Читать книгу Halo - Alfred Broi - Страница 13
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ОглавлениеZwanzig Minuten später hatte sich Frank seine Jacke übergeworfen und war auf dem Weg aus dem Haus.
Auf dem Gehweg atmete er einmal tief durch und lief dann zur anderen Straßenseite, wo er die Taft-Street etwa einhundert Meter nach Norden hinaufging, um dann in eine Querstraße zur Linken abzubiegen. Er bewegte sich hierbei unauffällig in durchschnittlichem Schritttempo ohne jegliche Hast.
Ein Mann eben, der ein vollkommen normales Ziel hatte.
Zu Kate hatte er gesagt, dass er zur Disco gehen wollte, wo er die letzten Wochen als Türsteher hatte arbeiten können, um sich den Lohn der vergangenen sieben Tage auszahlen zu lassen, um gleichzeitig nachzufragen, ob er auch weiterhin dort tätig sein konnte.
Tatsächlich aber war das eine Lüge und als Frank die nächste Querstraße nach rechts nahm, um an ihrem Ende wieder nach rechts abzubiegen und so schließlich zurück zur Taft-Street gelangte, verspürte Palmer echte Schuldgefühle, dass er seiner Schwester nicht die Wahrheit gesagt hatte. Zum wiederholten Male!
Doch sein Schmerz dauerte nicht lange an, da wurde ihm wieder bewusst, dass sein Verhalten zwar wohl nicht richtig war, aber dennoch notwendig. Schließlich belog er Kate nicht, weil er sie hintergehen oder um ihr gar Schaden zufügen zu wollen, sondern wegen des genauen Gegenteils. Frank liebte seine Schwester so sehr, dass er alles versuchte, um ihr Glück zu bringen. Doch war er sich mehr als bewusst, dass dies ein so furchtbar schwieriges Unterfangen war, dessen Erfolg nur so verschwindend gering schien, dass er beschlossen hatte, ihr erst die Wahrheit zu sagen, wenn dieses Glück Realität sein würde. Solange es nur möglich, ja selbst wenn es sogar schon wahrscheinlich war, würde er weiterhin lügen. Nur die unumstößliche Tatsache würde alles ans Licht bringen.
Frank huschte auf die andere Straßenseite und hielt sich Richtung Süden, sodass er quasi wieder zurück zu ihrer Wohnung ging. An der nächsten Querstraße aber bog er nach links ab, hiernach nach rechts und erreichte alsbald den Hinterhof ihres Wohnhauses, wo er durch den Hintereingang schlüpfte und über das hintere Treppenhaus bis zur Dachgeschosswohnung gelangte. Dabei bemühte er sich, so wenig Lärm wie möglich zu machen, seine Ohren immer gespitzt, um Geräusche aus dem Vorderhaus frühzeitig zu erkennen, um noch rechtzeitig reagieren zu können, falls Kate überraschend hier erscheinen würde, zum Beispiel, um den Müll zu entsorgen. Doch das war nicht der Fall, alles blieb ruhig.
An der Eingangstür zur Dachgeschosswohnung machte er Halt, atmete einmal tief durch, dann drückte er auf die Klingel.
Im Inneren erklang ein raues Schrillen, bei dem Frank zum wiederholten Male eine Gänsehaut über den Rücken kroch. Er hatte absolut keine Ahnung, warum diese uralte Klingel mit ihrem ganz sicher nicht mehr zeitgemäßen Klingelkrächzen mitsamt dem offensichtlich schon beschädigten Lautsprecher nicht schon längst ausgetauscht worden war. Erneut nahm er sich vor, dies bei nächster Gelegenheit selbst zu ändern und eine neue, moderne Klingel einzusetzen. Das war wirklich das Mindeste, was er tun konnte. Doch immer wieder vergas er sein Vorhaben bis zu dem Moment, wo er sie, so wie jetzt, drückte.
Während sich Frank ein wenig für seine Nachlässigkeit schämte und nochmals darauf drückte, hörte er im Inneren gedämpfte Schritte, die sich näherten. Zeitgleich konnte er die Stimme der einzigen Bewohnerin vernehmen, die ganz offensichtlich etwas verärgert schien.
