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Die melancholische Stimme der Sängerin wehte zu ihnen herüber.

June March hob überraschend den Kopf und schüttelte ihre blonde Löwenmähne.

„Seltsam!“, sagte sie.

„Ist etwas mit dem Essen nicht in Ordnung?“, forschte Bount Reiniger. Er hatte seine Mitarbeiterin eingeladen, um den erfolgreichen Abschluss eines komplizierten Falles zu feiern. Ihm lag daran, sich mit der Wahl des Restaurants nicht zu blamieren, denn June hatte vorgeschlagen, doch einfach zu Musis Bar & Grill zu gehen. Da wussten sie, dass sie reell bedient wurden. Der bärtige Armenier war schon fast ein Freund. Doch Bount hatte darauf bestanden, ihr etwas zu bieten, das sie sich nicht alle Tage leisteten.

„Sehe ich Kummerfalten auf deiner klassischen Stirn?“, spöttelte die Blondine. „Keine Angst! Mit diesem Feudalschuppen blamierst du dich nicht. Die Atmung ist okay. Ich meinte das Mädchen dort auf der Bühne.“

Bount folgte ihrem Blick. Hinter dem Mikrofonständer verneigte sich gerade das schlanke Persönchen mit den langen, blauschwarzen Haaren. Es wirkte ein wenig linkisch, wie es den spärlichen Applaus entgegennahm.

Bount hatte Erbarmen und klatschte wie wild. Die Kleine hatte eine Aufmunterung nötig. Ihr Chef sollte glauben, dass ihr Gesang ankam. Sonst warf er sie womöglich hinaus.

„Sieht nicht übel aus, die Kleine“, fand er bereitwillig. „Jedenfalls besser, als sie singt.“

„Ich kenne sie.“

„Tatsächlich?“ Bount hob sein Weinglas und trank einen Schluck. „Dann bitten wir sie doch an unseren Tisch. Sie sieht so mager aus. Sie kann bestimmt einen Happen vertragen.“

June lehnte ab. „Ich habe das Gefühl, es wäre ihr unangenehm, erkannt worden zu sein. Vielleicht fürchtet sie sogar Ärger mit ihrer anderen Arbeitsstelle.“

„Woher kennst du sie?“

„Aus einer Boutique, in der ich manchmal kaufe. Sie ist dort als Verkäuferin beschäftigt. In Wirklichkeit ist sie blond und sieht mit ihrer Fransenfrisur viel netter aus. Anscheinend will sie heiraten und nützt deshalb jede Verdienstmöglichkeit.“

„Geht uns nichts an“, meinte Bount und lehnte sich zurück.

Die Sängerin war von der Bühne verschwunden.

Die Drei-Mann-Band im Hintergrund spielte leise Barmusik. Dazwischen klang das Klappern von Besteck.

Einige der männlichen Gäste reckten verstohlen ihre Hälse, um June March besser sehen zu können. Sie trug ein raffiniert geschlitztes, rotes Kleid und war sich ihrer Wirkung durchaus bewusst.

Bount amüsierte sich im Stillen. Mit June erregte er fast überall Aufsehen.

Er spürte Lust, den Abend noch auszudehnen. Er wusste, dass June phantastisch tanzte. Es war ein Genuss, ihr zuzusehen. Noch atemberaubender aber war es, ihr Partner zu sein. Warum sollten sie sich nach den Wochen der Aufregung und Gefahr nicht den Spaß gönnen.

June war sofort Feuer und Flamme. Sie wusste auch, in welcher Discothek sie nicht zu sehr auffallen würden, weil sie beide nicht mehr achtzehn waren.

Bount beglich die Rechnung und verließ mit seiner Begleiterin das Restaurant.

Der silbergraue Mercedes 450 SL brachte sie in die 48ste Straße. Hier befand sich schräg gegenüber vom Hotel Belvedere die Discothek, auf die sie es abgesehen hatten.

June zuckte es bereits in den Beinen, als sie ihre Garderobe abgaben. Bount tanzte zwar gut, aber nicht sehr häufig. Die Break Dance Music, die gerade von der schwarzen Scheibe zuckte, versetzte ihn auch nicht gerade in Begeisterung.

Er hielt nach einem freien Tisch Ausschau, doch er merkte schnell, dass das vergebliche Liebesmüh war. Der Laden war proppenvoll.

„Macht nichts“, fand June fröhlich. „Ich will tanzen und nicht sitzen.“

Sie zog Bount auf eine der drei rotierenden Tanzflächen, die von unten angestrahlt und von oben mit flackernden Laserblitzen versorgt wurden, und bewies, wie biegsam ihr Körper war.

Ausgerechnet nach diesem Tanz legte der Disc-Jockey eine kleine Pause ein. Auf einer sichelförmigen Leinwand flimmerte ein Videostreifen.

