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3. Warum „Ethos“ bzw. „Weisung“ und nicht „Gesetz“? – Auers an der Bibel orientierte Deutung der Geschichtlichkeit bzw. der Genealogie moralischer Einsichten15

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Im ersten Kapitel der „Autonomen Moral“ bestimmt Auer das „Sittliche“ im Sinne eines „Weltethos“. Damit meint er vor allem, dass Moral unter dem Anspruch einer rational und realistisch erfassten „Wirklichkeit“ steht. „Wirklichkeit“ enthält die Wirkkräfte, die in der Welt wirken, ist insofern keine platte Realität. Auch die Religion gehört zu dieser Wirklichkeit. Auer wirft hier einen Blick auf die Tradition, aus der das Wort stammt: das Schöpfungswirken Gottes, das nur im deutschen Wort erhalten ist und in den anderen europäischen Sprachen zur bloßen „Realität“ absinkt. Anschließend geht es um die Vernunft und ihr anthropologisches Deutungspotential. Darauf komme ich ausführlicher zu sprechen.

Das 2. Kapitel ist für Auers These von zentraler Bedeutung. Auer möchte nämlich zeigen, dass die moralische Vernunft der Geschichtlichkeit überantwortet ist: „Die geschichtliche Betrachtungsweise vermag […] im Unterschied zur abstrakt spekulativen, jene Offenheit durchzuhalten, in der zukünftige Möglichkeiten eine reelle Chance haben, neue Seiten des Menschen zur Entfaltung zu bringen“ (S. 29). Er zeigt dies am Beispiel der Behandlung des „Weltethos“ in der Bibel und an Versuchen in der Geschichte der Moraltheologie (S. 123–136). Die biblische Integrierung moralischer Kulturen geschieht nach Auer nicht unkritisch. Aber es geht im Alten Testament darum, dass moralische Kulturen nicht vom Himmel fallen, sondern erst vorgefunden, dann auf eine bestimmte Weise eingeordnet werden. Das „Vorfinden“ liefert das Volk Gottes nicht an eine äußere Kulturwelt aus, sondern beachtet auch dessen „autonome“ Möglichkeiten, sich unterscheidend von der Umwelt – der sittlichen wie der religiösen – zu situieren. Dies gilt nach Auer für die Gesetzestafeln des Moses ebenso wie für das prophetisch-vorauseilende und weisheitliche Ethos, das Lebenserfahrungen umsetzt. Es handelt sich zunächst „nicht um spezifisch israelische Sittlichkeit“ (S. 56), sondern um eine sittliche Sozialordnung, die mit Israel zusammenwuchs und in eine religiöse Ordnung durch den Bundesschluss Gottes gebracht wurde. Damit wurden auch besondere Überbietungen des Ethos möglich. (vgl. S. 66). Der Schritt in eine prophetische Sozialkritik konnte auf der Basis solcher Überbietungen auf Zukunft hin erfolgen. Ähnlich erfolgte der Schritt zum religiös motivierten Weisheitsethos auf der Basis der besonderen religiösen Schöpfungserfahrung. Auer stellt in seinem an den alttestamentlichen Exegeten orientierten Bericht abschließend lapidar fest: „Nirgendwo treffen wir vom Glauben unabhängiges Ethos“ (S. 78). Seine Formel „autonome Moral“ soll also nicht ein sogenanntes „immanentes“ Ethos aus der Glaubenserfahrung herauslösen, aber auch nicht schlicht mit Glaubenserfahrung in eins setzen. Wenn daher Jesus das Liebesgebot radikal theologisiere (S. 86) und das „Reich Gottes“ als neuen Bezugspunkt setze, dann gehe es ihm um ein „Hochethos“, das in der „Feindesliebe“ kulminiere, während z.B. die „Goldene Regel“ die jesuanische Moral mit den weltethischen Möglichkeiten der Antike verbinde. Die Bergpredigt Jesu formuliert Einsichten, die nicht an sich „unvernünftig“ sind, aber über die wechselseitigen Erwartungen von moralischem Verhalten hinausgehen, so dass es nicht die moralische Einsicht ist, die das letzte Wort hat, sondern die Krisis einer zu Ende gedachten Gesetzesmoral, die dann von Paulus aufgegriffen wird.

Es liegt nahe, dass Alfons Auer in seinem Teil auch auf Thomas von Aquin zurückgreift. Er äußert sich damit in einer Kontroverse, die damals von vielen moralphilosophischen und moraltheologischen Studien vor allem zu dem Traktate „De lege“ entfaltet wurde.16 Auer sieht die Position des Thomas als duale Ordnung von Schöpfung und Erlösung. Weniger in den Blick nimmt er die naturteleologischen Voraussetzungen bei Thomas, die in der Debatte um die „natürliche“ Empfängnisregelung und die Homosexualität eine Rolle spielten. Hier formuliert er klar: „Das Sittliche ist (bei Thomas!) autonom gegenüber den physiologisch-biologischen Gesetzlichkeiten; deren Respektierung allein ist nicht an sich schon als moralisch gut zu qualifizieren. Das Sittliche ist autonom gegenüber der Metaphysik; ethische Normen können nicht einfachhin von der natura metaphysica des Menschen oder des menschlichen Aktes durch Ableitung, Extension oder Applikation gewonnen werden. Und schließlich ist das Sittliche autonom gegenüber dem Glauben, auch gegenüber den wesentlichen Grundformen christlichen Existenzvollzuges (Glaube, Hoffnung, Liebe); wenn diese Autonomie nicht konzediert wird, dann trägt die Formel von der ‚die Gnade voraussetzenden Natur‘ nicht mehr“ (S. 130).17 Neben der Thomas-Debatte greift Auer die nachkantische Position Sebastian Mutschelles heraus, welche eine „Säkularisierung der Moral“ (S. 136) ermögliche, ohne aber die Aufgabe einer Beziehung auf den Glauben einlösen zu können.18 Es ist klar, dass man hier und heute in eine Diskussion der Ethik Kants und seinen Versuch, Religion zu denken, einsteigen müsste.19

Autonome Moral und christlicher Glaube

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