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In letzter Instanz

Alfred Bekker


"Bist du nicht vielleicht etwas zu weit gegangen, Franz?" Franz Loewe drehte sich stirnrunzelnd zu seiner Frau herum, während er sich seine blaue Krawatte um den Hals band. Es war jene mit dem goldfarbenen Emblem der Post, was an diesem Tag nicht einer gewissen Ironie entbehrte.

"Zu weit?" fragte Loewe verständnislos. "Ich habe nur eingefordert, was mir zustand! Nicht mehr, aber auch nicht weniger!" - "Ja, schon, aber..." - "Ich weiß gar nicht, was du hast! Ein einfacher Postbediensteter wird nun mal nicht so bezahlt, daß er das Geld mit vollen Händen verschenken könnte! Wir drehen jeden Pfennig um! Das weißt du so gut wie ich!" Seine Frau trat auf ihn zu, lächelte und zog ihm die Krawatte zurecht. "Sicher, meinte sie. "Aber einen solchen Streit über alle gerichtlichen Instanzen hin zu treiben..." Franz Loewe hob ein wenig den Kopf und meinte dann mit bedeutungsschwerer Stimme: "Recht muß doch Recht bleiben, oder etwa nicht? Selbst wenn es gegen den eigenen Arbeitgeber geht!" - "Franz..." - "Dreißig Jahre lang war ich im Dienst immer korrekt! Da kann man ja wohl erwarten, daß man jetzt auch korrekt zu mir ist!" - "Und wenn sie dir diesmal wieder nicht zugestehen wollen, worauf du ein Recht hast? Wir haben soviel Geld für Anwalt und Gerichtskosten ausgegeben! Vier Jahre geht dieser Streit nun schon, wenn ich richtig rechne!"

Franz Loewe strich seiner Frau sanft übers Haar. "Das heutige Urteil wird alles zu einem guten Ende führen!"

Seine Frau seufzte. "Das hast du beim letzten Mal auch gesagt! Und dann war doch nicht Schluß!"

Er lachte. "Aber nach der heutigen Verhandlung ist ganz bestimmt Schluß! Das ist nämlich die letzte Instanz."

*


"Unsere Chancen stehen gar nicht schlecht", meinte Franz Loewes Anwalt vor Beginn der Verhandlung. Loewe machte ein skeptisches Gesicht und überprüfte nochmals den korrekten Sitz seiner Krawatte. "Ich hoffe nur, daß Sie diesmal recht haben!" erwiderte er dann. Der Anwalt der Gegen-partei, ein blaßgesichtiger Mann mit graumeliertem Haar eilte schnell vorbei und grüßte mit einem Lächeln, daß kaum von einem Zähneblecken zu unterscheiden war. Loewe kannte ihn noch vom letzten Mal und erinnerte sich nur zu gut an den unangenehmen Klang seiner schneidenden Stimme.

"Diesmal werden Sie Ihr blaues Wunder erleben!" rief Loewe ihm hinterher, woraufhin der Grauhaarige kurz vor der Tür zum Sitzungszimmer buchstäblich auf dem Absatz stehen blieb und sich dann ganz langsam herumdrehte. Der Grauhaarige setzte sein geschäftsmäßiges Lächeln auf und wisperte kühl: "Ich glaube nicht, daß es Ihnen gelingen wird, mit Ihren ungerechtfertigten finanziellen Ansprüchen die Allgemeinheit zu belasten! Ich werde jedenfalls alles tun, um das zu verhindern!"

"Was würde Ihre Seite denn zu einer außergerichtlichen Lösung des Falles sagen?" mischte sich jetzt Loewes Anwalt in das Gespräch ein, erntete dafür von seinem Mandanten allerdings nur einen bösen Blick.

"Ein Vergleich?" fragte der Grauhaarige und verzog dabei den Mund, so als hätte er ein unanständiges Wort benutzt. "Herr Loewe kann seine Klage gegen die Post ja zurückziehen, sofern er eingesehen hat, daß seine Ansprüche unberechtigt sind!" Damit ging der Grauhaarige dann weiter. Franz Loewe wandte sich wütend an seinen Anwalt. "Ich hatte Sie nicht ermächtigt, mit der Gegenseite über einen Vergleich zu sprechen!"

"Ich wollte nur mal in dieser Hinsicht vorfühlen..." - "Unterlassen Sie das in Zukunft, ja? Ich will mein Recht! Nicht mehr, aber auch keinen Pfennig weniger!"

Der Anwalt seufzte. "Wie Sie wollen", sagte er. "Meine Honorarsätze kennen Sie inzwischen ja wohl in und auswendig!" Er sah auf die Uhr.

"Besser, wenn wir jetzt auch in den Sitzungsaal gehen. Es macht immer einen schlechten Eindruck, wenn man zu spät kommt!"

*


Die Verhandlung begann. Franz Loewe verfolgte gespannt die Argumente, die die beiden Anwälte austauschten. Den meisten konnte er nicht so recht folgen. Sein Anwalt hatte ihm dringend geraten, sich diesmal zurückzuhalten, nachdem Loewe in der vorhergehenden Instanz den Richter beleidigt hatte. Er hielt sich daran, obgleich es ihm sichtlich schwer-fiel. Schließlich zog das Gericht sich zur Beratung zurück. Dann folgte die Urteilsverkündung. Es war ein höchstrichterliches Grundsatzurteil.

Ein Arbeitnehmer, der von seinem Arbeitgeber angewiesen wird, an einem Erste-Hilfe-Kurs teilzunehmen, so das Gericht, müsse auch für die dabei entstehenden Fahrtkosten aufkommen. Auf Franz Loewes Gesicht erschien der Ausdruck tiefster Zufriedenheit und Genugtuung, als er den vorsitzenden Richter sagen hörte: "Die beklagte Post wird daher verurteilt, dem Kläger die seinerzeit vorenthaltenen Fahrtkosten in Höhe von 4,20 DM einschließlich der in den vergangenen vier Jahren angefallenen banküblichen Zinsen auszuzahlen."

Heiter und unterhaltsam in die Weihnachtszeit: 2 Romane und 66 Kurzgeschichten

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