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ОглавлениеFrankfurt am Main Dienstag nach St. Hubertus 23. September Anno Domini 1509
Zwei Wochen später stand Abraham Siebenthal plötzlich in Jokoff Cramers Kontor. „Abraham? Was macht Ihr denn hier?“ Jokoff Cramer legte überrascht das Schreibzeug auf seine Bücher und trat hinter dem Tresen hervor, um dem Metallhändler die Hand zu reichen. Doch Abraham lächelte nur verschmitzt, nestelte in seiner Jacke herum und drückte Jokoff einen auf Haselnussgröße zusammengeschlagenen Stofffetzen in die geöffnete Hand.
Er beugte sich nah an Jokoffs Gesicht und flüsterte: „Das ist mein erster Erfolg. Klein nur, zugegeben, aber ein Beweis immerhin. Prüft es in Ruhe und wisset, dass wir nicht mehr weit vom Ziel entfernt sind.“ Seine Augen funkelten und er strahlte geheimnisvoll über das ganze Gesicht. „Gebt mir nur gleich wieder zwei Groschen mit, auf dass ich weiter am Apparatus forschen kann.“
Zögerlich zog Jokoff die Hand zurück und betrachtete den winzigen, grünen Leinenballen darin. Dann umschloss er ihn mit seiner Faust. „Ich vertraue Euch, Abraham, das wisst Ihr, nicht wahr?“, sagte Jokoff mit Nachdruck.
Empört trat Abraham zurück. „Ja, ja, gewiss, und Ihr tut auch gut daran. Prüft nur dieses erste Ergebnis und Ihr werdet sehen, dass es wahrhaft kein Fehler war, mir zu glauben. Stünde ich wohl sonst hier, wenn ich etwas zu verbergen hätte?“
Jokoff nickte einsichtig und holte die Kassette mit dem Geld aus der Tischschublade hervor. Mit spitzen Fingern und schweren Herzens nahm er zwei Münzen heraus und hielt sie Abraham entgegen. „Enttäuscht mich nicht, Herr Siebenthal. Das Wohl des Hauses Cramer und meiner gesamten Familie liegt nun in Euren Händen.“
Abraham nahm hastig das Geld und ließ es in seine Geldkatze fallen. „Ich danke Euch. Ich will keine Zeit verlieren und mich sogleich wieder an die Arbeit machen. Mit Eurem Geld und Gottes Segen werde ich nun neue Materialien einkaufen können, um den Apparatus zu verbessern. Lange müssen wir nicht mehr warten. Auf Wiedersehen.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ das Kontor auf die Fahrgasse hinaus. Draußen sog er tief die Luft ein und war glücklich. Nun hatte er fast alles zusammen, was er für den Bau benötigte. Vielleicht würde er jetzt sogar bei seinem Lieferanten etwas Kredit bekommen? Zufrieden befühlte er die beiden Silbermünzen in seinem Geldbeutel, die sich noch bis vor Kurzem auf dem Boden von Jokoff Cramers Geldkassette befunden hatten, und ging in Richtung Judengasse davon. Unterwegs beäugten ihn manche Bürger argwöhnisch, andere grüßten freundlich. Für die einen waren die Juden ehr- und gottlose Wucherer – vor allem für die, die bei ihnen Schulden hatten –, für die anderen nur eigentümliche Leute. Doch eines hatten alle gemein: Keiner dieser Menschen ahnte, dass ihnen soeben ein Mann begegnet war, der sich für Prometheus‘ Nachfolger oder etwas ähnlich Verrücktes hielt. Und vielleicht hatte Abraham sogar recht damit.