„Ja!“ rief sie. Ihre Stimme klang ein wenig rau, war aber dennoch klar. „Ja doch! Ich komme ja schon!“ Mit einem tiefen Stöhnen verstummten die Schritte und einen Lidschlag später wurde die Tür von innen geöffnet. „Wer zum Teufel hat es hier so eilig? Ich bin schließlich…!“
Als im Türspalt das Gesicht von Margaret Cunningham erschien, musste Frank unwillkürlich lächeln. Margaret war 64 Jahre alt, doch wirkte sie stets wie eine Frau in den Vierzigern. Ihre Körperhaltung war noch immer sehr aufrecht und gerade, ihre Haut wirkte rosig und gesund, Falten im Gesicht gab es nur sehr wenige und dann auch nur ansatzweise, am Hals und auf den Handrücken etwas mehr, aber längst noch nicht augenfällig.
Mit 1,78 Metern Körpergröße war sie recht groß. Margaret war schlank, hatte lange Beine und dünne Hände mit langen Fingern. Sie war stets ordentlich frisiert, leicht und dezent geschminkt und modisch gekleidet, selbst wenn es sich, wie im Moment, nur um einen Morgenmantel handelte. Wenn sie, so wie jetzt, ernst und distanziert blickte, weil sie Palmer offensichtlich noch nicht erkannt hatte, wirkte sie unnahbar und hochnäsig, doch Frank wusste nur zu genau, welch wundervoller Mensch mit einem Herzen aus purem Gold Margaret war. Andernfalls wäre er jetzt nicht hier und hätte sich ihr damals auch niemals anvertraut.
Als sie Frank erkannte, änderte sich ihr Gesichtsausdruck augenblicklich, doch noch bevor Margarets aufkommendes Funkeln in den Augen eine falsche Reaktion zur Folge hatte, legte er schnell seinen rechten Zeigefinger auf die Lippen und zog die Augenbrauen in die Höhe.
Margaret verstand sofort und fing sich schnell wieder. „Ach so!“ meinte sie wieder in distanziertem Ton. „Na, dann kommen sie mal rein!“ Sie trat beiseite, Frank huschte ins Innere und Margaret schloss die Tür wieder.
Als sie sich dann herumdrehte, lag ein breites Lächeln auf ihren Lippen. „Hallo Frank!“
Palmer konnte es nur erwidern. „Hallo Margaret!“ Er trat direkt vor sie und schloss sie kurz, aber sehr herzlich in seine Arme, was ihm nunmehr die Alte gleichtat. Als sie sich nach einigen Augenblicken wieder trennten, fragte Frank. „Wie geht es dir?“
„Oh...!“ erwiderte Margaret mit einem Nicken. „…mir geht es prima! Ich hatte nur nicht mit dir gerechnet. Du musst meinen Aufzug…!“ Sie deutete auf ihren Morgenmantel. „…daher entschuldigen. Die Nacht…!“ Sie nickte in Richtung ihrer halbgeöffneten Schlafzimmertür. „…war doch sehr…!“
Frank folgte ihrem Blick und erkannte sofort eine Gestalt unter den weißen Satinlacken, die sich just in diesem Moment mit einem tiefen Stöhnen herumdrehte. Ganz offensichtlich war sie männlich, nackt und so wie es aussah, wesentlich jünger als Margaret. Das brachte Frank ein breites Grinsen auf die Lippen. Ja, Margaret sah weiß Gott nicht aus wie 64, hatte noch immer den Körper einer Frau in den Vierzigern und genug Selbstbewusstsein, ihn erfolgreich einzusetzen. Gerade jüngere Männer schienen davon sehr angetan und bescherten ihr ein reges Sexleben. „…anstrengend, was?“ Er grinste vielsagend mit einem Zwinkern.
Margaret nickte. „Aber auch sehr feucht und laut!“ Sie lächelte keck und zog die Augenbrauen in die Höhe.
„Das glaube ich dir aufs Wort!“ bestätigte Frank.
