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b) Generalversammlung

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Die Generalversammlung ist das Repräsentativorgan für alle UN-Mitglieder. Jeder Mitgliedstaat hat gemäß Art. 18 Abs. 1 UNCh in der Versammlung eine Stimme („one state one vote“), darf aber bis zu fünf Vertreter entsenden (Art. 9 Abs. 2 UNCh). Für Beschlüsse genügt eine einfache Mehrheit (Art. 18 Abs. 3 UNCh), für wichtige Fragen schreibt Art. 18 Abs. 2 UNCh eine Zweidrittel-Mehrheit vor. In der Praxis werden die meisten Beschlüsse im sog. Konsensusverfahren gefasst. Hier wird auf eine förmliche Abstimmung verzichtet und am Ende lediglich die Übereinstimmung in der Sache festgestellt. Auf diesem Wege lässt sich die Festlegung umgehen, ob einige Mitglieder wegen ausstehender Beitragszahlungen gemäß Art. 19 UNCh möglicherweise vorübergehend kein Stimmrecht besitzen.

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Die Generalversammlung ist sachlich allzuständig, d. h. sie darf sich mit allen Fragen befassen, die in den Aufgabenbereich der Vereinten Nationen fallen (Art. 10 UNCh). Dieser umfasst sämtliche Politikfelder in den internationalen Beziehungen und wird nur durch Art. 2 Nr. 7 UNCh begrenzt, der Angelegenheiten ausnimmt, „die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören“.[130] Konkretisiert werden die Aufgaben und Befugnisse in den Art. 11, 13 und 14 UNCh.

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Ein breites Aktionsfeld eröffnen der Generalversammlung Art. 13 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 i. V. m. Art. 55 ff UNCh: Danach ist die Generalversammlung für Fragen des Wirtschafts- und Sozialwesens, der Kultur, der Erziehung und Gesundheit sowie für Menschenrechtsfragen zuständig. Hierfür kann sie sich außer den Neben- und Spezialorganen insbesondere der mit der UNO verbundenen Sonderorganisationen bedienen. Der ebenfalls für diese Themen zuständige Wirtschafts- und Sozialrat übt seine Tätigkeit unter der „Autorität“ der Generalversammlung aus (Art. 60 UNCh). Für Menschenrechtsfragen wurde 2006 der UN-Menschenrechtsrat als Nebenorgan der Generalversammlung errichtet, der an die Stelle der wegen ihrer Ineffizienz viel kritisierten UN-Menschenrechtskommission (seinerzeit ein Nebenorgan des Wirtschafts- und Sozialrates) getreten ist.

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Aus völkerrechtlicher Sicht besonders relevant ist die Aufgabe, die fortschreitende Entwicklung und Kodifikation des Völkerrechts zu fördern (Art. 13 Abs. 1 lit. a UNCh). Sieht man von dem Beitrag ab, den Resolutionen der Generalversammung zur Weiterentwicklung des Völkerrechts leisten (Rn. 278–279) und vom Recht der Generalversammlung, den IGH um Gutachten zu ersuchen (Rn. 487–497), ist diese Aufgabe weitgehend auf die UN-Völkerrechtskommission (International Law Commission, ILC) übertragen.[131] Sie ist ein Nebenorgan der Generalversammlung, das sich aus 34 unabhängigen Völkerrechtsexperten zusammensetzt; für jedes Thema wird innerhalb der Kommission ein Berichterstatter (special rapporteur) bestimmt. Die ILC nimmt sich vorwiegend solcher Themen an, die noch wenig normiert oder von Verträgen nur unzureichend erfasst sind. Sie erarbeitet – z. T. über lange Zeiträume – ihre Entwürfe in Form von Artikeln (draft articles), die sie in kommentierter Form mit Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur und nach Einarbeitung von Stellungnahmen seitens der Mitgliedstaaten der Generalversammlung vorlegt (final draft). Die im YBILC (auch online[132]) publizierten Kommentierungen sind ein wichtiges Hilfsmittel für die Orientierung über den Stand des Völkerrechts und die Hintergründe der Artikel-Entwürfe (vgl. Art. 32 WVK zur Bedeutung der travaux préparatoires für die Auslegung völkerrechtlicher Verträge). Die Entwürfe der ILC werden oft von der Generalversammlung in Form eines Vertrages gebracht, der den UN-Mitgliedstaaten zur Zeichnung und Ratifikation empfohlen wird. Auf diesem Wege sind u. a. die Genfer Seerechtsübereinkommen von 1958, das WÜD und die WVK entstanden. Von den wichtigen Arbeiten der ILC haben u. a. die Artikel zum Recht der Staatenverantwortlichkeit (Rn. 381) nicht den Weg in einen Vertrag gefunden. Ein solcher Vertrag kann den Streit über die gewohnheitsrechtliche Geltung einzelner Regeln beenden. Da die Aufgaben, das geltende Recht zu kodifizieren sowie zur fortschreitenden Entwicklung des Völkerrechts beizutragen, fließend ineinander übergehen können, ist die Frage der gewohnheitsrechtlichen Geltung einzelner ILC-Regeln nicht selten Gegenstand von Kontroversen.