Jokoff Cramer ging hinter den Tresen und stützte sich mit den Ellbogen auf der wuchtigen Holzplatte ab. Behutsam öffnete er die Faust, mit der er noch immer den kleinen Leinenballen umschlossen hielt. Er ließ ihn aus seinen Fingern auf das Holz des Tresens gleiten und starrte ihn unschlüssig an. Vorsichtig hob er den zusammengerollten Stoff an seinem offenen Ende in die Höhe. Der Inhalt war so leicht, dass sich das Leinen nur widerspenstig auswickelte. Jokoff musste mit der anderen Hand etwas nachhelfen. Dann plötzlich hörte er ein leises Geräusch, so als wäre ein Samenkorn auf das Holz gesprungen, doch er konnte nichts erkennen. Jokoff ging in die Knie, bis er mit seinen Augen auf der Höhe der Tresenplatte war und suchte nach dem Gegenstand, der dieses Geräusch verursacht haben könnte. Und dann sah er einen kleinen Krümel. Sein Umriss zeichnete sich nur schwach gegen das Licht ab, das die Fenster von der Gasse her hineinließen. Ein flohgroßer, dunkler Fleck mit klaren Konturen. Jokoff tastete mit dem Zeigefinger danach, bis er ihn erfühlte. Es war ein Sandkorn. So klein, dass er es nicht fassen konnte. Er drückte das Körnchen fest in die Haut seines Fingers, drehte ihn nach oben und hielt sofort die andere Hand darunter, um es hineinfallen zu lassen. Konzentriert schritt er zum Fenster des Kontors und hielt seine Hand etwas in die Höhe. Er ließ die diffusen Lichtstrahlen der Vormittagssonne durch das Glas auf das Körnchen fallen. Ein freudiger Schauer durchlief ihn. Ja, es war ein Körnchen wie aus Sand. Es hatte die gleiche Größe, das gleiche Gewicht und fühlte sich auch genauso an. Doch im Unterschied zu Sand warf dieses Körnchen den Hauch eines gelben Scheins zurück, wenn es die Sonne an der richtigen Stelle traf. Es war kein Sand. Es war pures Gold.
Jokoff hätte jubeln können. Wie gerne wäre er jetzt gleich zu Agnes gelaufen, um ihr diese frohe Neuigkeit zu erzählen. Dann hätte sie ihm vielleicht endlich geglaubt und ihr Groll, den sie seit dem Gespräch in der Küche gegen ihn hegte, wäre verflogen. Sollte es tatsächlich wahr sein und Gott hatte seine Gebete endlich erhört? Hatte der Herr ein Einsehen? Rasch ging Jokoff zur Theke und setzte den Goldkrumen vorsichtig wieder auf den Stofffetzen. Dann fuhr er erschrocken herum, denn gerade in diesem Moment öffnete sich die Tür des Kontors. Ein blasser Mann von gewaltiger Statur stand im Eingang. Er war schlecht rasiert und sein haselnussbraunes Haar fiel in dünnen Strähnen über eine kurze Stirn und die buschigen Brauen, unter denen zwei blassgraue Augen stechend hervortraten. Jokoff kannte diesen Mann nicht, aber er hatte das Gefühl, dass er ihn irgendwo schon einmal gesehen hatte. Er erinnerte Jokoff an jemanden, an irgendjemanden.
„Gott zum Gruße, Herr Cramer.“ Die Stimme des Fremden klang rau. Jokoff fühlte sich unwohl. Dann erschrak er. Nun wusste Jokoff, an wen ihn dieser Mann, dieses derb geschnitzte Gesicht mit den stechenden Augen, erinnerte. Es war das Gesicht eines Henkers. Jokoff sammelte sich.
„Auch Euch einen guten Tag, mein Herr. Was kann ich für Euch tun?“
Der Fremde trat näher und Jokoff war, als schöbe er eine Wolke aus Eis vor sich her, die ihn erfasste.
„Man sagte mir, Eure Broschen seien von hoher Güte und gute Handwerkskunst. Ich suche etwas Schönes für die Dame meines Herzens“, lächelte das Henkersgesicht. Jokoff sah den Mann ungläubig an. Welches tote Herz konnte er wohl schon meinen?
Den Mann ärgerte Jokoffs Zögern. „Habt Ihr nun eine solche Brosche oder nicht?“, fuhr er ihn an.