„Und wie geht es dir…euch?“ Ihr Lächeln verschwand und wich einem besorgten Gesichtsausdruck. „Stimmt etwas nicht?“
„Was?“ Frank war etwas überrascht. „Nein!“ wehrte er aber sofort mit einem Lächeln ab. „Alles okay. Kate und Theresa geht es gut!“ In Kates Fall war sich Frank da zwar nicht ganz sicher, doch wollte er dieses Thema hier und jetzt mit Margaret nicht diskutieren.
Die Alte schaute ihn einen Augenblick mit ausdrucksloser Miene an, dass Frank genau erkannte, dass sie ihn durchschaut hatte, doch dann nickte sie nur mit einem Lächeln. „Das ist schön! Was kann ich sonst für dich tun?“
„Ich…ähm…!“ Frank fingerte den Umschlag mit dem Preisgeld aus der Hosentasche. „…möchte etwas…ähm…!“
„Oh!“ Margaret hob sofort die Augenbrauen. „Natürlich!“ Sie schob Palmer sanft vor sich her in ihr Wohnzimmer, wo sie die Zimmertür leise schloss und schließlich mit einem Schlüssel verriegelte. „Es ist lang her, dass du…!“
Frank nickte mit betrübter Miene. „Ja!“ Er atmete hörbar durch. „Aber du weißt ja: Aufgrund meiner Vergangenheit gibt mir niemand eine vernünftige und dauerhafte Chance. Nur Aushilfsjobs. Die Rennen sind das einzige, was wirklich Geld bringt!“
„Aber sie sind illegal und gefährlich!“ gab Margaret zu bedenken.
„Auch das weiß ich!“ erwiderte Frank mit ernster Miene. „Aber ich tue es doch nur, um Kate zu helfen. Ich liebe sie. Und ich könnte es mir niemals verzeihen, wenn ich nicht alles versuchen würde, um ihr ihr Schicksal zu ersparen. Doch ich kann mich drehen und wenden, wie ich will, ich bekomme keine echte Chance, es auf redliche Art zu erreichen. Nur diese Rennen können die Rettung bringen. Und wenn ich am Ende dafür wieder ins Gefängnis muss, ist mir das auch egal. Hauptsache Kate wird leben!“ Er schaute die Alte direkt an. „Wenn nötig, würde ich sogar für sie sterben!“
Margaret sah Palmer einen langen Augenblick ausdruckslos an, dann nickte sie mit ernster, aber auch trauriger Miene. „Ich weiß!“ Sie versuchte ein Lächeln und strich ihm mit der rechten Hand sanft über die Wange. „Eure Mutter wäre mächtig stolz, wenn sie sehen könnte, wie sehr ihr zusammensteht!“
Franks Blick wurde melancholisch. „Ja, aber sie fehlt mir, selbst nach fünf Jahren, noch immer sehr! Es wäre schön, sie jetzt an unserer Seite zu wissen!“
„Aber das ist sie doch!“ erwiderte Margaret. „Da bin ich mir ganz sicher. In euren Herzen steht sie euch bei. Und ihr macht ihr wirklich alle Ehre!“ Wieder lächelte sie und strich Frank nochmals sanft über die Wange. „Aber sie hätte nicht gewollt, dass ihr weiterhin um sie trauert und auch nicht, dass ihr an der Situation verzagt!“
Frank blieb noch einen Moment in Gedanken an seine verstorbene Mutter, dann sah er Margaret an und nickte mit einem traurigen Lächeln. „Du hast Recht! Du warst ihr immer eine wunderbare Freundin und bist jetzt eine große Stütze für uns. Du bist eine tolle Frau, Margaret!“
Fast schien es so, als müsse sich die Alte eine Träne verdrücken, doch nach einem tiefen Atemzug hatte sie sich wieder gefangen. „Ich habe sie geliebt wie eine Schwester. Ihr Verlust ist grenzenlos. Und es ist mir eine Ehre, euch behilflich sein zu können!“ Margaret lächelte sanft und strich Frank noch einmal über die Wange. „Aber jetzt genug davon!“ Sie straffte ihren Körper. „Also. Was hast du für mich?“ Frank hob den Umschlag an und grinste. „Sag bloß, ihr habt gewonnen?“
Frank nickte. „Aber sowas von!“ Er reichte der Alten den Umschlag.
