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a) Die materiellrechtliche Prüfung

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Die wohl häufigste Klausurkonstellation betrifft die Grundfreiheiten. Sie sind in den Art. 28 ff. des „Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)“ enthalten und gehören somit zum Primärrecht der Union. Die Grundfreiheiten gehen jeglichem nationalen Recht vor. Sie sind überdies unmittelbar anwendbar und somit von allen innerstaatlichen Behörden und Gerichten zu beachten.

Aufgrund dieser Stellung gehören die Grundfreiheiten zu den Hauptmaßstäben für die europarechtliche Überprüfung nationalen Rechts. Der Einzelne kann behaupten, eine nationale Rechtsnorm sei unionsrechtswidrig, weil sie gegen Grundfreiheiten verstoße. Dieser Rüge muss der Richter im Rahmen seiner Rechtsfindung nachgehen. Kommt er zu dem Ergebnis, dass ein Verstoß gegen Grundfreiheiten vorliegt, so muss er die entsprechende nationale Norm unangewendet lassen. Unionsrechtswidrigkeit führt nicht zur Nichtigkeit einer Norm, sondern nur zu deren Unanwendbarkeit in Fällen mit Unionsrechtsbezug (sog. „Anwendungsvorrang“ des Unionsrechts[1]).

Die Unionsrechtswidrigkeit kann sich auf eine Norm in ihrer Gesamtheit, aber auch nur auf einzelne Tatbestandsmerkmale beziehen. Insbesondere solche Normen oder Normteile, die zwischen reinen Inlandssachverhalten und grenzüberschreitenden Sachverhalten differenzieren, können in Konflikt mit den Grundfreiheiten geraten.

Aufbautechnisch beginnt die Klausur immer mit dem Prüfungsprogramm nach nationalem Recht. So ist etwa im Rahmen der Begründetheitsprüfung einer Anfechtungsklage mit der Untersuchung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes zu beginnen. Bei der Frage nach der Rechtsgrundlage für den Verwaltungsakt kann aber bereits die Frage auftauchen, ob diese wegen Unvereinbarkeit mit einer Grundfreiheit unanwendbar bleiben muss. Es schließt sich die unionsrechtliche Prüfung an. Im Anschluss kann dann wieder nationales Recht zur Anwendung kommen.

Die Prüfung der Grundfreiheiten vor nationalen Gerichten ist also immer in die aus den anderen Rechtsgebieten bekannte Prüfung nationalen Rechts eingebettet. Sie findet ihren Anknüpfungspunkt oft bei der Frage nach der Rechtsgrundlage oder nach der Anwendbarkeit einer Norm.

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