„Ja, ja, gewiss, verzeiht“, antwortete Jokoff schnell, steckte sich unbemerkt den Stofffetzen mit den Goldkörnchen in die Rocktasche und fingerte eine Holzschatulle aus dem Verkaufsregal hinter dem Tresen hervor. Er öffnete den Deckel und hob eine Stoffrolle heraus, die er vor dem Fremden ausbreitete und aufschlug. Brosche für Brosche kam zum Vorschein. Jokoff hatte einige von Abrahams Spangen von Agnes mit Verzierungen belegen lassen, die er bei den unterschiedlichsten Handwerkern zugekauft hatte. Fein geschnitzte Intarsien aus edlen Hölzern, filigrane Silberplättchen, farbige Seidenschleifen und Halbedelsteine säumten die Metallspangen. Nicht ohne Stolz präsentierte Jokoff dem Fremden die Schmuckstücke und vergaß darüber fast dessen unangenehme Ausstrahlung. „Bitte, mein Herr. Wir bieten Euch nur die feinste Handarbeit. Dies ist zum Beispiel edles Gehölz aus Italien. Es wächst nicht bei uns. Es ist Olivenholz, das Holz des heiligen Ölbaums. Der Schnitzer, ein Meister seines Fachs, hat aus ihm feinst gearbeitete Heiligenfiguren geschaffen. Oder sehen Sie hier. Ein Vogelnest aus Seide, in denen es sich ein Schwan aus gediegenem Silber bequem gemacht hat. Er würde die Brust Eurer geliebten Frau schmücken und ihre Schönheit noch mehr zur Geltung bringen. Oder hier. Sehen Sie diese wunderschöne Rose? Sie ist aus ...“
„Genug!“, fuhr ihm der Mann derb ins Wort. „Ich will kein Geschwätz kaufen, sondern eine dieser Spangen. Gebt mir die hier.“ Er deutete mit der rechten Hand ungehalten auf die Spange mit dem Silberschwan. Jokoff zuckte zusammen.
„Eine gute Wahl. Ihr habt ein kundiges Auge, mein Herr. Es ist die Edelste ...“
Der Mann schlug mit der Hand auf die Theke. „Wollt Ihr sie mir nun verkaufen oder muss ich Euch erst schütteln?“ Mit zornigen Augen blickte er Jokoff ins Gesicht. Jokoff schwankte zwischen Wut und Furcht. Gerne hätte er diesen Mann für sein ungehobeltes Benehmen einfach aus dem Kontor geworfen. Doch er befürchtete, dass er ihm wohl kaum gewachsen war. Und dann lockte noch der Verkauf der Brosche. Sicher würde ihm der Mann einen halben Groschen oder mehr dafür geben, wenn er ein wenig verhandelte. Jokoff beschloss, die Unverschämtheiten für den Verkauf einer Brosche zu ertragen und lieber den Preis etwas zu erhöhen. Er würgte seinen Ärger hinunter.
„Einen Silbergroschen und sie gehört Euch.“
Der Mann lächelte vergnügt. „Ein stolzer Preis für dieses Ding. Aber Ihr sollt das Geld haben.“ Mit diesen Worten zog der Mann eine Münze aus dem Säckel und warf sie überheblich auf den Tresen. Jokoff starrte ungläubig auf das tanzende Metall. Es war ein ganzer Rheinischer Goldgulden. Dafür hätte der Mann nahezu alle Spangen und noch mehr haben können. Zögerlich legte Jokoff die Hand auf die Münze, nahm sie hoch und betrachtete sie eingehend.
„Sie ist echt, Herr Cramer, keine Sorge. Wollt Ihr mir nun vielleicht endlich die Brosche einschlagen und mir den Rest auf den Gulden herausgeben?“ Jokoff konnte das nicht. Er hatte schlichtweg nicht genug Bargeld, um den Restbetrag auszuzahlen.
„Ich würde gerne, mein Herr, aber meine Kasse gibt heute nicht genug her. Habt Ihr es nicht passender?“
Der Mann grinste. „Heute nicht, wie? Also sonst schon? Seht doch einmal für mich in Eurer Geldkassette nach, ob es sich nicht doch einrichten lässt, dass Ihr mir herausgebt.“
Eingeschüchtert versuchte Jokoff den Mann zu überzeugen „Mein Herr, wenn ich es doch sage. Ich kann Euch nicht herausgeben, so gerne ich es täte.“
Die Züge des Mannes versteinerten sich. „Seht in Eurer gottverfluchten Geldkassette nach. Habt Ihr nicht gehört?“
Nun platzte Jokoff der Kragen. Was bildete sich dieser Mann eigentlich ein? Wütend schlug er den Gulden auf den Tresen. „Ich will, dass Ihr nun geht. Nehmt Euer Geld und verlasst auf der Stelle mein Kontor. Euch geht meine Geldkassette nichts an. Und nun raus oder soll ich nach den Bütteln schicken?“ Jokoff kam um den Tresen herum, um dem Mann die Tür zu öffnen, doch plötzlich erhielt er einen Schlag in den Magen, dass ihm die Luft wegblieb. Stöhnend beugte er sich nach vorne, nur um einen heftigen Stoß an den Kopf zu erhalten. Es warf Jokoff krachend und scheppernd in einen Stapel Kisten neben den Tresen. Einige brachen auseinander und haufenweise gezogene Kerzen fielen heraus und zu Boden. Jokoff schlug dabei so heftig mit dem Kopf an die Tür zur Küche, dass diese sich einen Spalt öffnete. Sofort erschienen Agnes und Grite, die den Schlag gehört hatten und sich wunderten, was im Kontor vor sich ging.
