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Der Mccain Boulevard, der sich an der Ostküste der Mccain Bay entlang zog, war eine der größeren Verkehrsadern der Stadt, doch jetzt, um halb zwei Uhr morgens an einem Donnerstag, war auch er kaum noch befahren.

Dadurch fiel die nagelneue Mercedes S 500-Limousine mit ihrer blankpolierten Aluminium-Hybrid-Außenhülle in Phantomschwarz nur wenigen Verkehrsteilnehmern ins Auge, wie sie nahezu lautlos über den Boulevard schwebte.

Ihr Ziel war 800 Mccain Bay, seines Zeichens eines der höchsten Gebäude der Stadt, wenngleich dies bei einer Länge von rund 217 Metern jedem New Yorker kaum mehr als ein müdes Lächeln abgerungen hätte.

Dennoch zählte es mit seiner hellblau-anmutenden, geschwungenen Stahlfassade ganze 65 Stockwerke und bot Platz für 516 Wohnappartements.

Die teuersten ihre Art waren, wie fast immer, die Penthouse-Suiten im obersten Stockwerk.

Die größte und luxuriöseste von ihnen mit einem beeindruckenden Blick auf die Mccain Bay war das Ziel des einzigen Insassen im Fond der hochmodernen Limousine der Extraklasse.

Der Fahrer, ein achtunddreißigjähriger Zwei-Meter-Hüne mit kurzgeschorenen, blonden Haaren, stahlbauen, leuchtenden Augen und den Muskeln eines ausgewachsenen spanischen Cabrera-Kampfstiers fand kaum Platz in dem komfortablen Sitz hinter dem Lenkrad. Doch trotz Händen, so groß wie Restaurant-Bratpfannen und Muskelbergen, die der maßgeschneiderte Armani-Anzug aus anthrazitfarbener, leicht glänzender Schurwolle, kaum zu bändigen wusste, lenkte er das weit über hunderttausend Dollar teure Spitzenprodukt deutscher Automobilkunst sicher, unauffällig und sanft über den Asphalt.

Der Mann im Fond des Autos war ungleich älter, als der Fahrer. José Manuel dos Santos di Maria war achtundsiebzig Jahre alt, jedoch noch bei bester Gesundheit. Sowohl körperlich, was er einem strengen Fitness- und Ernährungsprogramm seiner bezaubernden, aber ausgesprochen strengen Personal-Trainerin und einem hohen Maß an lebenslang erarbeiteter, eisenharter Selbstdisziplin zu verdanken hatte, als auch ganz besonders geistig, was er seinem Beruf, als auch seiner Vorliebe für Kreuzworträtsel, besonders aber dem regelmäßigen Umgang mit seinen beiden wundervollen Urenkeltöchtern zuschrieb.

Und so fühlte sich José lange nicht so alt, wie er es der Zahl nach eigentlich schon war. Er hatte die Figur eines Dreißigjährigen, noch immer volles Haar (die Tatsache, dass es schon einige Jahre nicht mehr schwarz, sondern schlohweiß war, hatte ihn nur anfangs gestört) und einen geraden, stechenden Blick aus tiefgrünen Augen. Er war konditionell auf der Höhe und kam auch weiterhin mit nur fünf Stunden Schlaf pro Tag aus. Aber das war auch nötig, denn José war der Kopf eines ziemlich erfolgreichen Imperiums, auf das er zu Recht stolz war.

Natürlich hatte er nicht vorgehabt, seine Firma, die er vor mehr als fünfundfünfzig Jahren mit seinen eigenen Händen und einer Unmenge an Schweiß und Blut quasi aus dem Nichts aufgebaut hatte, noch immer zu leiten, doch das Schicksal hatte ihm vor mehr als zwanzig Jahren einen dicken Strich durch seine Lebensplanung gemacht.

Da nämlich starb sein einziger Sohn Augusto bei einem Autounfall im rund fünfzig Kilometer entfernten Tonka Beach, als er einen tödlichen Fehler beging, als er einen ihm übertragenen Job nicht so ausführte, wie es vereinbart war, und beraubte José damit seines Nachfolgers.

Glücklicherweise hatte Augusto selbst drei Kinder, darunter auch einen Sohn. Felipe war ein Ebenbild seines Vaters und José setzte all seine Hoffnungen auf ihn. Der Junge lernte schnell, war wissbegierig, zielstrebig und besaß die nötige Eiseskälte für diesen Job. José war sehr zuversichtlich, dass er einen Nachfolger für seine Firma gefunden hatte.

Denn nach seinen Vorstellungen wollte er nur noch von den Früchten seiner Arbeit leben und zusammen mit seiner über alles geliebten Frau Margaret, einer hinreißend schönen Blondine mit üppigen Brüsten und rasanten Kurven, mit der er seit seinem sechsundzwanzigsten Lebensjahr glücklich verheiratet war, einen wundervollen Lebensabend bei Reisen rund um die Welt genießen.

Doch alles kam gänzlich anders:

Zunächst wurde bei Felipe Aids diagnostiziert. Obwohl er die besten Ärzte konsultierte und die Chancen gut standen, dass die Krankheit nicht bei ihm ausbrechen würde, konnte José seinem Enkel seine Firma nicht mehr überlassen, denn natürlich war es vollkommen undenkbar, dass sein über all die Jahre mit seinem Herzblut aufgebautes Imperium von einer gottverdammten Schwuchtel geleitet wurde.