„Setzen wir uns an die Bar“, schlug Bount vor.

Sie eroberten zwei Hocker und bestellten zwei Restarts.

Das Barmädchen wirkte etwas zerstreut. Es blickte immer wieder auf die Uhr und warf schließlich sogar ein Glas mit dem Ellbogen um.

Einer der Gäste begann zu fluchen und Drohungen auszustoßen.

Das Girl murmelte eine Entschuldigung. „Ich werde gleich abgelöst, Sir. Meine Kollegin verspätet sich, und ich habe es sehr eilig.“

„Was geht mich das an?“, fauchte der Gast. „Ich will hier trinken und nicht baden und schon gar nicht Ihre Lebensgeschichte hören.“

Bount ärgerte sich über diesen Büffel. Er wollte beschwichtigend eingreifen, doch dann stutzte er. Die Rothaarige, die nun endlich erschien, um ihre Kollegin abzulösen, kam ihm bekannt vor. War das nicht die Sängerin von vorhin?

Auch June war überrascht.

„Da ist sie ja schon wieder“, flüsterte sie. „Junge, Junge! Ich glaube, die will auf einen Schlag Millionärin werden. Drei Jobs rund um die Uhr, das hält doch der stärkste Mann nicht durch.“

Bount trank sein Glas aus und schob es auf fordernd über den Tresen.

Die Rothaarige beeilte sich, ihn zu bedienen. Sie sah abgespannt aus, dabei fing ihr Dienst erst an.

Bount wartete, bis sie ihn ansah. Dann ließ er ihren Blick nicht mehr los.

„Warum tun Sie das?“, fragte er leise. „In spätestens zwei Wochen liegen Sie auf der Nase. Das kann doch nicht Ihr Ziel sein.“

Das Mädchen zuckte erschrocken zusammen. „Ich ... ich verstehe nicht“, behauptete es und wurde rot.

„Sie sind in Schwierigkeiten. Verzeihen Sie, dass ich mich einmische. Aber ich habe den Eindruck, dass Sie von jemand unter Druck gesetzt werden. Wenn Sie also Hilfe brauchen ...“

„Sie kennen mich doch, nicht wahr?“, fiel June ein.

Die andere nickte. „Gewiss. Ich habe Ihnen erst kürzlich die beiden Hosen verkauft. Ich hoffe, Sie sind damit zufrieden. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie Mrs. Holler nichts davon erzählten, dass Sie mich hier gesehen haben.“

„Nicht nur hier. Wir haben auch Ihre gesanglichen Fähigkeiten bewundert.“

„O Gott! Sie lassen sich durch Perücken anscheinend nicht täuschen.“

„Vielleicht wenn es Perücken für traurige Augen gäbe. Wir werden Sie bestimmt nicht verraten, aber was Sie tun, ist Raubbau mit Ihrer Gesundheit.“

„Ich habe keine andere Wahl. Ich brauche das Geld. Ein Detektiv ist teuer.“

„Sie beschäftigen einen Detektiv?“, fragte Bount überrascht.

„Noch nicht. Aber ich werde es tun. Er muss meinen Bruder finden, bevor ein noch größeres Unglück geschieht.“

„Darüber sollten wir uns unterhalten“, schlug Bount vor. „Manche Detektive sind billiger, als Sie glauben.“

„Dann taugen sie auch nichts.“

June lachte leise. „Bount ist der beste Privatdetektiv, den Sie in der ganzen Stadt finden können“, behauptete sie stolz.

Das Mädchen musterte Bount erstaunt. „Sie sind Detektiv? So sehen Sie aber gar nicht aus.“

„Sagen Sie jetzt nur nicht, dass er verblüffende Ähnlichkeit mit George Lazenby aufweist“, empörte sich June. „Das streicht er mir sonst wieder wochenlang aufs Sandwich.“

„Was ist mit Ihrem Bruder?“, bohrte Bount ungeduldig.

Die Rothaarige bat um Entschuldigung und bediente ein paar andere Gäste. Als der Disc-Jockey wieder zum Tanz lockte, leerte sich der Tresen beachtlich.

„Jetzt habe ich etwas Zeit“, sagte das Barmädchen. „Meine Geschichte ist schnell erzählt. Der Traum meines Bruders war es seit jeher, Farmer zu werden. Er sparte jahrelang für ein Stück Land. Schließlich hatte er rund achtzigtausend Dollar zusammen. Er nahm das Geld, packte seine sieben Sachen und fuhr nach Nebraska. Dort hatte er sich über eine Agentur für ein passendes Objekt entschieden. Er war sehr glücklich. Er benutzte nicht das Flugzeug, sondern einen Linienbus. Mein Bruder Brad hat kein Vertrauen zur Technik. Der Rest ist schnell erzählt. Der Bus wurde kurz vor dem Ziel überfallen. Man erschoss den Fahrer und plünderte alle Reisende aus. Brad verlor seinen ganzen Besitz.“