Der Fremde stand breitbeinig im Raum und lachte. Dann sah er Agnes. „Oh, was ist denn das für ein hübsches Täubchen? Deine Frau, Cramer? Wenn ich sie so anschaue, dann fallen mir auf der Stelle ein paar ganz lustige Sachen ein, die ich mit ihr anstellen könnte. Sachen, die du nicht einmal zu träumen wagst“.
Jokoff war benommen. Mühsam versuchte er sich zu erheben, doch seine Arme gaben immer wieder nach. Sein Magen schmerzte höllisch und vor seinen Augen tanzten Sterne umher. „Agnes lauf’ und hol’ die Büttel. Rasch!“, brachte er stöhnend hervor.
Der Mann äffte Jokoff nach „Ja, Agnes, los. Lauf’ und hol’ die Büttel. Lauf’ und hol’ die Büttel!“ Dann lachte er laut und fugte donnernd hinzu: „Los Agnes, geh’ schon und hol’ sie. Denn auch ich habe den Bütteln einiges zu berichten und es wird sich weisen, wer von uns beiden danach in den Turm kommt. Ich oder du.“ Dabei zeigte er mit der ausgestreckten Hand auf Jokoff Cramer, der es mittlerweile geschafft hatte, sich aufrecht an den Türrahmen zur Küche zu setzen und den Fremden ratlos anstarrte. Auch Agnes, die sich schon auf den Weg nach draußen gemacht hatte, hielt inne.
„Ja, jetzt glotzt ihr dumm, nicht wahr?“ Zügig ging der Mann um den Tresen herum. „Hast du deine Geldkassette noch immer hier in der mittleren Schublade, Cramer?“ Er zerrte die Schublade aus dem Holz, holte die Kassette mit dem Geld hervor und sah hinein. Enttäuscht ließ er sie sinken und schüttete den Inhalt auf den Boden. Die wenigen Münzen aus der Kassette klimperten auf die Dielen, rollten umher, bis sie irgendwo anstießen, um umzufallen und schließlich liegen zu bleiben.
Agnes ergriff das Wort und stellte sich mutig vor den Mann. „Was im Himmel bildet Ihr Euch ein und wer gibt Euch das Recht, meinen Mann zu schlagen und uns zu überfallen?“
Der Fremde schmunzelte. „Ja, so ist es recht. Du hast weitaus mehr Mut in den Knochen als dein kümmerlicher Mann. Du gefällst mir wirklich. Ich mag es, wenn sich die Weiber wehren, dann macht es mehr Spaß zu siegen.“
Er kniff Agnes in die Wange. Sie schrie und schlug dem Mann ins Gesicht. „Es reicht. Ich hole jetzt die Büttel und dann werden wir sehen, ob Ihr noch so unverschämt seid.“
Der Mann rieb sich verärgert die Wange und stellte sich Agnes in den Weg. „Du kleiner Teufelsbraten, sieh dich vor“, zischte er. „Wie ich schon sagte, du magst ruhig die Büttel holen, doch ich weiß nicht, wie es Euch schmeckt, wenn sie das hier zu Gesicht bekommen.“ Der Mann zog ein Dokument aus der Tasche, faltete es auseinander und las:
„Frankfurt am Main, am Tag 1 Oktober Anno Domini 1508,
Ich, Jokoff Cramer, Händler und Kaufmann zu Frankfurt am Main, der Unterzeichner dieses Schuldscheins, bekenne mit Gott als Zeugen und bei klarem Verstand, dass ich Herrn Benisch Stoltzer, ebenfalls Händler und Kaufmann zu Frankfurt am Main, 120 Rheinische Goldgulden für Waren schulde, die mir Letztgenannter in Großmut und Güte zur Zahlung aussetzte, und dass ich diese Schuld begleichen werde, spätestens bis zu dem Tag, an dem ein Jahr nach der Unterzeichnung verstrichen ist. Als Sicherheit verpfände ich Herrn Benisch Stoltzer meinen gesamten beweglichen und unbeweglichen Besitz, darunter namentlich mein Haus und Kontor in der Fahrgasse zu Frankfurt am Main, nebst aller Waren in meinem Lager, mit dem er nach Ablauf der Frist verfahren kann, wie es ihm beliebt, und mir hernach nur noch gehalten sei, die Differenz aus der Verwertung meines Besitzes und der obigen Summe zu zahlen. Wenn mein Besitz in diesem Falle den obigen Schuldwert nicht decken sollte, so bleibe ich für die Differenz bei Herrn Benisch Stoltzer so lange verschuldet, bis ich den fehlenden Betrag aufbringen und die gesamte Schuld begleichen kann.
