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2. Unionsgrundrechte und Mitgliedstaaten

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Fall 9

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Die Unionsgrundrechte binden aber auch die Mitgliedstaaten (s. insbes. Art. 51 I 1 GRC). Diese sind zwar primär an die Grundrechte ihres eigenen Verfassungsrechts gebunden, müssen aber zusätzlich auch die Grundrechte des europäischen Unionsrechts beachten.

Der EuGH führt in st. Rspr. aus, er könne keine Maßnahme als rechtens anerkennen, die unter Verstoß gegen Grundrechte zustande gekommen ist[11]. Allgemein gilt aber, dass Unionsgrundrechte nur dann auf mitgliedstaatliches Verhalten anwendbar sind, wenn der Unionsrechtsbezug durch andere Normen hergestellt ist.

Grundrechte binden die Mitgliedstaaten vor allem in zwei Konstellationen. Zum einen dienen sie als zusätzlicher Maßstab im Rahmen einer Grundfreiheitsprüfung. Eine mitgliedstaatliche Maßnahme, die in Grundfreiheiten eingreift, kann nur gerechtfertigt sein, wenn sie auch den Unionsgrundrechten standhält. Umgekehrt kann ein Eingriff in Grundfreiheiten auch durch Erfordernisse des Grundrechtsschutzes gerechtfertigt sein (siehe hierzu Fall 9).

Die zweite wichtige Konstellation betrifft den Vollzug des Unionsrechts durch nationale Behörden. Wird beispielsweise eine Unions-VO vollzogen, so müssen die Mitgliedstaaten hierbei die Unionsgrundrechte achten.

Im Jahr 2013 hat der Gerichtshof im Fall Åkerberg Fransson zur Bindung der Mitgliedstaaten an die GRC im Zusammenhang mit der Umsetzung von Richtlinien Stellung genommen und den Begriff der „Durchführung des Rechts der Union“ i.S.d. Art. 51 I 1 GRC weit ausgelegt[12]. Dies hat binnen kurzem zu einer Vielzahl von Reaktionen (von Zustimmung bis scharfer Ablehnung) in der Literatur[13] und in der Rspr. des BVerfG[14] geführt. Das BVerfG hat einem sehr weiten Verständnis der „Durchführung des Unionsrechts“ eine klare Absage erteilt. Die Entscheidung dürfe nicht in einer Weise verstanden und angewendet werden, nach der für eine Bindung der Mitgliedstaaten durch die in der GRC niedergelegten Grundrechte der EU jeder sachliche Bezug einer Regelung zum bloß abstrakten Anwendungsbereich des Unionsrecht oder rein tatsächliche Auswirkungen auf dieses ausreiche. Vielmehr führe der EuGH auch in dieser Entscheidung ausdrücklich aus, dass die Europäischen Grundrechte der Charta nur in unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung finden[15].

Inzwischen hat der EuGH einerseits im Fall Pfleger seinen „weiten“ Ansatz für die Bindung der Mitgliedstaaten auch bei der Einschränkung von Grundfreiheiten (sog. ERT-Konstellation) bestätigt[16]. Andererseits hat er in seine Rspr. den Entscheidungen Siragusa[17] und Hernández[18] präzisiert und versucht, Kriterien für die Anwendung der GRC zu entwickeln. Er betont zunächst, dass die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union durch die Bestimmungen der Charta in keiner Weise erweitert werden. Die Verpflichtung zur Einhaltung der im Rahmen der Union definierten Grundrechte gelte für die Mitgliedstaaten nur dann, wenn sie im Anwendungsbereich des Unionsrechts handeln. Dabei verlange der Begriff der „Durchführung des Rechts der Union“ i.S.v. Art. 51 GRC einen hinreichenden Zusammenhang von einem gewissen Grad, der darüber hinausgeht, dass die fraglichen Sachbereiche benachbart sind oder der eine von ihnen mittelbare Auswirkungen auf den anderen haben kann[19]. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob und wie weit dadurch Konflikte mit der nationalen Grundrechtsrechtsprechung vermieden werden können, und wie das BVerfG auf diese Aussagen reagiert.

Prozessual begegnet einem die Grundrechtsprüfung im Zusammenhang mit den Mitgliedstaaten vor allem in Verfahren vor nationalen Gerichten. Hier muss der Einzelne eine entsprechende Grundrechtswidrigkeit rügen. Das kann dann zu einem Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267 AEUV führen.

Ausnahmsweise können die Grundrechte auch im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 AEUV als Prüfungsmaßstab in Betracht kommen. Die Kommission müsste rügen, eine mitgliedstaatliche Maßnahme verstoße gegen Unionsgrundrechte. In der Praxis ist diese Konstellation allerdings selten.

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