war. Jokoff war es in diesem Moment allerdings völlig gleichgültig, was der Geldverleiher über ihn dachte. Er wusste nur, dass er, wenn er über dessen Vermögen verfügen würde, sicher nicht würgend in der Judengasse stünde. Er war einfach zu zermürbt, um sich zu schämen. Jokoff richtete sich auf, wischte seinen Mund am Ärmel seiner Jacke sauber und betrachtete diese eingehend. Sie schien nichts abbekommen zu haben. Der säuerliche Geschmack allerdings, der aus seinem entleerten Magen aufstieg, schmeckte nicht gerade schön, doch er musste weiter. Es half nichts.

Kurz darauf betrat er Abrahams Geschäft.

„Guten Morgen, Herr Cramer.“ Abraham stockte. „Mit Verlaub, Ihr seht furchtbar aus. Seid Ihr erkrankt?“

Jokoff hatte weder Zeit noch Lust auf Höflichkeiten. „Wo ist die Maschine, Herr Siebenthal? Ich muss sie sehen.“

Abraham blickte nervös auf. Er wirkte wie ertappt. Kurz fragte er: „Warum?“

„Weil es zur Hälfte auch meine Maschine ist und ich sie sehen will, ganz einfach deshalb.“

Abraham verschränkte trotzig die Arme. „Wie kommt Ihr auf den Gedanken, dass ein Teil der Maschine Euch gehöre? Unsere Vereinbarung besagt, dass Euch die Hälfte der Erträge gehört. Von der Maschine war nie die Rede. Die Hälfte der bisherigen Erträge habt Ihr erhalten. Es war nicht mehr. Ich habe also meinen Teil der Abmachung immer erfüllt, was man von Euch nicht sagen kann. Zwei weitere Silbergroschen schuldet Ihr mir mittlerweile. Wie soll ich weiterarbeiten, wenn ich kein Geld mehr von Euch erhalte?“

Jokoff war außer sich. Er sprang an dem überraschten Abraham vorbei und stürmte in die Werkstatt. Dabei riss er den roten Vorhang fast herunter. „Wo ist sie?“, brüllte Jokoff wütend aus dem Raum heraus und tobte darin wie von Sinnen umher. Abraham hörte das Poltern herabstürzender Bücher und Folianten. Kurz darauf kam Jokoff wieder herausgesprungen und packte Abraham mit beiden Händen am Kragen seines Mantels. „Du alter gieriger Judd’. Ich will die Maschine jetzt sehen. Sofort. Wir haben es so ausgemacht. Und Geld zahle ich erst wieder, wenn die Maschine Gold macht. Vorher nicht. Behalte für’s Erste meinen Teil, aber zeig’ sie mir auf der Stelle. Und wo ist das Dokument? Wo hast du es versteckt?“

Abraham versuchte sich aus Jokoffs Griff herauszuwinden, doch es gelang ihm nicht. Jokoff Cramer hielt den alten Mann mit der Kraft der Verzweiflung am Kragen gepackt und schüttelte ihn. Abraham schrie verzweifelt: „Niemals! Und wenn Ihr mir den Kopf abreißt. Sie ist meine Maschine, mein Geheimnis. Mir gehört sie, mir allein. Und das Dokument werdet Ihr auch nicht bekommen. Eher sterbe ich und nehme das Geheimnis mit ins Grab!“

Jokoff öffnete langsam seinen Griff und starrte ihn hilflos an. Sofort taumelte Abraham einige Schritte zurück, bis er mit dem Rücken an die Theke stieß, und rieb sich den Hals. Jokoff betrachtete geistesabwesend und erschrocken seine geöffneten Hände. Sie glühten feuerrot, so fest hatte er an Abrahams Kragen gezerrt.

„Was habe ich getan?“, flüsterte er zu sich selbst, „Oh Gott, was geschieht mit mir?“ Er schien Abraham gar nicht mehr wahrzunehmen. Jokoff ging langsam rückwärts auf die Tür zu, ohne den erstarrten Blick von seinen Händen abzuwenden. „Ich muss, ich ... Agnes, das Geld. Was soll ich nur tun? Verzeiht mir.“ Dann öffnete Jokoff die Tür zur Judengasse und stolperte benommen davon.