Jokoff Cramer
Nun Agnes, mein Täubchen. Das Jahr ist bald verstrichen. Willst du immer noch die Büttel holen und deinen Mann im Schuldturm besuchen, wenn Herr Stoltzer Euch vor die Tür seines Hauses gesetzt hat? Denn laut dieses Schuldscheines dürfte es ihm ja bereits in einem Monat gehören. Dann nur zu. Geh nur.“
Der Mann faltete das Papier zusammen und steckte es wieder ein. Mit Genugtuung betrachtete er die Cramers, denen das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand. Ruhig fuhr er fort: „Mein Name ist Jeckel Schmied. Ich bin im Auftrag des Herrn Benisch Stoltzer unterwegs, um mich nach dem Stand der Rückzahlung zu erkundigen, doch mir scheint, ich werde ihm nichts Gutes berichten können. Eure Kasse ist leer, bis auf diese paar elenden Groschen und Pfennige hier.“ Er schnickte wütend eine der am Boden liegenden Münzen mit dem Fuß über die Dielen, „und das scheint mir nicht zu genügen. Was also, frage ich euch, soll ich meinem Herrn berichten?“
Agnes sah auf ihren Mann, der sich mühsam erhoben hatte und resigniert am Türrahmen stand. Jokoff zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich habe kein Geld, das seht Ihr doch selbst. Woher soll ich es so schnell nehmen?“
Jeckel Schmied baute sich vor Jokoff auf. „Das ist mir völlig einerlei, woher du das Geld nimmst. Ich würde euch am liebsten sofort aus diesem Haus werfen, weil ich nicht glaube, dass du auch nur einen Bruchteil dessen wirst bezahlen können, aber Herr Stoltzer ist aufrecht. Er hält sich an seine Abmachungen. Genau einen Monat ab heute hast du laut Schuldschein noch Zeit, die Summe zurückzuzahlen. Einen Teil hast du bereits beglichen, warum nicht also noch den Rest? Mit Zinsen sind es doch nur noch einundsechzig Gulden.“
„Zinsen sind für Christen verboten und davon steht auch nichts in diesem Schuldschein!“, fuhr Agnes dazwischen. Jeckel Schmied drehte sich blitzschnell um und packte die überraschte Agnes am Kragen, dass es ihr die Luft abschnürte. Seine Augen funkelten gefährlich. „Du bist mir eine gehörige Portion zu vorlaut, Weib. Welcher Judd hätte euch damals Geld geliehen? Keiner. Deshalb ist dein Mann auch zu Stoltzer angekrochen gekommen. Und ein Judd nimmt vier Zehntel, Stoltzer nur drei. Halt also besser dein Schandmaul, bevor ich es dir stopfe. Dein Mann hat dir anscheinend verschwiegen, dass er dafür etwas an Zinsen zu zahlen hat. Und es muss auch nicht im Schuldschein stehen. Es genügt völlig, dass ich es weiß, verstehst du das?“ Er stieß Agnes von sich. „Also, in einem Monat sehen wir uns wieder, und wenn ihr das nicht wollt, was ich durchaus verstehen könnte“, lachte Schmied hässlich, „dann seht zu, dass ihr Herrn Stoltzer vor Ablauf dieser Frist das gebt, was ihm zusteht. Oder aber ich werde es für ihn holen.“
Mit diesen Worten ging Jeckel Schmied aus dem Kontor, ohne sich noch einmal umzudrehen, und ließ die Tür zur Gasse hin einfach offen stehen. Ein Bürger gaffte im Vorbeigehen neugierig hinein, ging aber rasch weiter, als er die Szene sah. Agnes liefen zornige Tränen über die Wangen. Sie hatte soeben ihre letzte Hoffnung darauf verloren, dass ihr Leben jemals wieder glücklich werden könnte. Auch Grite schluchzte still vor sich hin. Jokoff fasste sich als Erster. „Agnes, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es tut mir Leid. Es ist alles meine Schuld. Das habe ich nicht gewollt.“
