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2. Moraltheologie im Konflikt

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Der Name Alfons Auers ist mit der Erneuerung der Moraltheologie durch das Konzil verbunden. Er hat einen Kommentar zu einigen Kapiteln des Konzilsdokumentes „Gaudium et Spes“ geschrieben. Wie erwähnt gehörte er zu der päpstlichen Kommission, die Paul VI. einberief, um Fragen der Empfängnisregelung zu klären (1964–1967). Diese Frage hatte der Papst durch das Konzil in „Gaudium et Spes“ zwar vorbehandeln, aber nicht endgültig beraten lassen. Der Papst hielt sich dann nicht an den Rat seiner Kommission. Mit der Enzyklika „Humanae Vitae“ (1968) übernahm er zwar das Mehrheitsvotum über die Unterscheidung von Ehesinn (Liebe) und Ehezweck (Zeugung), aber in der Frage des Verbotes „künstlicher“ Mittel folgte er einer kleinen Minderheit der moraltheologischen Experten, die sich u.a. auf die „Natur“ des Aktes bezogen. Für die Moraltheologen, die sich mit der Frage der Kontinuität, der Autorität und der zeitgemäßen Begründung kirchlicher Lehre intensiv auseinandergesetzt hatten, wurde dabei ein fundamentales Problem deutlich, dessen Behandlung in der Empfängnisregelung nur eine Art „pars pro toto“ darstellte: ein ausnahmsloses Verbot auf dem Gebiet sehr spezieller und oft kontextgebundener Normen. Die vom Lehramt 1968 vorgelegten Begründungen sollten nach dem Dokument umso mehr zählen, als an die Konstanz der kirchlichen Lehre und an die Ausstattung des Papstamtes mit dem Heiligen Geist erinnert wurde. Einige Begründungen wurden zunächst in „Familiaris Consortio“ (Johannes Paul II., 1981), später auch in „Veritatis Splendor“ (1993) angereichert und vertieft. Die „natürliche“ Beschränkung der Zeugungsoffenheit des Aktes sollte demnach aus der umfassenden personalen Achtung der Möglichkeit, Vater bzw. Mutter zu werden, erwachsen. Der Ausweg über das persönliche, irrtumsfähige, aber doch zu befolgende Gewissen, der von einigen Bischofskonferenzen (z.B. in der Königsteiner Erklärung der deutschen Bischofskonferenz) angeboten wurde, spielte in der Folge nicht nur bei der Empfängnisregelung, sondern auch beim Sakramentenempfang der wiederverheirateten Geschiedenen und bei der Teilnahme einzelner Katholiken, z.B. in Mischehen, am Abendmahl in der evangelischen Kirche eine Rolle. Dieser Grundansatz fand bei den Theologen, die die Glaubensautorität des Lehramtes strikt und umfassend auf Normen des persönlichen Verhaltens, vor allem im Umkreis der Sexual- und Reproduktionsethik, bezogen, wenig Zustimmung. Man verwies auf die Irrtumsfähigkeit des Gewissens und auf die Verpflichtung, dieses insbesondere an Lehraussagen heranzubilden. Moraltheologen wurden in dieser Spannung auch – vor allem in Italien – gemaßregelt.6 Bischofsstühle in Österreich und Deutschland, teilweise in der Schweiz, waren in Treue zu „Humanae Vitae“ zu besetzen. Daraus hätte sich dann von Rom aus die weltweite Übereinstimmung der Bischöfe, im Rückgriff auf die Kirchenkonstitution des II. Vaticanums „Lumen Gentium“ n. 25, als eine Basis für eine „unfehlbare Norm“ rekonstruieren lassen. Diese Rekonstruktion der Unfehlbarkeit am Beispiel einer moralischen Lehraussage führte u.a. zur Kritik Hans Küngs an der Unfehlbarkeit des Papstes (1970). Auf einen solchen Verdacht aufgrund von Papstansprachen im Herbst 1988 antwortete die sogenannte „Kölner Erklärung“ vom 6. Januar 1989, die u.a. auch Alfons Auer mit unterzeichnete. Rom war aufgrund der weltweiten Zustimmung zur Intention dieser Erklärung beunruhigt. In der Vorbereitung der Moral-Enzyklika „Veritatis Splendor“ (1993) wurden nach Mailand und Zürich als Unterzeichner der Kölner Erklärung Alfons Auer und Johannes Gründel, begleitet von Wilhelm von Eiff, zu Gesprächen eingeladen. Die Gespräche fanden mit den vom Papst entsandten römischen Vertretern (dem polnischen Moraltheologen Thadeusz Stycen und dem Italiener Buttiglione) statt, in welchen es um Normen ging, die ausnahmslos, kontext- und umständeunabhängig gelten sollten (Fachausdruck „per se malum“). Alfons Auer hat die Enzyklika „Veritatis Splendor“ anschließend sorgfältig kommentiert. Er wies insbesondere auf folgende Stelle hin: „Wenn die Akte in sich schlecht sind, können eine gute Absicht oder bestimmte Umstände ihre Schlechtigkeit zwar abschwächen, aber nicht aufheben“ (Nr. 82). Nun bestand zwar in der Moraltheologie weitgehend Einigkeit darüber, daß es solche, durch sich selbst, d.h. durch ihre genaue Umschreibung bestimmte, schlechten Akte gebe, daß man aber, um ihre Schlechtigkeit genau auszuweisen, immer auch schon in der Beschreibung oder Benennung auf Absichten, Umstände und Folgen rekurrieren müsse. So könne am Verbot von Völkermord und Folter kein Zweifel bestehen, weil diese bereits in der begrifflichen Umschreibung ihre Verwerflichkeit nach Art, Gewicht und Folgen angeben würden. Damit wurde für die ganzheitliche Betrachtung einer Handlung argumentiert und gegen die Herauslösung einer reduzierten und isolierten Betrachtung eines Aktes.

