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1. Anerkennung von Staaten
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Mit der Anerkennung eines Staates gibt ein anderes Völkerrechtssubjekt zu erkennen, dass es den betreffenden Staat seinerseits als Völkerrechtssubjekt betrachtet. Dies kann auch implizit erfolgen, etwa durch Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Die Anerkennung neuer Staaten wird von vielen Staaten heute nicht allein von Fragen der Effektivität und politischen Opportunität abhängig gemacht, sondern auch von Legitimitätskriterien.[63] Allerdings hat nach heute überwiegender Ansicht die Anerkennung bloß deklaratorische (nicht konstitutive) Bedeutung, d. h. sie ist ohne Einfluss auf die Staatseigenschaft, sondern stellt lediglich fest, dass aus Sicht des anerkennenden Staates alle Elemente vorliegen, die ein Staat besitzen muss.[64]
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Die Staatsqualität lässt sich auf diesem Wege allerdings nicht völlig von politischen Konflikten abkoppeln: Zwar mag sich nach objektiven Kriterien bestimmen, ob man es mit einem Staat zu tun hat, die Staaten können aber unterschiedlicher Ansicht darüber sein, ob die drei Elemente vorliegen. Hier erhält die Anerkennungspraxis mittelbare rechtliche Bedeutung – nämlich als Indiz für die Auffassung der Völkergemeinschaft in Bezug auf die Staatsqualität als solche. Auch das Völkerrecht geht letztlich an der (Nicht-)Anerkennung durch andere Staaten nicht vorbei, sofern es sich um eine bedeutsame Praxis handelt. Eine kollektive Anerkennung spricht für, eine kollektive Nichtanerkennung gegen die Staatsqualität. Letztere beruht in aller Regel auf der Missbilligung von Umständen der Staatsgründung. Da sie kontrafaktisch an Legitimität statt Effektivität orientiert ist, muss darauf geachtet werden, dass die Bevölkerung nicht unter den Folgen einer Nichtanerkennung von De-facto-Regimen leidet.[65]
Diese politische Dimension unterstreicht auch der Fall der Türkischen Republik Nordzypern: Die Türkei besetzte am 20. Juli 1974 den Norden der Republik Zypern, weil sie den Anschluss der Republik an Griechenland befürchtete. Am 15. November 1983 wurde die „Türkische Republik Nordzypern“ (TRNZ) proklamiert. Unabhängig von der Frage, ob die Voraussetzungen für die Eigenschaft als Staat gegeben sind, wird der TRNZ seit jeher die Anerkennung als Staat verweigert. Allein die Türkei unterhält diplomatische Beziehungen mit der TRNZ. 1984 beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine bis heute gültige Resolution, die alle UN-Mitgliedstaaten auffordert, die TRNZ nicht anzuerkennen.[66] Umgekehrt verhält es sich im Fall Palästinas: Angesichts der klaren Mehrheit (138 Ja-Stimmen, bei 9 Gegenstimmen und 46 Enthaltungen bzw. Nichtäußerungen) für die Resolution, mit der die UN-Generalversammlung Palästina zum Beobachterstaat heraufgestuft hat, und des Beitritts zum IStGH-Statut im Januar 2015 mehren sich die Stimmen, die eine Staatsqualität Palästinas bejahen.[67] Nachdem eine Reihe von EU-Mitgliedstaaten Palästina als Staat anerkannt haben, hat das Europäische Parlament am 17.12.2014 die grundsätzliche Anerkennung beschlossen, aber an die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen geknüpft.[68] Im März 2016 hat der Verwaltungsrat des Ständigen Schiedshofs dem Beitritt zum (I.) Haager Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle von 1907 zugestimmt.[69] Im November 2018 hat Palästina erstmals als Staat vor dem IGH Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist.[70]
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Obgleich die Anerkennung eines Staates durch einen anderen für sich genommen nicht zu einer Änderung der Rechtslage führt, kann sie dennoch gegen Völkerrecht verstoßen: In der vorzeitigen Anerkennung von Staaten liegt ein Verstoß gegen das Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates (Interventionsverbot, Rn. 365), wenn der im Entstehen begriffene Staat sich im Wege der Sezession aus einem bestehenden Staatsverband zu lösen versucht.
Beispiele liefert insbesondere der Staatszerfall auf dem Balkan nach 1990: So gab es 1991 einen Streit zwischen Deutschland und Jugoslawien über die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens durch die deutsche Regierung; ebenso bezeichnete Serbien die unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Jahre 2008 erfolgten Anerkennungen als Einmischungen in seine inneren Angelegenheiten. Einen Verstoß gegen das Gebot der Nichteinmischung stellt auch die Anerkennung der Sezession der Krim im März 2014 durch Russland dar.