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Berufliche Ausbildung

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Der größte schweizerische Automobilzulieferer, Autoneum, der in 25 Ländern 55 Fabriken betreibt, sah sich Anfang 2019 mit einer besonderen Situation konfrontiert. In South Carolina und Indiana hatte das Unternehmen vollautomatische Produktionsanlagen gebaut, genau dieselben, die schon in Europa und China erfolgreich in Betrieb waren. Diese Fabriken sollten qualitativ hochwertige Komponenten für Fahrzeugmodelle der Marken BMW, Daimler und Volvo produzieren. Das Problem war, dass man die beiden US-Anlagen auch nach mehreren Versuchen nicht zum Laufen kriegte. Um die Lieferverpflichtungen einhalten zu können, musste Autoneum über längere Zeit die fehlenden Teile in Europa herstellen und auf eigene Kosten in die USA fliegen. Dies wiederum drückte die Rentabilität so stark, dass das Nordamerika-Geschäft tief in die roten Zahlen rutschte.

Der Schweizer Martin Hirzel war der erste Konzernchef und CEO von Autoneum, nachdem die Firma 2011 vom Winterthurer Industriekonzern Rieter abgespalten, verselbständigt und an die Börse gebracht worden war. Unter seiner Führung wurden unrentable Geschäftseinheiten erfolgreich restrukturiert, und Autoneum entwickelte sich zu einem Börsen-Highflyer. Hirzel wurde in der Wirtschaftspresse viel Lob zuteil, er gehörte zu den erfolgreichsten Unternehmensführern in der schweizerischen Industrie.

Als die Probleme in den USA Anfang 2019 offensichtlich wurden, versuchte Martin Hirzel noch, das Steuer herumzureißen. Am Hauptsitz in Winterthur ging man über die Bücher, verfügte einen Einstellungsstopp und kürzte die Budgets. Aber alle Maßnahmen kamen zu spät für ihn und im Herbst 2019, nachdem die in Aussicht gestellte Besserung nicht eingetreten war, der Aktienkurs zwei Drittel von seinem Höchstwert verloren hatte und die Dividende gekürzt werden musste, trat Hirzel als Konzernchef zurück.

Wie kann das sein? Ein erfolgreicher, erprobter Top-Manager mit hervorragendem Leistungsausweis scheitert an neuen, ultramodernen Fabriken in den USA? Kann es vielleicht sein, dass Unkenntnis, gepaart mit Leichtgläubigkeit (schließlich kennt man ja die USA und weiß, wie es dort läuft …) dafür verantwortlich waren? Im Frühjahr 2019 äußerte sich Konzernchef Hirzel konsterniert: Er könne sich das alles nicht erklären, »es war wie eine Ohrfeige aus heiterem Himmel … die Anläufe haben völlig gefloppt«, meinte er in der Bilanzpressekonferenz. Und weiter erklärte er, es sei wahnsinnig schwierig gewesen, »nicht nur gutes, sondern überhaupt geeignetes Personal für die Bedienung der High-Tech-Anlagen zu finden … In der Regel habe es sich um Studienabbrecher gehandelt, die hätten angelernt werden müssen …«

Das Beispiel ist exemplarisch für die berufliche Ausbildung und die Fähigkeiten von (Fach-)Arbeitern in den USA. Historisch immer auf Massenproduktion und klassische Fließbandfertigung ausgerichtet, war es lange Zeit einfach, den Personalbedarf aus High-School-Abgängern (auch vorzeitigen) zu rekrutieren (ein amerikanischer High-School-Abschluss kann, wie bereits gesagt, vieles oder auch gar nichts bedeuten). Die Globalisierungswelle der 90er und 2000er Jahre hat diese Jobs aber weitgehend eliminiert und nach Asien »outsourced«. Und die in den letzten Jahren einsetzende Rückwärtsbewegung (»Re-Lokalisierung«) braucht einen Typus Mitarbeiter, den es, falls überhaupt, nur sehr spärlich gibt: jemanden mit einer soliden beruflichen Ausbildung, wie sie z.B. die schweizerische Berufslehre bietet.

Erstaunlich ist es immer wieder, wenn mit dem Begriff »Studienabbrecher« hantiert wird. Was der Autoneum-Konzernchef meinte (aber offensichtlich nicht wusste), war, dass die von ihm zitierten »Studienabbrecher« mit großer Wahrscheinlichkeit bereits an der alleruntersten Stufe des amerikanischen Bildungssystems gescheitert waren, dem »Technical College« oder »Community College«. In keiner Art und Weise sind solche »drop-outs« mit »Studienabbrechern« europäischer Prägung zu vergleichen, sondern sehr häufig handelt es sich dabei um minimalst (aus)gebildete und zudem oft auch minimal bildungswillige junge Leute, mit denen sich schlichtweg keine hochtechnologisierten modernen Produktionsanlagen betreiben lassen.

Von daher sind die immer wieder gehörten Äußerungen, dass man das System der schweizerischen Lehre in die USA transferieren sollte, absolut zutreffend. Könnte man dieses über Nacht einführen, wäre das für die USA wie ein wirtschaftliches Nirwana. Das Problem ist jedoch, dass eine solche Einführung illusorisch ist, auch wenn sich seinerzeit Bundesrat Schneider-Ammann und (ausgerechnet!) Präsidententochter Ivanka Trump (umgeben von weiteren US-Kabinettsmitgliedern) darüber einig zu sein schienen.

Aber: Im Bewusstsein der amerikanischen Bevölkerung ist die Idee, dass es nur eine einzige »normale« Ausbildung gibt, nämlich diejenige über »das College«, tief verankert und verzahnt mit gesellschaftlichen und soziologischen Vorstellungen. Außerdem sorgt eine gigantische Bildungsindustrie (bestehend aus Tausenden von Colleges mit sehr direkten finanziellen Interessen) mittels enormen Marketing-Feldzügen dafür, dass dies auch so bleibt.

Die Idee, dass eine Berufslehre nach schweizerischem Zuschnitt in den USA breit Fuß fassen wird, gehört deshalb ins Reich der Träume. Daran können leider auch einzelne Initiativen von schweizerischen und deutschen Unternehmen, so löblich und gutgemeint sie sein mögen, nichts ändern.

Allerdings sollten sich die Firmenchefs aus Europa besser darüber informieren, wie weit die modernen technologieorientierten Arbeitsplätze mit dem heutigen amerikanischen Ausbildungssystem vereinbar sind.

*Der Ausdruck »College« kann, muss aber nicht gleichbedeutend mit Universität sein. Im Volksmund werden die beiden Bezeichnungen »College« und »University« oft vermischt.

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