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Frankfurt am Main Dienstag vor Mariä Geburt 4. September Anno Domini 1509

Greger machte sich voller Vorfreude auf zu Dorothye. Sein Vater hatte ihm den Nachmittag freigegeben, denn es gab heute nicht mehr allzu viel zu tun. Das Kontor hatte Greger schon früh morgens aufgeräumt und zusammen mit seinem Vater die angelieferten Waren einsortiert: Decken, einige Felle, Knöpfe, Schnallen sowie Gürtel aus den Gerbereien Frankfurts. Weitere Lieferungen würden heute nicht mehr kommen und mehr Geld stand für den Wareneinkauf auch kaum noch zur Verfügung. Jokoff Cramer ahnte zwar sicherlich, wohin sich sein Sohn in seiner freien Zeit begeben würde, aber er hatte nichts weiter dazu gesagt. Ginge es ihm besser, würde er sich sicher vehementer dagegen stellen, doch im Moment hatte er andere Sorgen. Oft genug schon hatte er Greger von der – in seinen Augen nicht standesgemäßen – Beziehung zu Dorothye Hausner abgeraten. Und das nur, weil ihr Vater nicht der Gilde der Frankfurter Kaufleute angehörte. Ja, er hatte ihn sogar das eine oder andere Mal dazu gedrängt, sich endlich eine anständige Frau aus gutem Hause zu suchen statt einer einfachen Krämerstochter. Die Töchter der Kaufmannsfamilien Heberlin und Schmaller seien noch frei, gesund und mit sechzehn Jahren doch gerade im besten Alter, hatte Jokoff Cramer betont. Und ihre Eltern sind reich und werden dir eine schöne Mitgift einbringen, hatte Greger in Gedanken hinzugefügt, aber nichts gesagt. Greger wollte das nicht. Er liebte Dorothye, da konnte ihn sein Vater noch so sehr drängen. Es würde ihm nichts nutzen. Greger wollte sein Herz nicht für eine Mitgift verschachern. Da blieb er lieber allein, auch wenn er befürchtete, dass er irgendwann einmal werde heiraten müssen. Aber wer konnte schon genau wissen, wann das sein würde, so düster, wie sich die Zukunft des Hauses Cramer im Moment ausnahm.

Gedankenverloren trat er in einen Haufen Pferdeäpfel, der mitten auf der Fahrgasse lag. Er schnickte sich den Mist vom Schuh, ließ das Gelächter der Gassenjungen hinter sich und überquerte zielsicher den Bornheimer Brunnenplatz. Nachdem Greger das Obertor zur Zeyl hin durchschritten hatte, folgte er der Gasse ostwärts in Richtung des Allerheiligentores. Der Krämerladen von Dorothyes Vater, Bechthold Hausner, lag genau an der Ecke zur Breiten Gasse, die etwa in der Mitte der Allerheiligengasse nach Norden abzweigte. Dorothye stand vor dem Laden und sortierte konzentriert Webtücher auf dem Auslagentisch. Schon von Weitem konnte Greger ihre schwarz glänzenden Haare erkennen, die unter der Haube in zwei dicken Zöpfen auf den Rücken herunter hingen. Dorothye bemerkte nicht, dass Greger sich hinter sie geschlichen hatte.

„Sagt, edles Fräulein, was mag ein solch feiner Stoff wohl kosten, der einem Fürsten zur Ehre gereichen würde?“, fragte Greger mit verstellter Stimme. Behutsam legte er ihr dabei die Hand auf die Schulter.