Über diese Entscheidung kam es zu einem schweren Disput mit Margaret, an dessen Ende seine Frau vollkommen unerwartet leblos zusammenbrach. Die Ärzte diagnostizierten ein Aneurysma in ihrem Kopf, das aufgeplatzt war und ihr einen schnellen Tod gebracht hatte.

José war erschüttert, am Boden zerstört und für eine gewisse Zeit vollkommen unfähig, etwas anderes zu tun, als nur zu trauern.

Dann aber fing er sich wieder. Ihm war klar, dass er fortan allein bleiben würde. Die Liebe zu Margaret war so groß gewesen, dass er weder die Chance sah, dass eine andere Frau ihren Platz je würde einnehmen können, als auch nicht das Bedürfnis danach hatte. Von Zeit zu Zeit brauchte er freilich Jemanden, der sein rein körperliches Verlangen stillte, was auch bis heute noch nicht spürbar nachgelassen hatte. Und er übte ganz offensichtlich noch immer einen besonderen Reiz auf Frauen - auch auf deutlich jüngere – aus, sodass er hierzu nie auf Prostituierte zurückgreifen musste.

Geschäftlich nahm er zunächst wieder das Ruder in die eigene Hand. Seine Trauer um Margaret und sein Frust auf Felipe hatten jedoch ihre Spuren bei ihm hinterlassen. Er zeigte unnötige Härte, war zu oft zu gnadenlos und verspürte kaum noch Freude an seiner Arbeit. Außerdem war er reizbar und auch teilweise inkonsequent.

Hilfe für ihn kam dann aus einer vollkommen unerwarteten Richtung:

Sein Sohn Augusto hatte neben Felipe noch zwei Töchter, Rosaria und Micaela. Beide waren wunderbare Enkelkinder für ihn. Und gerade das jüngste Kind, Micaela, wurde sein neuer Stern. Sie war vierunddreißig Jahre alt und eine sehr attraktive Frau mit langen, pechschwarzen Haaren und üppigen, festen Formen. Ihr stets sehr feminines, besonnenes und ruhiges Auftreten aber täuschte gewaltig. Micaela war eine knallharte Geschäftsfrau, eiskalt, wenn es nötig war, auch gnadenlos, aber stets fair und hochintelligent, mit einem Master in Rechtswissenschaften.

Als sie ihren Großvater darum bat, in sein Geschäft einsteigen zu dürfen, war er zunächst überrascht, doch schon nach einem Jahr wusste er, dass Micaela all das verkörperte, was er sich für seinen Nachfolger erhofft hatte. Einzig der Gedanke seine Firma an eine Frau weiterzugeben, machte ihm anfangs zu schaffen. Doch Micaela selbst war es, die ihn immer wieder aufs Neue überraschte, vor allem aber überzeugte.

Vor nunmehr vier Monaten hatte er ihr dann offiziell die Leitung seiner Firma übertragen. Natürlich war er noch immer sehr oft vor Ort, der Übergang sollte langsam und kontrolliert ablaufen. Micaela sah das genauso und war sowohl dankbar, als auch fordernd, was seine Unterstützung anging.

Mittlerweile war José vollkommen sicher, dass seine Enkeltochter sein Lebenswerk so weiterführen würde, wie er es sich immer gewünscht hatte und seiner Familie damit weiterhin ein wundervolles Leben garantierte.

Da Margaret nicht mehr lebte, hatte er sein Vorhaben, die Welt zu bereisen, allerdings weitgehend aufgegeben. Allein sah er darin keinen besonderen Sinn.

Stattdessen widmete er sich intensiv seinen beiden lebenslangen Leidenschaften: Schnelle Autos und dem Wettspiel!

Der Zufall wollte es, dass er in einigen seiner langjährigen Geschäftspartner Gleichgesinnte fand. Und irgendwann stellten sie Überlegungen an, wie man beides miteinander verknüpfen konnte.

Das Ergebnis konnte sich wahrlich sehen lassen und war der Grund, warum José zu so später Stunde auf dem Weg zu 800 Mccain Bay war.

*

Der Mercedes rollte in die Tiefgarage und der Fahrer fand einen Parkplatz in der Nähe der Aufzüge. Nachdem er den Motor abgestellt hatte, stieg er aus dem Wagen und blickte sich zunächst sorgfältig um. Es war zwar nicht anzunehmen, dass unerwünschte Gäste erscheinen würden – schon während ihrer Fahrt hierher hatte er aufmerksam beobachtet, ob sie womöglich verfolgt wurden – doch stets war nur der Wachsame erfolgreich.

Aber der Hüne konnte nichts Ungewöhnliches ausmachen, sodass er die hintere Tür auf der Fahrerseite öffnete und seinen Arbeitgeber aussteigen ließ.

José nickte ihm mit einem leichten Lächeln zu. „Danke Marco!“

Der Fahrer nickte wortlos zurück, schloss die Tür wieder und verriegelte das Fahrzeug. Dann ging er voraus zum Fahrstuhl.

José folgte ihm dichtauf. Dabei ließ er seinen Blick durch die Tiefgarage schweifen. Zufrieden und mit einem weiteren leichten Lächeln registrierte er einige bekannte andere Fahrzeuge seiner Freunde. Wie es schien, war er heute wohl der letzte Gast.

Als sie den Fahrstuhl erreicht hatten, drückte Marco den Rufknopf. Wenige Sekunden später öffneten sich die Türen mit einem Gongton. José und sein Begleiter traten ein, die Kabine schloss sich wieder, Marco drückte den Knopf für die oberste Etage und der Aufzug setzte sich sanft, aber schnell in Bewegung.

