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Wir erreichten die im sechsten Stock gelegene Mietwohnung von Ludmilla Gerighauser.

Eine Frau in den Dreißigern öffnete uns. Zwei Jungs im Alter von sieben oder acht Jahren tobten auf dem Flur herum. Die Mittdreißigerin rief ihnen etwa auf Russisch zu, woraufhin sie uns zunächst scheu ansahen und anschließend in einem Nebenraum verschwanden.

„Harry Kubinke, BKA. Dies ist mein Kollege Rudi Meier.“

„BKA?“

„Bundeskriminalamt. Polizei.“

„Ich habe nichts verbrochen! Was wollen Sie hier? Meine Jungs sind noch Kinder und...“

„Einen Moment, wir sind nicht hier, um Sie zu beschuldigen“, versicherte ich ihr. „Wir wollen nur unsere Fragen stellen und etwas abklären. Vielleicht können Sie uns dabei helfen.“

Sie musterte uns misstrauisch. „Helfen?“, fragte sie. „Wie sollte ich ihnen helfen?“

„Dürfen wir hereinkommen?“

„Kann ich mir Ihre Ausweise noch einmal ansehen?“

„Bitte!“

Ich gab ihr meine ID-Card. Sie betrachtete sie eingehend und gab sie mir anschließend zurück. „In Ordnung, kommen Sie ins Wohnzimmer. Aber beklagen Sie sich nicht darüber, dass hier nicht aufgeräumt ist! Das sind die Jungs gewesen!“

Wir folgten ihr ins Wohnzimmer. Abgesehen von ein paar Spielsachen, die auf dem Boden lagen, herrschte keineswegs Chaos. Die beiden Jungs spielten dort mit Autos und Action-Puppen.

Es sprach mich einer der beiden an. Auf Russisch.

Ich verstand natürlich nichts.

„Es sind nicht meine Jungs, sondern die Söhne meiner Cousine Eugenia, die gerade aus Russland hier angekommen ist. Die Jungs sprechen deshalb auch nur Russisch, aber das wird sich rasch ändern sobald sie in der Schule. Solange Eugenia einen Job sucht, lässt sie die Kinder bei mir. Ich habe mir extra Urlaub genommen.“

„Sie haben viel Familiensinn.“

„Man muss sich gegenseitig unterstützen – gerade wenn jemand neu in diese Stadt kommt. Für mich war es damals auch nicht einfach. Aber mein Großcousin Ede hat auf mich aufgepasst.“

„Ede Gerighauser?“

„Ja. Seine Eltern waren auch schon hier in Berlin. Russlanddeutsche.“

Ich holte ein Foto von Ede Gerighauser hervor, um mich zu vergewissern. „Wir sprechen von diesem Mann hier, ja?“

Sie sah sich das Foto an, bei dem erkennbar war, dass es bei einer Verhaftung aufgenommen worden war. Ihr Blick wurde ernst.

Einer der Jungs quengelte auf Russisch.

„Du kannst gleich was trinken“, murmelte Ludmilla Gerighauser und dabei bemerkte sie nicht einmal, dass sie Deutsch sprach und der Junge sie gar nicht verstehen konnte. Sie ließ sich in einen der Wohnzimmersessel fallen.

Ihr Gesicht wirke kreideweiß.

„Was hat er getan? Warum wurde er verhaftet?“

„Das Bild ist schon älter und er wurde damals wegen eines Drogendelikts festgenommen. Im Augenblick suchen wir ihn als Zeugen in einem Mordfall.“

„Mord? Was hat Ede damit zu tun?“

„Ich sagte, wir suchen ihn als Zeugen, um mit ihm zu sprechen“, wiederholte ich, als ich merkte, dass meine Gesprächspartnerin mich offenbar missverstanden hatte.

Sie schluckte.

„Am zwölften dieses Monats um halb drei Uhr in der Nacht hat jemand von Ihrem Telefon aus in eine Polizeidienststelle angerufen. War Ede zu dieser Zeit hier bei Ihnen?“

„Ja. Ich habe aber von dem Anruf nichts bemerkt. Warum er ausgerechnet mitten in der Nacht die Polizei verständigt hat, weiß ich nicht.“

„Wir nehmen an, dass er sich mit Kommissar Thorben Rademacher treffen wollte.“

„Ede war für ein paar Tage hier. Ein paar üble Typen sind hinter ihm her. Aber es ist besser, wenn ich nicht darüber rede...“

„Sie sollten darüber reden!“, forderte ich.

Sie zögerte.

„Ede war also hier“, wiederholte Rudi. „Wissen Sie, ob er nach dem Anruf das Haus verlassen hat?“

„Ich habe geschlafen und nichts mitbekommen. Aber als er am Morgen hier auftauchte, wusste ich, dass er nachts unterwegs gewesen war.“ Sie seufzte. „So oft habe ich ihm gesagt, er soll sich an die Polizei wenden. Das hat er dann ja wohl getan.“

„Der Kollege wurde am vermutlichen Treffpunkt erschossen“, stellte ich klar. „Und jetzt sagen Sie uns bitte, weshalb Ede die Polizei verständigen sollte!“

„Wegen den ‚Killer Bandoleros’. Das war seine Gang. Es ging um Drogen und üble Geschäfte. Ede ist in Keiner guten Gegend aufgewachsen und schon früh auf die schiefe Bahn gekommen.“ Sie blickte auf. „Diese Leute denken, dass Ede sie verraten hat! Dabei hat er Ehre und würde so etwas nie tun! Deswegen haben sie Edes Mutter, seinen Vater und seine Schwester erschossen! Und ihn werden sie sich auch irgendwann holen, haben sie ihm angekündigt. Wenn er genug gelitten hätte...“

Nicht einmal Ludmilla gegenüber, die ihm Unterschlupf gewährte, hatte Ede Gerighauser offenbar zugegeben, dass er ein Polizeispitzel gewesen war!

Ich verzichtete darauf, es zu erwähnen. Schließlich war nicht abschätzbar, an wen Ludmilla die Informationen – auch unbeabsichtigt – weitergab, und das konnte für Ede Gerighauser schließlich lebensgefährlich werden.

„Wissen Sie, wo Ede jetzt ist?“, fragte ich.

„Nein. Keine Ahnung. Seitdem die ‚Killer Bandoleros’ ihn bedrohen, schläft er alle paar Tage irgendwo anders. Ich sagte ihm, die Polizei würde ihm helfen. Aber das wollte er nicht glauben.“

„Hat er irgendwann mal die Namen Rademacher oder Maybaum erwähnt?“

„Nein. Aber er sagte einmal, dass er die Sache vielleicht bald bereinigen und seine Ehre bei den ‚Killer Bandoleros’ zurückgewinnen könnte.“

„Was hat er damit gemeint?“

„Das habe ich ihn auch gefragt, aber darauf hat er mir nicht geantwortet.“


Vom Killer gejagt: 7 Strand Krimis

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