Dies war letztlich der Hintergrund, auf dem Auers „Autonome Moral“ (1971) entstanden ist, welche die vorherige Ausschöpfung vernünftiger Begründung vor einer Einweisung der Normen in die Glaubensautorität speziell für „weltethische Weisungen“ verlangte. Freilich wurde Auers Vorschlag, das Lehramt solle „in weltethischen Weisungen“ nach dem Subsidiaritätsprinzip vorgehen, von lehramtlichen Texten nicht weiter durchdacht. Dies hätte in Anlehnung an die starke Stellung des Subsidiaritätsprinzips in der Katholischen Soziallehre7 als Denkmodell durchaus in Betracht kommen können. Vielleicht befürchtete man eine Schwächung der praktischen Zuständigkeit der Kirche für das interne Leben der Gläubigen. Oder man sorgte sich um eine unkritische Betrachtung der durch die Universalität der Sünde geschwächten Rationalität (des „lumen naturale“ im Vergleich zum „lumen supernaturale“ bzw. zur „lux evangelii“). Auer selbst hatte seine „autonome Moral“ als ein bewährtes Verfahren in der Geschichte der Offenbarung, angefangen bei den Zehn Geboten, demonstriert und unterbaut. Seine Argumentation nutzte nicht primär den philosophischen Autonomiebegriff, sondern sie war traditionsgeschichtlich ausgewiesen. Korrespondierend bezog er sich auf die Erfahrung der Wirklichkeit. Die Beweisführung war also vor allem die Offenbarungs- und Glaubensgeschichte als eine Geschichte der „Integrierung“, d.h. der „vollständigen“ Erschließung der aus den Lebensüberzeugungen und den bewährten gesellschaftlichen Regulierungen entstehenden sittlichen Einsichten. Die Bedeutung, die Auer seinerseits der für ihn zentralen christlichen Motivation bzw. dem christlichen „Sinnhorizont“ im sittlichen Handeln gab, wurde von seinen Kritikern in einer echauffierten Debatte oft unterschätzt. Die Beweggründe des Glaubens bzw. einer christlichen Kontrasterfahrung, auf Grund derer eine moralische Fragestellung überhaupt erst wahrgenommen und formuliert werden kann und die man ebenso braucht wie die kohärenten Argumentationen, hat Auer nicht vernachlässigt. Es wäre heute ein Leichtes, mit Philosophen wie Ernst Tugendhat und Richard Rorty, eine Generation nach Auers Programmschrift, zu zeigen, dass ein Motiv als „Grund“ mindestens ebenso wichtig ist wie eine diskursive Begründung. Rorty unterscheidet sogar das Motiv als „Ursache“ des Handelns von der Begründung als Legitimation.

Auer betrachtete die Enzyklika „Veritatis Splendor“ trotz des Mangels an fugenloser Übereinstimmung in der Frage der Beschreibung und der Reichweite der Kategorie des „In sich Schlechten“ als Fortschritt im Dialog. Er selbst las die kirchlichen Texte freilich auch „mit den Augen jener Katholiken, die sich zwar kirchlich engagieren, die sich aber mit ihren ethischen Vorstellungen bei ihr nicht mehr zuhause fühlen.“ In diesem Zusammenhang stellte er die Frage, ob die Kirche heute noch als moralische Heimat betrachtet werden könne. Er kam zu dem Schluss: „Die heimatstiftenden Elemente lassen sich klar benennen. Kirche kann Heimat stiften, weil sie ein umfassendes Sinnverständnis vermittelt, mit dem man leben und sterben kann. Sie kann Heimat stiften, weil sie lebbare Modelle zur Durchsetzung dieses Sinnes als Orientierungsangebote für die kritische Freiheit des Menschen vorstellt.“ Er sah zwei Voraussetzungen für diese Aufgabe: mehr Kommunikabilität im Zeichen des Kirchenbildes der „communio“ und mehr dialogische Wahrheitsfindung.8

Autonome Moral und christlicher Glaube

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