Als wenig später ein zweiter Gong die Ankunft im Penthouse verkündete, verspürte José sofort eine gewisse Nervosität, die jedoch nicht unangenehm war, sondern im Gegenteil die Vorfreude auf das bevorstehende Ereignis darstellte.

Dennoch bewegte er sich zunächst nicht. Marco hatte inzwischen einen halben Schritt schräg nach vorn gemacht und sich somit direkt vor seinen Arbeitgeber gestellt. Als sich die Türen schließlich öffneten und den Blick in den von Spiegeln und Glasflächen dominierten Vorraum freigaben, trat Marco aus der Kabine. Während er an der zweiflügeligen, massiven Eichentür zwei von Mister McNallys Angestellten, so wie er in teure, schwarze Anzüge mit Fliege gekleidet und ebensolche muskelbepackte Hünen, erkannte, die sie mit ausdruckslosen, aber wachsamen Blicken musterten, trat ein dritter Mann direkt vor ihn. Er war ein halben Kopf kleiner als Marco, schlank und mit deutlich weniger Muskelmasse. Er hatte kurzgeschnittene, schwarze Haare und trug einen silbergrauen Anzug mit passender Weste und Krawatte. Seine tiefbraunen Augen blickten klar und freundlich hinter einer ziemlich kleinen Brille mit kreisrunden Gläsern. Marco erkannte ihn als Jason Patrick, Mister McNallys persönlichen Assistenten, woraufhin er sich entspannte, denn Jason war, im Gegensatz zu einigen anderen Assistenten, auf die sie gleich treffen würden, ein ruhiger und sympathischer Zeitgenosse.

„Marco!“ begrüßte ihn Patrick dann auch mit einem Nicken und einem Lächeln.

„Jason!“ Marco reichte ihm die Hand und drückte sie kurz.

Dann trat Patrick an ihm vorbei und begrüßte mit einem deutlich breiteren Lächeln José.

Der Alte kam ihm entgegen und erwiderte den Gruß. „Hallo Jason! Wie geht es ihrer Tochter? Ist alles wieder in Ordnung?“

Jason war sichtlich erfreut, dass sich di Maria noch daran erinnerte, dass seine Tochter eines Morgens einfach ohnmächtig umgefallen war und mit dem Notarzt ins Krankenhaus gebracht werden musste. „Ja, sie ist wieder gesund! Danke der Nachfrage!“

„Was war es denn?“

„Sie hat eine Erkältung verschleppt. Dadurch sackte ihr Kreislauf ab, was die Bewusstlosigkeit verursachte. Die Ärzte im Krankenhaus haben das aber gleich erkannt. Nach einigen Untersuchungen, die glücklicherweise keine bleibenden Schäden zeigten, bekam sie eine entsprechende Behandlung und Bettruhe verordnet. Jetzt ist sie wieder so wild, wie eh und je!“

José lächelte breit. „Das freut mich! Ist mein Geschenk angekommen?“

„Ja, oh ja!“ bestätigte Patrick. „Das Stoffschaf ist wirklich total niedlich und schon jetzt ihr bester Freund. Und die Freikarten für den Zoo werden wir nächstes Wochenende nutzen!“

José nickte zufrieden. „Grüßen sie sie von mir! Und auch ihre Frau!“

„Danke, das mache ich gern, obwohl sie damit rechnen müssen, dass meine Tochter das selbst tun wird!“

„Oh!“ Jetzt war José doch überrascht, aber sichtlich erfreut. „Aber liebend gern! Ich freue mich darauf!“ Er lachte auf und ließ sich dann von Patrick an den beiden Hünen vorbei durch die Eingangstür in das Penthouse führen.

*

Ein kurzer, breiter Flur, der linkerhand in einen längeren, schmalen Gang mit einigen abgehenden Türen führte, sowie rechterhand in eine große, offene Küche, öffnete sich nach wenigen Schritten zum mächtigen Wohnraum, der sicherlich locker zweihundert Quadratmeter überspannte. An der Stirnseite gab es eine Fensterfront mit zwei großen Schiebetürelementen. Eines davon war geöffnet und gab den Blick auf die dahinterliegende Terrasse, sowie auf die Mccain Bay im Osten frei.

Der weitere Raum war gefüllt mit ausladenden Sitzgruppen, Vitrinen, in denen diverse funkelnde, aber auch alt anmutende Kunstwerke verstaut waren, sowie einer gut gefüllten Bar mit Hockern davor, die sicherlich einigen Lokalen zur Ehre gereicht hätte.

An der südlichen Wand konnte José einige wundervolle Bilder bewundern, die, wie er wusste von McNallys Lieblingsmalerin stammten: Seiner eigenen Tochter. José war jedes Mal fasziniert von den überwiegend abstrakten, aber dennoch sehr farbgewaltigen Fantasien dieser Frau. José fand, dass sie echtes Talent hatte, wenngleich aber noch immer nicht den ihr gebührenden Erfolg.

Aus unsichtbaren Lautsprechern säuselte leise Dean Martin, begleitet von einem Orchester, eines seiner wunderbaren Lieder, durch die geöffneten Türen wehte eine leichte, angenehm laue Brise ins Innere.

Letztlich gab es in dem Raum noch rund vierzig weitere Personen. Neun von ihnen waren wie José ältere Männer. Das waren seine Freunde, die mit ihm seine Leidenschaften teilten. Sie alle waren reich, so wie er und mittlerweile fast ausnahmslos als Köpfe ihrer Unternehmungen ausgestiegen. Viele waren ebenfalls Witwer, aber doch nicht alle, wenngleich ihre Frauen jetzt jedoch hier nicht anwesend waren.