„Bringt mir mein Geld und der Kontrakt soll wieder gültig sein. Doch vorher will ich davon nichts wissen“, rief ihm Abraham nach. Dann rückte er seinen zerknitterten Mantel zurecht und zog die Tür hinter Jokoff zu. Was dachte sich dieser Krämer dabei, ihn in seinem eigenen Laden zu attackieren? Nichts da. Nicht mit Abraham Siebenthal. Ja, er sollte seinen Teil erhalten, aber erst brauchte Abraham das Geld. Vielleicht war das mit Cramer doch keine so gute Idee gewesen.

Abraham schlurfte zum Regal und griff hinter einen Stapel kleiner Holzkisten. Er konnte die lederne Dokumentenhülle fühlen. Es war noch da. Gut, dass er auf sein Gefühl gehört hatte. Nur er allein sollte wissen, wo es steckte. Hinter den Folianten war es nicht mehr sicher gewesen, nachdem Cramer es dort gesehen hatte. Aber vielleicht sollte er das Dokument von hier fortbringen. Aus dem Haus oder besser gleich ganz weg aus Frankfurt. Er würde es ohnehin bald nicht mehr benötigen. Er hatte alles im Kopf. Zufrieden zog Abraham Siebenthal die Hand aus dem Regal und schloss die Tür ab. Er würde sich nun einen schönen Kräuteraufguss und ein heißes Fußbad machen. Er hatte heute keine Lust mehr, an der Maschine zu arbeiten, nachdem, was geschehen war. Vielleicht kam dieser Cramer wieder? Wer konnte das schon wissen? Nein, besser, Abraham würde sich heute etwas Gutes tun. Es war ohnehin nicht mehr viel zu machen am Apparatus. Schon bald würde die Maschine arbeiten. Für ihn. Und vielleicht würde er sich nächstes Jahr um die gleiche Zeit ein schönes Haus kaufen können, wo ihm eine junge Magd das Fußbad bereitete, wann immer ihm danach war. Und er könnte ihr dabei ungestraft ab und an in den Hintern kneifen, wenn Tikvah aus den Wolken gerade nicht hinsah. Aber zuerst musste er für die Menschheit dieses Geheimnis lüften.

***

Jokoff lief mit starrem Blick durch die Straßen und Gassen Frankfurts. Er nahm alles nur wie durch ein geöltes Pergament wahr. Nichts konnte ihn aus seinen Gedanken holen. Nicht die voll beladenen Karren mit den gackernden Hühnern in ihren Holzkäfigen oder den Händler und seinen Kunden, der sich mit ihm um eine Elle Stoff mehr oder weniger stritt. Nicht die beiden Mönche, die ihm verwundert nachsahen und tuschelten. Auch nicht die Hübschlerinnen, die ihm mit ihren rübenrot geschminkten Gesichtern aus einem Hurenhaus heraus nachpfiffen und die Brüste aus den zu engen Miedern herausquellen ließen. Er übersah spielende Gassenjungen genauso wie die streunenden Hunde, die an einem Katzenkadaver herumrissen. Auch die Krüppel, die ihm die ausgemergelten Hände für ein Almosen entgegenstreckten und an seiner Hose zupften, entgingen ihm. Er hatte nur Augen für sich selbst, für sein Innerstes. Die Sorgen, die Angst und die Hoffnungslosigkeit türmten sich zu beiden Seiten seines Gesichtsfeldes zu dunklen Wänden auf. Sie stürzten über ihm zusammen, dass die Wirklichkeit in einem schwachen Lichtpunkt am Ende des Ganges zu verschwinden drohte. Er hielt an einer Ecke an und versuchte ruhig zu atmen. Es war kalt an diesem Septembertag und sein Atem bildete dichte Wolken. Jokoff blickte zu dem reich verzierten Fachwerkhaus von Benisch Stoltzer empor, das sich erhaben in die Patrizierhäuser an der Zeyl einreihte und verächtlich durch die Butzenfenster auf ihn herabstierte. Er musste sich beruhigen. So wollte er nicht vor seinen Gläubiger treten. Nur für Mut würde er bare Münze erhalten und daher würde er gut lügen müssen, denn seine Zuversicht hatte er in Abrahams Werkstatt verloren. Jokoff fuhr sich mit dem Ärmel über die Stirn und wischte sich den Schweiß ab. Dann trat er die exakt behauenen Steinstiegen empor und atmete noch einmal tief durch, bevor er fest an die Tür zum Stoltzerhof pochte. Nach kurzem Warten öffnete sich die Tür einen Spalt und eine Magd lugte hervor.