Margaret öffnete ihn und zählte den Inhalt. „Fünftausend!“ Sie war beeindruckt. „Prima!“
Frank nickte. „Mit Timothy habe ich einen sehr guten Partner!“
„Okay!“ Sie ging zur westlichen Wohnzimmerwand und trat vor ein in wundervoll weichen Pastellfarben gehaltenes Bild, das eine Sommerlandschaft zeigte. Sie fasste den Rahmen auf der rechten Seite und klappte es dann nach links um. Dahinter kam ein Safe zum Vorschein, der in die Wand eingelassen war. Margaret hob ihre rechte Hand, drehte die Handfläche nach innen und schob den kleinen Ring, den sie trug vor eine kleine, quadratische, schwarze Glasscheibe an der linken Seite des Tresors. Nach einem kurzen Augenblick ertönte ein kurzes Summen und direkt neben der Glasscheibe fuhr eine rechteckige Metallplatte nach oben, hinter der sich ein Tastenfeld befand. Margaret gab die sechsstellige Kombination ein. Erneut ertönte ein Summen, danach ein Klicken, als die Tresortür aufsprang. Die Alte öffnete sie komplett und holte dann eine kleine metallische Geldkassette hervor.
Frank hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf eine der drei bequemen Sessel neben der Couch gesetzt. Margaret schloss den Safe wieder und kam zu ihm, setzte sich ihm gegenüber, stellte die Geldkassette auf den Tisch und öffnete sie. „Also…!“ meinte sie, während sie ein kleines Schreibheft hervorholte, öffnete und vor sich hinlegte. „Dann wollen wir doch mal sehen…!“ Sie nahm ihre Lesebrille vom Tisch, setzte sie auf und betrachtete ihre Aufstellung der Geldbewegungen sehr genau. Zu Beginn waren die Einzahlungen deutlich in der Überzahl, die letzten sechs Eintragungen aber betrafen nur Auszahlungen. „Dein aktuelles Guthaben beträgt sechstausendvierhundert Dollar!“
Frank zog die Augenbrauen in die Höhe und schien überrascht. „Das ist mehr, als ich im Gedächtnis hatte! Prima!“
Margaret sah ihn für einen Moment über ihr Brillengestell hinweg ausdruckslos an, dann lächelte sie und senkte ihren Blick wieder. Sie öffnete den Umschlag und nahm das Geld heraus. „Wie viel möchtest du behalten?“ fragte sie.
„Ähm…fünfhundert!“ erwiderte Frank, doch als ihn Margaret daraufhin wieder über ihre Brillengläser hinweg ansah, schien er unruhig zu werden und erklärte daraufhin. „Dann können wir vernünftig einkaufen. Außerdem könnte Theresa ein paar neue Sachen gebrauchen, vordringlich ein Paar Schuhe. Und dann wäre auch etwas für Kate übrig. Das könnte sie auf andere Gedanken bringen!“ Kaum merklich erschrak Frank, weil er befürchtete, sich verplappert zu haben. Schnell fügte er hinzu. „Sie hat in letzter Zeit viel Stress, weil eine Kollegin ausgefallen ist!“
Während Palmer hoffte, Margaret überzeugt zu haben, sah ihn die Alte nur ausdrucklos an, bevor sie dann endlich wieder lächelte. „Natürlich! Gute Idee!“ Sie zählte das Geld ab und schob es Frank entgegen.
„Wie viele Mieten sind noch offen?“ fragte Palmer, als er das Geld an sich nahm und verstaute.