Ein Dutzend weitere Männer waren deutlich jünger, so wie Marco zwischen dreißig und fünfzig. Sie waren alle die Assistenten und/oder Bodyguards der Älteren, einige mehr gehörten dem heutigen Gastgeber Arthur McNally.

Weitere zehn Personen waren Kellner, sowohl männliche, als auch weibliche. Sie waren an ihrer einheitlichen Kleidung, einer schwarzen Hose, einem weißen Hemd und einer dunkelroten Weste zu erkennen. Sie kümmerten sich um das Büffet, die Bar und verteilten Getränke und H´ordeuvres auf Tabletts.

Der Rest der Anwesenden waren Frauen, viele von ihnen sicherlich erst um die Dreißig, einige wenige aber auch älter. Neben vielen hellhäutigen Damen, gab es einige von afro-amerikanischer, sowie fernöstlicher Herkunft. Es gab alle Haarfarben, alle Größen. Die meisten waren schlank, einige aber auch etwas molliger. Es gab dralle Körperformen, aber auch mädchenhafte Figuren. Alle Frauen waren in wundervolle Kleider gehüllt, edle, weich-fließende Stoffe, meistens Abend- oder Cocktailkleider, aber auch Kostüme mit Rock und Bluse. Und alle betonten die unterschiedlichen Körperformen auf wunderbare Weise.

Es waren jedoch keine Prostituierten, wie man vielleicht annehmen konnte. Es waren Damen aus dem Bekanntenkreis McNallys, die seiner Einladung heute Nacht gern gefolgt waren. Sie wurden weder dafür bezahlt, noch erwartete man etwas anderes von ihnen, als Spaß an einer kleinen Party, was allerdings nicht hieß, dass nichts geschehen durfte – und würde, wie José aus der Vergangenheit bei ähnlichen Events wusste. Alles aber auf absolut freiwilliger Basis.

José selbst hatte sich bisher immer zurückgehalten und würde es auch heute tun, obwohl ihm die schlanke Blondine – José schätzte sie auf Ende Zwanzig - in ihrem herrlich schimmernden, roten Satinkleid sofort aufgefallen war und sie auch ihm immer wieder verstohlene Seitenblicke zuwarf. Er beschloss, sich ihr zu nähern, nachdem er sich einen Scotch von der Bar geholt hatte. Auf seinem Weg dorthin wurde er jedoch von Arthur McNally abgefangen.

„José!“ begrüßte ihn der Gastgeber sichtlich erfreut. Er war kaum jünger, als di Maria und hatte sich ähnlich gut gehalten, wie er. McNally war allerdings gute zehn Zentimeter kleiner als José, hatte schütteres Haar und eine seinem Alter entsprechende, faltige Haut. McNally trug in der rechten Hand ein Glas Wodka on the Rocks und in der linken Hand eine dicke Zigarre, die einen angenehmen Duft verbreitete. McNally öffnete seine Arme und schloss seinen Freund für einen Moment herzlich ein. „Wir dachten schon, du wärst verhindert! Wo zum Teufel hast du gesteckt?“

José erwiderte zunächst die Geste seines Gegenübers. Dabei konnte er erkennen, dass ihn die Blondine erneut anschaute und sich ein Lächeln auf ihre Lippen legte, sobald sie seinen Blick einfing. Verdammt hübsche Augen! dachte er bei sich. Und nicht nur das! Er beschloss, mit dieser Frau auf jeden Fall noch ins Gespräch zu kommen. Dann schob er McNally sanft von sich. „Ich musste noch einiges mit Micaela besprechen. Darüber hatte ich glatt die Zeit vergessen. Ich bin doch aber noch immer pünktlich, oder?“

„Natürlich!“ bestätigte McNally sofort, dann nahm er José beim Arm. „Wie macht sich deine Enkelin?“

José lächelte erneut. „Prima! Du weißt, ich hatte anfangs meine Zweifel, aber…!“ Er schob anerkennend die Unterlippe vor. „…ich muss sagen, sie waren allesamt vollkommen unbegründet. Micaela ist die richtige Wahl. Sie wird mein Unternehmen in eine gute Zukunft führen!“

„Das hört man gern!“ McNally nickte anerkennend. „Obwohl es für mich immer wieder schwer vorstellbar ist, dass eine so hübsche und attraktive Frau deinen Job übernimmt!“

Jetzt lachte José einmal auf. „Ja, da hast du Recht. Aber neben allem anderen ist Micaela hochintelligent und sie weiß genau, was sie will. Sie ist hart, aber fair und weiß am Ende auch immer ihren weiblichen Charme einzusetzen!“

„Ja…!“ McNally verzog die Mundwinkel. „Das stimmt!“ Als er erkannte, dass José ihn fragend ansah, lächelte er aber bereits wieder. „Es gibt einen neuen Schnee-Lieferanten aus Europa. Eigentlich war ich an ihm dran, doch deine Enkelin brauchte ihn nur zum Essen einladen und schon war ich am nächsten Morgen nur noch die Nummer Zwei!“ Wieder verzog er die Mundwinkel.

„Schlimm?“ fragte José.

„Ach was!“ McNally lächelte erneut und gab di Maria einen sanften Klaps auf die Schulter. „Im Gegenzug hat sie sich aus dem Henderson-Deal zurückgezogen und mir damit einen fetten Profit verschafft!“

„Eine Hand wäscht die andere!“ meinte José.

„Leben und leben lassen!“ McNally nickte. „Schön, dass dies auch weiterhin zwischen uns gilt!“

„Aber natürlich!“ José nickte ebenfalls.