„Gelobt sei Jesus Christus, was wünscht Ihr, mein Herr?“

„In Ewigkeit, Amen“, entgegnete Jokoff und fuhr fort: „Herrn Stoltzer möchte ich sprechen. Cramer ist mein Name, Jokoff Cramer, Gildekaufmann aus der Fahrgasse.“

Die Magd öffnete die Tür und machte eine einladende Geste. „Bitte tretet ein. Ich werde Euch Herrn Stoltzer melden.“ Jokoff betrat die Eingangshalle des Hauses. Es war um so vieles prächtiger als sein eigenes. Stoltzer war der geschicktere Kaufmann, keine Frage, und sein Reichtum war der Beweis. Die Magd entfernte sich und klopfte an eine reich verzierte Tür an der Seite der Halle. Kurz darauf verschwand sie darin und Jokoff ließ seine Blicke weiter über die Deckenmalereien schweifen. Plötzlich trat die Magd, gefolgt von Benisch Stoltzer, aus dessen Arbeitszimmer. Jokoff drehte sich zu ihm um und reichte ihm die Hand.

„Ich grüße Euch, Herr Stoltzer und danke Euch, dass Ihr mich empfangt.“

Stoltzer war ein kleiner, schlanker Mann mit filigranen Gliedern. Und doch spürte Jokoff die Kraft und die Entschlossenheit, die in ihm steckten, als er ihm die Hand drückte. Dieser Mann wusste, was er wollte und auch, dass er es bekam, wenn ihm danach war. Stoltzer sagte nur: „Herr Cramer“, und lächelte unverbindlich. „Kommt“

Stoltzer ging voraus und betrat das Arbeitszimmer. Jokoff folgte ihm und staunte weiter. Das Beste schien für Benisch Stoltzer gerade gut genug zu sein. Seine Kleidung war nur aus den teuersten Stoffen geschneidert. Unter dem schwarzen Wams aus englischem Tuch stachen die grün schimmernden Ärmel eines Hemdes aus Samt hervor. Stoltzers Kopf bedeckte eine schwarze Mütze eines der besten Frankfurter Hutmacher und sein Hals schien wie dafür gemacht, aus dem fein gestickten, weißen Kragen herauszuwachsen. Nur wenige Jahre älter als er, hatte es dieser Mann weit gebracht, musste sich Jokoff insgeheim eingestehen. Auch die Einrichtung des Zimmers war nur aus den teuersten Materialien gefertigt. Schreiner, Schnitzer und viele andere Handwerker mussten Monate damit zugebracht haben, die dunklen Edelhölzer der Deckentäfelung, des Tisches und der Stühle zu einem beeindruckenden Gesamtkunstwerk zu formen, das sich wohl so mancher Adlige auch gewünscht hätte.

„Setzt Euch, Cramer.“

Jokoff suchte sich zögerlich einen Platz am Besprechungstisch aus, der gegenüber von Stoltzers mächtigem Schreibtisch stand. Der machte es sich derweil im Lehnstuhl dahinter bequem und blickte auf Jokoff hinab. „Herr Cramer, was führt Euch zu mir?“ Stoltzer kannte die Antwort, aber er genoss es, Jokoff schwitzen zu sehen.