Seine Frau wischte sich hastig die Tränen aus dem Gesicht. „Nein, Jokoff, das hast du sicher nicht gewollt. Wer wollte auch schon einen solchen Gläubiger freiwillig im Nacken haben? Und doch ist es deine Schuld, da hast du völlig recht. Du hast nie auf deinen Vater gehört, hast seine Einwände immer als Einmischung abgetan, obwohl er zweifelsohne ein besserer Kaufmann war als du. Selbst Greger hat früh erkannt, dass du das Geschäft nicht gut genug führst, doch was hätte er tun sollen? Du hast seine Bemerkungen immer als Frechheiten gegen den eigenen Vater und als dummes Geschwätz eines vorlauten Jungen abgetan. Mehr als einmal hat er sich eine Schelle von dir eingefangen. Und dass du dem Stoltzer auch noch Zinsen zahlst, dass hast du mir verschwiegen. Doch all das Gejammer und Geklage hilft nun nichts, denn etwas muss nun geschehen. Ich sage dir, was du tun wirst und auch wenn es nur ein schwacher Hoffnungsschimmer ist, es ist alles, was uns noch bleibt. Aber wenn du es nicht tust, dann werde ich mit Grite und Greger lieber nach Mainz zu meinem Bruder gehen und um Aufnahme flehen, als noch länger bei dir zu bleiben. Lieber verdinge ich mich als Magd, als an der Seite eines Mannes zu bleiben, der tatenlos in sein Verderben stürzt und seine Familie mit in den Abgrund reißt.“
Jokoff zitterte am ganzen Leib. „Agnes ich verbiete dir, so mit mir zu sprechen!“ Er klang wenig beeindruckend.
Agnes lächelte traurig. „So, du verbietest es mir? Ich schwöre dir bei Gott, Jokoff, dass ich gehen werde und nichts und niemand wird mich aufhalten. Du kennst mich und weißt, dass ich nicht scherze. Jahr und Tag habe ich zu dir gestanden, wie es sich für ein anständiges Eheweib geziemt. Und ich lasse dich auch jetzt nicht im Stich, wenn du tust, was du kannst. Aber wenn nicht, dann werde ich um die Aufhebung unserer Ehe bitten, und wenn ich beim Erzbischof persönlich auf Knien vorsprechen muss. Ich habe dann nichts mehr zu verlieren. Höre einmal in deinem Leben auf andere Leute und überwinde deinen Starrsinn. Er hat uns bisher nur Ärger eingebracht.“ Agnes atmete schnell. Es war ihr nicht leicht gefallen, das ihrem Mann zu sagen. Ja und sie wusste sogar, dass es ihr gesetzmäßig nicht zustand. Wahrscheinlich würde nicht einmal der Erzbischof diese Ehe mit Jokoff annullieren, das stand einfach keinem Weib zu. Doch es war ihr bitterernst und Jokoff spürte das. In ihm tobten Frust und Wut. Wut über seine eigene Dummheit, dass er sich jemals auf ein solches Geschäft mit Stoltzer eingelassen hatte. Wut auf Jeckel Schmied, diesen unverschämten Halunken, der es gewagt hatte, in seinen eigenen vier Wänden Hand an ihn, Agnes und sein Eigentum zu legen. Jokoff war gedemütigt. Schuldenlast und Ehrverlust hatten sich wie fette Trolle in seine Schultern gekrallt und versuchten ihn zu Boden zu ziehen.
„Was schlägst du vor, was soll ich tun?“, fragte er Agnes mit tonloser Stimme. Agnes Cramer strich sich eine Haarsträhne nach hinten, die sich gelöst hatte.
„Grite, mein Schatz, geh’ nach oben. Ich muss mit deinem Vater etwas besprechen.“
Grite sah ihre Mutter verzweifelt an und wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen. Agnes ging zu ihr, wischte die kleinen Tümpel aus dem Gesicht ihrer Tochter und strich ihr zärtlich durchs Haar. „Geh’ schon, mein Schatz, geh’“. Grite sagte nichts. Sie sah zu ihrem Vater hinüber, der ihrem Blick auswich, dann zu ihrer Mutter. Wortlos stieg sie schließlich die Stiegen hinauf und zog oben die Tür hinter sich zu. Agnes drehte sich mit einem ernsten Gesicht zu ihrem Mann um.
