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6. Reaktionen
ОглавлениеDer Innsbrucker Moraltheologe Hans Rotter fragte in seiner Besprechung, „ob aus der Tatsache, dass Jesus ethische Inhalte aus dem AT und dieses ethische Traditionen aus früheren Kulturen übernimmt, bereits folgt, dass es sich dabei um immanente, autonome Moral handelt. Steht nicht dieses Traditionsgut bereits seinerseits in einem religiösen Sinnhorizont, der dann nur geklärt und in einer unüberbietbaren Weise vertieft wird?“ Die „Funktion der Kirche“ erscheint ihm als „etwas dürftig“. Er fährt fort: „Wäre da nicht zu befürchten, dass eine solche Anpassung an die Säkularisierung christliche Moralverkündigung zwar zeitgemäß, aber auch überflüssig macht?“42 Hat Auer die autonome Moral mit der Plattitüde einer immanenten Moral gleichgesetzt? Hier erhält „Immanenz“ zugleich das Label einer Verkürzung im Sinne eines Vorbehaltes gegenüber der „ungetauften“ ethischen Vernunft, den Auer nicht teilte. Der Verdacht gegen die „Zeitgemäßheit“ übersieht die Bedeutung des „Zeitgeistes von gestern“, der zur moraldogmatischen Größe geworden ist, obwohl die Begründung dafür nicht oder nicht mehr ausreicht.
Es war damals eine Frage, wie sehr sich die Moraltheologie oder Theologische Ethik einer Vernunft verpflichten durfte, die nicht zuvor von der Theologie in Dienst genommen war. Dabei wurde übersehen, dass nur eine zur Selbstbestimmung und Selbstverpflichtung selbstgesetzte Vernunft in der Lage sein kann, dem Glauben seine Dynamik der Befreiung von den „Zeitgeisten“ zu geben, an die er sich ausgeliefert hat. Erst eine Kirche, die sich mit dem von ihr verdeckten Missbrauch auseinandersetzen musste, war zur Anerkennung ihrer historischen Fehlerfähigkeit gezwungen. Wenn christliche Offenbarung ihre „Offenbarkeit“ für alle Menschen nicht auf dem Forum der Vernunft behaupten kann, macht sie sich selbst unfrei. Der feudale Zeitgeist von gestern ist nicht der Heilige Geist.
Polemische Reaktionen auf seinen Ansatz, insbesondere durch eine Gruppe um Josef Ratzinger, Hans Urs von Balthasar und Bernhard Stoeckle, wurden von ihm bereits in der hier vorgelegten Neuauflage 1984 beantwortet.43 Vorher waren sie auch Thema des Moraltheologen-Kongresses in Freiburg/Schweiz, der unter meiner Leitung stattfand. Josef Ratzinger war dazu eingeladen, musste aber absagen. Zugleich führten die Polemiken zu kirchlichen Schwierigkeiten, die vor allem 1977 in einer Vorladung Auers und einer denkwürdigen Sitzung der bischöflichen Glaubenskommission unter Leitung Erzbischof Ratzingers ausgetragen wurden und die später eine seiner Ehrenpromotionen (Dr. theol. in Wien) aufhielten. An Stelle dieses Dokumentes, das erst freigegeben wurde, als er nicht mehr reisefähig war, erhielt er zunächst den Dr. phil. h.c. in Frankfurt am Main.
Seine gesammelten Schriften zur „Theologie der Ethik“ wurden von mir 1995 in die „Studien zur Theologischen Ethik“ 44 eingereiht. Eine Reihe von Aufsätzen zur konkreten Ethik in den Bereichen Medizin, Recht und Ökonomie zeugt von der bleibenden Bedeutung seiner Kunst abwägender Argumentation. Die Reden zum 90. Geburtstag im Februar 2005 wurden unter dem Titel „Autonome Moral im christlichen Glauben“ veröffentlicht.45 Alfons Auer war einer der bedeutendsten Moraltheologen während und nach dem 2. Vatikanischen Konzil. Nach seinem Tode 2005 wurde er in seiner Heimat, Schönebürg bei Biberach an der Riß, deren Ehrenbürger er war, beerdigt und erhielt einen Gedenkstein.
Die Diskussion des Autonomie-Buches schien in der fachlichen Welt mit einem Autonomie-Kongress in Fribourg 1977, dem eine Reihe von Untersuchungen zur Autonomie in der Reihe „Studien zur Theologischen Ethik“ folgten, weiter geführt. Auer wies die Möglichkeiten seines Ansatzes in einem sorgfältig elaborierten Buch zur „Umweltethik“ (1985) nach. Seit 1980 Emeritus, blieb er lange rüstig, neben seinen Schriften ein begehrter Vortragsredner und Prediger. Sein Werk krönte er mit einem Buch über „Geglücktes Altern“ (1995), das wiederum einige Auflagen erlebte und in dem auch seine menschliche Vorbildlichkeit durchscheint.