McNally lächelte zufrieden. „Nimmst du mit mir noch einen Drink, bevor es losgeht?“

„Gern!“

Arthur führte di Maria daraufhin an die Bar und winkte einer jungen Frau. „Einen Scotch für meinen Freund und für mich noch einen Wodka!“ Sie warteten, bis die Getränke vor ihnen standen, dann prostete McNally José zu. „Auf ein spannendes Rennen!“ Die Gläser erklangen und beide tranken einen Schluck. Plötzlich stöhnte sein Gegenüber auf. „Du musst mich wieder entschuldigen!“ José sah ihn überrascht an und McNally deutete mit dem rechten Zeigefinger in Richtung Terrasse. „Da ist Gregory. Im Gegensatz zu Micaela hat er versucht, mich beim Henderson-Deal zu linken. Ich denke, ich muss ihm mal wieder klarmachen, dass seine russischen Rundumschläge Niemandem von Nutzen sind und nur das Klima vergiften. Der Kuchen hier ist schließlich immer noch groß genug für alle, wenn keiner zu gefräßig wird. Bei ihm bin ich mir da manchmal aber nicht mehr so sicher!“

José nickte. „Micaela hat mir so etwas angedeutet. Wir sollten nächste Woche mal zusammen zu Mittag essen!“

„Ja, macht mit Jason einen Termin aus. Dann bringe ich David mit. Ich glaube, die beiden mögen sich!“

Nein, tun sie nicht! dachte José. Mögen ja, aber nicht so, wie McNally sich das wohl erhoffte. Doch dass war auch nicht schlimm, solange sich seine Enkelin und McNallys Enkel, der sehr bald schon dessen Geschäfte übernehmen würde, als gleichrangige Konkurrenten respektierten.

„Also!“ Arthur klopfte José auf die Schulter. „Wir sehen uns!“

José nickte und ließ McNally ziehen.

Während José sich zurück zur Theke drehte, verzog auch er die Mundwinkel. Er kannte Gregory Polyschenko und wusste, dass Arthur Recht hatte. Diese Russen waren nicht unbedingt ein ständiger Unruheherd, leider aber stets unberechenbar. Ja, er würde ein Essen mit McNally, seinem Enkel und Micaela vereinbaren. Diese Sache sollte erst unter acht Augen besprochen werden, bevor man die beiden Nachfolger allein damit betraute.

„Ein Glas Champagner, bitte!“ hörte er plötzlich eine sanfte, weibliche Stimme sagen.

Als er sich umdrehte, sah er die Blondine neben sich stehen. Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, der von einem Lächeln begleitet war, bevor sie wieder zum Ober blickte.

„Guten Abend!“ sagte José aus einer Eingebung heraus, da ihm plötzlich bewusst wurde, dass das Rennen nicht mehr lange auf sich warten lassen und die junge Frau im Anschluss daran womöglich nicht mehr anwesend sein würde.

Die Blondine schaute ihn wieder an und nickte mit einem weiteren Lächeln. Dabei strahlten ihre tiefblauen Augen.

„Mein Name ist José di Maria!“ fuhr er unbeirrt fort. „Ich bin ein Freund von Arthur! Darf ich fragen, wie sie heißen?“

Die funkelnden, blauen Augen blickten ihn für einen Moment durchdringend an, dann sagte sie. „Mein Name ist Sarah! Sarah Hudson!“

José spürte, wie sein Herz für einen Augenblick schneller schlug, weil ihn der tiefe, wenn auch kurze Blick dieser Frau, in seinem Innersten berührte. „In welcher Beziehung stehen sie zu Arthur?“

Jetzt lächelte Sarah fast schelmisch. „Ich arbeite bei Schuster, Lowry & Turnbull. Ich bin eine Assistentin von Mister Lowry, der Mister McNallys Sohn bei seiner Scheidung vertreten hat!“

Hübsch und intelligent! José nickte. „Eine schlimme Sache!“

Sarah nickte ebenfalls. „Ja, das war schon außergewöhnlich! Liebe ist ein wundervolles Gefühl und eine mächtige Waffe. Hass aber leider auch!“

Wohl wahr! dachte José. Aber ein schlechtes Thema. „Dann ist es ja wirklich schade, dass ich Witwer bin!“

„Wieso?“

José lächelte. „Weil ich dann niemals ihre Dienste benötige…und sie damit sicherlich nicht wiedersehen werde!“ Eigentlich etwas zu gewagt! Doch José spürte in Sarahs Nähe ein wunderbares Kribbeln und eine verblüffende Zufriedenheit und Ruhe. Ihr Aussehen und ihre körperlichen Reize waren dabei nur zweitrangig.

„Wer sagt das?“ fragte Sarah mit sanfter Stimme und blickte ihn wieder direkt an.

„Ich weiß nicht?“ José war etwas verblüfft, dass seine Worte offensichtlich nicht abgeschmettert oder übergangen wurden. „Die Vorsehung?“

„So etwas wie Vorsehung gibt es nicht!“ erwiderte Sarah. „Jeder ist seines Glückes eigener Schmied!“ Sie wartete, bis José sie ansah, doch bevor sie noch etwas hinzufügen konnte, erkannte sie McNally in der Menge, der di Maria mit großen Augen ansah und dann auf seine Rolex deutete. Sarah war etwas überrascht und schaute José fragend an, doch dieser lächelte nur und nickte ansonsten ihrem Gastgeber zu.