„Was für ein Apparatus ist das, den Abraham Siebenthal da baut?“
Jokoff starrte sie an. Das also hatte sie gemeint. Hastig suchte er nach einer glaubhaften Lüge, einer guten Geschichte, um das Geheimnis weiterhin vor ihr verbergen zu können. Er wollte sie nicht in Gefahr bringen, denn der Fluch des Dokumentes und dieser Maschine war vielleicht die heilige und gnadenlose Rache Gottes. Sie sollte nicht auch noch seine Agnes vernichten. Ihn hatte sie bereits erfasst. Doch wollte ihm nichts einfallen, und selbst wenn er seiner Frau eine gute Geschichte auftischen könnte, sie würde ihn durchschauen. Es hatte keinen Sinn mehr, nach Ausflüchten zu suchen, er musste ihr die Wahrheit sagen und beten, dass Gott ihm beistand. Ohne zu antworten, zog er den kleinen, grünen Leinenballen aus der Tasche und legte ihn Agnes in die Hand.
„Schau es dir an, Agnes. Aber sei vorsichtig. Es ist sehr klein und könnte herausfallen.“
Verwundert nahm Agnes den Stoff aus Jokoffs Hand und betrachtete ihn argwöhnisch.
„Was ist das?“, fragte sie mürrisch.
„Komm mit.“
Jokoff ging in die Küche und machte sich daran, zwei Kerzen auf dem Tisch anzuzünden. Agnes folgte ihm, legte den Stofffetzen auf den Tisch und sah Jokoff fragend an.
„Mach es auf.“
Agnes setzte sich und wickelte vorsichtig das Körnchen aus dem Stoff.
„Was soll das sein?“
„Halte es ins Licht und du wirst es erkennen.“
Agnes konnte das Körnchen mit ihren zarten Fingern greifen und besah es eingehend im Kerzenschein. Dann fuhr sie auf.
„Bei Gott, Jokoff, das ist ja Gold!“
Jokoff ließ sich auf seinen Stammplatz an der Stirnseite des Tisches fallen.
„Ja, das ist Gold.“
„Aber wo um Himmels willen hast du es her? Von Abraham Siebenthal?“
„Ja, Agnes. Abraham Siebenthal hat es mir heute Morgen gebracht, kurz bevor dieser Kettenhund von Stoltzer hier bei uns erschienen ist und um sich biss. Und nun verrate ich dir, was für einen Apparatus Abraham gebaut hat. Es ist ein Apparatus, der Gold aus unedlem Metall erschaffen kann. Das, was du hier in deinen Fingern hältst, dieses unscheinbare Körnchen, war vielleicht einmal ein Stück Eisen oder Blei. Doch nun ist es pures Gold, gemacht mit Abrahams Maschine. Deshalb habe ich es dir nicht verraten. Du hättest es mir ja doch nicht geglaubt.“
Agnes Wangen glühten. „Aber wenn das stimmt, dann ...“. „Ja, dann“, fuhr ihr Mann für sie fort, „dann hat Abraham eines der größten Geheimnisse der Menschheit gelöst. Dagegen nimmt sich die Summe, die ich Benisch Stoltzer schulde, wie ein falscher Heller aus.“
Wieder beäugte Agnes Cramer das Körnchen zwischen ihren Fingern. Es war klein, aber es hatte diesen unverkennbaren Glanz. Kein Zweifel, es musste Gold sein. Gefasst sah Agnes zu Jokoff auf. „Wie lange, meinst du, wird Abraham brauchen, um so viel Gold herzustellen, dass wir Stoltzers Schulden bezahlen können?“
Jokoff zuckte mit den Achseln. „Er arbeitet nun erst seit zwei Wochen daran und das Gold, das du in den Fingern hältst, ist alles, was ich bis jetzt von ihm erhalten habe. Wenn er so weiter macht, wird es ein Menschenleben dauern, bis wir genug Gold zusammenhaben.“
„Wenn das auch alles ist“, warf Agnes skeptisch ein.
