Читать книгу Heiter und unterhaltsam in die Weihnachtszeit: 2 Romane und 66 Kurzgeschichten - Alfred Bekker - Страница 12
ОглавлениеGespenster
Alfred Bekker
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"Unsere Schwester weigert sich einfach, einem Verkauf zuzustimmen!" seufzte Thomas Gerner und ließ sich resigniert in den Sessel fallen. Sein Bruder Hans zog die Augenbrauen hoch. "Und ich dachte, du hättest den besseren Draht zu Anna!Hast du ihr gesagt, daß sie sich für ihren Anteil leicht eine Eigentums-wohnung leisten kann und daß es außerdem sicher nicht im Sinne unserer verstorbenen Eltern ist, wenn einer von uns in finanzielle Schwierigkeiten kommt, nur weil die Auszahlung des Erbes verzögert wird! Verzögert wohlgemerkt! Denn mehr wird sie nicht bewirken können!" - "Auf dem Ohr ist sie taub!" erwiderte Thomas. "Sie will das Haus unserer Eltern nicht verkaufen, weil sie fest daran glaubt, daß ihre Seelen noch dort umherwandeln!" Hans zuckte die Achseln. "Das meint sie doch nicht ernst!" - "Ich fürchte doch", sagte Thomas. "Seit ihr Mann tot ist hat sie solche Anwandlungen, nimmt an spiritistischen Sitzungen teil, beschäftigt sich mit okkultistischer Literatur..." - "Mit anderen Wor-ten: Sie fängt an, verrückt zu werden!" stellte Hans kühl fest. "Vielleicht wäre das ein Ansatzpunkt, um juristisch gegen Anna vorzugehen!" Aber Thomas schüttelte den Kopf. "Das dauert zu lange!" meinte er. "Und ich brauche das Geld jetzt!" - "Hast du eine bessere Idee?" fragte Hans, schon fast resignie-rend. Thomas beugte sich etwas vor. Die Ahnung eines Lächelns huschte über sein Gesicht. "Vielleicht kommen wir doch noch ohne einen langwierigen Rechtsstreit zu unserem Geld!"
Zwei Tage später besuchte Thomas Gerner erneut seine Schwester. "Wenn du wieder hier bist, um mich zu überreden, dann sage ich dir gleich, daß das zwecklos ist!" begrüßte Anna ihn. Thomas hob die Hände. "Keine Sorge! Ich habe deinen Standpunkt akzeptiert." - "Wirklich?" - "Ich bin aus einem anderen Grund hier. Du interessierst dich doch seit einiger Zeit für Okkultismus, nicht wahr?" - "Ja." Anna lächelte. "Heute ist mein Glückstag. Ich habe es ausgependelt!" - "Na, wie schön für dich!" Über Thomas' Gesicht ging ein müdes Lächeln. Sie wird wirklich wunderlich! dachte er. Dann nahm er seine Schwester bei den Schultern und sagte mit ernstem Gesicht: "Würdest du nicht gerne noch einmal die Stimme von Mutter oder Vater hören?" - "Natürlich! Ihre Körper sind tot, aber ihre Seelen leben. Davon bin ich überzeugt! Auch wenn ein nüchterne-rer Mensch wie du darüber lacht!" Thomas überging die letzte Bemerkung und er-klärte: "Ich bin per Zufall auf jemanden gestoßen, der behauptet, die Stimmen der Toten für die Ohren der Lebenden hörbar machen zu können." - "Ach, ja?" "Du wirst das Verfahren sicher aus deinen okkultistischen Büchern kennen: Die Astralstimmen der Toten hinterlassen auf magnetischen Tonbändern Spuren..."
"Ja", fiel Anna, sich ihrer umfangreichen Lektüre erinnernd, ein. "Eigentlich hört man nur ein Rauschen, aber wenn dieses verstärkt, kann man die Stimmen der Toten hören..." Sie war ganz aufgeregt. "Ich wußte gar nicht, daß du dich mit solchen Dingen auskennst..." Thomas verzog das Gesicht. "Da bist du aber erstaunt, was?" - "Kann man wohl sagen! Und du hast keinen Hintergedanken da-bei?" - "Anna! Die Sache mit dem Haus ist abgehakt. Ich sehe, wie hohlwangig du geworden bist. Du scheinst dich nicht gut zu fühlen, und da möchte ich dir einfach einen Herzenswunsch erfüllen. Hast du Donnerstag Zeit?" - "Ja." -"Gut.
