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1. Entstehung und Entwicklung
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„[S]o muss es einen Bund von besonderer Art geben, den man Friedensbund (foedus pacificum) nennen kann, der vom Friedensvertrag (pactum pacis) darin unterschieden sein würde, dass dieser bloß einen Krieg, jener aber alle Kriege auf immer zu endigen sucht.“[119] Diese Vorstellung Kants von einer Föderation der Staaten als System kollektiver Sicherheit (zum Begriff Rn. 1053) klang an, als US-Präsident Wilson am 8. Januar 1918 in seiner Rede vor beiden Kammern des US-Kongresses seinen berühmten 14-Punkte-Plan vorstellte und als letztes „a league of nations to protect mutual guarantees of political independence and territorial integrity to great and small nations alike“ forderte.
Der 1919 gegründete Völkerbund stellte den ersten Versuch in der Neuzeit dar, eine derartige Föderation zu verwirklichen.[120] Eine Bundesversammlung und ein aus ständigen und gewählten nichtständigen Mitgliedern bestehender Rat waren die Beschlussorgane mit weitgehend parallelen Zuständigkeiten; ihre Beschlüsse fassten sie in der Regel einstimmig. Unterstützt wurden sie durch ein ständiges Sekretariat. Der 1920 gegründete StIGH stand außerhalb der Organisation. Ein Verbot von Krieg und Gewalt enthielt die Völkerbundsatzung zwar nicht, wohl aber wurden die Mitglieder verpflichtet, erst drei Monate nach Scheitern friedlicher Streitbeilegung zu den Waffen zu greifen (Art. 12). Wer in satzungswidriger Weise Krieg führte, war gemäß Art. 16 automatisch durch die Mitgliedstaaten mit politischen und wirtschaftlichen Sanktionen zu belegen; militärische Maßnahmen sollten vom Rat des Bundes empfohlen werden. In der Praxis erwies sich dieses Sanktionssystem als wenig tauglich. Dies lag zum einen daran, dass maßgebliche Staaten, darunter die USA, der Organisation nicht angehörten, zum anderen standen dem Rat kaum Möglichkeiten zu Gebote, die von der Satzung angeordneten Sanktionen zu erzwingen. Gegenüber dem aufziehenden Zweiten Weltkrieg war der Völkerbund machtlos. Während des Krieges traten die Organe nicht mehr zusammen. In der Sitzung der Bundesversammlung vom 19. April 1946 wurde der Völkerbund schließlich aufgelöst.
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Funktional war an seine Stelle bereits die Organisation der Vereinten Nationen als neues System kollektiver Sicherheit getreten. Gedanklich vorbereitet durch eine gemeinsame Erklärung von US-Präsident Roosevelt und dem britischen Premierminister Churchill, wurde ein erster Entwurf für die Charta der neuen Organisation 1944 in Dumbarton Oaks (Washington, D.C.) von Experten erarbeitet;[121] von April bis Juni 1945 fand die Gründungskonferenz in San Francisco statt, an der Vertreter aus 50 Staaten der Erde teilnahmen. Die endgültige Charta vom 26. Juni 1945 trat schließlich am 24. Oktober 1945 in Kraft. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Völkerbund erkennt man in der UNCh das Bestreben, die UNO zu einer starken „Föderation“ auszubauen: Ein allgemeines Gewaltverbot, durchbrochen nur durch das Recht zur Selbstverteidigung gegen einen Aggressor, ein starker Sicherheitsrat, der über eigene Truppen verfügen sollte, um bei Bedrohungen des Weltfriedens auch militärische Sanktionen zu verhängen, ein Gerichtshof als integraler Bestandteil der Organisation – all das versprach dem Modell Kants näher zu kommen als der Völkerbund.
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Die Hoffnungen, die in der Gründungsphase in die neue Organisation gesetzt wurden, erfüllten sich nicht. Schon bald lähmte der aufziehende Kalte Krieg den Sicherheitsrat, in dem Ost und West sich gegenseitig mit ihren Vetos blockierten. Das Machtvakuum innerhalb der Organisation konnte die Generalversammlung nur unvollkommen füllen. Da kein Staat zur Truppenstellung bereit war, blieben auch die von Art. 43 UNCh vorgesehenen UN-eigenen Truppen unrealisiert. Ihrem sicherheitspolitischen Auftrag wurden die Vereinten Nationen in den ersten 45 Jahren ihres Bestehens kaum gerecht. Für eine Erweiterung der Themenschwerpunkte sorgte in dieser Zeit vor allem die Generalversammlung. Durch die Unabhängigkeit der früheren Kolonien hatten sich hier die politischen Mehrheiten verändert: Neben Fragen des friedlichen Zusammenlebens (z. B. Prinzipien-Erklärung 1970[122], Aggressions-Definition 1974[123]) traten zunehmend auch soziale und ökonomische Fragen in den Mittelpunkt der UN-Politik (z. B. Recht auf Entwicklung 1986[124]).
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Einen bedeutsamen Einschnitt markierte das Jahr 1990: Der Zusammenbruch des Ostblocks beseitigte die jahrzehntelange weitgehende Blockade des Sicherheitsrates. Die Hoffnung auf eine neue Gemeinsamkeit erfüllte sich aber gleichwohl nicht. Nationale Interessen gewannen immer wieder die Oberhand. Durch Vetos blockiert, vermochten die Vereinten Nationen nicht adäquat auf die ethnischen Säuberungen in Ruanda und im Kosovo Ende der 1990er Jahre zu reagieren; die USA trugen während der Präsidentschaft von George W. Bush (2001-2009) mit ihrem Bekenntnis zum Unilateralismus und unverhohlenen Hegemonialbestrebungen zu einer Schwächung der Organisation und zu Spaltungen auch innerhalb der Gruppe der westlichen Demokratien bei. Die in den letzten Jahren im Sicherheitsrat zu beobachtende Spannungslage zwischen multilateralem Handeln und politischer Uneinigkeit (im Falle von Libyen, Syrien, Zentralafrikanische Republik, Ukraine z. B.) dürfte die Schwierigkeiten des Sicherheitsrates aufzeigen, seine Rolle in einer multipolaren Welt zu finden.
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Auch wenn die Vereinten Nationen in vielem hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind, sind ihnen doch beachtliche Erfolge zu attestieren: Gerade in den Jahren nach 1990 hat der Sicherheitsrat in zahlreichen Fällen Bereitschaft und Fähigkeit zu entschlossenem Handeln gezeigt; durch Einrichtung von UN-Verwaltungen und -Gerichten wurde Neuland im Bereich des peace-building betreten; gerade auch außerhalb des sicherheitspolitischen Bereichs leisten die Vereinten Nationen viel. Vor allem aber ist die UNO, was der Völkerbund niemals war: eine wahrhaft universelle Repräsentation der internationalen Gemeinschaft. Mit 193 Mitgliedstaaten (Stand: Juni 2019) umfasst die Organisation heute nahezu alle Staaten der Erde.