„Kate war vor etwa zwei Wochen bei mir und hat eine Anzahlung auf den August gemacht. Zweihundert Dollar!“
„Okay!“ Frank nickte. „Dann nimm dir die anderen zweihundert von diesem Geld. Und für den aktuellen Monat zahle ich auch gleich! Ich hoffe, das reicht dir?“
Margaret sah auf und runzelte die Stirn. „Wieso?“
„Na, weil du uns viel zu wenig Miete abnimmst. Du könntest diese Wohnung glatt für sechs-, wenn nicht achthundert Dollar vermieten!“
Margaret sah ihn wieder ausdruckslos an, dann sagte sie. „Möglich! Aber mir gefällt es so, wie es ist, viel besser!“
Natürlich wusste Frank, dass sie es tat, um ebenfalls zu helfen, doch wollte er die Bestätigung, dass sie es auch weiterhin freiwillig tat. „Also gut!“ lenkte er ein. „Dann nimm dir, was du brauchst und gib den Rest zu meinem Guthaben!“
Margaret nickte, zählte sechshundert Dollar ab und legte sie neben die Geldkassette. Dann zählte sie den Rest nochmals durch. „Dann bleiben dreitausendneunhundert Dollar!“ Sie nahm das Geld, legte es in eine kleine, lederne Geldtasche, die sie wiederum in die Geldkassette legte. Sorgfältig trug sie alles in ihr Buch. „Dein Guthaben beträgt jetzt zehntausenddreihundert Dollar! Willst du es dir aufschreiben?“
Doch Palmer schüttelte den Kopf. „Zehntausend, das kann ich mir merken!“
Margaret sah ihn erneut ausdruckslos an, dann lächelte sie sanft und nickte. „Also gut!“ Sie legte das Buch zurück in die Geldkassette, schloss sie, trug alles zum Tresor, schloss die Tür und klappte das Bild zurück.
Währenddessen erhob sich Frank. Als er sah, dass die sechshundert Dollar für die ausstehenden Mieten noch immer auf dem Tisch lagen, nahm er sie und reichte sie Margaret, sobald sie sich umgedreht hatte. „Hier!“
Die Alte nahm sie mit einem Lächeln entgegen und steckte sie in die Seitentasche ihres Morgenmantels. „Ich nehme nicht an, dass du Zeit für einen Kaffee hast!?“
Frank schüttelte den Kopf. „Nächstes Mal! Ich habe Kate versprochen, auf Theresa aufzupassen und mit ihr Mathe zu üben!“
Margaret zog die Augenbrauen in die Höhe. „Na dann! Viel Spaß dabei!“ Sie öffnete die Wohnzimmertür und beide gingen leise zur Wohnungstür. Ein Blick in das Schlafzimmer zeigte jedoch, dass sich dort noch keine Regung zeigte.
„Wie es scheint…!“ sagte Frank leise, als er sich nochmals zu Margaret umgedreht hatte. „...hast du ihn letzte Nacht ziemlich rangenommen!?“
Die Alte nickte mit einem Lächeln. „Klar! Aber ich bin noch nicht fertig mit ihm. Wenn du jetzt keine Zeit für einen Kaffee hast, denke ich, werde ich ihn wachmachen und noch ein wenig Spaß mit ihm haben!“
Frank grinste breit und umarmte sie dann. „Das sei dir vergönnt!“ Als sie sich wieder trennten, gab er ihr einen Kuss auf die Stirn. „Bis bald!“
Margaret lächelte und streichelte seine Wange. „Bis bald!“
Dann entließ sie ihn nach draußen, wo sie Frank noch hinterher sah, wie er die Treppe hinab huschte.
Nachdem Margaret die Tür wieder geschlossen hatte, ging sie durch den Flur zurück ins Wohnzimmer. Als sie am Schlafzimmer vorbeikam, warf sie nochmals einen Blick hinein, doch noch immer war dort alles still. Dennoch brachte ihr der Gedanke an das, was sie im Anschluss vorhatte, ein sanftes, aber durchweg diebisches Lächeln auf die Lippen.
Im Wohnzimmer verriegelte sie erneut die Tür, ging sofort zur nördlichen Wand, klappte das Bild herum und zog die Tresortür auf, die sie nicht wieder verriegelt hatte.