„Entschuldigen sie, aber ich fürchte, ich muss mich jetzt von ihnen verabschieden!“ Di Maria stellte seinen Scotch auf die Theke und wollte sich gerade davon abdrücken, als er Sarahs rechte Hand auf seinem Unterarm spürte.

„Wenn sie mich also wiedersehen möchten,…!“ führte sie ihre eben begonnene Rede weiter aus. „...sollten sie mich vielleicht einfach zum Essen einladen!? Sagen wir in der nächsten Woche?“ Ein breites Lächeln erschien auf ihren Lippen. „Ich würde mich freuen!“ Sie reichte ihm ihre Karte.

Dieses Mal schaute José ihr für einen längeren Moment in ihre funkelnden, blauen Augen, während er ihre Karte entgegennahm. „Sehr gern!“ sagte er. „Sie werden von mir hören!“ Er steckte ihre Karte in seine Brusttasche, nahm dann ihre rechte Hand und gab ihr einen Kuss darauf, was Sarah erst irritierte, dann aber sichtlich erfreute.

José nickte ihr nochmals zu, dann folgte er McNally, der zu einer großen zweiflügligen Eichentür an der Südseite des Raumes ging, vor dem bereits zwei seiner muskelbepackten Mitarbeiter standen.

*

Außer McNally und José hatten hier nur noch die anderen acht älteren Männer, die die gleiche Leidenschaft besaßen, Zutritt, sowie Jason Patrick.

Als alle eingetreten waren, wurde die Tür hinter ihnen geschlossen und Patrick verriegelte sie sogleich.

Sie befanden sich jetzt in der Bibliothek. Sie war kaum halb so groß, wie der Wohnraum und nahezu komplett mit Eichenholz vertäfelt. Hier und da waren deckenhohe Bücherregale zu erkennen. Es gab drei Sitzgruppen aus dickem, weichem, dunklem Leder, der Boden war mit einem edlen, dunkelroten Teppich verlegt.

Die Klimaanlage sorgte für eine gute Belüftung, die auch nötig war, weil vielfach geraucht wurde. José war diesem Laster jedoch nie verfallen und wahrlich froh darüber, dass er trotz allem vernünftig atmen konnte.

Auf den Tischen bei den Sitzgruppen standen neun Laptops. Außer McNally nahm jeder der Männer nach und nach hinter einem von ihnen Platz. Während sie die Geräte hochfuhren, trat Patrick an die westliche Wand und öffnete dort großflächig die Vertäfelung. Darunter kam ein hochmodernes Multimedia-Entertainmentsystem zum Vorschein, dass im Wesentlichen von einem 90-Zoll-LED-Bildschirm dominiert wurde. An beiden Seiten gab es je vier kleinere 30-Zoll-Bildschirme übereinander. Drei weitere davon waren über dem Hauptschirm nebeneinander angebracht.

Im Moment waren alle Geräte bis auf einen Bildschirmschoner aus Kreisen, der unablässig seine Form und Farbe veränderte während er hin- und her schwebte, noch dunkel.

José achtete darauf, dass er möglichst weit weg von Mario Spinelli einen Platz fand. Er konnte den kleinen, rundlichen Italiener mit der Halbglatze und dem buschigen Schnauzbart zwar eigentlich gut leiden, aber nicht, wenn sie ein Rennen gegeneinander fuhren. Spinelli schien keinen anderen Konkurrenten zu kennen, als di Maria. Beinahe schien es ihm gleichgültig, wer gewann, Hauptsache es war nicht José. Da es aber meist immer eine spannende Sache mit einer späten Entscheidung war, geriet Spinelli oft genug an den Rand des Nervenzusammenbruchs, der umso ekstatischer ausfiel, je näher er José war. Das aber wollte di Maria nicht, doch nicht etwa, um seinen Freund zu schonen – schließlich waren sie ja alle hier, weil sie diesen Nervenkitzel so sehr mochten – sondern seine eigenen Nerven.

José setzte sich daher zur äußersten Rechten in unmittelbare Nähe zur Fensterfront und zu seiner Freude waren die beiden Plätze links von ihm schnell anderweitig besetzt.

Als Spinelli sich setzen wollte, blieb ihm nur noch der dritte Platz von links. Die Erkenntnis, dass di Maria weitab von ihm saß, bedachte er mit einem säuerlichen Blick und einem tiefen Grunzen.

José musste sich ein Lächeln darüber verkneifen, doch dann konzentrierte er sich auf das, was vor ihm lag.

Schnell legte er sich das neben dem Laptop liegende Headset an und wartete darauf, dass die Verbindung zu seinem Team hergestellt wurde. Als der Bildschirm schließlich aufflammte, zeigte er den Innenraum eines Fahrzeugs. Die Kamera war oberhalb des Navigationsdisplays im Cockpit eingebaut worden und blickte daher von unten herauf. Neben dem hellen Dachhimmel waren beide Vordersitze aus weichem violettem Leder zu erkennen. Durch die kleine Heckscheibe konnte man den Nachthimmel sehen und auch mehrere undefinierbare Lichtquellen ausmachen.

José zog die Augenbrauen zusammen. „Frank?“ Eigentlich hätte er jetzt zwei Männer sehen müssen. „Timothy?“ Warum waren sie nicht da?