Dorothye drehte sich um und schlug die ihr fremde Hand fort. „Finger weg und spottet nicht über unser Tuch, es ist ...“ Jetzt erst erkannte sie Greger. „Ach, du? Du elender Hofnarr! Jedes Mal falle ich wieder auf dich herein“, fuhr sie ihn in gespielter Entrüstung an. Dann wurde ihre Stimme sanft. „Es ist schön, dich zu sehen. Komm, wir gehen hinein. Mein Vater ist nicht da, und es wird schon genug getratscht. Diese gaffenden Weiber hinter ihren Fensterritzen haben sonst nichts zu schaffen.“

Er folgte Dorothye drei ausgetretene Sandsteinstufen hinauf in den engen Krämerladen. Greger sah sich um. Gewiss, sein Vater hatte recht. Viel Reichtum war von einer Verbindung mit der Familie Hausner nicht zu erwarten. Dieser kleine Laden bot kaum genug Ertrag, Dorothye und ihren verwitweten Vater zu ernähren. Aber es gab hier etwas anderes, das Greger noch nicht gekannt hatte, bevor er Dorothye unter dem letzten Maibaum zum Tanz aufgefordert hatte. Es war nicht nur das körperliche Verlangen nach einem Weib. Das hätte sich Greger auch für ein paar Münzen bei den Hübschlerinnen erkaufen können. Nein, es war die Liebe. Er war verliebt in Dorothye und sie liebte ihn. Greger kannte zu viele Söhne anderer Kaufleute, die sich auf die Ehe mit einer Frau eingelassen hatten, die sie nicht liebten. Sie hatten nur zugestimmt, um den Eltern zu gefallen und den Standesanforderungen zu genügen oder um wirtschaftliche Beziehungen zu festigen. Manchmal auch, weil ihnen schlichtweg keine andere Wahl gelassen wurde. Früher oder später jedoch waren sie alle zu den Dirnen gegangen oder hatten eine Magd verführt. Einige hatten nun einen Bastard am Bein, der vertuscht und bezahlt werden wollte. Diese Männer hatten entweder die wahre Liebe nie kennen gelernt oder aber stellten Geld und Macht über ihre Gefühle. Das eine war für Greger genauso bedauerlich, wie er das andere verwerflich fand. Dorothye schlang ihre Arme um Gregers Hals und küsste ihn lang und innig. Dann ließ sie wieder von seinen Lippen ab und funkelte ihn mit ihren smaragdgrünen Augen liebevoll an.

„Du hast mir gefehlt, Greger Cramer“.

„Du mir auch, mein Herz.“

Dorothye fuhr Greger durch die Haare, doch plötzlich stutzte sie „Was ist mit dir?“

„Ach, nichts“, entgegnete Greger wenig überzeugend.

„Erzähl mir keine Märchen. Ich kenne dich nun schon ein wenig und spüre, wenn du Sorgen hast. Also?“

Sie stupste ihn leicht mit der Hand vor die Brust. Greger löste sich von ihr. „Ach, es ist mein Vater und das Kontor. Es will und will nicht besser werden mit den Finanzen. Er steht bei Stoltzer hoch in Schulden und wird nicht zahlen können, wenn es so weitergeht. Und natürlich drängt er mich ständig, ich solle mir endlich eine gut betuchte Frau anlachen. Er meint sicher, ich solle ihm eine gut betuchte Mitgift anlachen. Das ist es.“

Dorothye zuckte gefasst mit den Schultern. „Kannst du es ihm verübeln? Alle machen es so und für eure Familie wäre unsere Verbindung kein Vorteil. Im Gegenteil. Sieh dich um. Uns geht es auch nicht besser als euch, nur dass wir wahrscheinlich nicht so tief in der Kreide stehen. Aber mehr als unser täglich’ Brot und einmal im Jahr vielleicht ein neues Kleid für mich oder ein Hemd für meinen Vater wirft dieser Laden nicht ab. Wenn Vater nicht auch noch auf die Märkte fahren würde, dann wüssten wir gar nicht mehr, was wir essen sollten. Sieh dir meine Schuhe an. Ich trage sie seit bald drei Jahren, seitdem ich vierzehn geworden bin. Mir tun die Füße weh, aber neue kann ich mir nicht kaufen. Doch all das Jammern hilft nichts. Jeder so gut, wie er kann und wie Gott ihn lässt. Ich habe dir immer schon gesagt, dass unsere Liebe etwas Wunderbares ist, aber nichts für die Ewigkeit. So sehr ich es auch bedauere, aber ich glaube nicht daran.“

Greger verschränkte die Arme vor der Brust und starrte verärgert an die Wand. Er wusste, dass Dorothye recht hatte, wollte es sich aber nicht eingestehen.

