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4.6. Anthropologische Wende?

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Mit der sogenannten anthropologischen Wende der Neuzeit wird der Mensch sich selber zur Frage und damit in sich selber fragil. Michael Landmann, den Auer gern zitiert, formuliert dies so: „Im tiefsten Grunde […] entspringt die Frage nach dem Menschen weder der Philosophie noch den Wissenschaften, sondern einer Not der Zeit. Normalerweise nämlich hat der Mensch ein festumrissenes Weltbild von sich. Er glaubt zu wissen, wer er ist, und braucht deshalb nicht nach sich zu fragen. Dem heutigen Menschen dagegen, trotz oder vielleicht gerade wegen seines mannigfaltigen Sichauskennens in der Menschenwelt, fehlt ein solches gültiges Bild von sich. Neben dem Religiösen ist auch das scheinbar so evidente Bild vom Menschen als Vernunftwesen erschüttert: Schopenhauer und Marx, Nietzsche und Freud haben uns gezeigt, daß der Mensch in Wahrheit von ganz anderen Kräften als der Vernunft bewegt wird. Vor allem Nietzsche war groß in der Demaskierung der künstlichen Scheinwelten, durch die sich der Mensch seine wahre Wirklichkeit zu verdecken pflegt.“33 Vielleicht könnte man die Frage nach dem Verhältnis von Gutsein und Dasein des Menschen auch umdrehen: Wenn der Mensch nicht mehr weiß, was gut ist, dann weiß er nicht mehr, wer er selbst ist. Jedenfalls hat es Nietzsche so gesehen: „Nun haben wir die Moral vernichtet – wir selber sind uns wieder völlig dunkel geworden!“ (Wille zur Macht, 594). Kierkegaard hat darauf hingewiesen, dass man mit der Gottesgewissheit auch die Menschengewissheit verloren hat: „Man steckt den Finger in die Erde, um zu riechen, in was für einem Lande man ist. Ich stecke den Finger ins Dasein – es riecht nach nichts. Wo bin ich? Was will das heißen, die Welt? Wer hat mich in das Ganze hineingelockt und läßt mich da stehen? Warum wurde ich nicht erst gefragt, warum nicht mit Sitte und Brauch bekannt gemacht?“34

Michel Foucault spricht dagegen in „Die Ordnung der Dinge“35, das im gleichen Jahr wie Auers „Autonome Moral“ erschien, von „anthropologischen Schlaf“: In der Erfahrung Nietzsches liege eine „Entwurzelung der Anthropologie“. Da Gott und Mensch sich nicht mehr wechselseitig interpretieren können, ist der Tod des Menschen mit dem Verschwinden Gottes gegeben. „In unserer heutigen Zeit kann man noch in der Leere des verschwundenen Menschen denken.“ Diese Leere sei mit allen möglichen Wissenschaften ausgefüllt, die sich mit „dem Menschen“ beschäftigen. Foucault: „Die Anthropologie bildet vielleicht die grundlegende Position, die das philosophische Denken von Kant bis zu uns bestimmt und geleitet hat. Diese Disposition ist wesentlich, weil sie zu unserer Geschichte gehört. Aber sie ist im Begriff, sich unter unseren Augen aufzulösen, weil wir beginnen, darin gleichzeitig das Vergessen des Anfangs, der sie möglich gemacht, das hartnäckige Hindernis, das sich widerspenstig einem künftigen Denken entgegenstellt, zu erkennen und kritisch zu denunzieren. Allen, die noch vom Menschen, von seiner Herrschaft oder seiner Befreiung sprechen wollen, all jenen, die noch fragen nach dem Menschen in seiner Essenz, jenen, die von ihm ausgehen wollen, um zur Wahrheit zu gelangen, jenen umgekehrt, die alle Erkenntnis auf die Wahrheiten des Menschen selbst zurückführen, allen, die nicht formalisieren wollen, ohne zu anthropologisieren, die nicht mythologisieren wollen, ohne zu demystifizieren, die nicht denken wollen, ohne sogleich zu denken, dass es der Mensch ist, der denkt, all diesen Formen linker und linkischer Reflexion kann man nur ein philosophisches Lachen entgegensetzen – d.h.: ein zum Teil schweigendes Lachen.“36 Das „schweigende Lachen“ Foucaults lässt nicht einmal mehr eine „skeptische Anthropologie“ zu, wie wir sie bei Michael Landmann, Helmut Plessner und Wilhelm Weischedel finden.

Welchen Sinn und welche Hoffnung kann man also in den Menschen investieren, der vielleicht nur eine epochale humanistische Erfindung ist und der, seit er sich selbst irreversibel zum Gegenstand von Wissenschaft, Technik und sozialer Planung gemacht hat, immer mehr aus der souveränen Rolle des Fragenden in die abhängige Rolle des Manipulierten, Behandelten, Veränderten und Vergegenständlichten gerät? An dieser Stelle ist nach dem christlichen Glauben zu fragen, etwa auf der Ebene Karl Rahners, der seine Einsicht in den „operablen“ Menschen zur Frage nach der Zukunft des Menschen überhaupt entfaltet.37

Autonome Moral und christlicher Glaube

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