„Herr Stoltzer. Ich hatte den unschönen Besuch eines Ihrer Männer, namens Jeckel Schmied.“

Stoltzer machte keinen Hehl daraus, dass er natürlich davon wusste. Er schmunzelte. „So? Und was wollte dieser Jeckel Schmied von Euch?“

Jokoff räusperte sich. „Ich denke, das wisst Ihr ganz genau. Schließlich habt Ihr ihn geschickt, nicht wahr?“

Benisch Stoltzer faltete gelassen die Hände vor dem Bauch und lehnte sich zurück. Er fixierte Jokoff. „In der Tat, Herr Cramer, das habe ich und Ihr wisst auch warum, nicht wahr?“ Dann schnellte er blitzschnell nach vorne, dass Jokoff zusammenfuhr. „Ihr, Herr Cramer, schuldet mir noch eine gewisse Summe Geld. Und gemäß unseres Vertrages ist dieser Betrag bereits in vier Wochen zur Zahlung fällig. Ich bin es nicht gewohnt, meinem Geld hinterherzulaufen, für gewöhnlich kommt es zu mir zurück. Unaufgefordert. Ich habe Jeckel Schmied zu Euch gesandt, damit Ihr die Frist auch nicht versehentlich vergesst. Schmied mag hier und da etwas übereifrig sein, aber er forderte in meinem Namen nur was mir gehört oder wollt Ihr das bestreiten?“

Jokoff blickte zu Boden und schüttelte beschämt den Kopf.

„Ja, das dachte ich mir. Es wäre auch der Gipfel gewesen, wenn Ihr nicht nur ein säumiger Schuldner, sondern auch noch ein Lügner wäret. Mit Eurer Zuverlässigkeit scheint es nicht weit her zu sein.“

Jokoff blickte zornig auf. „Es ist nicht die Zuverlässigkeit, die mir fehlt, es ist das Geld, Herr Stoltzer.“

Benisch Stoltzer stand von seinem Stuhl auf und stützte sich mit den Fäusten auf den Tisch. „Schulden sind Ehrensache für mich, Herr Cramer. Kommt mir nicht so. Ich bin damals nach Frankfurt gekommen mit fast nichts in der Tasche und habe es in nur zwanzig Jahren zu etwas gebracht. Und warum? War es nur mein Geschick? Nein. Es war auch meine Verlässlichkeit. Jemanden in einem Geschäft zu übervorteilen, ist eins, aber ich habe niemals etwas zu spät zurückgezahlt.“ Dann hieb er sich fest mit der rechten Hand auf die Brust, „Hier drin steckt etwas, das sich Kaufmannsherz nennt. Die Leute haben sich das Maul zerrissen, als ich noch nicht vermögend war, und heute machen sie es wieder, weil ich nun wohlhabend bin. Sie können mir ruhig alles neiden, aber mein Geld, wofür ich lange Jahre hart gearbeitet habe, das nimmt mir niemand!“ Er setzte sich wieder und sah Jokoff drohend in die Augen. „Was wollt Ihr mir anbieten? Könnt Ihr mir überhaupt etwas anbieten? Wenn nicht, dann werde ich mir holen, was mir laut Schuldschein zusteht. Und zwar schon bald.“

„Ich brauche nur noch etwas Zeit, Herr Stoltzer, bitte. Vielleicht nur zwei oder drei Monate mehr.“

Stoltzer schüttelte bestimmt den Kopf. Mit fast väterlicher Stimme sagte er zu Jokoff: „Wofür Herr Cramer? Ihr glaubt doch selbst nicht, dass Ihr es in dieser Zeit schaffen werdet, die Schulden zurückzuzahlen. Ihr seid doch jetzt schon froh, wenn etwas zu essen auf dem Tisch steht. Nein. Ich will in einem Monat mein Geld zurück oder Euren Besitz, so wie es vereinbart ist.“

Jokoff kämpfte mit den Tränen. Auch wenn er sich dafür hasste, sich diese Blöße vor Stoltzer geben zu müssen. Er konnte nicht anders. „Aber mein Haus, das Kontor meiner Vorfahren, meine Familie. Was sollen wir denn machen?“

„Es tut mir leid für Euch, Cramer, aber das hättet Ihr Euch vorher überlegen sollen. Ich kann und will es nicht ändern. Vertrag ist Vertrag.“