Doch noch bevor er sich weiter Gedanken darüber machen konnte, schoben sich die beiden Angesprochenen fast zeitgleich in das Bild. Timothy Dixon nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Er hatte blonde, schulterlange, gelockte Haare, die er nicht zu bändigen vermochte, denn er sah ziemlich zerzaust damit aus. Seine blauen Augen leuchteten klar und er schien ein Lächeln auf den Lippen zu haben. Er trug ein weißes T-Shirt und eine hellgraue Kapuzenjacke darüber. Timothy war vierundzwanzig, wirkte aber etwas jünger. Er war Student für Sportmedizin an der hiesigen Universität. Er liebte alles, was mit körperlicher Ertüchtigung zu tun hatte, war absolut durchtrainiert und lebte nach einem strengen Ernährungsplan. Er hatte sogar schon an zwei Marathonläufen teilgenommen und war dabei ziemlich erfolgreich gewesen.

Und es war genau dies einer der Gründe, warum er jetzt dort in dem Wagen saß. Timothy besaß eine irrsinnige Ausdauer, die Lunge einer Hyäne (so ziemlich die ausdauerndsten Tiere, die es gibt) und konnte dabei phasenweise noch immer so stark beschleunigen, dass er durchaus an Sprintrennen hätte teilnehmen können.

Doch Timothys zweite Leidenschaft war das Parkour laufen. José war fasziniert gewesen, als er dem Jungen das erste Mal dabei zugesehen hatte, wie er ohne das geringste Hilfsmittel, nur mit der Kraft seiner Arme und Beine in einer irrsinnigen Geschwindigkeit auf das Dach eines zwölfstöckigen Gebäudes geklettert war und dabei die Außenfassade, Balkone, Regenwasserfallrohre und die dicht stehenden Nachbargebäude für sich genutzt hatte.

Am Ende war di Maria sicher, dass Frank Recht gehabt hatte: Timothy war sein perfekter Partner. Auch in Sachen Verschwiegenheit gab es keine Probleme. Timothy hatte als zwanzigjähriger ein achtzehnjähriges Mädchen geschwängert. Eigentlich wollten sie heiraten, deshalb wurde das Kind ausgetragen. Doch aus der trauten Dreisamkeit wurde nichts, sie verließ ihn. Da Timothy sich jedoch auch weiterhin für sie verantwortlich fühlte, gab er ihnen alles Geld, was er entbehren konnte und das war, seitdem er vor knapp zwei Jahren angefangen hatte, zusammen mit Frank für José Rennen zu fahren, deutlich mehr geworden. Frank wusste, dass Timothy seine Tochter, aber auch seine Ex-Freundin noch immer abgöttisch liebte und die Hoffnung auf ein verspätetes Happy-End nie aufgeben würde. Also brauchte er das Geld aus den Rennen und José war sich dadurch seiner Fähigkeiten und seiner Loyalität sicher.

Timothy Dixon bildete die eine Hälfte des Teams. Er war der Runner.

Der andere Mann im Wagen war Frank Palmer. Er war mit dreißig Jahren etwas älter als Timothy. Frank war einer der Menschen, die in einer Menge kaum auffallen würden, weil sie sehr viel auf sich vereinten, was man als durchschnittlich assoziierte: Er war mit 179 cm nicht zu groß. Er besaß einige Muskeln, aber nicht so, dass man ihn als durchtrainiert bezeichnen konnte. Er war nicht hässlich, aber auch nicht so hübsch, dass die Frauen reihenweise bei ihm Schlange standen. Seine Kleidung war unauffällig und meist in dunklen Farben gehalten. Seine kurzgeschnittenen schwarzen Haare waren zweckmäßig und einfach in der Handhabung, seine Nase war nach einem Bruch, den er sich bei einer Kneipenschlägerei zugezogen hatte, nicht mehr vollkommen gerade angewachsen, seine Ohren standen eine Winzigkeit ab. Sein Blick war meist ernst, schien manchmal ein wenig traurig. Er war oft ziemlich wortkarg.

Alles in allem also ein Typ, den die Frauen nicht unbedingt suchten und der unscheinbar genug war, dass er für die meisten Männer nicht als Bedrohung eingestuft wurde.

Dass dieses Image jedoch überwiegend nur Fassade war, wusste kaum Jemand. José aber tat es und als er Franks Geschichte kannte, konnte er gar nicht anders, als ihn wirklich zu mögen. Frank war ein aufrechter, loyaler und pflichtbewusster Mann, der in seiner Jugend einen ganzen Haufen Mist verzapft und sich damit den Einstieg in ein geregeltes Leben verbaut hatte.

Das war der eine Grund, warum er jetzt hier war. Auch Frank hatte notorische Geldsorgen, weil er nicht nur sich ernähren musste, sondern sich auch für seine Schwester und seine unehelich geborene Nichte, mit denen er zusammenwohnte, verantwortlich fühlte. Das Geld aus den Rennen war sehr hilfreich bei der Lösung so manches Problems.

Der zweite Grund, warum er in Josés Team war, war die Art und Weise, die er in der Lage war, ein Auto zu fahren. Di Maria hatte so etwas noch niemals zuvor gesehen. Wenn Frank am Steuer des Sportwagens saß, so wie jetzt, lenkte er dieses Fahrzeug nicht nur, nein, er schien mit der Maschine zu verschmelzen, mit ihr zu kommunizieren, sie zu fühlen und zu verstehen.

Frank Palmer war die zweite Hälfte des Teams. Er war der Driver.

„Frank?“ fragte di Maria nochmals, als er sah, dass die beiden ihn offensichtlich noch nicht registriert hatten.

Daraufhin stoppte Palmer in seiner Bewegung und schaute etwas irritiert in Richtung Kamera. „Mr. di Maria?“ Er hob seine rechte Hand und aktivierte das Navigationsdisplay, sodass dort jetzt das Bild von José erschien.