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Im UN-Friedenssicherungssystem spielt die Generalversammlung eine nachgeordnete Rolle. Sie kann sich gemäß Art. 11 UNCh „mit den allgemeinen Grundsätzen der Zusammenarbeit zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ befassen und Empfehlungen an Mitgliedstaaten wie Sicherheitsrat richten. Auf Antrag eines Staates (oder des Sicherheitsrates) kann sie sich auch hierüber hinaus mit allen Fragen befassen, die die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit betreffen und diesbezüglich Empfehlungen geben. Schließlich kann sie die Aufmerksamkeit des Sicherheitsrates auf friedens- oder sicherheitsgefährdende Situationen lenken. Verbindliche Beschlüsse kann sie allerdings nicht fassen. Dies folgt im Umkehrschluss aus Art. 25 UNCh der (nur) Beschlüssen des Sicherheitsrates Verbindlichkeit zubilligt. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 UNCh stellt darüber hinaus klar, dass „Maßnahmen“ zur Friedenssicherung nur der Sicherheit treffen kann; die Generalversammlung kann gemäß Art. 14 UNCh solche Maßnahmen lediglich empfehlen. Den Vorrang des Sicherheitsrates verstärkt zudem Art. 12 UNCh, wonach die Generalversammlung keine Empfehlungen zu Angelegenheiten abgeben darf, mit denen der Sicherheitsrat befasst ist.

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Wegen der Lähmung des Sicherheitsrates im Kalten Krieg hat sich die Generalversammlung 1950 mit der Resolution „Uniting for Peace“ das Recht zugesprochen, Verantwortung für Weltfrieden und internationale Sicherheit zu übernehmen, wenn der Sicherheitsrat blockiert ist.[133] Der zentrale § 1 der Resolution lautet:

[I]f the Security Council, because of lack of unanimity of the permanent members, fails to exercise its primary responsibility for the maintenance of international peace and security in any case where there appears to be a threat to the peace, breach of the peace, or act of aggression, the General Assembly shall consider the matter immediately with a view to making appropriate recommendations to Members for collective measures, including in the case of a breach of the peace or act of aggression the use of armed force when necessary, to maintain or restore international peace and security. If not in session at the time, the General Assembly may meet in emergency special session within twenty-four hours of the request therefore. Such emergency special session shall be called if requested by the Security Council on the vote of any seven members, or by a majority of the Members of the United Nations […].

Da dem Sicherheitsrat lediglich die „Hauptverantwortung“, nicht aber die alleinige Verantwortung für Frieden und Sicherheit zukommt, ist dies mit der Charta vereinbar. Mit der „Selbstermächtigung“ der Generalversammlung kann aber lediglich die Sperrwirkung des Art. 12 UNCh umgangen werden. Daran, dass verbindliche Beschlüsse nur der Sicherheitsrat fassen darf und die Generalversammlung insoweit auf Empfehlungen beschränkt ist, ändert sich nichts.[134] Die verbindliche, die staatliche Souveränität überspielende (vgl. Art. 2 Nr. 7 UNCh) Autorität, die der UN-Sicherheitsrat unter Kapitel VII UNCh besitzt, kann sich die Generalversammlung nicht selbst verschaffen. Wo ein entgegenstehender staatlicher Wille gebrochen werden muss, hilft letztlich nur ein Sanktionsbeschluss des Sicherheitsrates weiter. Beschlüsse der Generalversammlung vermögen hier selbst unter der „Uniting-for-Peace“-Prozedur wohl Legitimität, nicht aber Legalität zu vermitteln.

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In allen externen Angelegenheiten ist die Generalversammlung somit auf Empfehlungen und unverbindliche Resolutionen beschränkt. Organisationsintern kann sie hingegen verbindliche Beschlüsse fassen. Dies betrifft u. a. die Aufnahme neuer Mitglieder, die Suspendierung von Mitgliedschaftsrechten und den Ausschluss von Mitgliedern, die Einrichtung von Nebenorganen, Personalentscheidungen und Wahlen zu Gremien usw. Gemäß Art. 17 UNCh liegt bei der Generalversammlung zudem das alleinige Haushaltsrecht.

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