Jokoff schluckte seine Verzweiflung herunter und holte tief Luft. „Ich kann Ihnen sehr wohl etwas anbieten, etwas, das meine Schuld mehr als aufwiegt.“

Mit einem ungläubigen Lächeln lehnte sich Benisch Stoltzer wieder in seinen Stuhl zurück. „Ach, und was soll das so plötzlich sein?“

Und wieder überlegte Jokoff, ob er nicht einen Riesenfehler beging, wenn er das Geheimnis jetzt an eine weitere Person verriet. Selbst Agnes hätte es niemals erfahren dürfen. Er hatte es bei seinem Leben und auf Gott geschworen. Vielleicht würde er doch irgendwie noch die paar Groschen für Abraham zusammen bekommen und vielleicht würde Abraham tatsächlich schnell Gold herstellen können. Dann würde Jokoff jetzt einen unermesslichen Reichtum fast verschenken. Nein, er musste es sagen. Agnes würde ihn verlassen. Er konnte es nicht riskieren.

Benisch Stoltzer wurde sichtlich ungehalten. „Cramer, wenn Ihr mich für dumm verkaufen wollt, dann gnade Euch Gott. Redet endlich oder geht.“

Jokoff schloss einen Moment die Augen, dann sagte er: „Herr Stoltzer. Ich biete Euch für den Erlass meiner Schulden die Beteiligung an einer Maschine, die ihrem Besitzer unermesslichen Reichtum stiften wird.“

Stoltzer war so verdutzt, dass er seine Wut vergaß. Er glaubte, er habe sich verhört, doch fasste sich schnell wieder. „Wollt Ihr mich ins Bockshorn jagen? Was soll das für eine Maschine sein und bei wem seid Ihr beteiligt?“ Das „Ihr“ sprach Benisch Stoltzer dermaßen herablassend aus, dass Jokoff unwillkürlich die Faust ballte.

„Ich bin beteiligt an dem Bau einer Maschine, dessen Eigentümer ein Jude hier aus Frankfurt ist. Er besitzt ein altes Dokument zum Bau dieser Maschine und mit meinen letzten Groschen habe ich versucht, diesen Apparatus zu finanzieren.“

„Bei einem Juden“, sagte Stoltzer verächtlich, „dann kann es nicht weit her sein mit ihm, wenn er schon Eure paar Groschen braucht, um einen Apparatus zu konstruieren. Wer ist es?“

„Abraham Siebenthal.“

Stoltzer lachte laut auf. „Dieser verrückte Spinner und Metallhändler? Der ärmste Jude, den ich kenne. Mir hat er auch einmal versucht, etwas anzudrehen. So einen völlig nutzlosen Stab, mit dem sich ein Kutscher angeblich gegen Angreifer verteidigen und gleichzeitig die Zügel halten konnte. Das hat er zumindest behauptet. Ich habe ihn zum Teufel gejagt. Nur ein Idiot würde einen solchen Unsinn kaufen.“

Jokoff konnte darüber gar nicht lachen. „Ja, genau dieser Mann ist es, von dem ich spreche.“

Stoltzers Miene wurde wieder ernst. „Und für ein solches Hirngespinst wollt Ihr, dass ich Euch die Schulden erlasse? Macht Euch und vor allem mich nicht lächerlich.“

„Vielleicht ändert Ihr Eure Meinung, wenn Ihr hört, um was es sich handelt?“, warf Jokoff ein.

Stoltzer machte mit den Händen eine gnädige Geste und Jokoff fuhr fort: „Abraham Siebenthal hat eine Maschine gebaut, die unedles Metall in pures Gold verwandeln kann.“

Stille.

„Wie bitte? Dieser Scharlatan hat den Stein der Weisen gefunden? Und das soll ich Euch glauben?“

Jokoff erhob sich, trat vor Stoltzers Tisch und ließ das kleine grüne Stoffknäuel vor ihn fallen. „Seht selbst. Das hat mir Abraham erst gestern gegeben. Er hat es mit seiner Maschine gemacht.“

Stoltzer wickelte das Goldkörnchen aus dem Stoff und prüfte es eingehend. Dann legte er es wieder auf den Tisch und sah Jokoff an. „Das ist Gold, keine Frage. Und dieser Judd’ hat es Euch gegeben und behauptet, er habe es gemacht?“

Jokoff nickte. Stoltzer dachte nach.