Hans und unsere Frauen werden auch kommen." Da schöpfte Anna Verdacht. "Wa-rum?" fragte sie. Thomas lächelte. "Weil wir genügend psychische Energien brauchen, um die Seelen der Toten anzulocken. Muß ich dir das wirklich sagen?"
Am Donnerstag Abend trafen sie sich im Haus der verstorbenen Eltern und setzten sich um den großen Wohnzimmertisch herum. Der angebliche Spezialist für die Stimmen aus dem Jenseits stellte sich als ein gewisser Schmidt vor, im Hauptberuf Radio- und Fernsehtechniker. Er stellte seine Apparaturen auf den Tisch und richtete die empfindlichen Mikrofone aus. Dann wandte er sich Anna.
"Konzentrieren Sie sich auf ihre Eltern.Sie müssen Ihre gesamte psychische Energie sammeln, sonst klappt es nicht!" - "Gut", sagte sie. Schmidt ließ den Blick umherschweifen. "Das gilt natürlich auch für alle anderen", erklärte er.
Dann faßten sich alle an den Händen und schwiegen eine ganze Weile lang, bis Schmidt fand, daß es genug sei. "Wenn Ihre toten Eltern eine Botschaft an Sie haben, dann werden wir sie gleich hören können", versprach Schmidt und spulte das Tonband zurück. Dann schloß er den Verstärker an. Zunächst war nur Rauschen zu hören. Es klang, als ob ganz in der Nähe die Brandung des Meeres ge-wesen wäre, so weit hatte Schmidt den Lautstärkeregler aufgedreht. Und dann war plötzlich etwas zu hören, das wie eine Frauenstimme klang. "Mutter!" rief Anna. "Stellen Sie lauter, Herr Schmidt!" Schmidt gehorchte, während Thomas und Hans sich triumphierend angrinsten. Die Stimme war durch das permanente Rauschen und Knacken hindurch nur schwer zu verstehen und wirkte brüchig.
"Ich hatte also recht!"stieß Anna hervor. "Ihre Seele ist noch hier, in diesem Haus!" - "Verkauft das Haus, meine Kinder!" krächzte indessen die Stimme. "Verkauft das Haus, sonst kann meine Seele keine Ruhe finden!" - "Mutter!" rief Anna, aber dann kam nur noch Rauschen. Eine Weile saßen sie alle stumm im Kreis, dann sagte Schmidt: "Ich glaube, es kommt nichts mehr!" Er wollte das Gerät abschalten, aber Anna fuhr dazwischen. "Warten Sie!" befahl sie und lauschte angestrengt. "Da ist Vaters Stimme! Mein Gott, das ist Vater!" rief sie. "Ich höre nichts", erklärte Thomas. Aus dem Rauschen konnte man alles Mögliche heraushören, wenn man wollte. Anna horchte indessen angestrengt, bis sich ihre Gesichtszüge schließlich entspannten. "Sie sind sich nicht einig, was mit dem Haus geschehen soll", erklärte Anna dann. "Mutter will es verkaufen, doch das liegt nur daran, weil sie den psychischen Druck ihrer Söhne nicht ertragen kann. Sie hat ihnen ja auch früher immer schon leicht nachgegeben! Aber Vater will nicht nachgeben! Und ich auch nicht!" Sie atmete tief durch und sagte dann an Thomas gewandt: "Wenn es noch einer letz-ten Gewißheit bedurft hätte: Jetzt ist sie da! Ich werde mich mit Händen und Füßen einem Verkauf widersetzen!" Später knöpften die beiden Brüder sich den Mann namens Schmidt vor. "Ich habe keine Erklärung dafür!" stammelte dieser.
"Auf dem Band war nichts weiter als das, was ich dorthin präperiert hatte! Den Rest muß Ihre Schwester sich eingebildet haben!"