„Hey Boss!“ rief Timothy mit einem kurzen Seitenblick auf ihn, bevor er sich wieder an seinem iPod zu schaffen machte.

„Hallo Jungs!“ erwiderte José mit einem sanften Lächeln. „Wie fühlt ihr euch?“

„Prima!“ meinte Timothy.

„Durchwachsen!“ sagte Frank und warf seinem Nebenmann einen säuerlichen Blick mit verzogenen Mundwinkeln zu.

„Wieso?“ Di Maria schaute Frank an. „Stimmt etwas nicht?“

„Klar, alles bestens!“ meinte Timothy ohne aufzuschauen.

„Na, wie man es nimmt!“ erklärte Frank etwas genervt. „Wir hatten einen kleinen Streit!“

„Blödsinn, Streit!“ Jetzt blickte Timothy auf und als er sah, dass di Maria eine Erklärung erwartete, fügte er hinzu. „Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit beim Essen!“

Frank brummte. „Mal wieder!“ Und schüttelte den Kopf.

„Worum ging es?“ fragte José.

„Ach, Frank wollte vor dem Rennen unbedingt noch einen Hamburger essen!“ meinte Timothy. „Und ich nicht!“

„Du isst nie was!“ hob Palmer sofort gereizt an. Seine Stimme klang jedoch auch etwas hilflos.

„Quatsch!“ widersprach Dixon. „Während du dir ein Pfund Fett und zwei Millionen Kalorien rein gepfiffen hast, habe ich einen Powerriegel gegessen!“

„Powerriegel!“ Frank pfiff verächtlich. „Körnerfutter! Ich habe dich in den zwei Jahren, da wir uns jetzt kennen, noch nicht einmal etwas Richtiges essen sehen!“

„Auf deine Nahrung kann ich auch echt verzichten!“ erwiderte Timothy. „Schließlich muss ich mir ja hier die Lunge aus dem Hals rennen, während der Herr seinen Arsch im weichen, warmen Ledersessel schaukeln kann!“

Frank sah ihn ausdruckslos an. „Dann lass uns tauschen!“

„Was? Vergiss es!“ wehrte Dixon aber sofort ab. „Ich bin nicht nur zum Spaß hier!“

„Wie ich sehe…!“ fuhr José mit einem Lächeln sanft dazwischen. „…versteht ihr euch wie immer blendend!“

„Klar!“ Timothy nickte. „Warum auch nicht? Frank macht seinen Job, ich mache meinen. Beide machen wir es geil und werden am Ende auch wieder die Ersten sein!“

Jetzt musste auch Frank kurz lächeln, bevor er sich an di Maria wandte. „Wie hoch ist denn heute der Pott?“

„Wie üblich!“ erwiderte José. „Hunderttausend!“

Frank brummte und verlor sein Lächeln. Vom Pott bekamen sie zusammen zehn Prozent. Das machte fünftausend für jeden. Das war nicht genug. Wenn sie das Rennen gewannen, verdoppelte sich ihr Honorar. Aber auch das reichte nicht.

„Was ist?“ Di Maria schien Franks Gedanken lesen zu können. „Nicht genug?“

„Sie hatten uns einen Big Deal in Aussicht gestellt!“

„Ich weiß, Frank!“ José nickte. „Und dazu stehe ich auch noch. Aber das ist nicht so leicht. Ihr seid einfach zu gut und die Jungs hier kennen euch schon zu genau. Da hat kaum einer den Mut, den Einsatz zu erhöhen. Für einen größeren Pott muss ich den Kreis erweitern. Aber ich bin dran, glaub mir!“ Dass er nicht nur an einem Big Deal, sondern sogar an einem Mega-Big-Deal dran war, brauchte hier noch niemand zu wissen. „Hab noch ein wenig Geduld!“ Er sah Frank direkt an, konnte aber noch keine positive Reaktion in seinen Gesichtszügen erkennen. „Wenn es etwas gibt, worüber du mit mir reden willst, Frank, dann sollten wir uns treffen!?“

„Was?“ Frank schien in Gedanken, schüttelte aber sofort den Kopf. „Nein, alles okay! Ich könnte das Geld zwar sehr gut gebrauchen, aber ich kann auch noch warten!“ Er lächelte eines seiner seltenen Lächeln, was di Maria seinerseits amüsierte.

Zeitgleich drehte sich Jason Patrick von seinem Terminal in den Raum hinein. „Es ist soweit, Gentleman. Verabschieden sie sich von ihren Teams!“

„Also gut!“ José atmete einmal tief durch. „Ich nehme an, du hast den Wagen gut eingestellt!?“

Frank nickte. „Er läuft wie ein Uhrwerk!“

„Prima!“ Di Maria nickte zufrieden. „Und du fühlst dich gut, Timothy?“

„Auf jeden Fall!“ bestätigte der junge Mann. „Der Powerriegel war neu. Eine Spezialmischung von einem Freund. Ich fühle mich wie eine Feder, die mit jeder Minute immer mehr gespannt wird. Sie werden sehen, die anderen werden keine Chance haben!“ Er grinste breit.

„Also gut!“ Wieder nickte José zufrieden und lächelte. „Dann viel Glück für euch! Wir sehen uns nach dem Rennen!“ Damit kappte er die Verbindung.

Dabei war er fast geneigt, Timothys Worten Glauben zu schenken. Letztlich aber beschäftigte ihn Franks Verhalten noch für ein paar Momente. Irgendetwas bedrückte ihn und di Maria beschloss, ihn später unter vier Augen nochmals darauf anzusprechen.

Halo

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