„Gut Cramer. Ich glaube das zwar alles nicht, aber ich werde es prüfen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass man Gold herstellen kann, nur ein Dummkopf würde das Gegenteil behaupten, aber es ist eine Formel, die Gott ausschließlich dem Erleuchtetsten mitteilen wird. Daher bin ich genauso fest davon überzeugt, dass er es niemals einem Juden und schon gar nicht diesem Siebenthal überlassen würde, das Rätsel zu lösen.“

„Es war nicht Gott, das Dokument stammt aus Griechenland.“

„Ein altes Dokument aus Griechenland also und eine Maschine sagt Ihr? Nun, ich werde der Sache auf den Grund gehen und Herrn Siebenthal dazu befragen. Wem habt Ihr noch davon erzählt?“

Jokoff schüttelte heftig den Kopf. „Niemandem, Herr Stoltzer, bei Gott, nicht einmal meiner Frau“, log er.

Stoltzer sah Jokoff prüfend an. „Und das soll ich Euch auch glauben? Nicht einmal Eurer Frau?“

„Nein, vor allem nicht ihr. Sie hätte mich zum Teufel gejagt, wenn sie davon erfahren hätte. Ihr wisst doch, wie die Weiber sind.“

Benisch Stoltzer grinste. „So weiß ich das? Nun gut, wenigstens das glaube ich Euch. Anstelle Eurer Frau hätte ich Euch vermutlich schon viel früher zum Teufel gejagt.“

„Und wenn Ihr meinen Anteil an der Maschine erhalten habt, sind wir dann quitt?“, lenkte Jokoff das Gespräch schnell in eine andere Richtung.

Stoltzer nickte zögerlich. „Wenn das stimmen sollte, dann zerreiße ich eigenhändig Euren Schuldschein, aber wenn nicht“, er machte eine Pause und sah Jokoff scharf an, „dann habt Ihr jetzt noch einen Monat in Eurem Haus und keinen Tag länger. So wahr ich hier sitze.“

Jokoff trat vor Stoltzer und hielt ihm die Hand hin. „Hand drauf?“

Benisch Stoltzer lächelte mitleidig, schlug aber ein. „Meinetwegen, Hand drauf, Herr Cramer.“

Jokoff verließ das Haus von Benisch Stoltzer überglücklich. Er würde Agnes und den Kindern berichten, dass vielleicht doch noch nicht alles verloren war. Kurz darauf betrat Jeckel Schmied Stoltzers Zimmer aus einer Hintertür.

„Du hast alles gehört?“

„Ja, Herr Stoltzer“, murmelte er.

„Ich finde, das passt alles vortrefflich. Haben wir nicht ohnehin bald in der Judengasse zu tun?“, fragte er Schmied mit einem zynischen Lächeln. „Ich denke, du solltest gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen oder sollte ich besser sagen, zwei Juden? Wenn Pfefferkorn und Ulrepforte losstürmen, dann geh sofort, nachdem du mit Thomas Ulrepforte meinen Schuldschein den raffgierigen Klauen dieses jüdischen Wucherers entrissen hast, zu dessen Glaubensbruder Siebenthal und finde heraus, was es damit auf sich hat. Doch Ulrepforte soll davon nichts mitbekommen. Das sollte dir im Tumult nicht schwer fallen. Bring mir dieses Dokument, wenn es existiert, und am besten auch gleich die Maschine. Und wenn das alles nicht stimmt“, er machte genüsslich eine Pause, „nun, dann habe ich in einem Monat eben ein Haus mehr. Es gibt Schlimmeres oder Jeckel?“

Schmied nickte düster. Wenn tatsächlich etwas an dieser Sache dran war, dann würde er es herausfinden. Die Existenz einer solchen Goldmaschine hatte plötzlich auch sein ganz persönliches Interesse geweckt. Aber das würde er Benisch Stoltzer natürlich nicht auf die Nase binden.

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