Bount hatte aufmerksam zugehört. Als Francis Corner schwieg, nickte er verbissen. „Ich habe schon von jenen Überfällen gehört“, sagte er. „Meines Wissens bleiben die beiden großen Gesellschaften Greyhound und Continental Trailways davon verschont. Anscheinend vermuten die Gangster hier bewaffnete Begleiter. Sie halten sich an die kleineren Unternehmen und sahnen dabei kräftig ab. Was Ihrem Bruder geschehen ist, tut mir leid. Aber Sie sagten, er sei verschwunden.“

Francis schluchzte. „Er rief mich an“, fuhr sie fort. „Er war ganz verzweifelt und hat sich nun in den Kopf gesetzt, sich sein Eigentum zurückzuholen. Er will die Gangster jagen und austricksen. Aber das kann doch nicht gut ausgehen. Das sind doch Killer. Sie werden ihn töten, falls es Brad wirklich gelingt, ihre Spur aufzunehmen. Sie schrecken vor nichts zurück.“

„Ich fürchte, Ihre Sorge ist nicht unberechtigt, Francis“, gab Bount zu. „Die Kerle sollen ausgesprochen rücksichtslos vorgehen. Sie müssen unbedingt Ihren Bruder von diesem Plan abbringen. Die Polizei ist längst hinter den Burschen her. Das ist ein Fall fürs FBI, denn es ist in mehreren Bundesländern zu ähnlichen Überfällen gekommen.“

Francis seufzte. „Das ist es ja. Ich kann Brad nicht warnen. Er hat sich nur ein einziges Mal bei mir gemeldet. Das ist nun schon fast zwei Wochen her. Ich fürchte, sie haben ihn bereits erwischt.“

Francis Corner ließ ihren Tränen freien Lauf.

„Hat er sich auch nicht bei der Busgesellschaft gemeldet?“, forschte June mitfühlend. Zum Tanzen hatte sie plötzlich keine Lust mehr.

Francis hob den Kopf. Ihre blauen Augen schimmerten feucht. „Ich habe mich in der hiesigen Agentur der Inter Trailways erkundigt. Dort weiß man nichts. Ich hatte überhaupt den Eindruck, dass die Leute dort die Überfälle herunterspielen. Sie haben Angst, ihre Kundschaft zu verlieren.“

Bount stellte noch einige Fragen, die hauptsächlich Brad Corner betrafen.

Francis trug sogar ein Foto ihres Bruders bei sich. Sie liebte ihn scheinbar sehr. Seit dem Tod ihrer Eltern hatten die Geschwister ihr Leben allein meistern müssen.

„Ich mache Ihnen einen Vorschlag“, sagte Bount ruhig. „Ich suche Ihren Bruder und bringe ihn zur Vernunft. Dabei stelle ich allerdings eine Bedingung.“

„Nennen Sie Ihren Preis“, sagte Francis matt.

„Davon rede ich nicht. Ich verlange, dass Sie mit der unsinnigen Nachtarbeit aufhören. Sie brauchen jetzt Ihre Nerven. Brad ist nicht damit gedient, wenn er gerettet wird, während Sie dafür vor die Hunde gehen.“

„Aber dann kann ich Sie nicht bezahlen, Bount.“ Aus ihrer Stimme klang Verzweiflung.

Der Detektiv lächelte. „Halten Sie mich nicht für einen Wohltäter, Francis. Ich lebe selbst gern gut und beschäftige eine Mitarbeiterin, der ich monatlich ein Wahnsinnsgehalt zahlen muss.“ Er warf June einen schrägen Seitenblick zu. „Wenn es mir gelingt, den Gangstern das Handwerk zu legen, finde ich bestimmt einige Geschädigte, die sich darum reißen, mir ein ansehnliches Honorar zahlen zu dürfen.“

„Und wenn es Ihnen nicht gelingt?“

„Auf diesem Ohr hört der Meister schwer“, verriet June March. „Es wird uns selbstverständlich gelingen, Francis. Davon gehe ich auch aus. Vorher lassen wir nicht locker.“

„Wir?“ Bount sah die Blondine mit der Löwenmähne tadelnd an.

June lächelte harmlos. „Irgendetwas muss ich doch für mein angebliches Wahnsinnsgehalt tun. Oder willst du, dass ich die Nächte mit einem schlechten Gewissen verbringe?“

Bount war von dieser Idee nicht gerade begeistert. Es würde eine Jagd auf skrupellose Killer werden, denen ein Menschenleben nicht viel bedeutete.

Andererseits war ihm bewusst, dass sich die Suche über den ganzen Kontinent erstrecken konnte. Da musste ihm jede Hilfe recht sein.

Das gab den Ausschlag.

Siebenmal ermittelt: Krimi Paket 7 Krimis

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