Sie nahm die Geldkassette heraus und setzte sich erneut an den Wohnzimmertisch. Dort öffnete sie sie und holte das Schreibheft hervor, drehte es jedoch so, dass die Rückseite zuoberst lag. Dann griff sie in die Seitentasche ihres Morgenmantels und holte die sechshundert Dollar hervor, die Frank ihr gegeben hatte. Sie nahm die lederne Geldtasche und öffnete sie. Das Bündel Geldscheine darin ignorierte sie jedoch, sondern öffnete den Reißverschluss einer kleinen Innentasche. Auch dort kamen Geldscheine zum Vorschein – mehr als zwei Dutzend. Margaret nahm die sechshundert Dollar, legte sie dort hinein und schloss die Innentasche wieder.
Dann drehte sie das Schreibheft auf den Kopf und öffnete es. Dort fand sich eine weitere Aufstellung, die mit Guthaben 8.200 Dollar endete.
Sorgfältig fügte Margaret erst Restmiete August 200 Dollar darunter, dann Miete September 400 Dollar. Danach folgte ein waagerechter Strich und schließlich Guthaben 8.800 Dollar.
Margaret hielt einen Augenblick inne und dachte an ihre, leider viel zu früh verstorbene Freundin, die sie so sehr geliebt hatte. Tiefe Trauer überfiel sie, doch verdrängte sie sie sofort wieder. Ihrer Freundin konnte sie damals nicht helfen, wohl aber hier und jetzt ihren Kindern. Ihr letzter Mann hatte ihr dieses Mehrfamilienhaus vermacht, sodass sie auf die Miete von Frank und Kate nur selten angewiesen war. Und nachdem Frank sich ihr anvertraut hatte, war ihr klar, was sie zu tun hatte. Froh ihr Versprechen auf dem Totenbett endlich wirklich einlösen zu können, verzichtete sie weitgehend auf die Mieten der beiden und legte sie stattdessen zurück.
Sie wusste, wie viel Geld Frank benötigte. Gern hätte sie ihm mehr oder gar alles gegeben, doch so wohlhabend war sie dann doch nicht. Stattdessen legte sie die Miete zurück. Wenn Frank in den Bereich kommen würde, in dem die Erfüllung eines Traums real werden konnte – und da sie sein Geld verwaltete, würde sie ziemlich genau wissen, wann das der Fall war - würde sie ihm ihre Ersparnisse in die Hand drücken und er konnte seiner Schwester helfen.
Warum sie es ihm nicht offen gab, sondern es heimlich tat? Der Grund war genau der gleiche, den auch Frank hatte, es im Verborgenen zu tun: Sie wollte keine Hoffnung schüren, wo am Ende keine Garantie war. Im Moment waren sie noch so weit von dem Betrag entfernt, der nötig war, dass es keinen Sinn machte, ihr Geheimnis zu offenbaren. Irgendwann – so hoffte sie jedoch – würde das anders sein und sie konnte einen Beitrag zum Überleben leisten.
Margaret klappte das Heft zu, drehte es auf die richtige Seite und betrachtete noch einmal ihre dortige Aufstellung. Im Geiste rechnete sie zusammen. „Neunzehntausendeinhundert!“ Sie nickte und schien zuversichtlich. „Es geht wieder voran!“ Sie packte alles wieder zusammen und schloss es in den Tresor ein. Dann öffnete sie die Wohnzimmertür und ging zum Schlafzimmer. Sie erkannte sofort, dass ihr nächtlicher Adonis mittlerweile fast wach war. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie die halbgeöffnete Tür mit der rechten Hand gänzlich aufstieß, während sie mit der linken ihren Morgenmantel öffnete. Dann hob sie beide Arme an und lehnte sie in den Türrahmen. Schließlich räusperte sie sich hörbar. Einen Augenblick später hatte sie die Aufmerksamkeit des Mannes, der sie sofort anstarrte. „Hey!“ hauchte sie mit einem Lächeln.
„Hey!“ kam als kehlige Antwort zurück, denn ganz offensichtlich gefiel ihrem Gegenüber, was er sah bzw. der Morgenmantel nur noch halb verdeckte.
Jetzt musste Margaret grinsen. „Zeit fürs Frühstück!“ Und damit trat sie zum Bett, während sie ihren Morgenmantel von den Schultern gleiten ließ.
