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1. Begriff und Fallgruppen
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Während es beim failed state um die (eher theoretische) Frage geht, unter welchen Voraussetzungen ein Staat ersatzlos zerfällt, behandelt die Staatennachfolge (auch: Staatensukzession) die Fälle, in denen aus bestehenden Staaten neue Staaten hervorgehen bzw. bestehende Staaten in anderen aufgehen. Hiervon ist auch der Fall des Gebietserwerbs (Rn. 78–82) zu unterscheiden, bei dem es um den Wechsel von Territorium von einem Staat zu einem anderen geht, d. h. das Gebiet wechselt seine Zugehörigkeit; die Zahl der Staaten verändert sich nicht. Folgende Fälle der Staatennachfolge sind praktisch relevant:
– | Sezession: Abspaltung eines Gebietsteils von einem Staat, meist unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker (Rn. 70–71). Beispiele sind z. B. die Sezession Bangladeschs von Pakistan (1971) oder des Süd-Sudan vom Sudan (2011)[82]. |
– | Dismembration: vollständiger Zerfall eines Staates in mehrere souveräne Staaten, z. B. Zerfall der UdSSR (1991) oder der ČSFR (1992). |
– | Fusion (Zusammenschluss): Mehrere Staaten gehen in einem neuen Staat auf, z. B. Zusammenschluss von Tanganijka und Sansibar zu Tansania (1964) oder der Arabischen Republik Jemen und der Volksdemokratischen Republik Jemen zur Republik Jemen (1990). |
– | Inkorporation: Beitritt eines Staates zu einem anderen Staat. Das historisch singuläre Beispiel bildet die Wiederherstellung der deutschen Einheit (1990), die zum Untergang der DDR als Völkerrechtssubjekt geführt hat.[83] Nach außen hin präsentierte sich zwar auch der Beitritt der Krim zur Russischen Föderation als Inkorporation; weil aber die durch russischen Militäreinsatz ermöglichte Sezession illegal war, handelt es sich völkerrechtlich um einen Akt der rechtswidrigen Annexion (Rn. 71) |
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Die Schwierigkeiten bei der Einordnung verdeutlicht der Zerfall Jugoslawiens: Von der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) hatten sich im Juni 1991 Slowenien und Kroatien losgesagt, gefolgt von Mazedonien (September 1991) und Bosnien-Herzegowina (März 1992). Das aus Serbien und Montenegro bestehende Rest-Jugoslawien benannte sich im April 1992 in Bundesrepublik Jugoslawien (BRJ) um. Ob die Sezessionen der Jahre 1991/92 die Dismembration der SFRJ zur Folge hatten, blieb unklar: Die von der EU eingesetzte Badinter-Kommission ging von einem Untergang der SFRJ aus, ebenso der UN-Sicherheitsrat, der daher in Resolution 777 (1992) der Generalversammlung empfahl, die BRJ als Nichtmitglied von der Teilnahme in den UN-Gremien auszuschließen und zum Antrag auf Beitritt zu den Vereinten Nationen aufzufordern. Die Generalversammlung schloss jedoch am 22.9.1992 die BRJ lediglich von der Teilnahme in den UN-Gremien (Resolution 47/1) aus, ohne sich zur Statusfrage zu äußern. Erst am 1.11.2000 wurde die BRJ auf Antrag als neues Mitglied in die UNO aufgenommen. Damit hat sich rückblickend die Frage geklärt, dass die SFRJ (wohl) tatsächlich 1992 durch Dismembration untergegangen sein dürfte. Die anschließende Umbenennung der BRJ in „Serbien und Montenegro“ 2003 veränderte nur den Namen, nicht den Subjektstatus. Im Juni 2006 hat sich Montenegro von diesem Staat abgespalten (Sezession), der nunmehr nur noch aus Serbien besteht und den Namen „Republik Serbien“ angenommen hat. 2008 hat sich auch die autonome Provinz Kosovo, die unter UN-Verwaltung stand, für unabhängig erklärt (Sezession).[84]