Dieser Gedanke war Jokoff noch gar nicht gekommen. Was, wenn Abraham ihn betrügen würde? Was, wenn er den Großteil des gemachten Goldes behielte und ihn nur ab und an mit einem Körnchen abspeiste. Doch diesen Gedanken verwarf er schnell wieder und schüttelte den Kopf. „Nein, das glaube ich nicht. Er ist gewiss genauso daran interessiert wie ich, aber ich würde es doch rasch bemerken, wenn er auf einmal viel Geld besäße. Und dann könnte ich aus Wut oder Rache das Geheimnis verraten. Das will Abraham auf keinen Fall. Und außerdem brauchte er meine paar Groschen dann auch nicht mehr.“
Agnes saß nachdenklich am Tisch. Vorsichtig legte sie das Goldkörnchen auf den Leinenfetzen zurück. „Gut, Jokoff. Ich fasse zusammen. Abrahams Apparatus scheint dieses Mal tatsächlich zu funktionieren. Es ist nicht bewiesen, aber dieses Goldkörnchen gibt zumindest Anlass zur Hoffnung. Niemand weiß jedoch, ob und wann Abraham genug Gold herstellen kann, dass dein Anteil groß genug sein wird, um uns bei Benisch Stoltzer auszulösen. Wir haben keine Zeit mehr. Folglich gibt es nur eine einzige Möglichkeit, schnell an genügend Geld zu kommen.“
Jokoff Cramer sah seine Frau fragend an. „Was meinst du?“
„Du musst deinen Anteil an dieser Erfindung verkaufen.“
Jokoff sprang auf. „Verkaufen? Meinen Anteil? Aber dann wäre ja alles umsonst gewesen!“
„Nein“, wandte Agnes ein, „umsonst wäre es gewesen, wenn es Abraham nicht gelingen sollte und der Monat verstrichen wäre, den uns Stoltzer noch zugesteht. Denn dann würdest du alles verlieren. Deinen Besitz, die Maschine, die du eigentlich schon jetzt nicht mehr finanzieren kannst“, sie machte eine lange Pause und fügte traurig hinzu, „und mich. Noch hast du Zeit, aber die verrinnt schnell.“
Jokoff setzte sich wieder und starrte an die Wand. Er hatte Agnes’ Drohung noch in den Ohren. Sie würde ihn verlassen. Sie würde gehen. „Wem soll ich das verkaufen?“
Agnes lächelte geschäftstüchtig. „Na, wem wohl? Benisch Stoltzer natürlich.“
Jokoff sah sie entgeistert an.
„Schau nicht so. Du gehst zu Stoltzer und bietest ihm deinen Anteil zum Kauf an. Nimm das Goldkörnchen mit und zeige es ihm. Was hast du zu verlieren? Wenn er ablehnt, kann man immer noch versuchen, einen anderen Interessenten zu finden oder vielleicht gewährt er dir wenigstens weiteren Aufschub. Doch morgen gehst du als Erstes zu Abraham und lässt dir den Apparatus zeigen. Das kann er dir nicht verwehren, denn schließlich bist du sein Teilhaber und du musst Gewissheit haben. Versprichst du es mir?“
Jokoff zögerte und dachte nach. Agnes hatte recht. Lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach. Er würde es so machen. Er nickte.
„Gut“, sagte Agnes, „dann werde ich jetzt zu Grite nach oben gehen und mit ihr sprechen. Sie braucht mich.“ Sie erhob sich und ließ Jokoff alleine in der Küche zurück. Der saß nachdenklich am Tisch, den Kopf auf die Arme gestützt, und sah den Kerzen beim Abbrennen zu. Vielleicht hatte das alles seinen Sinn, war Gottes vorbestimmter Weg für ihn? Wie nah doch Freude und Leid nebeneinanderlagen in diesen unsicheren Tagen. Zuerst das Glücksgefühl, das ihn erfasst hatte, als Abraham ihm das Goldkörnchen übergeben hatte. Hoffnung und Zuversicht waren in ihm aufgekeimt wie ein zartes Pflänzchen. Doch das hatte dieses Henkersgesicht von Jeckel Schmied einfach zertrampelt. Demütigung und Spott hatte Jokoff über sich ergehen lassen müssen. Das wollte er nie wieder erleben. Agnes war sein Halt. Und sie war gewitzt. Er sollte auf sie hören, und Abraham war es ihm schuldig, den Apparatus vorzuführen. Es war an Jokoff allein, über seinen eigenen Anteil an diesem Geschäft zu verfügen. Schwur hin, Fluch her, denn was nützte Abraham schon ein bankrotter Geldgeber – der er in wenigen Wochen mit Sicherheit sein würde –, wenn sich Stoltzer auf seinen Vorschlag nicht einließe? Eine der Kerzen verlosch zuckend und hauchte eine letzte, gekräuselte Rauchfahne in die Luft. Jokoff schenkte sich ein Bier nach und beschloss, auch noch der anderen Kerze beim Sterben zuzusehen und sich erst dann zu seiner Frau ins Bett zu legen.