Frank verließ das Haus wieder über den Hinterhof und gelangte nach einem weiteren Umweg zurück zur Taft Street, wo er das Wohnhaus durch den Vordereingang betrat und letztlich in die Wohnung zurückkehrte.
Kate hatte sich schon fertig gemacht und war quasi auf dem Sprung zur Arbeit. Die Nachricht, dass ihr Bruder seinen Lohn von sechshundert Dollar erhalten hatte, erfreute sie sehr. Frank versprach gleich morgen bei Margaret die Restmiete für den August in Höhe von zweihundert Dollar zu bezahlen. Der Rest sollte als Haushaltsgeld für einen ordentlichen Einkauf dienen. Außerdem wollten sie für Theresa Schuhe kaufen und – falls noch etwas übrig blieb – auch noch ein paar T-Shirts, Unterwäsche und Hosen.
Als das festgelegt war, holte Frank weitere fünfzig Dollar hervor und versprach, die beiden am heutigen Abend zum Essen einzuladen. Kate wollte anfangs widersprechen, doch sowohl ihr Bruder, als auch ihre Tochter überzeugten sie vom Gegenteil und so stimmte sie schließlich doch zu.
Weitere fünfzig Dollar hatte Frank seiner Schwester ebenfalls verschwiegen. Hierfür sollte sie sich beim Einkauf für Theresa etwas Hübsches aussuchen, doch das würde er erst preisgeben, wenn es soweit war.
Frank versprach ihr, konsequent mit Theresa zu lernen. Nach Schichtende wollten sie sie abholen und dann gemeinsam essen gehen.
Zufrieden und mit einem Lächeln auf den Lippen verließ Kate schließlich die Wohnung.
Wenn Frank gedacht hatte, dass Theresa die Situation zu ihren Gunsten ausnutzen wollte, so sah er sich getäuscht.
Ganz im Gegenteil kam seine Nichte kurze Zeit später mit ihren Schulsachen in die Küche, um zu lernen.
Sie einigten sich darauf, dass sich Frank zunächst einen Überblick über den Aufgabenbereich verschaffte, den Theresa zurzeit in Mathematik durchnahm, während seine Nichte ihre restlichen Hausaufgaben erledigte.
Das dauerte etwa eine halbe Stunde.
Hiernach war Theresa bereit, mit Frank Bruchrechnen zu lernen, doch ihr Onkel hatte offensichtlich nicht vor, dies am Küchentisch zu tun.
Stattdessen erinnerte er seine Nichte an ihre Abmachung, ihren Stoffesel zu waschen. Theresa versuchte, die ganze Sache noch zu verhindern, doch Frank blieb hart und so wurde der arme I-Ah kurzerhand in die Waschmaschine gestopft. Damit er aber auf seiner Rundreise nicht allein bleiben musste, schlug Frank vor, dass man sich doch eine Bude bauen, statt Mittagessen ein kleines Picknick veranstalten und nebenbei auch noch Mathe lernen konnte.
Diese Idee fand Theresa cool und so richteten sie sich ein nettes Quartier aus Decken und Kissen ein, schmierten sich hiernach ein paar belegte Brote und hockten sich vor die Waschmaschine, wo sie dem Esel zunächst bei der Säuberung zusahen, bevor sie sich bei Milch und Wurstbrot dem Thema Bruchrechnen annahmen.
Nach anfänglichen Verständigungsschwierigkeiten fanden sie schließlich doch einen gemeinsamen Nenner und kamen sehr gut voran. Als I-Ah sauber, aber auch tierisch schwindelig war, hatte es Frank tatsächlich geschafft, dass Theresa nahezu alle Aufgaben allein lösen konnte. Darauf war er mächtig stolz und seine Nichte erleichtert und glücklich.
Nachdem der Esel zum Trocknen auf einen Wäscheständer gelegt worden war – ihn an den Ohren aufzuhängen, dagegen sperrte sich Theresa mit Händen und Füßen und auch eine ausgiebige Kitzelattacke konnte sie nicht umstimmen – verspürten beide eine gewisse Müdigkeit und sie schliefen auf der Couch ein.
Zu diesem Zeitpunkt war es gegen drei Uhr nachmittags.