Sie nahm behutsam seine Hand. „Greger, mein Liebster, du weißt doch, dass es stimmt, was ich sage, nicht wahr? Lass es uns genießen, solange es geht. Aber weder würde es dein Vater je erlauben noch könnte meiner es sich leisten. Es geht nicht. In meinem Herz wohnt niemand außer dir. Und wenn du eines Tages eine andere heiraten wirst, so wird es zerspringen vor Schmerz, aber ich werde dich nicht hassen dafür. Ich könnte es verstehen.“

Greger schüttelte ihre Hand ab. „Ich könnte es nicht verstehen“, rief er erbost. „Dann müssen wir eben fortgehen. Weg von hier, an einen anderen Ort, wo mir die Stände, die Gilde und das Geschwätz meines Vaters mal den Buckel runterrutschen können.“

Mitfühlend sah Dorothye Greger an. Wenn er aufgebracht war, wirkte er manchmal noch wie ein kleiner Junge. „Wo soll das sein? Und womit willst du das bezahlen? Für so etwas braucht man Geld, Greger, und das haben wir beide nicht. Außerdem könnte ich meinen Vater nicht alleine zurücklassen. Er hat niemanden sonst und einen Knecht kann er sich nicht leisten. Meine Mutter und meine Brüder sind tot. Das weißt du doch. Er schafft es nicht ohne mich.“

Greger war außer sich. „Gut“, brüllte er, „dann geh’ ich jetzt und such mir eine feine Tochter reicher Kaufmannseltern. Wenn es alle so wollen, dann muss es wohl das Richtige sein. Fett und hässlich kann sie ruhig daherkommen und Zähne braucht sie auch keine im Maul. Es ist mir auch gleich, an welchem Fleck ihr Herz sitzt. Nur einträglich muss es sein. Schau doch mal bei meinem Vater vorbei und rede mit ihm. Ich richte ihm gerne aus, dass du seiner Meinung bist und dich mit ihm treffen möchtest. Gewiss werdet ihr mir zusammen schon ein feines Weib aussuchen!“ Mit diesen Worten stürmte Greger aus dem Krämerladen und ließ die bestürzte Dorothye zurück. Auf der Straße wischte er sich die Wuttränen aus den Augen und rannte die Allerheiligengasse entlang, die er nur verschwommen wahrnahm. Raus, nur raus aus der Stadt. Für einen Augenblick wenigstens. Er würde sich an den Main setzen und alleine sein. Alleine nur mit Gott, der ihm Dorothyes Liebe anscheinend nicht gönnte.

Kurz darauf betrat Bechthold Hausner seinen Laden. Über der Schulter trug er eine Holzstange, an der verschieden große Töpfe und Pfannen an Haken herabhingen. Mit dem Daumen der freien Hand zeigte er über seine Schulter nach draußen. „War das nicht Greger Cramer, der da eben grußlos aus unserem Laden geflohen ist?“

Dorothye nickte stumm. Sie kämpfte mit den Tränen. Bechthold Hausner ging zu ihr und stellte die Töpfe klappernd auf den Boden. „Ach, meine kleine Amsel. Du liebst ihn wirklich, nicht wahr? Hätte ich einen Zuber voll Gold, dann wäre er nur für deine Aussteuer. Ich wollt’ davon nichts haben. Ich schwör’s bei Gott. Aber“, fuhr er betrübt fort, „ich habe leider keinen solchen Zuber und weiß nicht, wo ich ihn hernehmen soll.“ Dorothye entgegnete nichts. Stattdessen umarmte sie ihren Vater so fest sie nur konnte. Dann rannte sie auf ihre Kammer und weinte.

Der Fluch des Mechanicus

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