Читать книгу Klausurenkurs im Europarecht - Andreas Musil - Страница 57

b) Prozessuale Fragen

Оглавление

35

Hält ein nationales Gericht eine Grundfreiheit für einschlägig, um den ihm vorliegenden Streit zu entscheiden, so sieht es sich vor die Frage gestellt, ob es die Sache gem. Art. 267 AEUV dem EuGH vorlegen soll. Der Begriff „Gericht“ ist dabei unionsrechtlich zu bestimmen und umfasst alle unabhängigen Organe, die in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren Rechtsstreitigkeiten mit Rechtskraftwirkung verbindlich entscheiden können[2]. Gerichte, die nicht letztinstanzlich entscheiden, haben ein Vorlagerecht, aber keine Vorlagepflicht, Art. 267 II AEUV. Gerichte, deren Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, haben – von Ausnahmefällen abgesehen[3] – eine Vorlagepflicht, Art. 267 III AEUV. Zu beachten ist daher, dass jedes Gericht, dessen Entscheidung im konkreten Fall nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden kann, zur Vorlage verpflichtet ist[4].

Für die Klausur führt die Vorlagepflicht dazu, dass auch der Bearbeiter eine Vorlage in Betracht ziehen muss. Es ist daher wichtig, die Voraussetzungen der Vorlage und der Vorlagepflicht zu kennen. Häufig wird aber eine Vorlage entbehrlich sein, wenn und weil bereits eine gesicherte Rspr. des EuGH vorliegt. Teilweise wird auch der Bearbeitervermerk weiterhelfen, der beispielsweise ausdrücklich auf ein Vorabentscheidungsverfahren abzielen[5] oder eine Vorlage ausschließen kann. Doch auch wenn lediglich nach der Entscheidung des nationalen Gerichts gefragt wird (Formulierung z.B. „Wie wird das Gericht entscheiden?“), muss in manchen Fällen eine Vorlageentscheidung in Zulässigkeit und Begründetheit geprüft werden.

Für die Prüfungskandidaten bedeutet das, dass sie die Voraussetzungen des Vorabentscheidungsverfahrens beherrschen und auch in der Lage sein müssen, korrekte Vorlagefragen zu stellen bzw. zu formulieren[6]. Dabei ist insbes. zu beachten, dass der Gerichtshof nach den Art. 251 ff. AEUV nur befugt ist, über die Auslegung von Unionsrecht zu entscheiden. Nationales Recht darf er nicht auslegen. Deshalb muss die Vorlagefrage immer so formuliert sein, dass sie nach der Auslegung von europäischem Recht fragt[7]. Falsch wäre es demnach, nach der Vereinbarkeit einer nationalen Norm mit Unionsrecht zu fragen. Falsch wäre es auch, einfach nur nach der Auslegung „des Unionsrechts“ oder – wenn in einer ersten Frage bereits eine konkrete Norm genannt wurde – mit einer weiteren Frage nach dem „sonstigem Unionsrecht“ zu fragen. Denn der Gerichtshof verlangt, dass Vorlagefragen – zumindest implizit – stets einen Anknüpfungspunkt zu einer unionsrechtlichen Norm haben. Es muss erkennbar sein, auf welcher europarechtlichen Grundlage die Zweifel des vorlegenden Gerichts basieren[8]. Die Vorlagefrage muss abstrakt formuliert sein, da die konkrete Anwendung des Auslegungsergebnisses auf den Einzelfall Sache des vorlegenden nationalen Gerichts ist.

Der EuGH ist allerdings befugt, unzulässige Vorlagefragen so auszulegen, dass er sie zulässigerweise beantworten kann. Angesichts der Stellung des EuGH als Wahrer der Einheit des Unionsrechts nach Art. 19 I 2 EUV darf er dem nationalen Gericht die erforderlichen Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts geben, damit dieses den konkreten Sachverhalt entscheiden kann[9].

Je nach Komplexität der Fragestellung kann es sich zudem anbieten, die Vorlagefrage in mehrere Einzelfragen aufzuteilen, um einen „Satzbandwurm“ zu vermeiden. Dies geschieht in der Praxis z.B. nach dem Muster: 1) „Frage 1“, 2) „Für den Fall, dass Frage 1 bejaht wird: Frage 2“ etc. (s. dazu Fall 16).

Klausurenkurs im Europarecht

Подняться наверх